Leute, lest mal mehr!
Heute gibt es gleich zwei Reviews von mir. Nachdem sich ja euphoria als melodramatische raburabu-Geschichte entpuppt hat, stand mir der Sinn mal nach etwas dunklerem. Auf Liferippers Empfehlung hin habe ich zunächst einmal Captive Market beendet.
So, nachdem dies nun aus dem Weg geschafft wäre, kommen ich zum eigentlichen Thema meines Beitrags:
Sayonara wo Oshiete
~Comment te Dire Adieu~
Als erstes der obligatorische Theme-Song zum Nebenbeihören:
Ich empfehle auch unbedingt den psychodelischen Trailer des Spiels anzusehen, den ich leider aufgrund verstörender Inhalte hier nicht posten kann. Die Version auf Youtube ist übrigens zensiert. Ich empfehle doch stark sich die unzensierte anzuschauen. Ist allerdings schwierig aufzutreiben ...
*hust* Google *hust* "sayonara wo oshiete comment te dire adieu" *hust* erstes Veoh-Ergebnis unter Videos *hust*
Das bei uns relativ unbekannte Denpa-Spiel Sayonara wo Oshiete ist in Japan ein Klassiker und wird als eines der besten Eroge aller Zeiten angesehen. Ich habe erst durch Youtube-Vorschläge vor kurzem davon erfahren und mich näher mit dem Spiel beschäftigt.
Bevor ich aber zum Spiel selber komme, will ich versuchen zu erklären, was ein Denpa überhaupt ist.
Ursprünglich bezeichnet das Wort elektromagnetische Wellen, die Einfluss auf den Geisteszustand einer Person haben, heutzutage wird das Genre aber viel allgemeiner gefasst; eine eigentlich alltägliche Welt, die langsam aber sicher dem Wahnsinn verfällt und mit ihr ihre introvertierten und von der Gesellschaft zurückgezogen Figuren.
Ein bekanntes Denpa-Spiel, welches in Englisch verfügbar ist, wäre Divi-Dead, das auch einige Ähnlichkeiten zu Sayonara wo Oshiete aufweist, doch dazu später mehr.
Erst einmal soll erzählt werden, worum es in Sayonara wo Oshiete überhaupt geht.
Story:
Hirosuke ist Lehrer auf Probe an einer Mädchenschule. Das ist für ihn eine ziemliche Tortur, denn nicht nur ist er kommunikativ und sowieso in jederlei sozialer Hinsicht absolut inkompetent und hat so enorme Schwierigkeiten mit seinen Schülerinnen klar zu kommen, auch macht ihm seine kühle und schlecht gelaunte Vorgesetzte Semina zu schaffen, die nie mit ihm zufrieden zu sein scheint. Zuflucht vor dem grausamen Alltag findet er nur bei der Schulkrankenschwester Tonae und in einer engen Toilettenkabine, in die er sich immer mal wieder zurückzieht um seine Ruhe zu haben. Doch auch die Einsamkeit plagt ihn, denn seit kurzem hat er immer mal wieder Wahnvorstellungen und dazu träumt er jede Nacht davon, wie ein Engel von einem Tentakelmonster vergewaltigt wird.
Ist er dieses Monster? Als er eines Tages das Gesicht des Engels in der Schülerin Mutsuki wieder sieht, verstärkt sich dieser Verdacht nur ...
Sayonara wo Oshiete ist eine Charakterstudie und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie großartig die Portraitierung unseres Protagonisten ist. Selten wird das Innenleben des Ich-Erzählers mit so einer Intensität, Ausdruckskraft aber auch Nachvollziehbarkeit beschrieben. Die Gedanken werden klar und eindeutig formuliert und doch steckt so viel mehr hinter jeder einzelnen Äußerung des Erzählers.
Als er zum Beispiel auf dem Dach der Schule ein Mädchen trifft, das geistesabwesend in die Ferne schaut und nicht auf seine Begrüßung reagiert, stellt er basierend auf dieser Reaktion erst einmal seitenlange Vermutungen zu ihrer Person an. Versteht er sie oder redet er sich nur etwas ein? Und kann der Leser seiner Einschätzung überhaupt trauen?
