"Vor der ganzen Sache ... ich rede nicht gerne darüber weißt du, aber für all das, was du für uns in den letzten Tagen getan hast, für mich getan hast, mit Leo ... ich denke ich bin dir mehr schuldig als dich vor einer Schlägerei zu bewahren."
Wirklich, er hätte jetzt gerne eine Zigarette, damit ließe sich über sowas deutlich einfacher sprechen, noch besser wäre nur Whisky gewesen. Er dachte kurz an Leos Goldschatz, an die ganzen guten Flaschen, die ungetrunken in dem Panzer standen.
"Ich war am Flughafen von Sidney, weil ich vor etwas, nein vor jemandem geflohen bin. Eigentlich sogar vor einer ganzen Menge Leute, und das nur, weil mich an ein paar Arschlöchern gerächt hab. Ihr Gehirn über den Fliesen ihrer Küchen verteilt habe, ihre Gesichter bis zum unkenntlichen entstellt hab."
Tess schaute ihn zuerst ungläubig an, als wollte er Witze machen, doche erkannte sie schnell, dass dies nicht der Fall war.
"Du hast ... ihr Gehirn über die Fliesen verteilt? Mit der Faust oder wie?"
Sie rückte ein Stück von ihm ab und schüttelte verwirrt den Kopf. Noch einer, der Blut an den Händen hatte. Sie blickte nachdenklich auf ihre eigenen Hände, an denen noch Danis Blut klebte.
"Scheint so als würden wir alle schräge Sachen machen; aber..." war er stolz darauf? Wie es Cyrillus und Ian gewesen waren?
"Ich bereue es nicht. Die Leute haben nur bekommen, was sie verdient haben."
Alistair biss die Zähne zusammen. Tess schnaubte nur, sagte aber nichts.
"Sidney war nicht bewusst mein Ziel. Ich hab nach der Sache einfach nur den nächst besten Flug gebucht, den ich bekommen habe, und der führte mich eben hier hin. Vom Regen in die Traufe, ne? Allerdings bezweifle ich, dass das hier irgendeine Strafe für mich sein soll. Bin nicht wirklich der religiöse Typ. Kein Gott hat mir geholfen als ich meine Familie verlor, als ich meine Freund verlor, nein, ich war alleine, und ich musste die Sache selbst in die Hand nehmen, um Genugtuung dafür zu bekommen."
Tess schaute nun ebenfalls der aufgehenden Sonne im Osten entgegen. Sie verstand ihn. Zum ersten Mal verstand sie, was Leute an dem Akt der Rache so befriedigend fanden. Etwas tun zu können. "Die Sache in die Hand zu nehmen". Ja das passte zum Iren. Und sie verstand und zum ersten Mal in ihrem Leben urteilte sie nicht über das Handeln eines anderen, sondern ließ es einfach so stehen. Als wäre es nicht kitschig genug, bildete sich nun auch ein Regenbogen am über dem Meer.
"Wie war das nochmal mit dem Goldtopf und den Iren?", scherzte sie und nickte in die Richtung des bunten Gebildes.
Alistair lächelte.
Dann wollte er aufstehen, doch Tess knurrte kurz auf und er setzte sich wieder hin.
"Was ist mit Ian? Ist es nur wegen Clover?", sie klang fast wie ein kleines Kind, das noch mehr Gutenachtgeschichten hören wollte. Auch wenn ihr Blick eindringlicher war. Nicht niedlich-fordernd, eher "wenn du mir das nicht erzählst hau ich dich".
"Ian...", der Ire schüttelte den Kopf, "Clover hat ihre Entscheidung getroffen. Zudem ... zudem wäre es Abby gegenüber nicht fair. Und ich bin mir nicht sicher ... nein, mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich mich lediglich einsam gefühlt habe. Einsamkeit. Der Ire war kein Typ, der einsam war; nicht so wie sie ihn einschätzte. Ausser das er wohl seine Saufkumpanen zu Brei schlug - aber die wären doch sicherlich genauso schnell wie er selber wieder auf den Beinen.
Nicht, dass ich Clover nicht mögen würde. Sie kümmert sich so liebevoll um die kleine Leo, um die Kinder, und zusammen mit ihrer Ukulele vermag sie Berge im Inneren von Menschen zu versetzen. Im Endeffekt bin ich auch nicht der richtige Kerl für so ein Mädel."
"Warum", fragte Tess nur.
Alistair grinste breit und schmutzig.
"Mein Hammer würde sie zertrümmern."
Tess musste lachen, doch versuchte sie sich zu beherrschen, denn sie durften keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, stattdessen boxte sie dem Iren auf die gestählte Brust und hielt sich die Hand vor den Mund, was ihr Lachen zumindest ein wenig dämpfte. Ihr Gesicht lief trotzdem rot an, weil sie kaum Luft bekam.
"Und, was ist nun mit Ian?", fragte sie noch immer glucksend.
"Ian ist einfach falsch. In Wirklichkeit will er nur bestimmte Menschen aus der Gruppe schützen. Zudem kann er nicht die Entscheidungen treffen, die von Nöten sind. Er redet und redet und redet, allerdings handelt er nicht. Er ist einfach ... nicht die Art von Mann die solch eine Position ausfüllen kann. Wenn er es jedenfalls selbst erkennen würde. Anfangs dachte ich, man könnte ihm irgendwie helfen, aber ... da bin ich mir nicht mehr sicher."
Tess nickte.
"Ja wir hatten Glück, das er keine Entscheidungen treffen musste. Wir waren genug um den schwachen Kern der Truppe zu schützen. Aber es... hat soviel gekostet..."
Ihr Blick wurde nachdenklich als sie auf das Tattoo an seiner Brust blickte. Sie dachte an sein Grinsen und wann sie es das letzte Mal gesehen hatte. Das letzte Mal hatte er so gegrinst, als er mit Abby auf der Schulter an Kekoa und mir vorbeigetrottet ist. Der Schrottplatz... es scheint Ewigkeiten her zu sein. Aber ja, Abby war die Frau die sein Herz gefangen hatte. Und das war verdammt gut so. Sie gönnte dem Iren die Begegnung. Und sie glaubte, das er mit der Liebe zu ihrer Mutter, den beiden Jungs ein gutes Leben ermöglichen würde. So gut er es eben konnte.
"Aber ich denke, wir sollten und mal zu den anderen aufmachen. Ansonsten bilden die sich noch was über uns ein.", er grinste verschmitzt und richtete sich dann mit ihr im Arm auf. Als er wieder anstalten machte sie zu tragen schlug sie mit dem Gehstock nach ihm.
"Ich habe einen Stock und kann damit umgehen. Also Finger weg, wenn du sie behalten willst."
Sie humpelte langsam aber zäh auf einem Bein zum Kai, Alistairs Hand schwebte wie die eines stillen Beschützers über ihrer Hüfte um sie aufzufangen, falls sie stolpern sollte. Als wäre sie ein Kind, das unter den besorgten Augen des Vaters zum ersten Mal auf wackligen Beinen Inliner fährt. Bei den anderen angekommen, setzte Tess sich schwer atmend auf den Boden. Und der Ire bot ihr wieder die Schulter zum abstützen an, was sie ohne zu zögern annahm.
Dann wandte er sich kurz an Dob, der eben etwas das verdächtig nach Kippen aussah, aus dem Wasser gefischt hatte.
"Hey Kumpel, hast du noch nen paar Zigaretten für uns übrig, notfalls teilen wir uns auch eine."
Was Tess nur wieder dazu brachte den Kopf zu schütteln. „Iren...“
Dob drehte sich die Zigarettenschachtel grinsend in den Ärmel. Yeah, jetzt sah er aus wie ein wirklich cooler Dude!
Aber die Wracks waren zu nichts zu gebrauchen, daran gab es nichts zu rütteln. Er ging zurück zu den Anderen.
Die Situation war weiterhin aussichtslos, wie es schien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Zombies oder die Gardisten hier eintrafen, und dann war es aus mit ihnen.
Also, wenn das seine letzten Stunden waren, dann würde Dob sie verdammt nochmal genießen. Er öffnete seine Umhängetasche und sah hinein. Wer hätte gedacht, dass sein verdammtes Handgepäck für einen Urlaub das letzte sein würde, das er bei seinem Tod noch besaß... aber da drin war auch noch ein Rest Gras, und ein paar Krümel Tabak. Und seine Sonnenbrille. Es war früher Morgen und leicht kühl, aber wenn er schon sterben musste, dann wollte er dabei gefälligst so cool aussehen, wie es ihm möglich war. Er setzte sich die Sonnenbrille auf und starrte eine Weile stumm auf das Meer. Dann drehte er seinen letzten Joint.
Wieder kroch Sarah in seinen Kopf. Verdammt, was war das!? Er sah hinüber zu Ellen und Clover. Sie waren verdammt heiß, daran hatte sich nichts geändert. Er würde niemals ein bisschen Spaß mit den beiden ablehnen... und auch diese Japanerin war echt nicht schlecht gebaut.
Aber verdammte Scheiße, er musste an Sarah denken. An ihre blauen Augen. An das Crown Hotel.
Daran, wie er sie nicht mit dem Funkgerät erreichen konnte.
Dob schüttelte den Kopf leicht. Sie war weg, Junge. Vergiss sie.
Er zündete den Joint an und zog daran, dann meinte er zu den Anderen: "Also, die Lage sieht wohl so aus, dass wir sterben werden. Und ich denke, das ist einer der verdammt nochmal besten Zeitpunkte, um einen Joint zu rauchen, also wenn jemand will, das hier ist mein letzter, und ich teile ihn gerne mit den Leuten, die meinen Arsch immerhin bis hierher gebracht haben."
