Wie von oben bereits zu erkennen war, gestaltete sich der Kerker vor allem als eine tiefe, feurige Grube. Am Grunde des Schachtes war eine schweflige Dämpfe ausspeiende Lavagruben, die es fast unmöglich machte zu atmen und deren Hitze selbst einem Dunmer fast geradezu unerträglich auf der Haut brannte, zumindest wenn man sich ihr näherte. Und das taten sie. Geführt von ihrem vermeintlich blinden Gefangenen stiegen Tirian und Dreveni in die Gefangenengrube herab. Die Mitte der Grube beherrschte eine große Felsnadel, die wie ein Monolith aus der Lava in die Höhe wuchs. Der Heiler dachte lieber nicht darüber nach, wie lange schon das untenläufige Magma an der Basis der Nadel fraß und das sie jederzeit umkippen könnte. Das wäre fatal. Der Wendelgang, den sie sich hinabarbeiteten bestand aus mehreren strunkigen, dicken Wurzeln des Pilzturmes über ihnen, die wie auch schon in den Gängen, die hinter ihnen lagen, geformt worden waren um einen Weg zu bilden. Allerdings klammerte sich die Konstruktion Halt und Stütze suchend immer wieder an der Nadel fest. Auch wenn es schon ein Wunder war, dass dieses, offenkundig magische, Wurzelwerk der Hitze standhielt, war klar, dass ein Wegbrechen des Monolithen nur in einem Zusammenbruch des ganzen Wendelgangs enden konnte.

Derart befestigt zog sich der Wurzelsteg an der Außenwand der Grube in einer Spirale nach unten und traf hin und wieder auf einen breiteren, ebenen Halbring entlang der Felswand, die die verschiedenen Etagen dieses Gefängnisses bildeten. In Form einer Gallerie wäre es dann möglich gewesen die Grube von oben in Augenschein zu nehmen, etwas worauf der Heiler bewusst verzichtete, außerdem waren hier dann halbkreisförmig eine Reihe von Zellen in den Fels geschlagen, in die sich das Wurzelsystem einerseits hineinerstreckte, andererseits wurden die Gitter von den Wurzeln selbst gebildet. Ein organisches Gefängnis quasi. Über jeder Zelle waren Kristalle eingelassen, die jedoch immer unterschiedlich schwach oder stark leuchteten. Das Leuchten wurde allerdings stärker, je tiefer sie kamen. Auf seine Frage, erklärt der Nord:

"Den Gefangenen wird ihre Magie entzogen. Bei den Sterblichen sorgt es dafür, dass eine Flucht gänzlich unmöglich wird, denn mit reiner Muskelkraft ist aus den Zellen kein Entkommen. Auf den unteren Ebenen sind Daedra angekettet, deren Energie den Turm und seine Wurzeln nähren. Etwas, das erst all dies hier möglich macht."

Beim Vorbeigehen warf Tirian einen Blick in jede Zelle. Tatsächlich hatte ihr Gefangener nicht gelogen er sah viele abgerissene Gestalten in fleckigen Leinenhemden, schwer gezeichnet von ihrer Gefangenschaft. Diebe, Banditen und anderlei Verbrecher zunächst; später Mörder, Spione und Kultisten, allerlei Gesindel mit dickerem Kerbholz. Bisher ausschließlich Fremdländer.
Für einen kurzen Augenblick flammte Mitleid in dem Heiler auf, der zwar keine besonderen Sympathien für Verbrecher verschiedenster Art hegte, aber der keinem ein solches Schicksal jemals gewünscht hätte. Dieser Gedanke erstarb allerdings sehr schnell und wurde von dem Bohren in seinem Kopf, das sich auf den Gefangenen, wegen dem sie eigentlich hier waren, fokussierte, völlig verdrängt.

