Tirian schaute noch eine Weile durch die offene Tür hinaus auf den leeren Gang. Lyviani hatte ihn zurückgelassen. „Besser Dreveni“: wie er sich an die Worte des Attentäters erinnerte. Sie hatte ihm nicht einmal ihren richtigen Namen genannt. In ihrem Geschäft war das vermutlich besser und gerade, wenn die Tong hinter ihr her war. Er schüttelte den Kopf. Dieser Attentäter besaß einen Exekutionserlass. Er lief im Raum auf und ab, fasste sich des Öfteren an die Stirn und massierte sich die Augen, um dann schließlich noch mehr umherzuwandeln. Die Sklaven wurden langsam nervös: „Lasst uns unsere Arbeit erledigen. Ihr stört. Wir wollen keinen Ärger.“ Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich noch immer in der Waschküche aufhielt. Der Heiler wollte den beiden armen Häftlingen nicht noch mehr Ärger machen, als sie hier ohnehin schon hatten. So sehr er es sich auch im Moment wünschte sie aus dieser Lage hier zu befreien, so sah er ein, dass dies wohl völlig utopisch war. Er verließ die Waschkammer und wandte sich im Gang nach links. Der Kopfschmerz pochte noch immer in seinen Schläfen, befand sich aber unter seiner Kontrolle. Diese Festung wollte er so schnell wie möglich hinter sich lassen. Sie hatten hier Nichts erreicht außer sich in die Hände einer Irren zu begeben, für die das Leben nur ein Begriff war, um einen Zustand zu beschreiben, über den sie in gottgleicher Weise entscheiden konnte. Sie hingen hier in ihrem Netz. Noch war sie auf ihrer Seite, aber wer konnte schon sagen, wie lange das so sein würde, wann sie ihr langweilig oder lästig wurden. Sie hatte zur reinen Belustigung einen Attentäter auf sie losgelassen. Und das sie auch nicht viel von Attentätern hielt, hatte sie mehr als deutlich gemacht. Was würde also passieren, wenn sie herausfand, dass es sich bei Lyviani, um eine Assassinin handelte. Es wurde Zeit, dass sie von hier verschwanden. Von der Altmer hatten sie Nichts zu erwarten, außer einem Messer im Rücken.

Von diesen Gedanken beschäftigt lenkte Tirian seine Schritte zurück zu der Kammer, die man ihm zugewiesen hatte. Etwas unschlüssig stand er davor, zögerte. Er konnte nicht einschätzen, wie lange er seinen Gedanken nachgehangen hatte und fragte sich, ob Lyviani inzwischen wieder zurückgekommen war. Schließlich fasste er Mut und drückte die Klinke herunter. Er stieß die Tür auf und stellte fest, dass der Raum leer war. Erleichtert atmete er aus und schloss sie hinter sich wieder. Es wurde Zeit, dass sie die Festung verließen. Darauf konzentrierte er sich jetzt und machte sich daran seine Sachen wieder zusammen zu schnüren. Sein Kräutervorrat war in Ordnung. Wenn seine Begleiterin noch Wert auf Nahrung oder Wasser legen würde, würden sie gewiss auch unterwegs etwas finden. Bei diesen Gedanken machte er sich auch daran, Lyvianis Gepäck zumindest erst einmal zusammen zu schieben, damit es nachher schnell gehen konnte. Er wollte im Laufe des Tages aufbrechen. Noch eine Nacht an diesem Ort schien ihm nicht gerade attraktiv. Eigentlich hätte er es vorgezogen in der relativen Sicherheit von Falensarano etwas auszuharren, gerade nach der Tortur in der Ahnengruft, doch jetzt erschienen ihm das Gras der Weidenländer umgeben von Oblivion-Toren doch sicherer als mit einer Verrückten Söldnerin unter demselben Dach zu schlafen. Zudem war dort draußen die Gefahr geringer auf weitere Agenten der Morag Tong zu treffen, die ihnen ans Leder wollten. Er hielt inne und blickte einen Augenblick zur Tür. Das eigentliche Problem war die Assassine. Vielleicht auch er selbst, wenn man es aus ihrer Sicht betrachtete. Es war wirklich besser, wenn er an seinem Entschluss festhielt. Sie waren mehr als unterschiedlich. Das hatte der Mord in der Waschküche nochmals bewiesen. „Es ist verrückt. Vermutlich würden wir ohnehin nur noch bis Uvirith Mora mit einander auskommen“: überlegte Tirian. Für ihn war die Schlussfolgerung klar. Es wäre gewiss für alle Beteiligten das Beste, wenn sie sich dann nie wieder sahen und er bis dahin den Kontakt mit ihr auf das Notwendige beschränkte.