Er schloss die Augen. Es war gut, am Leben zu sein, oder nicht? Vielleicht müsste er das diejenigen fragen, die es nicht mehr waren. Diese Unbekannten, die seinen Arsch gerettet hatten, wann immer sie konnten.
Waren schon irgendwie coole Typen, allesamt.
"Hey Kumpel, hast du noch nen paar Zigaretten für uns übrig, notfalls teilen wir uns auch eine." Alistair war an ihn herangetreten. Neben ihm war Tess, sie sah übel zugerichtet aus, aber sie biss die Zähne zusammen. Hatte sie schon immer so gemacht, auch bevor sie sich gekannt hatten, da war sich Dob sicher. Aus ihrer Tasche lugte ein Funkgerät.
Dob grinste und schielte hinter der Sonnenbrille zu ihnen hoch. "Hey Leute, setzt euch und genießt den Sonnenaufgang, es ist das Ende der Welt und ich fühl mich großartig, verdammt!"
Er holte die Zigarettenschachtel hervor und reichte sie Alistair.
Dann nickte er Tess zu. "Was'n das für'n Ding da in deiner Tasche, Frau Doktor?"
"Was'n das für'n Ding da in deiner Tasche, Frau Doktor?"
"Nur ein kaputtes Funkgerät. Ihr habt nicht zufällig Batterien dabei?"
Das Funkgerät war so klobig, das Ellen, Leo und Ian die selber schonmal eins in der Hand gehabt hatten, es mit Sicherheit erkennen würden. Daher machte sie erst gar nicht den Versuch ihnen was vorzumachen. Aber das sie damit einen oder mehrere Funksprüche absetzen konnte - das würde sie noch eine Weile für sich behalten. Sie wusste nicht so Recht wieso, ausser das Axels letzte Worte ihr kalte Schauer über den Rücken jagten; aber es erschien ihr ungemein wichtig erst mehr über die neun Leute zu erfahren, die um sie herum saßen.
Sie spürte Yukis fragenden Blick in ihrem Rücken eher, als das sie ihn wirklich sah. Ihr Funkspruch von vorhin fiel ihr wieder ein. Tess blickte zu Boden, ballte die Hand zur Faust und hieb auf den sandigen Boden ein. "Nur damit ihrs wisst, Dani hat Niki hier das Leben gerettet. Hat sich vor nen Scharfschützen geschmissen als die uns aufgespürt hatten. Also wehe dem der was über sie sagt, was ihr Andenken in den Schmutz zieht. Der bekommt meinen Stiefel in den Hintern." Damit wars raus. Sie hasste es Todesbotschaften zu überbringen. Und als sie Dobs Blick sah, ahnte sie das es auch nicht grade eines seiner Lieblingshobbys war über den Tod zu sprechen. "Was ist mit den anderen? Warten wir oder können wir weitergehen?" Tess fragender Blick traf Fawyer und Dob. Denn auch Ethan und Andris waren nicht zurückgekommen. Und sie wollte wenigstens wissen wieso.
Ian saß in der großen Bibliothek über einem Buch. Er las die Bücher so oft es ging hier durch. Was sollte er zu Hause? Da würde er eh nur dabei zuhören, wie sein Vater sich wieder mit einer seiner neuen Freundinnen stritt. Der Weg zur Bücherei war der einzige, den er in den letzten Wochen gegangen war. Seit seine Mutter nicht mehr da war, hatte er nicht zu viel Lust. Die Schule besuchte er sowieso nicht mehr und er war - in diesem Punkt - froh, dass sein Vater sich so wenig um ihn scherte, ihn nicht entgegen seinem Willen losschickte. Er war unabhängig. Viel zu früh. Weil er durch seine behütete Kindheit nie gelernt hatte, unabhängig zu sein.
An diesem Tag war - wie den Tag zuvor auch schon - seine Lieblingsabteilung in der Bücherei wegen Umbauarbeiten geschlossen; die mit den tollen Fantasy-Büchern. Sie waren teilweise brutal und seine Mum hätte sie ihn garantiert nicht lesen lassen, aber nichts konnte ihn weiter wegbringen von dieser Welt, die ihn nicht mehr interessierte. Nichts ließ ihn für eine bestimmte Zeit so abtauchen in Geschichten, die traurig sein konnten - aber niemals so traurig wie die Realität.
Nachdem er das seltsame wissenschaftliche Werk von Howard Gardner, der über multiple Intelligenzen schrieb, weggelegt hatte, griff er recht wahllos nach einem weiteren Buch mit dem einfachen Titel Die größten Zitate. Nach den ersten Seiten, recht langweiligen und - wie er fand - nichtssagenden Zitaten wollte er es eigentlich schon wieder weglegen, als die alte Frau vom Empfangstresen von hinten an ihn herantrat und ihn mit einem warmen Lächeln eine Tasse Kakao auf den Tisch stellte. "Damit du nicht verhungerst!" Er erwiderte das Lächeln. "Danke!" Er stand auf und klappte das Buch zusammen. "Oh, oh... nein, Ian - warte!", sagte sie und grinste vielversprechend. "Was'n, Bücheroma?" "Du solltest das noch mal kurz dabehalten. Da drin ist ein ganz tolles Zitat! Das wird dir bestimmt gefallen." Er sah sie zweifelnd an. "Also bis jetzt..." - "Glaub mir. Das Zitat passt zu dir!"
Er übergab ihr das Buch und sie schlug zielsicher eine Seite auf, blätterte nur eine weiter. Es war unglaublich, wie gut sie jedes einzelne der Bücher hier kannte, fast unmöglich. Aber so alt wie sie war, hat sie bestimmt auch eine ganze Zeit hier verbracht. Sie legte das Buch zurück auf den Tisch und tippte darauf.
I am determined to be cheerful and happy in whatever situation I may find myself. For I have learned that the greater part of our misery or unhappiness is determined not by our circumstance but by our disposition. ~ Martha Washington ~
Ian stand da und blickte auf die Umrisse des Schiffs, welche sich am Horizont abzeichneten. Seine Hand hielt, nach wie vor, die von Clover, fast instinktiv, ohne, dass er sich daran erinnern konnte, nach ihr gegriffen zu haben. Das Zitat aus dem Buch von damals war in seinem Portemonnaie in dem Rucksack, der ihn so lange treu begleitet hatte, den er auf dem Dach lassen musste. Er hatte nichts mehr - und doch so viel. Was hatte ihn hierher gebracht? Was hatte ihn zu dem gemacht, der er war? Nachdem er dieses Zitat gesehen hatte, war alles anders gewesen. Er wurde selbstbewusst und irgendwie auch interessant für andere.
Die Highschool-Zeit würde bald vorbei sein und es begann die Phase, in der sich die Mädchen tuschelnd in kleinen Grüppchen versammelten und sich irgendwie seltsam verhielten. Auch die Typen waren aufgeregt und redeten unter sich offen darüber, wen sie sich als Begleitung für den Abschlussball wünschen würden und erfanden seltsame Ausreden dafür, warum sie die jeweiligen Mädchen noch nicht gefragt hatten. "Was' mit dir, Burrows? Hast' die Kleine aus'm Debattierklub gefragt?" - "Ach was! Burrows macht sich die Schnecke.. äh, Rebecca... aus'm Cheerleader-Team klar." Vor seiner Nase tanzte Clyde seltsam und stieß seine Fäuste halbrhythmisch in die Luft, als würde er PomPoms in ihnen halten, rief dabei "Iiiiiiii - An.... Iiiiiiiiiiii - An .... Iiiiiiii - An!" Ian grinste und auch Kevin lachte kurz auf, schüttelte dann aber mit dem Kopf. "Ernsthaft, Burrows. Ich versteh' diese Schule nicht. Ich bin im Football-Team, Clyde hat den reichen Dad und DU nimmst uns die Frauen..." - "Ich nehm gar nichts..." - "Ah... psch... ich meine, du könntest, wenn du dir mal Eier wachsen lassen würdest. Keine Ahnung wieso - aber die Frauen hier stehen wohl auf den genialen Superbrain-Typen von nebenan." - "Halt die Fresse, Kev!" - "Ich sag's ja nur." - "Du sagst viel."
Wenig später saß er im Unterricht und wurde aus seiner Konzentration gerissen, als Rebeccas Fingerkuppen auf seine Schulter tippten und ihm ein kleines, zusammengefaltetes Blatt auf den Rand seines Tischs legten. Er entfaltete das Papier und las. Are you going to ask me? Er neigte seinen Kopf zu der Cheerleaderin und sah sie fragend an. Sie grinste und formte mit den Lippen das Wort prom. "Ich dachte, du gehst mit Eric?" - "Vielleicht... wenn du nicht mit mir gehst!" - "Eh... was?! Ich kann doch Eric nicht..." - "Was jetzt?" - "Ich überleg es mir, okay?"
Als die Klingel läutete, verließ Rebecca sehr schnell die Klasse. Sie war offensichtlich verärgert. Doch bevor Ian genauer nachdenken konnte, hörte er Shelley, die nun neben ihm stand. "Ich hab' das gerade gehört... du gehst doch nicht wirklich mit ihr, oder?" - "Ehm... ich denke nicht, wieso?" - "Ich dachte, du fragst mich!" - "Achso, ich... ehm... möchtest du?" - "Ja!" Sie lächelte und ging.
Loyalität. Loyalität war eine Eigenschaft, die Ian sehr schätzte, die er auch an Shelley geschätzt hatte. Und er war selbst so loyal gewesen, wie er konnte. So loyal, dass er sich Gefühle für sie eingebildet hatte, weil er glaubte, dass sie das doch verdient hätte. Gefühle verdienen? Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Für ein Superbrain bist du ein ziemlich großer Idiot. Aber nichtsdestotrotz - er hatte die Zeit genossen, die er gelebt hatte, nachdem er das Zitat las. Er war ein anderer Mensch geworden, ein Mensch, für den sich die Leute interessierten. Bis zu diesem Tag.
