Nachdem Tirians Empörung abgeklungen war, unterhielt er sich mit der Weisen Frau recht angeregt über die Kunst des Heilens. Sie war eindeutig von seinen Fähigkeiten überzeugt. Sie erzählte ihm auch, dass genau das ihn auch verdächtig gemacht habe. Einen Heiler, der sowohl auf magische Art und auf alchemistische und vor allem kombinatorisch heilte, traf man selten einfach nur zufällig. Solche Leute reisten normalerweise nicht einfach durch das Land. Der Verdacht lag daher nahe, dass ein Mitglied der Mythischen Morgenröte seine Fähigkeiten nur eingesetzt hatte, um sich Zugang zum Stamm zu verschaffen. Inzwischen war die Dunmer aber offenbar von seinen guten Absichten überzeugt. „So ist das also und ihr reist also durch das Land, um eure Fähigkeiten weiter zu verbessern?“: erkundigte sie sich. „Ja diese Sache mit dem Schiff hat mich erst einmal aus der Bahn geworfen, aber hier auf Vvardenfell habe ich ja ohnehin ein anderes Ziel, wie ihr aus mir herausgebracht habt“: antwortete er und konnte sich diese Spitze einfach nicht verkneifen. Die Aschländerin setzte ein zerknirschtes Gesicht auf. Als Entschädigung bot sie an, etwas von ihrem Wissen mit ihm zu teilen. Sie erklärte ihm, dass viele Kräuter mehr als nur ein, zwei offensichtliche Wirkungen hätten. Das wusste Tirian auch, allerdings war die Weise Frau offenkundig wesentlich versierter. Nicht nur das sie ihm die verborgenen Eigenschaften einiger einheimischer Pflanzen vollständig nennen konnte, sondern sie setzte ihm auch ein Verfahren auseinander, wie er genau diese Eigenschaften herausfiltern konnte. Er hoffte, dass er alles im Kopf behalten würde, vor allem weil ihn noch etwas Anderes währenddessen beschäftigte.

Die Weise Frau hatte ihn zu Gedanken gezwungen, die er eigentlich hatte verdrängen wollen. „Was ist Tarrior eigentlich für ein Dunmer? Wir waren befreundet und kennen uns nun schon seit einigen Jahren, aber ich weis eigentlich so gut wie Nichts über ihn persönlich“: mit dieser innerlichen Feststellung brach der Damm in seinem Kopf. „Er ist mein Vater, aber was weis ich schon über ihn. Meradanz erpresst ihn und wenn Tarrior sogar bis nach Cyrodiil gereist, um es zu tun UND es nicht um eine Tochter ging, muss wirklich etwas Schlimmes sein“: kamen ihm weitere Überlegungen. Tarrior würde sich gewiss nicht so einspannen lassen, wenn der Telvanni nur bluffen würde und es musste wahrlich etwas wirklich Zerstörerisches sein. Tirian konnte sich kaum vorstellen, dass eine ordinäre, peinliche Geschichte aus der Vergangenheit seines Vaters – etwas wie Affäre oder ein Betrug – ausreichen würde, ihn dazu zu zwingen, sich in den Schlund Oblivions zu werfen. „Nein. Da muss mehr dahinter stecken“: befürchtete der Heiler und versuchte vorzustellen, was das sein könnte. Verrat, Mord, Nekromantie – es gab so Einiges und er musste an das Verhalten seines Vaters damals in Cyrodiil denken, als sie in Hrotanda Vale gewesen waren. Er hatte ohne zu zögern selbst bewusstlose Feinde einfach getötet. Er hatte nicht einmal gezögert. Und es hatte ihm womöglich sogar Spaß gemacht. Die Erinnerung daran war eindrücklich, aber auch seltsam verschmiert.

Die Ruine hatte Tirian ohnehin sehr mitgenommen. Doch etwas anderes kam ihm wieder zu Bewusstsein. Er hatte sich auch schon damals gefragt, wie viel er eigentlich wirklich über Tarrior wusste. Und genau bei diesem Gedanken zweifelte er an sich selbst. Tarrior war immerhin sein Vater. „Wie viel von ihm, steckt in mir?“: fragte sich der Heiler. Er wusste nicht, was er getan hatte und wie es um sein Inneres wirklich bestellt war, aber gerade diese Ungewissheit machte ihm noch mehr Angst, weil er dort seine schlimmsten Gedanken hinein projizieren konnte. Er zweifelte an Tarrior und er zweifelte damit an sich selbst. „Bin ich wie er“: fragte er sich und musste an den Redoraner denken, dem er in seiner Wut das Gesicht weg gebrannt hatte. „Ist er so, bin ich wie er?“: pochte die Frage weiterhin in seinem Kopf.

