Tirian hörte nur noch kurz ein Geräusch an der Tür, ansonsten war er auch schon weg. „Eine Mörderin! Wie konnte ich nur auf diese Idee kommen“: fragte er sich immer wieder und wies sich selbst im nächsten Moment zurecht. Er wusste nur zu gut, dass das zu einfach wäre. Es wäre so einfach, wie Lyviani sich vielleicht wünschte, dass sie wäre. Das war sie aber nicht und er konnte das spüren. Er wünschte sich selbst, dass es einfach wäre. Jetzt noch mehr als zuvor. Das sie wieder nur die angeheuerte Söldnerin für ihn wäre. Davor hatte er sie nicht einfach benutzen können, das lag nicht in seiner Natur. Und jetzt? Noch weniger. Der Heiler schüttelte den Kopf. „Was soll das nur werden? Wir sind so verschieden“: überlegte er und sah die Chancen schwinden Tarrior tatsächlich aus Tel Uvirith zu befreien. Sie konnten wenn es drauf ankam zusammenarbeiten, aber in ihren Methoden und ihrem Handeln unterschieden sie sich grundlegend, weshalb Tirian große Zweifel hatte, ob dieser Zweckbund halten würde. Ihn beschäftigte dabei auch, wie sehr er ihr überhaupt vertrauen konnte. „Was weis ich schon über sie“: ging es ihm durch den Kopf. Er wusste genug, um zu sagen, dass sie wenige Skrupel kannte und bereit war für Geld zu töten ohne Fragen zu stellen. Wenn Meradanz ihr nun Geld für ihren Verrat anbot? Würde sie das ausschlagen? Oder würde sie ihn und Tarrior hintergehen? Er konnte es nicht wissen. Die Zweifel hatten sich jetzt innerhalb der letzten Stunden verstärkt. „Du konntest ihr schon zuvor nicht vertrauen“: erinnerte er sich selbst und doch war diese Drohung am Esstisch doch eine andere Qualität. Er schüttelte den Kopf. Er hatte Lyviani versprochen nicht weiter Feryn nachzusinnen, obwohl ihm das gerade als Schlüssel zu ihr erschien. Er würde sich an sein Wort halten. Wahrscheinlich war es auch besser für sie Beide, wenn er das Thema ruhen ließ. „Ich muss mit ihr noch einmal darüber sprechen“: entschied er. Feryn würde ihn nicht interessieren, aber er musste wissen, ob er sich auf die Assassinin verlassen konnte. Diese Gedanken und noch andere beschäftigten ihn, als er ein wenig durch die Festung streunte.

Irgendwie war er auf der untersten Ebene angelangt. Tirian war jetzt wohl in dem Teil der Festung, der direkt über der Kanalisation lag. Eine Tür stand offen. Er ging heran und lugte hinein. Ein paar nackte Menschen und Elfen, die sich in Zubern oder sitzend neben einem Eimer abschruppten, deuteten auf den Waschraum der Festung hin. Offenbar verfügten nur wenige Quartiere über einen eigenen Zuber. Einige Türen weiter waren Sklaven damit beschäftigt Wäsche zu waschen und offenbar waren die kleinen Katen hier, die kaum größer waren als Besenkammern, wohl auch deren Unterkünfte. In einer großen Zelle im hinteren Teil der unteren Ebene saßen sogar noch mehr von ihnen ein. Tirian war angewidert. Das Haus Dres, aus dem er stammte, war auch eines der größten Häuser von Sklavenhaltern. Er war damit aufgewachsen, doch mussten ihre Sklaven nie unter solchen Bedingungen hausen. Er wandte sich abgestoßen ab. Plötzlich überfielen ihn Kopfschmerzen für einen Moment tauchten Bilder in seinem Kopf auf – zu schnell um sie richtig zuordnen oder erkennen zu können. Er musste sich an einer Wand abstützen. Dieser Keller der Festung kam ihm auf einmal furchtbar eng und stickig vor. „Ich muss hier raus“: war das Einzige was er dachte, als er sich zu der Treppe zurückbewegte, die er herunter gekommen waren. Wieder Schmerz, wieder Bilder. Er krümmte sich im Stehen. Musste sich wieder abstützen. Es war als bohrte irgendetwas in seinem Verstand. Kalter Schweiß lief ihm seinen ganzen Körper herunter. Ein Blick auf seine Hände verriet ihm, dass er inzwischen alle Farbe verloren hatte. „Was ist los? Mir ist so schwindlig“: keuchte er und schaffte es schließlich doch zur Treppe. Sie erschien ihm unendlich lang zu sein und seine Beine fühlten sich an, als bewegte er sich unter Wasser. Schließlich schaffte er es hoch. Das Gefühl wich langsam und doch rannte er nun, sah noch eine letzte Tür und stieß sie auf. Der sternenklare Nachthimmel über ihm mit einem Meer aus weißen Punkten und die frische Luft der Weidenländer begrüßten ihn. Er hielt einen Moment im Türrahmen inne und atmete hektisch tief ein und aus. Langsam beruhigte er sich. Es war offenbar spät geworden. Bis auf die allgegenwärtigen Wachposten war niemand mehr zu sehen. Offenbar hatten sich die meisten der hier oben in Zelten ausharrenden Leute bereits zu Bett begeben. Ihm war das nur Recht er wollte allein sein und wollte Ruhe haben, um noch etwas nachzudenken. Auch wollte er Lyviani Zeit geben, auch sich noch zu beruhigen. Er schlenderte ein wenig über das Plateau und genoss die Nacht.