Erst auf der vierten Ebene änderte sich das Bild: Viele leere Zellen von denen nur eine einzige besetzt war. In ihr saß eine Dunmerin, die angesichts ihres Haftortes, noch manierlich dreinschaute und eine gewisse Schönheit ausstrahlte, auch wenn ihr schwarzes Haar, ihr Gesicht nur noch in fettigen, zerzausten Strähnen einrahmte. Der erste Eindruck trügte jedoch.
Bei näherem Hinsehen wurde klar, dass ihr Körper, dort wo er trotz des rohen, weiten Leinenhemdes erkennbar war, übersät war mit Wunden, Prellungen, Verbrennungen und ja selbst etwas, das Tirian für Erfrierungen hielt. Es war eindeutig, dass man sie gefoltert hatte. Tirian blieb zu Drevenis Missfallen, die sichtlich auf mehr Eile drängte, einen Moment länger stehen.

"Wer ist die hier?": fragte er den Nord. Dieser schien zu überlegen, wieviele Ebenen sie bereits zurückgelegt hatten. Tirian war sich inzwischen nicht sicher, ob er den Blinden, jetzt wo er ihr Gefangener war, vorspielte oder ob er sich in ihm getäuscht hatte. Schließlich bekam er seine Antwort: "Das hier sind die politischen Gefangenen. Sie ist die Einzige, die noch hier ist. Ihren Namen kenne ich nicht. Sie saß schon ein, als ich meinen Dienst begonnen habe. Serjo Brasselin hatte sie erst am morgen noch einmal einer Befragung unterzogen."

Tirian trat ans Gitter. Apathisch saß die Frau da und machte keinerlei Anstalten zu reagieren. Wer wusste, ob sie Tarrior nicht in einem ähnlichen Zustand vorfinden würden. Im Gegensatz zu den Galgenvögeln weiter oben, überkam den Heiler hier doch sein schlechtes Gewissen. "Öffnet die Zelle": befahl er dem Nord. Dieser schien Anstalten machen zu wollen, den Befehl nicht auszuführen. Mit einem schnellen Griff, hatte er ihren Gefangenen an den Resten seiner Robe gepackt und schubste ihn gegen die hölzernen Gitterstangen. "Sofort!": herrschte Tirian ihn an. Der Mensch murrte, griff an seinen Gürtel und zog einen kleinen Goldstift mit einem Edelstein an der Spitze hervor. Tirian hatte ihn fest im Blick und war darauf gefasst, sollte er einen Trick probieren. Ein Seitenblick verriet ihm, dass Dreveni ähnlich wachsam war.

Der entmachtete Wärter tastete sich am Gitter entlang, trat einen halben Schritt zurück und legte den Stift mit der Spitze auf das Holz auf. Es geschah nichts. Ein plötzlicher Anflug von Wut erfasste den Heiler, dass er innerlich selbst überrascht war, als dieser auch noch mit Heftigkeit hervorbrach: "Nun macht. Wenn ihr uns behindern wollt. Landet ihr in der Grube!" Die Miene des Nord blieb steinern. "Ihr werdet mir die Fesseln abnehmen müssen, denn ohne Magie kann ich das Instrument nicht bedienen": stellte der Gefangene klar. Tirian schnaufte. "Das könnte euch so passen": antwortete der Dunmer. "Dann bleibt die Zelle zu": entgegnete er ungerührt. Tirian zog die Augenbrauen zusammen. Er schaute Dreveni an, die das sichtlich für keine gute Idee hielt dann wieder die Arme des Mannes, die dieser erhoben hatte und hinter den Obsidianreifen die Sklavenfesseln saßen.

"Die Fesseln unterdrücken Magie. Ihr könnt sie aber dennoch wirken": fiel dem Heiler ein. Eine Augenbraue des Nord zuckte. "Ihr wisst dann aber sicher auch, dass die Fesseln das mit Schmerzen und Verbrennungen goutieren": wies er ihn auf etwas hin, worüber sich Tirian aber völlig im Klaren war. Er zuckte mit den Schultern. Da der blinde Mann, das aber offenbar nicht wahrnahm, beeilte er sich ihm auch zu sagen, dass ihm das egal sei. Nicht das ihr Gefangener noch die Stille als Zweifel missdeutete. "Aber": versuchte er noch einen Einwand.