Atmosphäre:
Die zweifellos größte Stärke des Spiels ist seine Atmosphäre. Das ganze Spiel findet nur bei Sonnenuntergang statt, während man Hirosuke dabei begleitet, wie er nach der Arbeit ziellos über das Schulgelände streift. Aus diesem Grund sind alle Artworks auch ausnahmslos in einem tiefen Rotton gehalten. Die verträumte und melancholische Hintergrundmusik verstärkt die Immersion in die Welt von Sayonara wo Oshiete nur noch mehr. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran trägt auch das Writing, welches es schafft, Wahnsinn und Realität auf eine völlig selbstverständliche und nachvollziehbare Art und Weise darzustellen, sodass sich der Leser ohne weiteres in immer grotesker werdenden Situationen verlieren kann und die Penetration eines Engels durch symbolträchtig deformierte Tentakel wie eine Selbstverständlichkeit, wie etwas völlig natürliches wirkt.
Apropos groteske Bilder; Sayonara wo Oshiete hat einen überraschend hohen Anteil an Hentai-Szenen, aber nicht eine einzige wirkt fehl am Platz. Wie den Rest des Spiels liegt etwas düsteres und verstörendes über diesen Szenen und kaum eine stellt sich als das heraus, was sie vorgibt zu sein. Den normalen Eroge-Gamer werden viele dieser Bilder und Sequenzen wahrscheinlich entsetzen, aber die Poesie und Symbolkraft hinter diesen Situationen ist unbestreitbar.
Da ist etwas extrem verstörendes an diesem Bild ...
Besonders hat mir auch die Nutzung von Farben gefallen. Neben dem natürlich sehr aussagekräftigen Rot, welches über der Schule, den Charakteren und auch der Handlung liegt, wird auch immer wieder auf Weiß und Schwarz Bezug genommen. Anfänglich natürlich noch als Symbol für den Engel und das Monster kehrt sich schon bald die Bedeutung in das Gegengesetzte um. Die dunkle, düstere Stimmung des Spiels, die tranceartigen Melodien und die kafkaesken aber hypnotisierenden Bilder wirken schmeichelnd auf die Augen und wenn diese angenehme Stimmung durch aufblitzende weiße Hintergründe und grässliche Formen von Realität unterbrochen wird, wünscht sich der Spiele sogleich die Dunkelheit zurück.
Subtiles, unterschwelliges Storytelling par excellence.
Die Rote Blume. Wofür steht sie ...?
Gameplay:
Ich habe schon erwähnt, dass man das Spiel gut mit Divi-Dead vergleichen kann. Dort hat man im Grunde auch nichts weiter gemacht als über das Schulgelände zu ziehen, über welchem eine mysteriöse Aura lag, und mit Leuten zu reden, die man zufällig irgendwo trifft.
In Sayonara wo Oshiete sind die meisten Entscheidungsmöglichkeiten, die man hat, ebenfalls nur Ortsangaben, wo man als nächstes hingehen möchte. Dabei wird jedem Ort, ob Klassenzimmer, Bibliothek oder Schulhof, ein bestimmter Charakter zugeordnet.
Pro Tag kann man drei Orte auf dem Campus aufsuchen. Davor raucht man eine Zigarette mit der Krankenschwester und sperrt sich in seiner Toilettenkabine ein, danach ärgert man sich mit seiner Vorgesetzten rum. Die Tage werden durch den immer wiederkehrenden Alptraum verbunden. Eine Routine, die sowohl der Identifikation mit dem von seinem Alltag gequälten Protagonisten unterstützt als auch das Spiel kompakt und kurzweilig gestaltet. Ohne Probleme kann man es innerhalb von 5 bis 6 Stunden einmal durchspielen. Das empfehle ich auch. Das Spiel ist kurz genug um es in einer Sitzung durchspielen zu können und das dürfte der Atmosphäre auch zuträglich sein, wenn man sich nicht zwischendurch aus ihr herausreißen lässt.
Wo soll es heute hingehen?
Das Spiel ist alt, 2001 erschienen. Das merkt man auch am Interface. Es zweckmäßig, aber aufgrund mangelnder Komfortfunktionen weit davon entfernt gut zu sein.
Schlimm auch; das CG-Menü ist träge und umständlich zu navigieren. Und es fehlen die Gore-Bilder in der Gallerie.
Der Rest wirkt zwar veraltet, aber schadet dem Spielgefühl nicht. Die Sprachausgabe hat eine schlechte Audio-Qualität, die Stimmen sind aber sehr gut. Keine Ahnung woher, aber ich kannte die meisten. Damals hat man den Sprecherinnen auch noch nicht die übelsten Hentai-Dialoge zum Vorlesen gegeben. Das ist in meinen Ohren sehr angenehm und lässt die Persönlichkeit der Charaktere, während sie herausfinden, ob sie eher Engel oder Dämonen sind, auch nicht so stark entgleisen wie heutzutage.