Tatsächlich beschäftigte ihn nicht nur die Frage nach der Zuverlässigkeit der Assassinin, sondern wenn er ehrlich war, fragte er sich, wie er persönlich zu ihr stand. Das Gefühl des Gemeinsamen war nach den letzten Kämpfen und Erlebnissen stark geworden. „Freundschaft mit einer Meuchelmörderin“: sagte er sich und lächelte dann schief in den Nachtwind hinein. „Kein Mensch, kein Mer ist nur gut und auch nicht nur schlecht“: sagte er sich wieder. Er wusste das Lyviani mehr war, als sie vorgab zu sein, als sie vielleicht sein wollte. Und er musste sich eingestehen, dass da mehr war, als nur ihre Geschäftsbeziehung. Gerade als er an die Enttäuschung denken musste, die ihn bei den Worten seiner Begleiterin überkommen hatte, wusste Tirian das es so war. Er konnte sich nicht selbst belügen. Er seufzte und setzte sich auf einen Haufen Säcke. Der körnige Inhalt mochte Weizen oder Salzreis sein. Sie waren weich. Er lehnte sich zurück und schaute in den Himmel. Seine Gedanken pendelten zwischen der Aussprache, die er unbedingt mit Lyviani führen musste, damit er wusste, woran er bei ihr war, und seinem Vater. Der Heiler hoffte inständig das Tarrior noch am Leben war. Er hatte das nie in Frage gestellt, hatte einen Tod nicht einmal in Betracht gezogen und doch war er sich nicht sicher, was das anging, denn schließlich gab es weder einen Anlass zu glauben, dass er noch am Leben war. Allerdings gab es auch keinen Grund dafür vom schlimmsten auszugehen. „Außer der besonderen Skrupellosigkeit des Telvanni“: wie sich der Heiler gedanklich selbst ergänzte. Er verdrängte dies schnell. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Er klammerte sich daran. Ein Moment der Leere trat in seinem Verstand ein, als er diese ganzen Probleme zur Seite schob. Über sich rückte der Nachthimmel mit seinen Myriaden von Sternen und den zwei Monden Masser und Secunda in den Fokus. Ganz von dem hypnotischen Anblick betäubt, wurden seine Augenlider schwerer und schwerer. Ruhe überkam ihn. Tirian schlief ein.

Ein Gang. Ein dunkler Gang. Die Luft war kühl und schal wie in einer Gruft. Vorsichtig machte er einen Schritt in die Dunkelheit. Der Ton unter seinen Stiefeln war metallisch. Er beugte sich herab. Seine Hände glitten über einen kalten, eisernen Boden. Einzelne, metallene Platten. Als kleine, runde Erhebungen fühlte er die Nieten unter seinen Fingern, die die Platten im Boden verankerten. Ein Lufthauch fegte durch den Korridor, wirbelte Staub ihm herum auf. Die Luft wurde stickig, ekelhaft am Boden. Er erhob sich wieder. Sich blind voran tastend ging er weiter. Hielt sich an der Wand und benutzte ein metallenes Rohr, das dort entlanglief, um sich Halt zu verschaffen. Zeitlos, sich zur Ewigkeit hin dehnend irrte er so voran. Er wusste schon nicht mehr wo genau er hin wollte. Warum ging er durch diesen Gang? Er hatte keine Ahnung. Erst nach Ewigkeiten angestrengten Nachdenkens wurde ihm wieder bewusst, dass er eigentlich nach einem Ausgang suchte. Er suchte nach einem draußen, das aber genauso gut drinnen liegen konnte. Die Röhre machte eine Biegung. Er wollte sich von dieser Eisenrinne, die ihm Halt und Sicherheit im Dunkel vermittelte, nicht trennen. Das seelenlose, kühle Metall, die raue Oberfläche, die eingravierten Runen, all dies war ihm ein Anker in der Finsternis. Ein Zeichen, dass er noch da war und einen Körper hatte. Das er nicht einfach durch das große Nichts jenseits Nirns wandelte. Das Rohr war sein Freund und er folgte ihm. Irgendwo hin mochte es ihn doch führen. Er hoffte es inständig.