"DU SCHWEEEEEEIIIIIIN... DU WICHRGHGH!!!" Seine Schreie verstummten, als sich zwei Hände ruckartig an seine Schultern legten und er von einem weiteren Paar Armen in den Schwitzkasten genommen wurde. "Ichhhh.... lasst... lasst mich! Er hat... Megchhh.... Megchhhh.... ist Megan...ochhhhhckck?" Das Adrenalin pumpte durch seinen Körper, eine Faust traf ihm im Gesicht, er stürzte zu Boden, lag hyperventilierend da... "Er...ich....ich....ich....ich....muss....ich....musste..."
Er musste nicht. Er hätte es damals anders regeln können. Er hätte Megan befreien und dem Kerl eine lebenslange Haft bescheren können. Vielleicht wäre das die größere Strafe gewesen. Ian hatte am eigenen Leib erfahren, wie man behandelt wird, wenn man im Knast ist und für einen Pädofilen gehalten wird. Er wusste, was für eine Tortur das sein konnte, welche Qualen man durchleiden musste. Und doch - er hatte es überlebt. Merkst du was, Ian? Das Lächeln schien sein ganzes Gesicht auszufüllen. Er wusste gar nicht, dass in seinem Gesicht so viel Platz war. Butterfly Effect.
Seine Mutter war gestorben, doch das machte ihn stärker und selbstbewusster.
Er war seinem Vater egal, doch das machte ihn freier und unabhängiger.
Er hatte einen Menschen umgebracht, doch entdeckte wertvolle Gefühle wie Reue und Schuld in sich.
Er wurde verprügelt und missbraucht, war durch die Hölle gegangen, doch es härtete ihn ab.
Er landete in einer apokalyptischen Welt, sah Menschen sterben und wurde verachtet, doch er wurde auch geliebt. Und er liebte.
"Hey, wenn wir hier eh krepieren..."
"Also, die Lage sieht wohl so aus, dass wir sterben werden."
Nachdem diese Worte eine Weile durch seinen Kopf gegangen waren lachte er. Aus heiterem Himmel. Es ist die Einstellung. Scheiß auf die Umstände. Das pure Glück sprach aus ihm.
"Leute, ich will euren depressiven Mist nicht hören! Das hier ist nicht das erste Mal, dass wir in der Klemme stecken. Also reißt euch gefälligst zusammen und lasst uns hier verdammtnochmal rauskommen. Es gibt immer einen Weg!" Es war ihm eigentlich egal, was er sagte. So, wie er vor Freude, Lebenslust und Motivation sprühte, hätte er auch mathematische Formeln emotional und tiefsinnig erklären können. Oder Alistair glaubhaft seine Liebe gestehen können. Oder einfach allen. "Ich liebe euch!"Was?
"Leute, ich will euren depressiven Mist nicht hören! Das hier ist nicht das erste Mal, dass wir in der Klemme stecken. Also reißt euch gefälligst zusammen und lasst uns hier verdammtnochmal rauskommen. Es gibt immer einen Weg!"
Irgendwie fühlte sich Fawyer wieder etwas besser. Seine Laune war immer noch so grau wie ein Film von Orson Welles, aber ohne die Schmerzen war es ein leicht ausgebleichter Film, wo die Schwartztöne nicht so hervorstachen. Die kläglichen Reste seines Hemdes und Sakkos hatte er abgelegt und saß nur mit nacktem Oberkörper und spürte die frische Morgenbriese von Sydney, frisch im Sinne der Temperatur, der Fäulniss Gestank kratzte an dem Bild etwas. Trotz der Morgenstundes war die Stadt recht hell erleuchtet, teils wegen Bränden in der City, sicherlich Reste des Bombenabwurfs.
Er fühlte sich gut genug, dass er wieder etwas humor aufbringen konnte.
"Okay, Boss. Werden ab jetzt optimistisch sein. Ich und Yuki warten dann auf ein magische Funkgerät, dass zufälligerweise genau mit dem Schiff verbunden ist und die dann genau hierfinden. Ich packe schonmal meine Koffer, will ja nicht unvorbereitet von einer Apokalypse in die nächste geraten."
Clover hatte eine Weile einfach nur dagestanden und stumm aufs Meer hinaugeblickt. Hinter ihnen lag Sydney in Trümmern, aber wenn man in die aufgehende Morgensonne blickte, ein wenig die Luft anhielt um den Gestank nach Verbranntem und Tod auszublenden und die schmerzenden Glieder ignorierte, hätte man meinen können, es wäre ein wunderschöner Morgen. Wie ein Neuanfang.
Aber da waren keine Schiffe mehr und nichts, das ihren weiteren Weg ebnen hätte können. Trotzdem verspürte die Sängerin keine Angst. Sie hatte Ian angesehen und erkannte kein Anzeichen von Sorge in seinen Zügen. Seine Hand war warm und hatte ihre sanft umschlossen - da war kein Zittern, keine Suche nach Halt. Ian war vollkommen ruhig und das gab ihr genug Zuversicht, um frei von Angst zu sein.
Nach einer Weile löste Clover sich von Ian, der immer noch vollkommen in Gedanken versunken schien, und zog die unglaublich kratzige Uniform aus. Achtlos ließ sie diese auf den Boden fallen, aber nicht ohne davor noch die Innentasche auszuräumen. Nach einem kurzen, erleichterten Blick auf die Sonnenbrille, die Léo ihr geschenkt hatte, sah sie sich um. Die Menge war überschaubar geworden. Nicht nur Riley, Helena und der Priester waren nicht mehr da. Die Hippie-Frau fehlte, genauso wie Andris und der Typ, der immer bei Isa rumgehangen war.
Als Tess,die ordentlich mitgenommen aussah, in Sichtweite kam und irgendwas mit Dob und Alistair zu besprechen schien, wurde es fast grausame Gewissheit. Keine der fünf Gruppen fehlte mehr, aber Einzelne blieben verschwunden. So oft sie auch noch durch die Runde blickte, es gab niemanden mehr, der noch hinterherzukommen schien.
Irgendwann fiel Clovers Blick auf Niki, der etwas Abseits von Léo, Noah und Josh stand, die sich offenbar irgendwoher Lollies organisiert hatten. Gut. Die drei sahen mitgenommen aus, schienen für den Moment aber in Ordnung zu sein. Niki hingegen wirkte vollkommen fertig und er zitterte und schüttelte sich, als würde er weinen.
"Alles in Ordnung?" Wieder diese dumme Frage. Natürlich war nicht alles in Ordnung. Niki reagierte erst nicht, als Clover an ihn herantrat und starrte nur auf den Boden. "Hey, kann ich irgendetwas-" "...sein sollen." "Was?" Der Junge schien irgendetwas vor sich hinzumurmeln, aber die Sängerin konnte ihn einfach nicht verstehen. "Magst du das nochmal wiederholen?"
"I-ich..hätte das sein sollen. Warum zum Teufel ist SIE es?" Es war das erste Mal, dass Clover ihn so flüssig und aufgebracht sprechen hörte. "D-Dani... w-warum hat sie...?" Zahlreiche Tränen tropften nun von Nikis Nasenspitze - weil er immer noch nach unten starrte - auf den Boden. Er schluchzte leise noch ein wenig vor sich hin, bis Clover auch wirklich verstanden hatte, worum es ging und schließlich nahm sie den Jungen in den Arm. Er ließ einfach nur schlaff seine Arme hängen und ließ es geschehen.
"Du darfst traurig sein, aber du darfst niemals denken es wäre besser gewesen, wenn es dich erwischt hätte." Es fiel Clover schwer, die richtigen Worte zu wählen, denn sie selbst würde sich auch nicht anders fühlen als Niki. Es war aber der falsche Weg. "Es war Danis Entscheidung, dich zu retten. Sie hat entschieden, dass du es wert bist, beschützt zu werden. Sie wollte, dass du lebst. Und wenn dich das ärgert, machst du Dani damit traurig." Sie strich Niki übers Haar und lächelte ihn an. "Das willst du bestimmt nicht, oder? Du musst jetzt nicht sofort Luftsprünge vor Freude machen, aber du darfst dir nicht einreden, dass du es nicht verdient hättest, zu leben. Die Sache mit Dani soll dir nicht das Gefühl geben, dass es dich erwischen hätte sollen, sie soll dir das Gefühl geben, dass es Menschen gibt, die dich als wertvoll ansehen." Sie drückte den Jungen nun ganz fest, als würde sie damit ihre Worte besonders untermauern. "Du bist wertvoll!" Und niemand soll umsonst gestorben sein.
"Leute, ich will euren depressiven Mist nicht hören!"
Clover hatte den Empfänger des Funkgerätes nicht im Ohr, konnte Ian aber auch ohne noch gut hören, da er ja nicht allzu weit entfernt stand. Offenbar hatte er seine Gedankengänge nun abgeschlossen. Das hier ist nicht das erste Mal, dass wir in der Klemme stecken. Also reißt euch gefälligst zusammen und lasst uns hier verdammtnochmal rauskommen. Es gibt immer einen Weg!" Das war es. Einer der Gründe, warum sie ihn liebte. Die Fähigkeit, mit wenigen Worten so viel Hoffnung und Zuversicht zu geben, ohne dabei lächerlich zu wirken. "Ich liebe euch!"Okay, streich' den letzten Satz.
Clover kicherte leise und drückte Niki noch einmal fest. "Es wird alles gut.", sagte sie nicht nur zu ihm, sondern auch zu sich selbst. Auch wenn hier kein Schiff war und niemand so genau wusste, wie es jetzt weitergehen sollte - sie würden einen Weg finden. Bisher hatte immer jemand einen Weg gefunden und auch diesmal würde es früher oder später dazu kommen. Denn sie alle wussten, dass es nicht umsonst gewesen sein konnte. Alle die ihren Weg bisher begleitet hatten, die für sie gestorben waren und sich geopfert hatten, konnten nicht umsonst umgekommen sein. So grausam konnte nicht einmal das Schicksal sein.