Interessanterweise hat jeder Charakter nur ein Portrait, die fünf Mädchen, denen man auf dem Schulgelände begegnet haben sogar nur einen Gesichtsausdruck. Stimmungsänderungen werden dabei durch kurzzeitig separat eingeblendete Mimik dargestellt. Das wirkt befremdlich. Und ich bin mir sicher, dass da Absicht hinter steckt und nicht die Faulheit des Zeichners.
Ma-chan ist verstimmt ...
Fazit:
Sayonara wo Oshiete ist perfekt. Und das meine ich nicht in dem Sinne, dass es die beste Visual Novel aller Zeiten ist oder mein persönlicher Favorit. Ich meine damit, dass alles, was das Spiel tut, es mit so einer Perfektion ausführt, dass ich nicht eine Sache zu bemängeln habe (außer der veralteten Engine, aber da diese dem Spielgefühl nicht schadet, blicke ich hier mal wohlwollend drüber hinweg).
Sayonara wo Oshiete wird nicht zu unrecht als bestes Denpa-Game aller Zeiten bezeichnet. Im Vergleich zu heutigen Spielen, die durch einen unerwarteten Plottwist nach dem anderen versuchen den Spieler mit Dramatik und Spannung zu unterhalten (keine negative Konnotation von mir mit dieser Aussage impliziert, ich stehe eigentlich auf sowas!), mag diese Geschichte sogar etwas kurz und simpel erscheinen. Aber meiner Meinung nach liegt darin auch die große Stärke des Spiels.
Ixrec schrieb in seinem Review zu Cross Channel folgendes:
"This is probably the only thing I have ever read which I would dare call "flawless." It is that good. [The] writing style is absolutely insane. It actually manages to make me feel like every single line in the game has a point, and that if you removed any one of them the scene simply wouldn't be complete."
Interessanterweise fand ich persönlich Cross Channel extrem langweilig und das Pacing schrecklich langsam.
Stattdessen ist Sayonara wo Oshiete das Spiel, was ich nach so einem Kommentar erwartet hätte und ich will es hier genau mit diesen Worten, die eigentlich einem anderen Spiel zugedacht waren, beschreiben, denn sie treffen perfekt auf diese Visual Novel zu.
Das Writing und damit die Charakterisierung des Ich-Erzählers ist einfach perfekt, der Fluss der Geschichte in ihrem Wahnsinn so makellos konstruiert und das Ende ... verdammt das Ende! Mir fehlen Wörter um die letzte Szene angemessen beschreiben zu können ... wie wäre es mit ... "perfekt"?
Wie sehr Sayonara wo Oshiete dem einzelnen gefallen mag, hängt nur davon ab, wie sehr er sich erlaubt in der Atmosphäre des Spiels zu versinken und ob er mit der kafkaesken Charakterisierung und Symbolik etwas anfangen kann. Ich bezweifle allerdings nicht, dass jeder, selbst wenn ihm das Design des Spiels nicht zusagen sollte, nach Beendigung der Geschichte zu dem Ergebnis kommen wird, dass jede Szene, jeder Satz, jedes Symbol essenziell für die jeweilige Aussage war. Ja, selbst jede H-Szene. Es ist faszinierend und erschreckend zugleich.
Ich empfehle auf jeden Fall einen zweiten Durchgang. Da steckt soviel versteckter Subtext im Script, dessen Ausmaß erst beim zweiten Mal erkannt werden kann und die Szenen und Handlungen durchaus noch verstörender machen können.
Sayonara wo Oshiete ist zurecht ein Klassiker und ich kann jedem unabhängig von seiner Präferenz bei VNs diesen Titel nur ans Herz legen. Lasst euch nicht von Tentakeln, Gore oder der in die Jahre gekommenen Technik abschrecken. Es ist ein zeitloses Meisterwerk.
So, als nächstes werde ich ein Black Cyc-Spiel in Angriff nehmen. Ob es sich dabei um Gore Screaming Show oder vielleicht doch etwas anderes handelt, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Fakt ist aber schon mal, dass es abseits des guten Geschmacks liegen wird
Allerdings habe ich auch noch zwei "normalere" Visual Novels als Zweitprojekte am Laufen, die beide, soviel sei verraten, in mysteriösen alten Herrenhäusern spielen. Na, wenn das nicht spannend klingt.