Die Weise Frau bemerkte seine schwindende Konzentration und schaute ihn fragend an. „Ich spüre das ihr euch quält, woran denkt ihr?“: fragte sie. Diesmal nicht misstrauisch, sondern ehrlich aufrichtig, mitfühlend. „Ich… das was… mein Vater und ich… ich weis nicht“: konnte der Dunmer nur herausbringen. Sie sah ihn durchdringend an. Ihre blassroten Augen schienen nirgendwo hinzuschauen, wie zwei milchige Teiche. Sie blickte einfach durch ihn hindurch. Sie wollte offenbar dazu ansetzen, etwas zu sagen, aber in diesem Moment kam eine junge Dunmer in ihr Zelt gerannt und zerstörte den Moment. „Weise Frau. Der Ashkhan!“: sagte sie aufgeregt. Die alte Frau wandte sich ihr umgehend zu.

„Marna. Was hast du auf dem Herzen?“: fragte sie. Die Dunmer warf einen Seitenblick auf Tirian, den sie erst jetzt bemerkte. Sie stoppte, zögerte und druckste dann herum: „Ihr habt… einen Gast… Ich komme besser später wieder.“ Sie wollte sich zum Gehen wenden, doch die Aschländerin hielt sie zurück: „Sprich, Marna. Mein Gast stört nicht.“ Sie druckste noch immer herum. „Nunja, es wäre vielleicht doch besser, wenn er hinausgehen würde“: meinte die junge Dunmer und ihr Blick verriet nur allzu deutlich, dass bei dem Gespräch womöglich um ihn gehen sollte. Eine Anspielung die die Weise Frau entweder nicht verstand, nicht bemerkte oder die ihr einfach egal war. Sie wiederholte ihre Aufforderung zum Sprechen nur noch einmal mit einer Geste. Marna seufzte und setzte sich neben Tirian. Sie schaute noch ein paar Mal zu ihm hinüber, bis ein Stirnrunzeln der Weisen Frau ausreichte, um sie endlich zum Sprechen zu bringen. „Ashkhan Kaushad hat sich für eine Braut entschieden“: sagte Marna und klang ehrlich enttäuscht, als sie die Worte aussprach. Die alte Dunmer zog die Augenbrauen hoch. „Er nimmt sich nun doch jemanden, aus dem Stamm? Hm. Eventuell müssen wir diese Heirat verhindern. In der jetzigen Situation wäre eine Heirat mit der Tochter eines anderen Stammes nützlicher. Ich hoffe Kaushad hat nicht schon wieder eine überstürzte Entscheidung getroffen und jemand vernünftigen auserwählt. Wer ist es?“: sinnierte die alte Frau längere Zeit nach. Tirian war es nun doch etwas peinlich an diesem Gespräch teilzunehmen, wo über die Ehe des Häuptlings wie über einen Staatsakt geredet wurde, was sie vermutlich auch war, aber Tirian in diesem Moment nicht ganz so bewusst, weil er Ehe vor allem mit Liebe in Verbindung brachte.

Wieder schaute Marna zu ihm hinüber und zögerte zu sprechen. „Wer ist es nun?“: wollte die Weise Frau wissen. „Nun ja. Ashkhan Kaushad hat sie zu sich eingeladen und ich habe den Beiden Essen und Getränke serviert. Ich weis nicht genau, ob er sie zur Braut nehmen will, aber die Signale waren doch sehr eindeutig…“: redete sie um den heißen Brei herum und die alte Dunmer war inzwischen auch nicht mehr gewillt, dass noch länger zu akzeptieren. „Wer Marna?“: wiederholte sie ihre Frage. Ihre Stimme hatte einen autoritären Klang. Die junge Dunmerin schluckte, sah noch einmal zu Tirian hinüber und antwortete: Die Fremde. Die Fremde, die heute mit eurem Gast hier eintraf. Kaushad will sie heiraten. Sie ist gerade bei ihm im Zelt und die Stimmung schien ausgelassen, als ich ging.“ In ihrer Stimme lag eine gehörige Portion Neid, die Tirian nicht wahrnahm, weil ihm erst einmal die Kinnlade regelrecht herunterfiel, sich seine Augen ungläubig aufrissen und er nur noch ein fassungsloses „Was?!“ hervorbringen konnte. Ein etwas stärkeres Zucken des Augenlides im ansonsten eher starren Gesicht der Weisen Frau verriet auch ihre Überraschung. „Das ist nicht gut. Sie ist eine Fremdländerin. Jemand aus einem anderen Stamm hätte schon genug Unfrieden im Stamm geschürt, aber eine Fremdländerin…“: überlegte die Alte laut, doch da erhob sich Tirian schon. „Was habt ihr vor?“: wollte sie wissen. Der Dunmer ließ sie ohne eine Antwort zurück und wandte sich zum Gehen. Mossur versperrte plötzlich den Durchgang. „Lass ihn“: gab die Alte klein bei und Mossur ließ Tirian durch, dessen Gedanken in seinem Kopf durcheinander gingen.