Da war ein Geräusch! Ein Schaben und dann Schritte. Sie verklangen in der Entfernung. Umgehend blieb er stehen. Nein er hatte sich nicht verhört. Er kannte alle Geräusche seiner Umgebung. Er kannte das Geräusch seiner Schritte und das Schaben seiner Sohlen am Metall. Er kannte seinen Atem und die knarrenden Geräusche, die der Gang selbst ab und an von sich gab, als würde er sich strecken und seufzen. Das waren andere Schritte. Jemand hatte sich herumgedreht und war weggegangen. Er folgte dem Geräusch nun schneller und versuchte es einzuholen, wieder kam er an eine Biegung. Eine Kreuzung, wie er dann feststellte. Die Geräusche bewegten sich rechts von ihm. Er musste sein Rohr loslassen. Er tat es schweren Herzens, aber es war besser als noch eine halbe Ewigkeit durch die Dunkelheit zu irren. Zitternd verließ er seinen Halt und wandte sich nach Rechts. Hier war keine Röhre mehr sondern nur noch der kalte, leblose Gang. Nun lief er schneller. Immer den Geräuschen in der Entfernung nach, bis sie irgendwann verstummten und er in absoluter Finsternis verloren war. Hektisch sah er sich um. Suchte nach einem Anhaltspunkt und doch verlor sich alles, was nicht direkt in seiner Nähe war in völliger Schwärze. Dann hörte er wieder etwas. Nur ein kleiner Schritt. Er wandte sich nach links. Und dann plötzlich wurde es hell. Ein grünes, gedämpftes für ihn aber unverstellbar helles Licht illuminierte den Gang zu seiner linken. Er sah einen schemenhaften Umriss dort stehen. Langsam ging er auf ihn zu. Die Konturen wurden etwas schärfer. Die Person war in figurbetontes Leder gehüllt. Es handelte sich dabei um eine Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand. Ihr Körper war gespannt. Der Kopf befand sich zwischen den vor Anspannung hochgezogenen Schultern. Sie atmete schwer und deutlich erkennbar. Langsam näherte er sich von hinten. Kurz bevor er sie erreicht hatte, drehte sie sich um. „Lyviani“: sagte er überrascht und da wurde es gleißend und er bedeckte seine Augen.

Als er sie wieder öffnete befand er woanders. Es war eine Kammer mit gemauerten Wänden. Völlig anders als der Korridor zuvor. Fackeln erhellten den Raum flackernd und mehr spärlich als wirklich ausreichend. Er wollte sich gerade umschauen, als ein Schrei ertönte. Er wandte sich der Richtung zu aus dem er gekommen war. Er trat hinter einer breiten Steinsäule hervor und sah wieder die Frau in der Lederrüstung. „Lyviani“: flüsterte er. Doch was tat sie da. Er ging noch etwas um die Säule herum, um besser sehen zu können. Was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ein Dunmer mit schwarzen Haaren und völlig zerschnittenem Gesicht hing an zwei Ketten von der Decke. Die Assassine malträtierte ihn mit ihrem Stilett. Immer wieder schrie er auf, wenn die Frau zustach. Ein blutiges Messer, das sie wohl schon benutzt hatte, nahm sie zur Hand und rammte es ihrem Opfer mit einem kräftigen Hieb etwas unterhalb des Brustbeins in den Oberkörper. Als sie damit begann ihn von oben nach unten aufzuschlitzen, löste sich seine Starre und er griff er ein. „Nein!“: schrie er und stürzte nach vorne. Er packte ihrem Arm. Versuchte sie zurückzuhalten. Mit blutverschmierten Händen drehte sie sich langsam um. Als er ihr Gesicht sah, ließ er sie los und trat vor Schreck mehrere Schritte zurück. Ihrem Gebiss entsprangen etliche spitze Zähne, die sie mit einem kühlen Lächeln zur Schau stellte. Ihre Augen brannten regelrecht und aus ihrer Stirn wuchsen zwei spitze Hörner. Sie sah aus wie eine Dremore. „Was ist? Gefalle ich dir etwa nicht?“: fragte sie und trat näher auf ihn zu. „Du… du…“: stammelte er. Ihr Lächeln wurde breiter, eine Spur dämonischer. Sie leckte sich Blut von der Hand. Er war absolut sprachlos. „So überrascht? Du wusstest doch was ich bin“: sagte sie und stand nun direkt vor ihm. Sie streichelte seine Wange mit blutigen Fingern. „Du was bist?“: fragte er zweifelnd. „Armer Kerl. Er hat um sein Leben gebettelt. Es war mir eine Freude ihn auszunehmen“: ignorierte sie seine Frage. „Du bist grausam“: brachte er hervor. „Sag schon was du wirklich denkst“: verlangte sie und fixierte ihn nun unerbittlich. „Was soll ich sagen?“: wollte er wissen. „Du weist es nur zu gut“: sagte sie und nahm seine Hände. „Ich weis, was du denkst. Sag es!“: fordert sie. Er schüttelte den Kopf. „Nein, das stimmt nicht“: beharrte er. „Ich weis und du weist es“: sagte sie kalt und hob seine Hände mit den ihren an. „Ich bin ein Monster“: sagte sie und legte seine Hände an ihren Hals.