Danis Tod traf Yuki wie ein Schlag direkt in die Seele. Aber nach außen hin zeigte sie sich weiterhin so souverän, wie eine Frau in dreckiger Rüstung, mit Schrammen im Gesicht, Schnittwunden an den Armen, abgetrennten Fingern, zerschmetterten Rippen und einer Schusswunde in der Schulter eben souverän aussehen konnte. Sie war noch zu emotional distanziert, um die Sache zu verarbeiten. Sie würde sich Zeit nehmen, sobald sie aus dieser Scheißsituation raus wären.
Doch nun fragte Tess nach Ethan. Fuck. Sie hasste es.
"Ethan ist höchstwahrscheinlich tot."
Sie hassste es, Todesbotschaften zu überbringen. Zu oft getan, zu oft dieselben Floskeln, "Hielt bis zum Ende durch.", "Hat alles getan um seine Kameraden zu retten.", "Hat bis zuletzt nur von Ihnen geredet.", alles Bullshit. Sterben war niemals würdevoll, man konnte nur die Umstände anpassen, damit ein Leichnam mit toten Augen und vollgeschissener Hose nicht mehr ganz so abstoßend wirken würde. Es gab kein "Ich hab' dich immer geliebt.", kein "Sag' meiner Frau dass ich heute abend nicht zum Abendessen kommen werde." wie in schlechten (und guten) Hollywoodstreifen - die Kugel trifft, du stolperst ein zwei Schritte vorwärts, kippst nach vorne über und bist tot, plus ekelige Details. Kein Licht, kein Schatten, nur das abrupte Ende eines nichtmal halbwegs erfüllten Lebens. Ethan war wegen seiner Freundin gestorben. Verständlich auf eine romantische Art und Weise. Aber dumm. Sterben aus einem romantischen Grund war dumm. Und der fucking Irish Boy war ebenfalls dumm genug gewesen, um Ethan gehen zu lassen. Doch sie hielt sich zurück, dieses eine Mal würde sie sich zurückhalten und nicht ausfallend werden. Sie schuldete Alistair und den anderen diesen Anstand.
Tess hatte kurz innegehalten vom In-den-Boden-schlagen, um ihr zuzuhören. "Er hat sich abgeseilt bevor wir das Lager attackiert haben, ging ans Ufer des Flusses zu seiner Freundin.", jetzt warf sie Alistair einen durchdringenden Blick zu. "Ging aus eigenen Stücken. Wir konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abhalten.", dann wandt sie sich wieder Tess zu. "Haben ihn danach nicht mehr gesehen. Es tut mir leid, ich... ich übernehme dafür die Verantwortung." Sie blieb ein paar Sekunden lang einfach nur stehen und wartete auf eine Reaktion von Tess. Dob ging herum mit einer Schachtel Zigaretten. Doch jetzt zu schnorren wäre mehr als pietätslos gewesen.
Geändert von T.U.F.K.A.S. (07.09.2012 um 11:56 Uhr)
"Ethan ist höchstwahrscheinlich tot. Er hat sich abgeseilt bevor wir das Lager attackiert haben, ging ans Ufer des Flusses zu seiner Freundin. Haben ihn danach nicht mehr gesehen. Es tut mir leid, ich... ich übernehme dafür die Verantwortung." Seine Freundin? Meinte Yuki etwa Isa? „Habt ihr Isabelle gesehen? Lebt sie noch?“ Alistairs Blick wurde zu einem düsteren Gewitterhimmel. „Wir hätten ihn nich abhalten können ihr die letzte Ehre zu erweisen. Aber das Mädchen war tot. Angespült. Da war was in seinem Blick, das...“ Er blickte auf Josh und Noah. Und Tess verstand. Sie war traurig. Aber sie verstand. Ethan hatte Isa nicht einfach liegen lassen können. Genau wie Alistair Abby nicht hatte liegen lassen. Die Liebe ist doch eine der machtvollsten Kräfte der Erde. Auch wenn sie uns in den Tod reißt.
Tess blickte Ian nach seiner „ich liebe euch“-Nummer nur sprachlos an und langte sich mit entnervtem Stöhnen an den Kopf. Fawyers Worte waren viel sinniger. „Du hast Recht. Fang schonmal an zu packen Fawyer und komplettier deinen Anzug - wenn noch was in die Tasche geht, kannst du n paar weiße Sachen reinpacken? Vielleicht ist Terence mit dem Heli noch da draussen und wir können ein Ausrufezeichen am Boden auslegen oder sowas. Und Leute, selbst wenn wir ein Schiff kriegen – einer ist immer infiziert. Ihr habts im Hotel gesehen. Dann müssen wir vorbereitet sein.“
Tess biss die Zähne zusammen und blickte auf ihr Bein. Sie wollte nur von jemandem zugeflickt werden und schlafen. Aber das würde dauern.
Als sie wieder aufsah stand Ellen in der Uniform vor ihr und hielt ihr einen Stapel zusammengesuchter Kleider hin. "Die Gardeuniformen sind vielleicht in der jetzigen Situation etwas zu auffällig. Wir wollen ja keinen Schießstand für unsre eigenen Leute bieten. Und die an der Mauer wissen wohl inzwischen das wir nicht zu ihnen gehören." Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. "Danke Ellen. Du hast Recht... schaust du das der Rest auch aus den Klamotten rauskommt?" Ellen nickte mit einem leichten Lächeln.
~*~
Hugh... Clover... Ian und sie selber hatten noch die Uniformen an. Sie musterte Ian nach seiner Liebeserklärung an die Welt nur noch einmal mit abfälligem Blick - seine Stimmungshochlage ging ihr derbst auf den Zeiger. Und nach Yukis Erklärung hatte sie heftig Lust etwas oder jemanden zu schlagen. Ethan und Helena hatten trotz der Waffen nicht kämpfen wollen. Es hatte in dieser Truppe keinen Grund für sie gegeben weiterzumachen - nur einen um zurückzubleiben. Um zu sterben. Und das machte sie wütend.
„Ian, nur damit das klar ist: Für mich bist du das schwache Glied in unsrer Kette. Die Leute, die wirklich für jemanden ins Grab gesprungen sind, sind vielleicht nur deswegen tot weil wir dich hierher mitgeschleift haben. Oder sie sind tot weil sie lieber alleine gestorben sind, als mit dieser Freaktruppe weiterzuziehen. Heb dir das Sonnenscheinchen für dann auf, wenn wir aus der Hölle hier raus sind, Mann. Oder gehen dir die Toten wirklich so am Arsch vorbei wie es scheint?"
Es widerte sie an das Ian, der selbernannte Anführer, weiter über Leichenberge schritt und dazu noch den Nerv hatte "Hakuna Matata" zu singen. Als wären diese Menschen nie da gewesen. Aber er konnte sie wohl wirklich einfach vergessen, er hatte keinen ihrer Leute sterben sehen. "Mieser Feigling.", zischte sie ihm nur zu. In einem wortlosen Anfall von kaltem Zorn verpasste sie Ian gleichzeitig mit dem Gehstock einen heftigen Hieb auf den Arm, der ihm eine Strieme beschehrte. Obwohl Alistair sie augenblicklich am Arm festhielt, damit sie nicht umfiel, hielt er sie nicht zurück. Von Ian geliebt zu werden stand wohl eher nicht ganz oben auf seiner „Dinge-die-ich-tun-muss-bevor-ich-sterbe“- Liste.
~*~
Ian versuchte erst gar nicht auszuweichen oder ihr den Stock wegzuziehen, sein Arm schmerzte von dem Schlag. Aber das Grinsen ließ sich nicht aus seinem Gesicht treiben. Na komm, Ian! Sie hat viel getan und musste viel leiden. Sie hat die Wahrheit verdient. "Können wir kurz... ein paar Schritte...?", fragte er, fasste die Ärztin vorsichtig an ihrem Arm, was sie aber mit einem Ellbogenhieb kommentierte und selber neben ihm her humpelte. Bei jedem Schritt keuchte sie schwer und schmerzvoll auf. Als sie auf grasigen Untergrund kamen setzte er sich. "Ich glaube, dass ich Ihnen erzählen kann, was seit einer Woche in meinem Kopf vorgeht. Wollen wir uns setzen? Meine Beine sind... und Ihre wahrscheinlich auch..." Tess legte nur den Kopf schief, abwartend stützte sie sich schwer auf den Gehstock. Sich hinzusetzen tat mehr weh als zu stehen.
"Also... ich hoffe, Sie können mir folgen!", begann er und ließ die vergangene Woche vor seinem geistigen Auge an sich vorbeiwandern. "Du." Ian blickte kurz auf, als die Ärztin ihm ins Wort fiel. "Junge, wenn du mich nochmal siezt hau ich dir das Ding nochmal auf den Arm. Tess. Nochmal stell ich mich nicht vor. Also... erzählst du mir jetzt nochmal das deine Eltern dich nicht lieb hatten und das dein Heldenkomplex total verständlich ist und das du nur ne Waffe brauchst um den Posten dahinten alleine auseinanderzunehmen?" Er lächelte wieder und fuhr unbeirrt fort. "Ich hatte einen langen Flug hinter mir, war fix und fertig, als ich hier in Sydney ankam und wir uns alle in D52 trafen. Deswegen war ich nicht in der Lage dazu, irgendwelche sinnvollen Entscheidungen zu treffen. Was Isas Wahl angeht - es war blöd, ja, aber ich war nicht der Einzige mit dieser Idee." Er sah kurz hoch, in das Gesicht der Ärztin, als die grade die Augen verdrehte als er wirklich anfing alles von vorne aufzurollen. "Ich wusste nicht, wie gefährlich das alles wirklich war. Aber dann... dann kamen wir zum Schrottplatz. Wir hatten gesehen, was die Bedrohung ist. Die Zeit im Flughafen hat mir genug Möglichkeiten gegeben, um einen Eindruck von der Gruppe zu bekommen, mit der wir unterwegs sind. Als Isabelle dann an ihrem Anführertum zweifelte, wusste ich, was ich zu tun hatte." Er lachte kurz auf.