"Ich kann auch meine Blitze noch einmal über euren Körper tanzen lassen, wenn euch die magischen Verbrennungen der Fesseln ängstigen": schlug Tirian vor. Sich auf das verlassend, was ihm die innere Stimme, die an seinem Bewusstsein kratzte, eingab. Die Miene des Nord brach auf, er knirschte mit den Zähnen und wandte sich wieder dem Gitter zu. Wieder setzte er den Metallstift an und jetzt ging ein deutliches Knistern von den Sklavenfesseln aus, während sich der Nord mit zunehmend schmerzverzerrtem Gesicht auf das magische Objekt fokussierte. Ein leichtes Leuchten umfing das arkane Gerät und in die Wurzeln kam Bewegung. Langsam aber stetig glitten sie zur Seite und gaben letztlich die Zelle frei. Tirian ließ den Nord in Drevenis Obhut und trat heran, um die Gefangene einer Begutachtung zu unterziehen.

Tatsächlich war ihr Körper übersät mit Verletzungen aber vor allem kleiner Art. Man hatte ein Instrumentarium von Nadeln bis hin zu punktierter Magie ausprobiert. Verbrenneungen, Erfrierungen, Nekrose. Hier hatte jemand gezeigt, welches Talent er darin besaß anderen Leid durch Folter zuzufügen. "Befragung" war kaum ein geeigneter Ausdruck, um das hier zu beschreiben. Er fühlte sich an ein Theaterstück erinnert. Spielte das nicht auch in einem Telvanni-Herrenhaus? Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf auf etwas Heilmagie. Er bemerkte, wie ein Vibrieren durch die Zelle ging. Er schüttelte den Kopf und begann die Dunmer aus der Zelle zu ziehen. Alles an diesem Turm schien Magie zu spüren und darauf zu reagieren. Als hätte das Wurzelwerk ein eigenes Bewusstsein. Außerhalb der Zelle legte er die Frau die Hände auf die Stirn und versuchte ihre Sinne und ihren Geist mit etwas heilender Magie zu beleben, nachdem er schwerere Verwundungen an den Gelenken behandelt hatte.

"Überwiegend der Schock und die Erschöpfung. Die anderen Verletzungen sind minderschwer": stellte er fest. Kurz darauf tat die Frau die Augen auf, reagierte zunächst einigermaßen panisch als zu Sinnen kam, insbesondere als sie Aurek registrierte, ließ sich aber vom Heiler ganz leicht zu Boden drücken. Ihr fehlte es tatsächlich an Kraft sich wirklich zur Wehr zu setzen. Der Heiler erklärte die Situation, was das Verhalten der Dunmer beruhigte, allerdings auch wenn Tirian ihr dazu Gelegenheit gab, sprach sie kein Wort. Ein Nicken hin und wieder war die einzige Reaktion, die er bekam. Allerdings schien sie damit einverstanden sie zu begleiten, da es offensichtlich war, dass sie auch aus dem Turm wollte. Allerdings hätte Tirian durchaus interessiert, was für eine Art politische Gefangene sie war und welches Interesse der Herr des Turmes an ihr hatte.

