Tirian schaute lange in die Ferne. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Seine Gedanken hielten ihn gefangen. „Nur noch Tarrior befreien“: sagte er sich immer wieder. Erst ein Donnergrollen in der Ferne ließ ihn zusammenzucken und weckte ihn aus seiner Starre. Er wandte sich um und heftete seine Augen auf den Roten Berg. Noch immer stiegen fette, schwarze Schwaden aus dem Krater auf, wie schon die ganze Zeit, seit er wieder hier auf Vvardenfell war. Es hatte einige Tage gedauert, bevor er es überhaupt bemerkt hatte, dass der alte Vulkan wieder zu rauchen angefangen hatte, doch inzwischen erschien dem Dunmer dieses Verhalten mehr als merkwürdig, geradezu besorgniserregend. Er zuckte mit den Schultern. Dass der Berg wieder aktiv war, mochte etwas bedeuten, aber er war kein Geologe und konnte sich auch selbst nicht sonderlich gut mit dieser Insel und ihren Eigenheiten aus, so fand er es müßig darüber nachzudenken. Doch ihm bleib auch nicht die Zeit sich um darum großartig zu kümmern. Unbemerkt war jemand von hinten an ihn heran getreten und legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte zusammen und drehte sich ruckartig um. Er hatte schon mit Lyviani gerechnet. Doch das Gesicht, das stattdessen vor ihm auftauchte, war noch wesentlich schlimmer. Es war die Altmer. Ihre Lippen zeigten das von ihr altbekannte herablassende Lächeln. Ihre Augen taxierten seine. Sie nahm die Hand wieder herunter. „Ich habe nie verstanden, was jemand an diesen roten Augen finden kann“: sagte und zuckte mit den Schultern. Es dauerte einen Moment, bis der Heiler seine Stimme zurückgewonnen hatte. „Was wollt ihr?“: fragte er. Sie schmunzelte und zog plötzlich ein Schwert hervor, das sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte. Tirian taumelte gegen die Brüstung. Die Spitze des Schwertes zeigte auf seinen Hals.

Er schluckte und starrte die Frau fassungslos an. Ihr Blick war todernst, doch dann zogen sich ihre Augenbrauen und Mundwinkel nach oben. Die Söldnerin begann wild zu lachen. „Ihr solltet euer Gesicht sehen“: meinte sie dann, als sie sich etwas beruhigt hatte und nahm dann das Schwert herunter. Erst jetzt erkannte er die silberne Waffe als seine eigene. Sie reichte es ihm herüber. Er packte zu und war einen Moment versucht sie gegen sein Gegenüber zu richten. Die Klinge zitterte in seiner Hand. Nur mühsam beherrschte er seinen Arm. Er fixierte sie nun wieder. „Seid ihr völlig verrückt geworden?! Ihr seid ja völlig wahnsinnig!“: schrie er sie an. Sie nahm davon gar keine Notiz. Sie schlenderte zu ihm hinüber. Tirian war noch völlig außer sich. Sie strich mit der Hand über seine Wange und lehnte sich dann über die Brüstung. „So seid ihr jetzt etwas zufriedener?“: fragte sie. Der Heiler stand noch immer unter Strom. Er sah auf ihren Rücken. Ein Stoß und Nirn wäre um eine Last leichter. Er hielt sich zurück. „Und genau aus diesem Grund passt ihr einfach nicht zu Dreveni“: sagte sie auf einmal.

Tirian wandte sich zu ihr um. „Was wollt ihr damit sagen?“: wollte er wissen. Sie drehte gelangweilt ihren Kopf. „Ich? Nur das ich verstehen kann, dass sie euch nicht mehr ertragen kann. Ihr verhaltet euch wie ein Prinzesschen“: meinte sie beiläufig. „Was meint ihr mit ‚Dreveni kann mich nicht mehr ertragen‘?“: wurde er nun noch direkter. „Nun ja. Ich habe euer Schwert gebracht um euch zu sagen, dass sie euch nicht mehr begleiten will. Sagen wir, dass ihr die Aussicht, mit uns Beute zu machen, viel verlockender erscheint, als von euch ständig ins Gewissen geredet zu bekommen, von euren kläglichen Versuchen sie im Kampf zu behindern ganz zu schweigen“: sagte sie. „Um es kurz machen. Sie kündigt den Vertrag und bleibt hier“: fasste sie noch einmal zusammen. Tirian war wie vom Donner gerührt. „Ach jetzt schaut doch nicht so. Ihr habt doch sicher selbst gewusst, dass sie nicht eure Kragenweite ist. Hier habt ihr euer Schwert. Und euer Gepäck hat den Guar ja schon erreicht. Ihr solltet gleich die Festung verlassen“: legte sie ihm nahe und ihre Hand auf seine Schulter. Sie drückte fest zu und schaute ihn mit einem stechenden Blick an. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass er besser verschwinden sollte. „Aber wir hatten eine Abmachung“: wollte der Heiler widersprechen, doch auch das hebelte die Altmer aus: „Ihr tut euch einen Gefallen damit, wenn ihr diese ‚Abmachung‘ vergesst. Ansonsten müsste sie vielleicht durch den Tod eines der Vertragspartner aufgelöst werden und ich denke nicht, dass ihr das möchtet, oder?“ Tirian wandte sich mit hängenden Schultern ab.