"Ich schätze mich selbst viel besser ein, als die meisten - inklusive Ihnen - hier glauben. Ich hatte für diese Gruppe nie etwas zu bieten." Nun... das konnte vielleicht doch ganz interessant werden. Tess Blick schwenkte von "genervt-und-geh-sterben" auf "mach hin und spucks aus" um.
"Ich bin kein Kämpfer, bin nicht schnell oder wendig und alles andere als geschickt. Ich hab 'nen ungewöhnlich hohen IQ und eine positive Ausstrahlung, die auf manche Menschen wirkt... und manche Menschen abstößt." Tess Hyänenlachen bellte kurz und leise durch die Luft bei den letzten Worten. Ja, das wurde jetzt wirklich interessant.
"Ich bin viel belangloser als jeder andere aus dieser Gruppe." Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde nicht weniger. Warum auch? Wir sind so weit gekommen. "Ich halte nichts von Anführern. Mir war aber bewusst, dass die Gruppe einen haben wollen würde... früher oder später. Also hab ich mich gemeldet. Nicht, weil ich glaubte, jemals ein guter Anführer sein zu können, sondern weil ich wusste, dass keiner der anderen Anführer sein konnte oder durfte. Wir haben beschränkte Haudrauf-Idioten, berechnende Pläneschmieder und Unschuldige. Ich war gar nichts davon, stellte nichts dar und war deswegen aus vielen Gründen am geeignetsten."
Tess knurrte als er die "Haudrauf-Idioten" erwähnte. Es war ihr egal, wenn er sie beleidigte. Aber die Kämpfer waren es gewesen die sie alle vor allem zusammengehalten hatten und hier raus gebracht hatten. Auch Dob, Abby und Andris hatten soviel für sie alle getan. Geflickt, was zu flicken war. Einen Weg gebahnt, bis einige wenige den Himmel wieder sehen konnten. Ian... er war sich nicht bewusst wie viel er den Toten schuldete. Und je mehr er von sich selbst sprach umso mehr sank er unter ihre Einschätzung von "Idiot" hin zu "Schießbudenfigur".
Er fuhr sich durch die Haare und warf einen Blick auf die Umgebung. Trotz der vielen Leichen wirkte alles so unbedrohlich und harmonisch im Morgenlicht. "Egal, wer den Posten übernommen hätte. Früher oder später gibt es durch Gruppendynamik immer Teile, die unzufrieden sind und den Anführer los werden wollen." Ja, klar die Rebellion der Gartenzwerge oder was? Wir hätten sicher Zeit dafür gehabt das durchzuziehen. Nicht. Idiot. Ich hätte ihn statt Dani vermöbeln sollen. Statt Dob. Beide Male. Ihm hätte das sicher was gebracht. Lebenserfahrung, yeah.
"Also ist es das einzig Richtige, denjenigen für den Posten zu verpulvern, der sowieso nichts beizutragen hat. Ich habe in der letzten Woche NIE eine wichtige Entscheidung getroffen... weil DAS meine Entscheidung war. Ich wollte die Gruppe vor Entscheidungen schützen, die irgendein Anführer impulsiv aus Wut, Angst oder sonst irgendeinem Motiv treffen würde. Für die einen war ich der Held, ohne wirklich etwas dafür getan zu haben. Aber sie brauchten eine Figur, von der sie glauben können, dass sie ein Held sei. Für die anderen war ich als feiger Kindergärtner ein Feindbild, ohne jemals schlechte Dinge getan zu haben. Aber diese Leute brauchten dieses Feindbild - und ich habe eine Vergangenheit, die mir beigebracht hat, als Feindbild zurechtzukommen, ohne daran kaputtzugehen... auch wenn es natürlich nicht immer einfach ist." Wieder ein kurzes Grinsen. Ja, toll Junge, du kannst dich jetzt weiter selber beschulterklopfen. Aber hei, ohne mich. Tess drehte sich bereits halb um um den jungen Mann einfach sitzen zu lassen. Dann sagte er, worauf sie wirklich gewartet hatte. Und sie blieb stehen.
"Es sind viele Menschen gestorben - und das tut mir ehrlich Leid."
Sie blickte ihm in die Augen. Aber er lächelte immer noch, seine Augen lächelten immer noch, er gestikulierte wie wild im sitzen und der kurze Moment dauerte nur zwei Wimpernschläge lang, dann kehrte er wieder zurück zu dem was ihm am wichtigsten schien: "Über-Ich" "Ich" und "Es". Ganz toll.
"Aber ich kann mich davon nicht runterziehen lassen, weil mich das kaputt machen würde. Menschen sterben immer, in diesen Tagen mehr als sonst. Und diese Menschen waren mir wichtiger als andere - einfach, weil ich sie kannte."
"Davon merkt man nicht viel.", stellte sie mit Grabesstimme fest.
"Ich zwinge mich dazu, das Positive zu sehen. Und das Positive ist, dass ein paar der Menschen noch leben und ich mir aus irgendeinem Grund sicher bin, dass wir es hier raus schaffen werden und ein neues Leben an einem Ort anfangen, der von dem ganzen Scheiß unberührt ist."
Er erhob sich und lächelte wieder. Selbstgefälliges Grinsen, das vergeht dir wenn ich dich hier lasse. Penner. "Vielleicht hört sich das für Sie arrogant an, aber... ich glaube, dass durch die ganze Anführersache - durch meine Entscheidung - die Dinge besser gelaufen sind, als es sonst der Fall gewesen wäre." Genug. Tess blitzte ihn wütend an. Und ihr Blick hätte wirklich jemanden töten können. Aber dazu war sie sich zu schade. Sie würde ihn zusammenbinden und hier im Kai verrotten lassen. So ein anmaßendes feiges Jüngelchen. Ihre Hand krallte sich um den Lauf des Gewehrs, bis sie weiß wurde. Sie war stinksauer. Aber Ian redete munter weiter, berauscht von sich, seiner großartigen Arbeit für das Volk und all den Lügen die er solange aufrecht erhalten würde, bis sich die Gelegenheit bot den übrigen seine moralische Flexibilität zu zeigen.
"Für die Intensität der Situationen, in denen wir uns befanden, sind relativ wenige aufeinander losgegangen. Das sind nur Spekulationen - aber ich weiß nicht, was möglicherweise passiert wäre, wenn Alistair seine Wut nicht an meinem Gesicht hätte auslassen können." Wieder ein spontanes Auflachen. "Oder wenn Sie... ich meine du... nicht meinem Bubbles den Kopf abgeschnitten hättest. Die Umstände sind scheiße - aber meine Einstellung ist: Es hätte schlimmer laufen können. Auch, wenn Miss McAldrin den Glatzköpfigen geopfert hat und... irgendwer Axel auf dem Gewissen hat."
Ian spürte, wie sich der Blick von Tess veränderte. Sie starrte nachdenklich auf seine Schuhe. wenn Alistair seine Wut nicht an meinem Gesicht hätte auslassen können. Ich hab doch genauso gedacht. Eine Zielscheibe darstellen. Wenn man sonst nichts tun kann, wenigstens die Aufmerksamkeit, die Wut der andren auf sich selber lenken. Wäre, wenn Niki nicht in ihrer Truppe gewesen wäre und Dani zurückgeblieben wäre, sogar das Risiko eingegangen alleine mit Helena den Wachposten zu durchschreiten. Nachdem sie ihr klar und deutlich gesagt hatte, was sie von Verrätern hielt. Damit sie den Krüppel niederschießt und kein unschuldiges Kind. Damit die blinde Wut ein Ziel findet. Hatte Ian wirklich soweit gedacht? Sie blickte ihn mit andren Augen an. Abschätzend.
"Apropos! Auch ich hätte jemanden sabotieren können. Die Gelegenheiten dazu gab es oft und es wäre einfach gewesen, weil keiner etwas gemerkt hätte. Aber ich hab' es nicht getan, weil ich nur der knuffige, süße Kindergärtner bin, dessen Hemmschwelle durch den Mord damals nicht gesunken, sondern nur noch mehr gestiegen ist. Und ich bin inzwischen ziemlich stolz darauf, dieser Mensch zu sein." Tess Griff löste sich von der Waffe, die um ihre Schulter hing. Sie blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann legte sie ihre Hand auf seine Schulter und klopfte dreimal mit Nachdruck darauf. "Das hast du aber fein gemacht. Guter Junge. Komm, vielleicht haben die Kids noch nen Lolli für dich." Sie grinste ihn kurz an, was aber mit dem blauen Auge ziemlich schaurig aussah. Dann humpelte sie zurück zu den andren, vorbei an Fawyer der zwischen den Koffern nach Kleidung suchte und eben einen schicken Anzug fand. Im weggehen redete sie weiter mit Ian, was ihn dazu zwang hinter ihr her zu laufen. "Und Ian? Das nächste Mal wenn du mir deine Gedankengänge aufschwatzen willst, spar dir den Ausflug auf den Grünstreifen und red einfach nur. Mein Bein tut scheißeweh. Nur falls dir das nicht aufgefallen ist, während du dich in deinem Spiegelbild bewundert hast."
