Dieser Thread von Soul96: http://www.multimediaxis.de/threads/...Noch-kein-Name, in Kombination mit caesa_andys erstem Beitrag darin, verleitet mich zu einem unpopulären Bekenntnis: Den schlechten Ruf gewalthaltiger Videospiele finde ich nachvollziehbar und in einigen Fällen sollten ihre Entwickler böse Prügel mit einem Kantholz beziehen. (Ja, das haben Spiele aus mir gemacht.)
Ich weiß, es gibt die Kunstfreiheit. Das ist ein großer Begriff, der die Verpflichtung mit sich bringt, sich eines ästhetischen Anspruches zu ereifern. (Ansonsten ist man Freiwild.) Auf Kunstfreiheit darf grundsätzlich gerne verwiesen werden, aber inwiefern deckt sie diverse FPS, Spiele wie Manhunt oder Postal ab? Warum löst (Achtung: subjektiv) die unterhaltsame Schlachtplatte Mad World, gegenüber dem abartigen Haufen Scheiße Manhunt 2 (warum das Spiel ein richtig interessanter Fall ist, dazu später mehr) keine moralischen Bedenken auf Spielers Schultern aus?
These: Gewalt muss Sinn in ihrem Kontext suchen.
Aus dieser These leite ich drei Arten guter Gewalt ab:
1. Die des gerechten Urteils
An dieser Art versuchen sich die meisten Spiele (zumindest behaupten ihre Entwickler das, um besagte moralische Bedenken abzuwiegeln) - und scheitern kläglich. (Was ein gerechtes Urteil darstellt, ist sowieso fragwürdig.) Denen kommt zugute, dass Spieler die ihnen vorgesetzten Feindbilder nicht reflektieren: Terroristen bedrohen die freie Welt - umnieten; Aliens bedrohen die freie Welt - umnieten; Zombies bedrohen die freie Welt - umnieten; Russen - umnieten. Das geht in Ordnung, die sind schließlich alle BÖSE(!!!), greifen mich und meine Kollegen an und sprechen eine andere, ganz komische Sprache als wir. Dem Soldaten, den ich steuere, bleibt ohnehin keine Alternative.
Das ist dünnes Eis und tatsächlich fallen mir - abseits von Horrorspielen - kaum positive Beispiele zu dieser Gewaltart ein. Was die negativen angeht, zitiere ich die aktuelle Making Games bezüglich der diesjährigen E3:
Nahezu alle >>Neuankündigungen<< setzten auf (...) - durchaus bedenklich - explizite Gewaltdarstellung. ~Heiko Klinge, Making Games 04/2012
Tu doch ma lieber wer die Möhrchen.
2. Die der comichaften Überzeichnung. (Hallo, Mad World.)
Ah, (fast) sicheres Gebiet. Gewalt, die in ihrer Übertreibung bar jeder Logik ist (nichts anderes meint comichafte Überzeichnung), hat schon immer funktioniert - auch in Videospielen. Wichtig ist jedoch, dass dieser Weg konsequent beschritten wird. Übertreibung muss also heißen:
- Übertreibung im Charakterdesign.
- Übertreibung in den Animationen.
- Übertreibung in Qualität und Quantität.
- Übertreibung im Grafikstil.
- Übertreibung im Sounddesign.
Heterogenität tut hierbei nicht gut, wie das negative Beispiel unter 2.2 gleich beweist.
3. Die der Instrumentalisierung.
Abseits von der puren Lust am Zerstören und Schmerzen bereiten, kann Gewalt einem echten Zweck dienen. Sie kann als ultimatives Mittel zur Vermittlung einer Mitteilung mitteln:
- Der Klassiker: Gewalt ist schlecht.
- Wie weit würdest du gehen, um...
- Gewalt als Metapher.
Instrumentalisierte Gewalt umfasst also eine Menge Bereiche. Antikriegsfilme arbeiten mit ihr, Märchen, Kunst. Videospiele halten sich noch weitestgehend von ihr fern. Problematisch wird es, wenn die Instrumentalisierung im Auge des Batrachters liegen kann, wie unter 2.3 zu sehen.
Es ist Beispiel-Zeit!
1 Positive Beispiele
1.1 Gerechtes Urteil: Tecmos Deception-Serie
(Wer ein bekannteres Beispiel parat hat, immer her damit!)