Lyviani ließ ihn im Stich. Aber was hatte er sich auch vorgestellt? Nachdem, was er ihr an den Kopf geworfen hatte, zumal er wusste, worauf er sich einließ, als er sie angeheuert hatte, war es eigentlich nur verständlich, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten konnte oder wollte. Er war verwirrt. Eigentlich müsste er sich jetzt nach einem neuen Helfer umsehen und das konnte in Uvirith Mora selbst recht schwierig werden. Doch nahm die Assassinin gerade seine Gedanken ein. Er konnte sich einfach nicht auf kommende Probleme konzentrieren. Seine Gedanken hingen noch an seiner Begleiterin und dem plötzlichen Abschied. „Nehmt es nicht so schwer. Ihr findet schon Ersatz. Dreveni lässt euch auch ausrichten, dass es ihr wegen der Sondervereinbarung leid tut, aber wenn es nun einmal nicht zusammen passt, sollte man sich lieber einen Auftraggeber suchen“: rief die Altmer ihm noch nach. Das war ihm nur ein schwacher Trost. Im Augenwinkel konnte er sehen, wie die Söldnerin wieder zurück in die Festung ging. Er hatte den Stall gerade erreicht, als ihm wirklich zu Bewusstsein kam, was die Verrückte eigentlich zu ihm gesagt hatte. „Was meinte sie eigentlich mit Sondervereinbarung?“: fragte sich Tirian und ging zum Guar hinüber. Er schaute das Tier an. „Lyviani würde mir ihr Reittier überlassen“: überlegte er einen Moment. Der Guar gehörte schließlich auch nicht ihm. Gerade als er das Gepäck auf dem Rücken des Tieres festgezurrt und er sich vom Schock des zurückliegenden Gespräches erholt hatte, kam ihm die ganze Angelegenheit äußerst merkwürdig vor. Von Sondervereinbarungen war zwischen ihm und Lyviani nie die Rede. Er überlegte, was sie sonst gemeint haben könnte, aber kaum auf keine Antwort.

Anschließend daran stellte sich für ihn dann die Frage, warum die Altmer so etwas sagen sollte. Wenn er an ihr manipulierendes Wesen dachte, traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Eventuell wollte die Altmer ihn loswerden und Lyviani wusste gar nichts davon. Oder irgendetwas war mit der Assassinin passiert. Er wusste es nicht, aber er ahnte, dass hier irgendetwas nicht ganz richtig war. Er schaute noch einmal den Guar an. Sein Gepäck war verladen. Das von Lyviani konnten sie noch schnell mit hinaufwerfen, wenn es eng wurde. Und das würde es gewiss. Wenn die Altmer ihn schon loswerden wollte, hatte sie wohl wenig Interesse daran die Assassinin gehen zu lassen. Eine Flucht war im Zweifel wohl die einzige Möglichkeit. Tirian seufzte. Er verließ den Stall wieder und sah sich um. Er konnte keinen Söldner entdecken, der ihn direkt hinauswerfen wollte. Seine Augen verengten sich. Die Altmer machte es nicht allzu offensichtlich. Das gereichte ihm jetzt vielleicht zum Vorteil, denn um Lyviani zu suchen, musste er zurück in das Gebäude. Vom Stall wandte er sich nun ab und der Festung wieder zu. Sein Blick streifte kurz den Rand des Festungsplateaus. Er strich sich über das Kinn, ging in Gedanken kurz seine Zauber durch und entschied dies im Hinterkopf zu behalten. So unaufgeregt wie möglich ging er nun zum Gebäude zurück und trat durch den Eingang. Seine Hand glitt ganz unmerklich zu seinem Schwert, doch die Wache stehenden Söldner zeigten keine Reaktion auf sein Eintreten. Dennoch beruhigte ihn das Gefühl des kalten Silbers an seiner Hand. Seine Finger strichen über den blanken Schwertgriff. Die Wahnsinnige hatte ihn mit seiner eigenen Waffe bedroht. Mit wachsendem Ärger dachte er daran zurück. Umso mehr aber beruhigte ihn das Gefühl die Klinge nun selbst, das Wissen das er sie selbst in der Hand hatte – die Möglichkeit sich zu verteidigen und die Altmerin wenn nötig zu bestrafen.

Er schlug den Weg zu der Kammer ein, in der sie untergebracht waren und hoffte dort seine Begleiterin anzutreffen. Er begegnete unterwegs einigen Gerüsteten, lief der Elfe dabei zum Glück nicht über den Weg, aber er wurde auch nicht aufgehalten. So erreichte er das Quartier so schnell wie ihm lieb war und das ohne Störung. Als er die Tür öffnete, fand er jedoch weder Lyviani noch ihre Sachen vor. Das Gepäck war weg. „Hat sie mich doch verlassen?“: überlegte eine ganze Weile in der er im Türrahmen stand. Doch dann überlegte er, welchen Grund sie haben sollte, ihr Gepäck hier fortzuschaffen. Eigentlich gab es auch dafür keinen Anlass. Er schüttelte den Kopf. Er traute seiner Begleiterin inzwischen Einiges zu, aber auch wenn sie ein Leben nicht so wichtig nahm, sprach er ihr zumindest so viel Ehre zu, dass sie nicht einfach einen Auftrag aufgeben würde, wenn der Kunde etwas schwieriger wurde. Nein, die Altmer hatte ihn bestimmt belogen. Lyviani war hier irgendwo und er musste sie finden. Er schloss die Tür und lehnte sich kurz zum Nachdenken an die Wand. Er fragte sich, wo sie sein könnte. Eventuell war sie gefangen genommen worden und wurde gegen ihren Willen irgendwo festgehalten. Nach einigem Hin- und Herüberlegen fiel ihm nur ein Ort ein, an dem die Altmerin eine Gefangene in der Festung unterbringen und verstecken konnte. Tirian erinnerte sich nämlich an die beiden verschlossenen Kammern im Keller der Anlage. Dort waren auch die Zellen der Sklaven und eventuell war Lyviani ja dort. Der Heiler setzte einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf und richtete seine Schritte schnell in Richtung der Treppe nach unten, wo er seine Begleiterin zu finden hoffte.