Zurück bei den andren murmelte sie nur. "Alistair wars nich. Ian wars nich. Dob wars nich. Die Sache mit Axel bleibt wohl für ewig ein Rätsel, ausser einer von euch würde gern ne Beichte ablegen. Aber für heute hab ich genug Sherlock gespielt, will wer übernehmen? Und ist noch was von den Schmerzmitteln da oder haben Yuki und Fawyer alles vernichtet?" Dob saß megaentspannt mit Sonnebrille und weißem Shirt wie eh und je am Boden. Mit einem Joint. Hölle ja. Tess ließ sich mit dem Rücken an seinem Rücken nieder und griff nach hinten, als er ihr den Joint reichte. "Hallo Doc. Die Spannung zwischen dir und Ian könnte man eventuell nutzen um den Akku von dem Funkgerät aufzuladen. Lässt du mich dran basteln? Die Kutter dahinten taugen nichtmal für Feuerholz." "Vergiss es Dob. Meine Spannungen halten mich über Wasser, was würd ich denn tun wenn ich keinen mehr von euch anzicken könnte?" "Naja, ich wüsste da so einige... Stellungen..." Er verschluckte sich vor dem leise gehaltenen Lachen und klopfte sich grinsend auf die Brust.
Tess Blick verschwamm, als sie die Namen auf Yukis Brust noch einmal durchlas. Immer wieder zogen einzelne Namen ihr Auge auf sich. Die Metallmarke an ihrer Brust fühlte sich an wie ein Mühlenstein um ihren Hals. Der eine Zug am Joint war schon wieder verflogen, wie der Morgennebel aus der Bucht. Der Schmerz in ihrem Bein ließ nicht nach, also wickelte sie eine zweite Verbandsschicht über die erste.
So viele hatten ihr Leben für sie gelassen. Es durfte nicht umsonst gewesen sein. An der Bar ist immer ein Platz für euch. Wir sehen uns dort. Ihr werdet nicht vergessen werden. Kein einziger. Versprochen. Aber ihr müsst verstehen... ich kann nicht mehr tun, als ich getan habe. Ich habe alles gegeben – und werde auch weiterhin alles geben. Mehr kann ich nicht tun.Dobs plötzliche Anzeichen von etwas anderem als der Lebenslust bestärkten sie nur in diesem Gedanken. Keiner von ihnen würde unverändert hier rausgehen. Aber sie konnten versuchen das Beste daraus zu machen. Den Toden das Gewicht zu geben, das ihre eigenen Leben bereichern würde. Dani... danke. Ich weiß das es dich furchtbar ärgern würde und du würdest mir nochmal die Nase brechen, wenn ich dir sage was ich vorhab. Aber dann... würdest du verstehen. Oder du wüsstest es, wenn ich dich jetzt so ohne Worte anschaue. Das auf mich eben keine große Liebe am Ende des Weges wartet. Nichtmal für einen kurzen Moment. Das war dein Weg. Nicht meiner.
Tess humpelte dorthin zurück, wo Fawyer noch über einigen Koffern kniete und zog drei Lederkoffer die identisch mit dem waren, mit dem sie den ADF-Infizierten erledigt hatte, heran. Sie waren mit Zahlenschlössern versehen, aber ... wenn das Schicksal es gut meinte, dann würde sie den Diamanten von Wellerson nicht lange hinterhertrauern. Mit den drei Koffern in einer Hand und dem Gehstock in der anderen stakte sie zum Iren. Sie blieb stumm stand abseits, als Leo und die beiden Jungs über Alistair krabbelten und Tränen flossen. Langsam zog sie das Uniformhemd aus und schlüpfte in die weiße Bluse, die ihr Ellen gegeben hatte. Dann holte sie endlich das Funkgerät aus ihrer Tasche hervor, die grüne Kontroll-LED leuchtete hell.Wie wichtig war es jetzt noch Axels Mörder zu finden? Und konnten sie das überhaupt? Nein konnten sie nicht. Sogar Alistair könnte sie anlügen - und sie würde ihm glauben, allein weil sie es musste. Sie mussten zusammenhalten. Bis sie auf andere trafen. Es ist genug. Hör auf mit ihrer Hoffnung zu spielen, du Kontrollfreak, nur damit du deine Gerechtigkeitsphantasien ausspielen kannst, und gib ihm das Funkgerät schon. Clover und Ian standen ein Stück abwärts. Dob schien in Gedanken versunken, er blickte in Richtung des Paares. Katastrophen machen aus einem keine Kampfmaschinen. Sie machen aus einem ein sinnentleertes Wrack - zurück bleibt wohl nur die Frage Warum. Waren sie besser gewesen als die Toten? Hatten sie etwas besonderes an sich? Stand ihr Schicksal unter einem andren Stern? Sie wusste keine Antworten. Aber sie wusste, das sie Dobs Grinsen wieder sehen wollte. Tausendmal lieber als dieses leere Gesicht, das sie allein zum weinen brachte.
"Erst mal müssen wir schauen, wie wir von hier wegkommen.", bemerkte Joshua. Mein Stichwort. Tess humpelte an die Gruppe heran und klopfte sacht gegen Alistairs breiten Rücken. "Joshua hat recht. Wir sollten los. So wie es aussieht kommen eben alle mit. Egal ob... ja. Alle kommen mit. Sherlock Holmes hat wohl heute zum ersten Mal keinen Fall gelöst. Zuwenig Indizien und ausserdem war er wohl in denkbar schlechter Verfassung. So ganz ohne seine Violine kann er wohl auch nich nachdenken. Das kann man ihm nicht krummnehmen.“ Sie blickte traurig aufs Meer hinaus, klopfte nachdenklich mit den Fingern auf den Griff des Gehstocks. Ihr Herz wollte Gerechtigkeit, aber sie war keine Juristin und nach der Bombardierung von Schanze 2 würde es keine Spuren geben, die verrieten wer Axel ermordet hatte. Also … würden sie alle gehen. Egal ob es ihr gefiel oder nicht. Sie hielt Alistair das Funkgerät mit ausgezogener Antenne hin.
„Na los, Alistair, bring uns alle hier raus. Das Funkgerät ist mit dem Dampfer verbunden so wie ich das sehe. Sag ihnen das wir hier sind und das die Garde keine Leute durch die Absperrung lässt – vielleicht können wir denen, die zurückgeblieben sind, noch Hilfe schicken. Aber sie zu das die Kerle auf der andren Seite wirklich die ADF-Leute sind – im besten Fall kennen die deinen Namen ja schon - und keine Japaner. Aye?" Alistair konnte sich inzwischen, abgesehn vom Alkohol und den Zigaretten, um sich selbst kümmern. Immerhin sprach er nicht mehr mit sich selbst und seine Suiziddrohung am Schrottplatz war die letzte gewesen – er hatte jetzt einen Grund weiterzumachen. Und die Kinder hätten einen Platz. Das war doch etwas gutes.
„Wenn... wenn danach noch Saft drauf ist, würde ich gern nochmal versuchen Reed, Terence und Sarah zu erreichen. Okay?“ Sie hatte den kurzen Moment mit der Koffersuche dazu genutzt ihrer eigenen Zukunft ins Auge zu sehen. Es war mehr als nur Dobs Wandel. Aber er war auch mit ein Grund weshalb sie hier in Australien bleiben wollte und das Rätsel, das ihr Team zerrissen hatte, lösen wollte. Und ihr Versprechen an Dani. Und damit auch das stumme Versprechen, die letzte Aufgabe, die mit Michails Marke verbunden war - sie würde sie seiner Familie zurückbringen, sobald sie es konnte.
„Du Leo? Magst du mir den Namen von deinem Papa sagen? Vielleicht hast du ja auch noch ein Bild von ihm? Weißt du, ich werde den Leuten hier helfen die wütenden Toten zu besänftigen. Und vielleicht macht Yuki ja wieder Radio und wir können deinem Papa dann sagen das du bei Alistair bist und wo er dich finden kann. Und auch wenn jemand anderes hier in Australien liebe Freunde oder Familie hat, nach der ich die Augen aufhalten kann wenn es für mich hier an die Arbeit geht – schreibt mir auf was ihr über sie wisst und sagt wo es für euch hingeht. Ich … versuch mein Bestes um … meinen Job gut zu machen.“
Einen Lederkoffer mit Geld stellte sie hinter den Iren. „Nimm den hier und mach nen Gedenkpub auf, damit wir auf unsrer Seite auch eine Bar haben wo wir einen heben können, okay? Ich … besuch euch mal in Irland. Vielleicht am 1. Juli, der Tag an dem uns allen zum zweiten Mal das Leben geschenkt wurde – weil wir überlebt haben.“ Die Sonne ließ die Tränen auf ihrem Gesicht schimmern wie Tautropfen in einem Spinnennetz. Tess würde tun was sie am besten konnte – einen guten Job machen. Ein einsames Leben führen, das einer Leidenschaft gewidmet war. Denn nur so wird man zu einem der Besten und kann etwas bewirken. Und wenn ichs nicht tue, wer dann?
Sie wischte trotzig die Tränen fort und langte dann in ihren Rucksack - in ihrer Hand lag das Letzte, was sie nach dieser Reise nun noch besaß. "Noah? Ich möchte das du das hier bekommst. Vielleicht... vielleicht denkt ihr ja ab und zu an mich. Ich würde mich freuen und ich wüsste keinen besseren, der sich mein Lieblingsmesser mehr verdient hat. Sorg dafür, das Josh und Alistair nicht zuviel Unsinn anstellen, ja? Keine unnötigen Kämpfe - das muss man Iren zweimal so oft sagen, wie anderen Leuten." Ein riesengroßes, gut gepflegtes Schweizer Taschenmesser mit unendlich vielen Werkzeugfunktionen, die nur darauf warteten entdeckt und benutzt zu werden, lag nun schwer in der kleinen Kinderhand. Man soll Kindern ja keine Waffen geben ... aber Noah ... vielleicht würde einer aus der Gruppe die grimmige Frau Doktor nicht vergessen. Sie hoffte es. Hoffte es sehr.