Er konnte nicht zulassen, dass sie sich vorher verkrachten. Tarrior war noch immer in Gefahr und er brauchte die Fähigkeiten der Dunmer, um ihn zu retten. Zu zweit war es schon purer Wahnsinn sich in den Turm eines gefährlichen Hexenmeisters zu schleichen, aber er allein… das war praktischer Selbstmord. Und gerade eine Assassinin konnte ihm vielleicht außer einem Dieb am Meisten helfen. Sie wusste sich gewiss leise zu bewegen und würde wenn nötig auch Gegner, die im Weg waren, lautlos außer Gefecht setzen können. Lyviani war die beste und einzige Chance, die er hatte. Außerdem, und das konnte er einfach nicht leugnen, würde er es sehr bedauern, wenn sie sich im Schlechten trennten. Inzwischen hatte er das Gepäck soweit gepackt, dass er sich nun seinem Schwert widmete. Er ging zum Waschzuber. Inzwischen hatte jemand das gebrauchte Wasser entfernt, aber freundlicherweise einen Krug für eine Katzenwäsche bereitgestellt. Als er die Flüssigkeit über die Klinge goss und mit einem Leinentuch den Schmutz und das Blut herunterzuscheuern begann, verbreitete sich ein übler Leichengeruch im Raum. Noch immer klebten die Körpersäfte der Untoten, die er in der Kanalisation erschlagen hatte, an der Waffe. Er wollte diesen ekelerregenden Umstand noch ändern, bevor es unterwegs nicht noch einmal die Ruhe dafür gab. Außerdem war das Silberschwert inzwischen doch reichlich schartig geworden. So oft in kurzer Zeit war es lange nicht benutzt worden. Einen aufmerksamen Schmied und einen Schleifstein konnte das Metall gewiss vertragen. Und Tirian wollte seine Waffe in diesem Zustand sicherlich niemandem anvertrauen, auch wenn er glaubte, dass der bei dieser Söldnertruppe sicher auch Schlimmeres gewohnt war. So hörte der Heiler auch erst auf, als der gröbste Schmutz herunter war. Noch einmal glitt sein Blick prüfend über das Silber, bevor er die Klinge wieder in der Scheide verschwinden ließ.

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Noch bevor er antworten konnte, wurde sie geöffnet und die beiden Sklaven traten in den Raum. Sie hatten die Wäsche geschultert und legten sie dann schließlich getrennt auf den Boden und verabschiedeten sich so schnell wieder, wie sie gekommen waren. Tirian schob den Wäschestapel der Dunmer ungesehen zu ihren übrigen Sachen. Seine eigene Kleidung schnürte er mit dem Anderen Gepäck zusammen. Lyvianis Ausrüstung rührte er lieber nicht an. Er wollte keinen Streit mit der Dunmer provozieren und er wollte auch gar nicht so genau wissen, was die Frau in ihrem Arsenal wohl noch so mit sich führte, mit dem man morden und verstümmeln konnte. Er schaute sich noch einmal im Raum um. Soweit er das sehen und sich erinnern konnte, sollte damit alles soweit für die Abreise fertig sein. Wenn Lyviani zwischenzeitlich nicht noch einmal auftauchen sollte, würde er das Gepäck später auf den Guar laden, damit sie ohne Verzögerungen weiterreisen konnten. Aber inzwischen plagte ihn der Hunger. Seit dem Abendessen war bereits eine ganze Nacht vergangen und wurde langsam Zeit für ein Frühstück. Da Lyviani noch immer nicht aufgetaucht war, wandte er sich allein zur Festungskantine. Er verließ die Kammer und ging nun zum Essen.

Die Söldnertaverne war auch schon reichlich besetzt. Die meisten von ihnen hatten wieder an dem Tisch Platz genommen, an dem sie schon am vergangenen Abend saßen. Das Kopfende war demonstrativ frei, obwohl sich einige der Gerüsteten bereits auf kleinere Tische im Umkreis verteilten. Auch andere Gäste und Besucher der Festung besetzten einige Bänke. Er schaute sich um. Auch hier war Lyviani nicht zu sehen und der freigehaltene Platz sprach dafür, dass er auch Ruhe vor dieser Verrückten haben würde. Aber er hatte ohnehin nicht vor, sich zu diesen Schlächtern zu setzen. Stattdessen guckte er sich einen Platz am Rand an einem Tisch aus, an dem ein Bretone in normaler Kleidung saß. „Ein Reisender“: hoffte er. Tirian schritt zum Thresen hinüber. Der Nord-Koch unterhielt sich gerade mit einem anderen Söldner, den er allerdings in dem Moment verabschiedete, als der Dunmer heran kam. „Was gibt es zum Frühstück“: fragte der Heiler. Der Koch schaute ihn abschätzig au seinen Schweinsaugen an, schnaufte und stellte eine Holzschale vor ihn hin. „Gebratener Salzreis mit gerührtem Kwama-Ei. Friss es oder lass‘ es bleiben“: meinte er und füllte ihm die Schale aus einem großen Topf, der neben ihm stand, auf. Eine braune, breiige Masse schaute ihn an. Ein Blick in das Gesicht des Nords sagte ihm, dass er sich lieber nicht beklagen sollte und so ließ er es dann auch und setzte sich zu dem Bretonen. Der schaute nur kurz von seinem eigenen Essen auf. Tirian nahm den Löffeln zur Hand, den er sich am Thresen genommen hatte und schob sich etwas zögerlich den Reis in den Mund. Nach dem ersten Kauen lösten sich seine Bedenken. Das Essen sah nicht gut aus und der Koch machte auch nicht gerade einen professionellen Eindruck, aber er musste eingestehen, dass es dennoch gut schmeckte und auch gut den Magen füllte. Kaum war die Schale leer, war er auch schon satt und brauchte nicht mehr. Er erhob sich, ließ die Schale stehen und ging zur Kammer zurück.