"Wir könnten längst wieder draußen sein, wenn ihr euch nicht ständig mit solchen Dingen aufhalten würdet": wies ihn Dreveni zurecht, mit einem missmutigen Seitenblick auf ihre neue Begleitung. Es war offensichtlich, dass sie die schwächelnde Gefangene, die sich zwar auf den Beinen halten konnte, aber durchweg den Eindruck eines verschreckten Kaninchens machte, für eine Belastung hielt. Zumal da ja auch noch der Wärter war. Tirian musste selbst zugeben, dass diese Infiltrationsmission letztlich schnell ganz andere Züge angenommen hatte, denn schließlich schlichen sie jetzt nicht mehr zu zweit durch den Turm sondern, wenn sie ihr Ziel erreichten wären sie zu fünft. Der Heiler überlegte, ob sie den Nord einfach am Boden des Kerkers einsperren konnten, aber es hätte sicher auch gewisse Vorteile ihn auf dem Weg nach draußen mitzunehemn, um etwaige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Sie setzen ihren Weg zur untersten Ebene fort. Die nächste Ebene an der sie vorbeikamen war vollauf belegt mit Daedra. Einige schienen frisch gefangen und warfen sich geifernd gegen die Gitter. Die Kristalle über den Zellen glühten ständig. Die Wesen aus dem Reich des Vergessens wurden bis auf den letzten Rest ihrer Energie ausgesaugt. In den hinteren Zellen, die nahe der nächsten Rampe waren, fanden sich Exemplare, die offenbar schon länger hier einsaßen. Das boshafte Funkeln in ihren Augen war nicht gebrochen, als Tirian in die Zellen spähte, aber ihre Körper auf eine Weise ausgemergelt und kraftlos, verbogen hingestreckt, wie sie der Heiler vor allem bei einem Dämonen noch nie gesehen hatte. er kannte Daedra als Kreaturen von unbändiger Kraft und übermenschlicher Vitalität, selbst bei kleineren Exemplaren wie Skampen und das hier war das völlige Gegenteil. Ein Daedroth mit dem Unterkörper einer Spinne lag hingestreckt in der letzten Zelle, bevor es weiter nach unten ging es machte den Eindruck als könne man die Beine wie trockenes Stroh einfach durchbrechen oder als würden sie fast von selbst vom Körper abfallen.

Eine weitere Drehnung nach unten, durchschritten sie noch einmal eine solche Ebene. Der Nord erklärte, dass die drei unteren Ebenen nur noch Daedra in wachsender Stärke beheimaten würden und allein dazu dienten um den Turm zu nähren. Das wurde noch einmal deutlich, da sie auf dieser vorletzten Ebene in den wenigen Zellen vor allem Atronachen in unterschiedlichen Stadien der Atrophie antrafen. Während die Feuerelementare schon dabei waren zu verlöschen, strotzten gerade die Sturm-Atronache noch voller Kraft. "Ihr werdet hier nicht finden, wonach ihr sucht, dass ist doch Irrsinn": mischte sich der Nord erneut ein, als die den Weg zum Grund beschreiten wollten. Direkt auf Höhe der Lava lagen dort die letzten Zellen und Tirian konnte sich jenseits vom Reich des Vergessens selbst kein schlimmeres Gefängnis vorstellen. Er ignorierte den Nord. Er konnte sich den Zweifel nicht leisten. Es konnte nicht sein, dass sie den ganzen Weg umsonst gekommen waren. Tarrior musste hier sein, er musste am Leben sein. Nur allzu deutlich konnte er zusammen mit dem wieder stärker werdenden Pochen in seinem Kopf spüren, dass sie dem Ziel so unglaublich nahe waren. Ja, er musste einfach hier sein.

Tirian begann die Treppe schneller hinunter zu gehen, konnte gar nicht schnell genug in die Grube hinab gelangen und als er seinen Fuß auf das hitzige, dunkle Vulkangestein setzte, von dem schweflige Dämpfe aufstiegen und sein Blick auf eine Reihe weniger Zellen gegenüber des heißen Rots des nahen Lavaschlundes warf, war es als würde er von einer von ihnen magisch angezogen. Wie besinnungslos begann er loszuhetzen, die anderen Zellen und ihre Insassen ignorierend, auch als sich ein Ogrim mit aller Gewalt gegen eines der Gitter warf, die aber mit eiserner Gewalt den Massen des gewaltigen Daedroth standhielten. Er als er knapp vor dem Gitter war verlangsamten sich seine Schritte. Ein wildes Rauschen klang in seinen Ohren als er sich mit langsamen Schritten der Zelle näherte und zwischen den Wurzeln in das Innere spähte. Im fahlen Licht des Kristalls an der Decke erkannte er die dort sitzende, zusammengekümmerte Gestalt. Langes, wildgewordenes, rotes Haar ein groß gewachsener, noch hagerer Körper auch die Nase war unverkennbar. "Tarrior": flüsterte der Heiler, der sein Ziel endlich erreicht hatte. Die Gestalt schaute auf. Sein Blick war nicht gebrochen. Neben Überraschung spiegelte sich in den noch tiefer eingegrabenen stechend-roten Augen vor allem eines: Entschlossenheit.