Für alljene, die dieser tollen Serie (noch) nicht verfallen sind - wohlwissend, dass das die Mehrheit sein wird -, hier der englische Wikipedia-Artikel:
http://en.wikipedia.org/wiki/Deception_series
Grob umrissen, geht es stets darum ein Schloss oder dergleichen von Eindringlingen zu befreien, indem tückische Fallen platziert und im passenden Moment ausgelöst werden. Jeder Eindringling bringt seine eigene Geschichte und Motivation mit. Viele sind auf der Suche nach Ruhm, Reichtum und ähnlichen Animositäten, doch genauso viele haben weit edlere Motive, wollen die Welt zu einem besseren Ort machen (denn wirklich nette Typen spielt man in der Serie nie) oder haben ein krankes Kind zuhause, dessen Behandlung teuer Geld kostet. Eine andere Wahl, als die Eindringlinge zu töten, bleibt einem selten - man möchte schließlich selbst leben. Dabei bleibt ein fader, von den Entwicklern einkalkulierter Beigeschmack zurück. Man sieht sich gezwungen moralisch zu denken und unmoralisch zu handeln. Das, was andere Spiele vermeiden wollen, vermeiden müssen - Reflektion -, ist ein zentraler Bestandteil der Deception-Serie.
1.2 Comichafte Überzeichnung: Mad World
Allein das Genre ist schon Comic pur: Mad World ist ein Brawler á la Streets of Rage, Final Fight oder das studioeigene (Platinum Games) Godhand. Das heißt, es gibt non stop auf die Schnauze. In der Rolle von Just Jack - blond, groß, in Biker-Kluft und mit einer Kettensäge am rechten Unterarm - werden gesichtslose Punks, Schlipsträger und Mutanten für Punkte verdroschen, zersägt, in brennende Mülltonnen geworfen oder bekommen ein Verkehrsschild durch den Kopf gerammt (gerne auch alles gleichzeitig - gibt mehr Punkte). Das ganze spielt sich in Sin City-hafter schwarz-weiß-Optik, mit gelegentlichen Farbakzenten (na ja, viel rot) ab. Dazu läuft ein fetziger Soundtrack zwischen richtig gutem Hip Hop und Funk. Die Story passt auch wunderbar dazu: Running Man.
Kein Spielelement ist annähernd ernst zu nehmen und so fühlt sich Mad World mehr wie ein morbides Sportspiel an, dessen Gewalt zu abstrakt ist, um an die Moral des Spielers zu appelieren.
1.3 Instrumentalisierung: Shadow of the Colossus
Das Paradebeispiel, besonders wenn es darum geht, Videospiele als Kulturgut und Kunst zu legitimieren. Dabei ist die Botschaft wenig kunstvoll, aber effektiv: Unreflektierte Gewalt, kann dich vor schlimme Konsequenzen stellen.
Shadow of the Colossus instrumentalisiert Gewalt insofern, dass es vom Spieler verlangt, was Spiele nunmal verlangen: Töte Gegner. Warum? Nun, es sind Gegner und das ist (spiel)zielführend. Die Todessequenzen der Kolosse, machen nicht stolz, aber sie nehmen auch nicht völlig vorweg, welch trostlose Welt ohne sie zurückbleibt. Das Spiel funktioniert am besten, wenn man die vollendeten Tatsachen zu Gesicht bekommt, aber auch ansonsten schafft es wunderbar, jeder Errungenschaft einen mehr als faden Beigeschmack zu verleihen.
Die Stilmittel, die es dabei benutzt, sind simpel:
- Keine Überdrehtheit. Comichafte Überzeichnung wäre hier falsch.
- Gedämpfte Atmosphäre/Ruhe. Wenig Musik, erdige Farben und kaum ein gesprochenes Wort, geben dem Spieler Raum zur Reflektion.
- Reduzierung des Spielinhalts. Es wird geritten und gegen die paar Kolosse gekämpft. Keine Ausweichmöglichkeiten, keine Abwechslung und damit kein Raum, auf andere Gedanken zu kommen.
- Keine Belehrung. Statt zu hören, konzentriert man sich allein aufs Sehen.
(Wohlgemerkt: Das ist die Formel von Shadow of the Colossus. Die ist natürlich nicht beliebig übertragbar.)