So glücklich hatte sich die Kleine schon lange nicht mehr gefühlt. Das war das reine, ungetrübte, unschuldige Glück eines Kindes, das wusste, dass es eine gute Zukunft haben wird, komme, was da wolle. Auf Noahs süße Trostversuche hin löste sich Léo von Onkel Alistair und kicherte, was momentan mehr nach einem komischen Schluckauf klang, als sie sich die Tränen vom Gesicht und aus den Augen wischte.
Natürlich dschungeln wir dann herum, und wir werden den schönsten und größten irischen Tiger der Welt fangen!
Ganz fest zog sie den kleinen Jungen an sich und schwankte mit ihm leicht, als sie sich vom Schoß des Iren erhob und sich zu Josh hinhockte. Schon wieder spürte sie, wie ihre Wangen heiß wurden, sie verstand einfach nicht, warum das gerade bei ihm passierte. Er sah schon deutlich besser aus, in seinen braunen Augen spiegelte sich die aufgehende Sonne.
Wir finden zusammen bestimmt ganz schnell einen Weg hier weg, das weiß ich. Uns kann sich nichts in den Weg stellen! …Ach, ich hab Dich echt lieb, Josh
Das letzte rutschte ihr eher aus Versehen heraus, doch kam es aus tiefstem Herzen. Lange umarmte sie ihn, bis sie schließlich dem Iren noch einmal, diesmal lachend um den Hals fiel.
Ich werde der allerbeste Kobold sein, das verspreche ich Dir! Und ich finde jeden Goldtopf der Welt und schenke ihn Dir!
Gerade stand sie auf, als Tess zu ihnen trat und Onkel Alistair eins von diesen Sprechdingern in die Hand drückte etwas davon sagte, dass sie Reed und die beiden andern anfunken wollte und noch ganz viel anderes. Dann richtete die Ärztin das Wort an sie:
„Du Leo? Magst du mir den Namen von deinem Papa sagen? Vielleicht hast du ja auch noch ein Bild von ihm? Weißt du, ich werde den Leuten hier helfen die wütenden Toten zu besänftigen. Und vielleicht macht Yuki ja wieder Radio und wir können deinem Papa dann sagen das du bei Alistair bist und wo er dich finden kann.
Léos Augen begannen zu leuchten, und sofort suchte sie in Álvaro nach dem Katzenportemonnaies mit ihren liebsten Bildern. Unsacht schob sie das Wackelbildes eines kleinen Pandas mit Blume und Riesenglubschern weg und fand schnell zwei Fotos von ihrem Papa. Das hübschere der beiden behielt sie bei sich, ihr Papa hatte das extra für sie gemacht, doch auf die Rückseite des anderen schrieb sie mit Ians Kuli schnell etwas, bevor sie es Tess strahlend überreichte:
Das ist mein Papa! Er heißt Fransisco Arellano-Felix, ich hab’s auch hinten nochmal hingeschrieben. Und das ist sooo lieb von Dir, Tess! Aber kommst Du wirklich nicht mit uns mit? Sie zog eine Schnute.
Tess schüttelte den Kopf, woraufhin auch sie eine feste Umarmung der kleinen Mexikanerin erhielt: Ich werde Dich soo vermissen, aber nie vergessen, versprochen! Du bist eine ganz, ganz tolle Frau, was Du alles für uns gemacht hast! Ich hab nur leider gar nichts, was ich Dir dafür geben könnte… Doch da fiel ihr etwas ein. Aus Álvaros Tiefen erschien eine große Packung Gummibärchen, die sie Tess in die Hand drückte.
Dann hast Du was zum Naschen, wenn mal alles doof ist und den Leuten, denen Du helfen willst, gefällt das bestimmt auch, falls Du ihnen was davon abgeben willst!
Noch ein Lächeln, dann entfernte sie sich von den vieren, um auch ihr anderes Dankesgeschenk abzugeben. Auf dem Weg zu Dob sah sie Fawyer, und da fiel ihr etwas Wichtiges ein. Sie rückte ihr Diadem auf dem Kopf zurecht und stellte sich breitbeinig vor ihm hin:
Hey Du! Wir haben noch nie miteinander geredet, aber ich hab Dich immer mit im Auge gehabt und dabei was rausbekommen. Nämlich, dass, auch wenn Du oft so brummig aussiehst mit Deinen Augenbrauen und Deinem Riesenknalldingens, Du aber eigentlich, wenn Du willst, das Herz der Leute richtig erweichen kannst (Charismat), jawoll! Und ich hab gesehen, dass Du im Hotel mal genau so ein hübsches Diadem in der Hand hattest, wie mir Cyrillus (Dieb) geschenkt hat! Also zieh die Augenbrauen nicht immer so dicht zusammen, dann sieht das aus, als hättest Du nur eine!
Sie musste kichern, winkte ihm dann zu und machte sich zu Dob. Verlegen tippte sie ihn und er wand sich mit erhobener Braue zu ihr um. Hoffentlich war er nicht sauer, weil das solange gedauert hatte…Eine Papiertüte erschien in Léos Händen, aus der sie ein Tütchen mit Pulver und eines mit kleinen Splittern entfernte. Papa würde furchtbar wütend werden, wenn alle seine Süßigkeiten auf einmal weg wären. Doch den Rest überreichte sie Dob.
Hier, wie versprochen, die Süßigkeiten von meinem Papa. Er ist der beste Süßigkeitenmacher auf der ganzen Welt und super berühmt in Mexico und auch etwas in den USA. Aber bei den Karamellsplittern musst Du aufpassen, Papa sagt immer ‚Das Zeug katapultiert Dich in eine andere Galaxie’. Ich hoffe, sie werden Dir schmecken!
Eine kleine, liebe Umarmung folgte.
Einerseits voller Freude, andererseits mit etwas mulmigem Gefühl machte sie sich auf zu Clover, Ian und Niki, der bei ihnen saß. Zu Letzteren begab sie sich zuerst und hockte sich vor ihn hin: Niki, Du guckst ja gerade genauso traurig wie Riley. Du hast ihn auch gemocht, oder? Aber Du musst Dir keine Sorgen machen, ihm und Cyrillus und Helena geht es bestimmt gut. Ein wenig kramte sie in ihrem Affen herum. Inzwischen hatte sie fast alle ihre Geheimnisse mit den Lieben hier geteilt. Sie zog das Pfefferspray hervor.
Ich weiß, dass ist jetzt komisch, aber ich habe das bekommen gegen böse Leute und ich möchte es Dir gegen Deine bösen Gedanken geben. Aber wenn Jemand zu Dir böse ist, kannst Du das natürlich auch dafür benutzen. Am besten in die Augen. Also seine, nicht Deine.
Sie struwwelte ihm grinsend durch die Haare. Mit allem Mut stand sie auf und ging zu der Sängerin und Ian, von dem sie nun überzeugt war, dass er böse war. Entgegen ihrer Erwartungen lächelte er bei ihrem Anblick und drückte sie an sich. Da war gar nichts Böses, überhaupt nichts. Tränen bildeten sich in ihren Augen, doch dann erinnerte sie sich an das Ohhhhhh, please give Ian a smile und sie konnte gar nicht anders, als zu lächeln. Er war also doch immernoch der tolle, liebe Ian, auch wenn er, wie sie nun sah, ziemlich mitgenommen von allem aussah. Sie erinnerte sich daran, wie er sich mit Onkel Alistair gezofft hat und deshalb würden die beiden bestimmt nicht mit ihr nach Irland kommen wollen.
Léo wand sich zu Clover, umarmte sie herzlich und griff dann nach Campanilla, die zwischen Álvaro und ihrem Rücken eingeklemmt war. Sie hatte lange überlegt, ob das gut war, doch nun war sie sich sicher, dass es genau so sein musste. Campanilla wechselte von ihren in Clovers Hände.
Weißt Du, was Campanilla heißt? Es heißt Glöckchen auf mexikanisch und als ich musste daran denken, seit Du mir gesagt hast, wie Dein Schäfchen heißt, dass immernoch in der Halle gehört. Und das kann ja kein Zufall sein, deswegen soll sie jetzt bei Dir bleiben. Campanilla ist zwar eigentlich Papas Glücksbringer, aber Du hast mir ja gesagt, dass das okay ist, wenn sie nicht bei ihm ist, weil sie noch mehr Glück bringt, wenn sie bei mir ist und jetzt, wenn sie bei Dir ist, soll sie Dich an mich erinnern, damit Du mich niemals nicht vergisst, ja? Das ist dann bestimmt mindestens dreimal soviel Glück für Papa! Sie strahlte sie an, dann kamen ihr doch die Tränen und sie drückte sich wieder an ihre Rothaarige Freundin. Ich hab Dich so lieb gewonnen, Clover, ich wird so traurig, wenn ich Dich nicht mehr sehen werde…
Ein paar Augenblicke grub die Kleine ihr Gesicht in die Bauchgegend Clovers, dann löste sie sich von ihr, schaute Ian und Clover über beide Ohren grinsend an
Aber ihr müsst mir verprechen, dass ihr mir irgendwie Bescheid sagt, wenn ihr heiratet, damit ich vor Clover dann Blumen ausstreuen kann, ja?
Sie klatschte in die Hände, zog beide nochmal zu sich heran und knuddelte sie auf einmal, so gut es eben ging. Beide bekamen dann noch einen fetten Schmatzer, Álvaro verabschiedete sich tränenreich (soweit seine Augen das eben konnten) von Campanilla. Lachend, aber trotzdem schweren Herzen drehte sie sich um, und rannte zurück zu Alistair und den Brüdern. Das war kein Abschied gewesen, nur eine Versicherung, dass man sich bald wiedersehen würde.
