Meine Rede... meine Rede!Zitat von Narcissu
Charaktere sind gut, wenn man sie sich auch im echten Leben vorstellen kann und ihr Handeln nachvollziehbar dargestellt wird. Hervorragende Dialoge ebnen den Weg zu guten Charakteren. Teilweise werden aber Charaktere gut ausgearbeitet ohne dass es der Geschichte nutzt. In so einem Fall werden die Charaktere schnell als nervig empfunden. Kleines Beispiel: Quentin Tarantinos (meiner Meinung nach sehr guter) Film "Death Proof" zeichnet am Anfang die Charaktere der drei Damen ziemlich gut ab - das Problem ist dabei nur, dass dies in ellenlangen Dialogszenen geschieht. Dies störte zwar nicht mich, aber sehr viele Personen die diesen Film auch gesehen haben, ergo sie fanden die Charaktere nervig.
Bei Final Fantasy IX ist das etwas anders. Das ganze beginnt erst mal mit einer Menge Action (was in Final Fantasy sehr oft am Anfang so ist) und die Dialogszenen, wenn auch noch so lang, sind eine sinnvolle Ergänzung - das Spiel lebt von den zwischenmenschlichen/-tierlichen/-schwarzmagierischen Beziehungen seiner Charaktere und spannt so die Handlung auf. Funktioniert! Macht Sinn! Durch das Handeln der einzelnen Personen, welches (für uns West-Europäer) nachvollziehbar erscheint, wird der Plot bestimmt. Also: Geile Charaktere! Sehr schön gemacht, Herr Sakaguchi.
Nunja... bei Final Fantasy XIII-1 haben sie das nicht so hinbekommen. Es gibt im Gegensatz zu Teil XII (der aber im Gegensatz zumindest mit ein paar starken Charakteren trumpfen konnte) haufenweise Dialogszenen, aber diese interessieren keinen. Charaktere wirken hier zudem künstlich überzeichnet, dass man meint, einen schlechten Animee vorgesetzt zu bekommen. Warum? Warum macht man so was... dadurch nerven Snow und Co. noch mehr. Sicherlich filigran gezeichnete Charaktere, allerdings eher durch die Quantität, als durch die Qualität an Dialogen. Die mittelprächtige Synchronisation (welche aber im Gegensatz zu FF X ohne krassere Piepsstimmchen auskommt) tut ihr übriges.
Final Fantasy IX - Charaktere haben auch mehrere Seiten, sie entwickeln sich, sind also durch und durch rund. Ja gut, es gibt Quina und Mahagon... aber es würde wahrscheinlich nerven deren Geschichte und Charaktermodell ebenso komplex zu gestalten wie das von Vivi, Zidane oder Lili... Also genau richtig. Aber auch Herrn Sakaguchi gelingt so eine hervorragende Charakterzeichnung nicht immer. The Last Story hatte schon gute Charaktere mit vernünftigen Motiven, ABER es fehlte etwas die Komplexität. Auch wenn Zael definitiv gut gezeichnet wurde, aber ins Herz möchte man ihn nicht ganz schließen. Dafür bleibt er etwas zu blass, seine Dialoge zu belanglos. ABER er ist hundertfünfundachtzig Millionen mal besser, wie diese Witzfiguren aus dem 13. Teil einer - ehemals - sehr erfolgreichen Rollenspielserie, welche nicht nur durch die Grafik etc. bestach, sondern auch durch das Herzblut seiner Autoren. Ne, Zael ist gut; erst recht Dagran, Mirania und sogar Yurick. Dennoch könnte man wesentlich mehr rausholen (und mich wundert es ein wenig, warum er es nicht getan hat). Serah hingegen hätte profitiert, wenn sie blasser geblieben wäre...
Übrigens findet man das Motiv der Charakterzeichnung auch in Soap Operas, was auch der Hauptgrund ist, sich diese anzusehen. Die Personen die ich kenne, welche sich Seifenopern geben, tun dies nur aus dem präzisen einen Grund, weil ihnen die Figuren zusagen. Deswegen - glaube ich - sind Charaktere in Seifenopern bewusst etwas komplexer gestrickt, um die Leute an deren Schicksal und damit an den Bildschirm zu binden. Ich muss auch zugeben, dass ich absolut kein Fan von dieser Sorte Programme bin, aber sehr positiv überrascht aus einem Gespräch mit einem befreundeten Medienwissenschaftler herausgegangen bin. Dieser vergleicht für seine Arbeiten Scripted Reality Shows, um dem Erfolg des Konzeptes auf die Schliche zu kommen. Es ging um Ole aus Berlin 24h. Er hat mir einen Zusammenschnitt mit den Szenen dieses Chaoten gezeigt und ein wenig die Geschichte über ihn und der Charakter ist tatsächlich rund. Er hat seine Stärken und Schwächen und wirkte auf mich extrem menschlich.
Kurz für die, die's nicht kennen: Der Knabe lebt in einer WG in Berlin und ist nicht unbedingt der charmanteste Mensch. Er liebt Parties und ist chaotisch und oberflächlich zu allen anderen. Er schaffte es jedoch nicht, eine einzige Freundin zu haben. Jedoch wird er durch Zufall Schlagerstar, was bei seinem Talent auch nicht verwundert und fliegt auch im Laufe der Serie einige Male zum Ballermann. Plötzlich liegt ihm die Frauenwelt zu Füßen. Eine ernsthafte Beziehung schwebt ihm nun nicht mehr vor, da er mit jeder ins Bett kann, die er kriegen will. Er nutzt das schamlos aus, mutiert zum absoluten Arschloch und wird jedoch zwischendrin von seinem Gewissen hin und wieder geplagt und macht eine richtige Identitätskrise durch.
Erstaunlich ist die Tatsache, dass man ihn verstehen kann und sich sogar in ihn einfühlen kann. Er ist nicht besonders attraktiv und ungehobelt, aber es steckt auch etwas nettes, sympathisches in dem Tollpatsch. Dadurch, dass sein Verhalten genau gezeigt wird und Dialoge nicht mal der letzte Bullshit ist, wirkt die Person von Ole erstaunlich rund und würde sogar für eine Charakterstudie taugen. Ich war echt überrascht - aber genau das ist es, was die Leute vor den Fernseher fesselt und diese zugegebenermaßen extrem schlicht produzierte Vorabendklamotte anschauen lässt. Die Person ist ihnen nicht egal. Der Charakter ist greifbar, also gut gezeichnet. Er ist irgendwie wie Mario. ein Antiheld. So was in der Zeit von Hartz IV-Fernsehen und dann noch auf RTL zu sehen, überrascht mich. Die Serie ist nicht gut, aber offenbar nicht der letzte Müll. Vielleicht liegt's auch wirklich nur an Ole, dem "Quotenhengst". Aber meiner Meinung nach echt in Ordnung.
Mein Kumpel hat das dann mit X-Diaries verglichen, bei denen es keinerlei tiefgründigere Charaktere gibt. Hier nerven die Darsteller nur mit leeren Phrasen und die Quote von Berlin 24h gibt ihm recht. Diese ist nämlich deutlich höher.
Kann das vielleicht der Grund sein, wieso Final Fantasy XIII-2 so abgestürzt ist. Und das fatale Medienecho auf Lightnings dritten Auftritt? Will man diese "nervigen" Charaktere einfach nicht nur noch zum Mond, pardon, nach Pulse schießen?