Er verweilte nicht lange dort. Er schulterte nur sein Gepäck und war dann auch schon wieder auf dem Weg nach draußen. Lyvianis Sachen wollte er nach wie vor nicht anrühren, aber zumindest sein eigenes Zeug konnte ja schon einmal für die Abreise auf den Guar geladen werden. So schlug er sich durch die Festung, die inzwischen wieder deutlich belebt war und trat hinaus auf das Plateau. Die Sonne stand bereits am Himmel, doch noch hing die Frische des Morgens in der Luft. Eine leichte Brise ging. Und dicke Rauchwolken, die nahe eines der Zelte aufstiegen und ein verräterisches Hämmern ließen Tirian erkennen, wo er denjenigen fand, der ihm das Schwert erneuern konnte und dorthin lenkte er nun auch seine Schritte. Der Schmied war auch ein Nord. Er trug die braunen Haare militärisch kurz und sein Bart war akkurat bis einen Flecken an seinem Kinn gestutzt. Er bearbeitete gerade ein Hufeisen und schlug es richtig in Form. Der Heiler zweifelte, ob er hier richtig war. Ein Hufschmied war schließlich etwas Anderes als ein Waffenschmied. Er wollte sich gerade abwenden, als er hinter sich ein lautes Zischen und ein mit tiefer Stimme gesprochenes, „Was wünscht ihr?“, hörte. Er wandte sich dem Mann wieder zu, der die hochgeschobenen Ärmel seiner Tunika wieder über die breiten Oberarmmuskeln schob und sich den Schweiß seiner Hände an der ledernden Schürze abwischte, die er anhatte. „Ich brauche einen Waffenschmied, der sich mal mein Schwert anschauen kann“: sagte der Heiler dann. Die Nord lächelte leicht und schloss die Augen. „Keine Sorge, Junge, ich schmiede zwar auch Hufeisen, aber ich bin der beste Waffenschmied, den du in dieser Gegend finden wirst. Aber das ist bei all diesen Magiern, die hier im Umkreis wohnen auch nicht schwer. Die Leute dort interessieren sich mehr für Pergament und schicke Roben“: er schaute etwas pikiert die Kleidung des Heilers an: „als für Schwerter und Äxte. Die Eisen und Nägel mache ich nur, weil es hier keinen Anderen dafür gibt. Also eure Waffe ist gut bei mir aufgehoben“: sagte er. Tirian zog das Schwert aus der Scheide und legte es dem Mann vor. Der Nord griff zu, hob es hoch, wendete und betrachtete es dabei ausgiebig. „Standardkram. Aber eine solide Arbeit. Euer Glück. Wie ich an der Abnutzung der Klinge sehe, schlagt ihr regelmäßig mit nur einer Seite zu. Ein Langschwert ist eine doppelt geschliffene Schlagwaffe. Die Klinge ist dazu gemacht zu beiden Seiten zu funktionieren. Wäre das hier keine gute Arbeit hätte sich die Klinge unter der einseitigen Abnutzung verbiegen oder schlimmstenfalls zerbrechen können. Sie sollten öfters die Schlagseite wechseln. Das täte der Klinge ganz gut. Allerdings werde ich ihr vorher wieder mehr Schärfe und neue Festigkeit verleihen. Gebt mir eine Stunde. Ich kümmer mich darum“: meinte er und legte das Schwert umgehend ins Feuer. Tirian stand noch etwas unschlüssig daneben. „Na los. Ich mach das schon. Ich brauche keine Gaffer“: blaffte der Mann und scheuchte ihn mit einer Handbewegung weg. Der Heiler wollte den Meister bei der Arbeit nicht stören und entfernte sich.

Stattdessen schlenderte er nun zu den improvisierten Stallungen. Den Guar fand er recht schnell und er war auch froh, als er sein Gepäck abnehmen und dem Tier zur Seite stellen konnte. Er streichelte die ledrige Schnauze. Aufladen wollte er es noch nicht. Das Tier jetzt schon zu belasten, war unsinnig und er brachte es auch nicht übers Herz, vor allem nicht bei dem dümmlich, treuherzigen Blick, den es ihm zuwarf. Er strich noch einmal mit der Hand über die Flanke und ging dann wieder nach draußen. Es war noch Zeit bis der Schmied die Waffe fertig haben würde, also wollte er noch etwas die Morgenluft genießen, stellte sich an die Brüstung und ließ den Blick in die Ferne schweifen.