Erst als er einige Meter in die Mitte des Dorfes zurückgelegt hatte und das Zelt in Sicht kam, beruhigte er sich soweit, dass er sich ernsthaft fragte, warum er überhaupt so überstürzt aufgebrochen war. Lyviani ging ihn Nichts an. Sie konnte auf sich selbst aufpassen und außerdem war sie nur seine Begleiterin, also hatte er auch keinen Grund in irgendeiner Form eifersüchtig zu sein. Und dennoch beunruhigte ihn die Vorstellung, dass sich die Assassine einfach so einem wildfremden hingeben sollte. „Ausgelassene Stimmung“: rief er sich die Worte Marnas ins Gedächtnis. Das sah Lyviani eigentlich nicht ähnlich. Zwar kannte der Heiler sie kaum, aber zumindest war die Dunmer dem Eindruck nach, den er von ihr hatte, nicht der Typ, der einfach so mit jemandem anbändelte. „Ich muss das mal überprüfen, genau überprüfen…“: redete sich Tirian ein und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Zelt, das aufgrund seiner Größe und seiner zentralen Lage, die Behausung des Khans sein musste. Er ging dort hinüber. Die Wächter vor dem Eingang machten allerdings nicht den Eindruck, als würden sie ihn durchlassen wollen. „Solange ich nichts Genaueres weis, wird es besser sein, wenn ich keinen großen Aufruhr verursache“: überlegte der Heiler und schlich um das Zelt herum. Und legte sein Ohr auf das Leder. Gedämpft drangen Stimmen nach draußen. „… glaube nicht dass ein so verweichlichtes Geschöpf richtig an meiner Seite wäre. Ich brauche eine Frau die Mut und Stolz hat, eine Frau die mir starke Söhne schenkt": hörte er. Er zog sein Langschwert und begann etwas die Naht der Zeltes an dieser Stelle etwas aufzutrennen. „"Und natürlich Töchter, ebenso schön wie ihre Mutter“: war der nächste Satz und Tirian fühlte ihn ungut bestätigt, als er durch das kleine Loch spähte, das er sich geschaffen hatte und Lyviani und den Ashkhan von hinten sah. Sie, wie sie sich scheinbar willenlos, seiner doch sehr eindeutigen Annäherung hingab. Er schluckte. Er wollte sich abwenden, denn offenbar schien seine Begleiterin nicht abgeneigt, als er weitere Worte vernahm: "Ich.. ich glaube da liegt ein Missverständnis vor..." Er wurde hellhörig, lauschte direkt weiter.

Er hörte die Versprechungen des Khans und verdrehte die Augen, ob des dargebotenen Größenwahns. „Und nachher versprichst du ihr die Weltherrschaft, wenn sie dich nur heiraten möge“: dachte Tirian und wurde dann schwer überrascht. „Aber das geht nicht. Ich.. Tirian. Mein Begleiter. Er würde das nie gut heißen. Ich... Wir.. wir wollen heiraten“: bei diesen Worten schoss ihm das Blut in den Kopf. „Lyviania… mich heiraten?!“: keuchte er, bis ihm einen Augenblick später klar wurde, dass das nicht sein konnte. Es war eindeutig eine Ausrede. Die Assassine suchte offenbar nach einem Ausweg aus der Situation, in der sie sich befand. Der Ashkhan jedoch ließ sich überhaupt nicht davon beirren, berührte ihren Körper weiter. Er musste unbedingt etwas unternehmen, denn die Dunmer schien keinerlei Anstalten zu machen sich zu wehren, als wäre sie… benommen?. "Was wollt ihr denn mit diesem Kind? Ihr werdet ihn an meiner Seite noch vor dem Morgengrauen vergessen haben..": meinte der Khan dann noch. Tirian fühlte sich nun auch noch deutlich gekränkt. „Dir werde ich zeigen, wer ein Kind ist“: dachte er sich und marschierte los. Eine Wut überkam ihn und tatsächlich hatte er vor einfach an den Wachen vorbei in das Zelt des Häuptlings zu marschieren. Eine starke Hand packte ihn jedoch vorher an der Schulter und hielt ihn zurück. Er drehte sich um und sah in das kantige Gesicht Mossurs. „WAS!“: fuhr er ihn an. In diesem Moment beruhigte sich sein Geist wieder, als ihm bewusst wurde, in welchem Zustand er sich gerade noch befand. „Ihr solltet dies nicht tun“: sagte der Wächter und schüttelte den Kopf. „Aber…“: wollte Tirian widersprechen, da holte der Andere ein kleines Fläschchen hervor. „DAS solltet ihr tun. Die Weise Frau sagte, ihr wüsstet schon, was damit gemeint wäre“: sagte Mossur und gab dem Heiler die Phiole. Anschließend entfernte er sich wieder. Der Dunmer betrachtete das Gefäß einen Moment. Eine blass-grüne Flüssigkeit schwappte darin. Er runzelte die Stirn, bis ihm auffiel, dass Mossur ihm außer der Flasche noch ein Blatt in die Hand gedrückt hatte. Tirians Augen weiteten sich. Er hatte mit der alten Dunmer zuvor noch über diese Pflanze gesprochen und jetzt ahnte er auch, was das für eine Flüssigkeit in dem Fläschchen war.