Wieder wurde es hell. Die Kammer verschwand und im nächsten Moment fand er sich in den Weiten der Weidenländer wieder. Er kannte diesen Ort. „Das kann unmöglich sein“: schoss es ihm durch den Kopf. Wieder stand er da und hatte seine Hände um Lyvianis Hals geschlossen. Doch diesmal hielt sie sie umfasst. „Los töte mich!“: befahl sie. Er schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin ein Monster. Du musst mich töten“: verlangte sie. Er weigerte sich noch immer. Seine Hände zitterten. „Denk nur an all die Menschen und Mer, die ich getötet habe. An all diejenigen, die noch durch meine Hand sterben werden“: sagte sie. „Dieser köstliche Augenblick, wenn das Leben aus ihnen weicht – wenn sie betteln und ihr Schicksal absolut in meiner Hand liegt“: erzählte sie weiter. Zunehmend spürte er Ekel. Sie schrie ihn an. Befahl er die Bestie, die er so gepackt hatte, zu würgen bis sie tot war. Das Monstrum zur Strecke zu bringen. „TÖTE MICH!“: verlangte sie immer wieder. „NEIN!“: schrie er immer wieder. „Ich werde dich schlachten“: drohte Lyviani schließlich. Ihre Hände lösten sich von seinen und griffen an seinen Hals. Sie drückte zu. Er röchelte, bekam keine Luft mehr. „Los töte mich, bevor ich dich töte“: sagte sie. Er versuchte zuzudrücken. Schaute in ihr Gesicht. Sah plötzlich Bilder von ihr aufblitzen, wie sie kurz vor dem Aufwachen aussah. Erinnerte sich an die Nacht im Aschländerlager. Seine Hände versagten ihm den Dienst. „Ich kann es nicht tun“: brachte er schließlich unter Tränen hervor. Der Druck um seinen Hals verschwand schlagartig. Die Weidenländer verschwanden und wichen einer anderen vertrauten Umgebung – ihre Unterkunft in der Dunmer-Festung.

Er atmete durch. Lyviani war nicht mehr zu sehen. Er schloss für einen Moment die Augen, doch dann bemerkte er wie sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen. Sofort versteifte sich sein ganzer Körper. Ein Kopf legte sich auf seine Schulter. „Wie verflucht naiv kann man eigentlich sein?“: hörte er Lyvianis Stimme. Sie war nicht wütend, sondern ganz sanft. Er verdrehte fast die Augen, um zu ihr hinüber zu schielen. In ihrem Dremorengesicht lächelte sie nun etwas verträumt und sanft. „Mein armer kleiner, naiver Tirian“: sagte sie und küsste ihn auf die Wange. Dann schnellten ihre Arme hoch. Die eine Hand packte seinen Kopf. Es ging zu schnell, als das er sich hätte wehren können. In der anderen blitzte der daedrische Dolch auf. Er spürte wie die Klinge durch seinen Hals schnitt. „Warum…“: keuchte er mit letztem Atem, bevor seine durchtrennte Kehle mit Blut voll lief. „Ich bin nun einmal ein Monster“: lachte sie.


Schreiend schoss der Heiler in die Höhe. Seine Augen vor Schreck geweitet starrte er einen Moment in das Firmament über sich. Ein Söldner kam heran. „Alles in Ordnung“: fragte der bullige Mann. „Ja, ja… es geht schon. Ich dachte… ich…“: versucht er sich zu erklären. „Wenn Nichts ist, schlagt gefälligst auch keinen Alarm“: beschwerte sich der Kerl und wandte sich wieder ab. „Wenn doch bloß Nichts gewesen wäre“: wünschte sich Tirian, wenn er an diesen verrückten Traum dachte. Er bekam Kopfschmerzen. Es ging ihm nicht gut. Er erhob sich von den Säcken und wankte zum Rand des Plateaus. Von dort schaute er in die Nacht der Weidenländer hinaus und versuchte sich abzulenken, in dem er in der Entfernung ein Oblivion-Tor beobachtete.