2 Negative Beispiele
2.1 Gerechtes Urteil: Manhunt 2
Der Name ist Programm: Als ausgebrochener Psychatrieinsasse tötet man in einem halben Stealth-Spiel Menschen mit Spritzen, Plastiktüten und schlimmerem. Dass die Gegner irgendwie böse sind, lassen brutale Zwischensequenzen erahnen, sowie ihr Faible für Schweinemasken. Das und der Umstand, einen Charakter zu steuern, dem sein Handeln alle paar Morde mal halbherzig zuwider scheint, ist Rockstars Entschuldigung für die reinste Snuff-Ästhetik. Durchgekommen waren sie mit der Ursprungsversion nirgends(?) - die Tötungsszenen sind alle zensiert, wirken dadurch aber keinesfalls weniger abstoßend.
Ich schrieb bereits, Manhunt 2 ist ein interessanter Fall. Das Spiel hätte funktioniert, sogar einen besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen können, als soziales Experiment. Dann entschied sich Rockstars dazu, in einem Interview offenzulegen, dass keine Intention hinter der Gewalt steckt. Sie ist Selbstzweck. Dadurch ist Manhunt 2 das bislang erste und einzige Spiel, das ich schlichtweg ablehne (bis ich irgendwann auf den Trip komme, der Gewalt selbst Zweck beizumessen).
2.2 Comichafte Überzeichnung: Mortal Kombat
Zwischen comichaft überzeichnet und cheesy sein gibt es einen Unterschied. Mortal Kombat (ich gehe vom aktuellsten Teil aus, grundsätzlich trifft das aber auf alle zu) ist cheesy, da es nicht zu wissen scheint, ob es realistisch oder nicht sein will. Die Plastikoptik und das Charakterdesign sehen nach Karneval aus (echte Menschen in bunten Kostümen), die Animationen sind steif und das Gameplay zu gehemmt für eine over the top-Attitüde. Und dann kommen die Fatalities. Alles an dem Spiel lässt mich indifferent zurück, bis die Fatalities den Eindruck gerade rücken. Deren Brutalität ist zu schnörkellos, um lustig zu sein. Unrealistisch ja, nicht unglaubwürdig.
Mortal Kombat versäumt es im Gegensatz zu Mad World, konsistent zu überzeichnen. Infolgedessen ist die Spielerreaktion unberechenbar. Viele werden die Fatalities als gelungene Überzeichnung wahrnehmen, viele werden sie anwidern.
2.3 Instrumentalisierung: Manhunt 2
Nochmal Manhunt 2? Yep. Das hat es sich aufgrund seiner Kontroverse verdient. Eine gängige Erklärung zu dem Spiel besagt nämlich, dass das Gameplay den Spieler in Gewissenskonflikte verstricken soll. Was ist, wenn Hemmungen nicht existieren, wenn es hart auf hart kommt und die Menschheit sich kannibalisiert? Wie stehe ich zu zügelloser Gewalt und meiner ureigenen Existenz? Das alles sind gute Fragen, die ich in einem Spiel gerne gestellt bekomme und tatsächlich, ohne ein Interview von einem Rockstars-Mitarbeiter, hätte ich Manhunt 2 vielleicht so interpretiert.
Leider ist das Interview nicht mehr aufzufinden, doch hier einmal die wichtigste Aussage, lose zitiert: "Es hätte keinen Sinn gemacht, Manhunt 2 als Statement zu veröffentlichen, weil der erste Teil schon denselben Inhalt hatte. Die neue Qualität der Gewalt liegt darin begründet, dass wir den Spielern mehr bieten mussten."
Ein perfektes Beispiel dafür, wie ein vollkommener Mangel an Intention, eine Werkinterpretation ersetzt.
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Abschließend bleibt zu sagen: Gewalt in Spielen ist ok. Als Spieler komme ich damit in jeder Intensität klar, doch ich will nicht, dass die Entwickler aus der Pflicht genommen werden. Ich kann Gewalt als Selbstzweck oder mit einer Alibi-Begründung nicht gutheißen.
Eine konkrete Frage habe ich nicht zu stellen, aber das Thema gibt genug vor. Ganz plump: "Was haltet ihr von Gewalt?", erschien mir jedenfalls zu dürftig.