Léo löste die Spange und ließ ihre Haare im Wind wehen, als sie wieder bei den Dreien angekommen war. Sie blickte hinaus aufs Meer, zum Horizont, über dem sich die aufgehende Sonne mit dem wunderschönsten Licht erhob, das je Menschen zu Gesicht bekommen haben.
Léo wusste, dass es ein wunderschöner Tag werden würde.
Alistair stand auf und schaute Tess in die müden Augen. Dann griff er ihren freien Arm sodass seine Hand ihren Unterarm griff und ihre Hand den seinigen. Er grinste breit und zeigte dabei die Zähne.
"Danke, Tess, egal was irgendjemand sagt, du bist volkommen in Ordnung. Mit deiner Hilfsbereitschaft und deiner Ehrlichkeit hast du dir mit mir einen wahren Freund gemacht. Egal was es ist, egal was du brauchst. Ich werd immer zur Stelle sein, wenn du Hilfe brauchst, und du wirst immer bei mir Willkommen sein, egal wo das sein mag."
Für eine Sekunde überlegte er, dann umarmte er die verblüffte Ärztin kräftig und klopfte ihr brüderlich auf den Rücken.
"Zudem bin ich dir noch Hilfe schuldig."
Tess schaute ihn noch etwas verwundert an und schüttelte sich dann.
"Solange du einmal am Tag an mich denkst ist das in Ordnung. Manchmal reicht es eben, wenn man im Geiste bei jemandem ist."
Sie grinste zurück und stützte sich dann kurz mit Schmerzverzerrtem Gesicht auf den Gehstock.
"Außerdem hast du mir ja schon einen sicheren Hafen angeboten. Solange ich das im Hinterkopf habe, bin ich zufrieden.", presste sie zwischen zusamen gebissenen Zähnen hervor, "und bevor ich es vergesse. Auch wenn du nicht der gläubige Typ bist, werd ich ab jetzt jeden Tag nen kleines Gebet zu einem Freund da oben hochschicken, er solle dich doch trotz deiner Ungläubigkeit trotzdem zu uns an die Bar schicken, wenn es mal mit uns allen zu Ende geht."
Alistair schüttelte lachend den Kopf und klopfte ihr noch einmal vorsichtig auf die Schulter.
"Mach das", sagte er und zwinkerte ihr zu.
Als sich der Ire umsah erblickte er plötzlich den kleinen Niki, der zusammengerollt auf dem Boden lag.
Alistair seufzte und stapfte dann auf den Jungen zu, um vor ihm in die Hocke zu gehen. Vorsichtig legte er ihm die große Hand auf den Rücken und beugte sich ein wenig zu ihm runter.
"Hey Niki, alles klar?", fragte er.
Der Kleine schaute traurig zu ihm hoch und dann wieder auf den Boden.
"Wenn all das hier vorbei ist, dann ... dann werde ich wieder alleine sein."
Dieses Gefühl war ihm nicht unbekannt, deswegen konnte er mit Niki mitfühlen.
"Nein", sagte er dann bestimmt und setzte den Kleinen auf, "wirst du nicht, verstanden?"
Zuerst hörte es sich noch so an, als wäre er verärgert, jedoch als Niki ihn ansah, lächelte Alistair und nickte ihm zu.
"Mein Angebot steht immer noch. Irland wird jederzeit für dich offen sein. Du bistn tapferes Kerlchen, hast am Schrottplatz dein Leben für uns aufs Spiel gesetzt. Und selbst wenn du das nicht getan hättest", er blickte kurz zu Tess, Keiner wird zurückgelassen, dann grinste er Niki an, "Keiner wird zurückgelassen. Du mist nicht mehr alleine sein. Ich werd für dich immer einen Platz freihalten."
Das ließ den Iren einen Augenblick lang nachdenken.
Keiner wird zurückgelassen. Das gilt für alle, nicht nur für die mit denen er klar kommt. Nachdenklich blickte er in die Runde der Überlebenden und stand dann auf, dem Kleinen auf die Beine aufhelfend und tätschelte ihm den Kopf.
"Komm, geh zu den anderen rüber an die Hafenbucht. Meine Jungs und auch Leo können dich gut leiden, die sind allesamt in Ordnung und werden dich schnell in ihre Runde aufnehmen. Du musst nicht alleine sein."
Dann ging er auf den Rest der Leute zu, atmete tief ein und aus.
"Hört mal Leute, wenn das hier alles vorbei sein sollte dann", er nahm die Mütze vom Schädel und kratzte sich am Kopf, "seid ihr alle auf meiner Insel willkommen. Laut Willys letztem Bericht ist Irland frei von Zombies, und ich will niemandem die wunderschöne grüne Insel verwehren. Ich hab vor zurück dort angekommen nen paar Kumpels von mir zu besuchen und, ich weiß nicht genau, werd nen Pub eröffnen, zu Ehren all jener die uns auf dieser Reise begleitet haben. Falls der ein oder andere nicht weiß, was er hier nach mit sich anfangen soll, ich werd für jeden ne gescheihte Arbeit finden."
Er blickte noch einmal zu Ian hinüber und seufzte dann.
"Und damit mein ich wirklich jeden, jeder ist auf meiner Insel willkommen."
Dann setzte er sich die Mütze wieder auf, stapfte an seinen alten Platz zurück und holte das Funkgerät aus der Hosentasche. [Wird Zeit sich zu revanchieren meine Freunde.]
Noahs Augen wurden groß, als Tess ihm das Messer überreichte. "Oh" hauchte er andächtig, "Das ist wirklich wirklich für mich?", er schloss seine kleinen kräfigen Finger darum und hielt es wie einen Schatz. Im nächsten Moment hing er an Tess, die unter dem Gewicht ächzte. Joshua trat dazu und umarmte die Ärztin ebenfalls.
"Vielen Dank für alles! Wir sehen uns dann ja in Irland, nicht? Stimmt doch, oder?" Zu ihrer Überraschung bemerkte Tess, dass Noah weinte. "Ich werde euch alle so vermissen!"
Er hielt sie noch eine Weile fest und raste dann zu Clover, die glücklich neben Ian stand. Clover, die erste Person, die ihn in Sanders Unterschlupf angesprochen hatte. Sie hatten danach keinen Kontakt mehr miteinander gehabt, aber diese freundliche Geste würde er ihr nie vergessen.
Noah umarmte erst Clover und dann der Vollständigkeit halber auch Ian auf Bauchnabelhöhe. "Ich wünsche euch alles alles Gute! Ich hoffe, wir sehen uns wieder!" unter Tränen lächelte er zu den beiden hoch. "Danke für die Schokolade", wisperte er. Dann rannte er wieder zu den anderen.
Josh lächelte Tess dankbar an und wandte sich dann Léo zu, die sich verabschiedet hatte und nun auf die kleine Gruppe um Alistair zuhielt. Sie hatte ihre Spange gelöst und die braunen Locken wehten im Wind wie ein Schleier. In Joshs Kopf formte sich die Erkenntnis, dass sie jetzt wirklich bei ihnen bleiben würde und das erfüllte ihn mit großer Freude. Er nahm ihre Hand und winkte Niki zu, der noch etwas unsicher herumstand. Alistair nahm das Funkgerät entgegen, dass sie hoffentlich alle in Sicherheit bringen würde. Joshua hielt Léos Hand noch etwas fester.
Sie hatten es wirklich bis hier her geschafft. Sie würden nach Irland gehen, mit diesem verrückten, großartigen Kerl, der sich Alistair nannte. Er würde auf sie aufpassen, daran zweifelte Josh keine Sekunde. Auch wenn er sich ein wenig Sorgen darum machte, ob drei Kinder auf Dauer nicht ein bisschen viel waren für einen Mann, der den Großteil seines Lebens in Freiheit und Einsamkeit verbracht hatte. Trotzdem, niemand könnte sie besser verstehen als er und der Ire hatte mehrfach bewiesen, dass er sein Wort hielt.
Und dann waren da ja auch noch Léo und Noah und er. Sie konnten gegenseitig auf sich aufpassen, das hatten sie bewiesen. Noah und er hatten den Weg zu Sanders Unterschlupf ganz alleine bewältig, ja, sie waren schon groß! Und wenn Alistair ihm erst einmal das Kämpfen beigebracht hatte und Noah ein richtiger Handwerker war, dann waren sie noch größer.
Und zur Not würden die drei eben auch mal ein bisschen auf Alistair aufpassen. Auch Erwachsene brauchten das manchmal. Ein bisschen. So, dass sie es nicht direkt als Hilfe erkannten. Eine Umarmung, der richtige Satz im richtigen Moment... machmal musste man sie an Dinge erinnern, die man mit dem Erwachsenenalter vergaß. Wie man aus einem Baum einen Dschungel macht, zum Beispiel, oder einen Kuchen aus Sand. Wie aus einem Stock ein Schwert werden konnte und warum Kuscheltiere trösten können.
Sie würden Alistair daran erinnern, wenn er es brauchte und er würde es verstehen.
Josh spürte, wie Noah seine freie Hand nahm, noch feucht von den Tränen, die er sich aus dem Gesicht gewischt hatte und die Brüder lachten leise, vor Vorfreude, vor Aufregung und vor Hoffnung.
Es war das erste mal seit vielen Tagen.
Der Ire lockerte sich, ließ die Halswirbel eins zwei mal klacken und hob dann das Funkgerät zum Mund.
Joshua, Noah, Leo und Niki standen neben ihm und schauten gebannt zu ihm hoch. Er lächelte zu ihnen runter und wuselte dabei den Kindern durch die Haare.
Dann räusperte er sich und versuchte Kontakt mit dem Schiff aufzunehmen: [Funkkontakt herstellen, Stationsaufgabe beginnen]
"Hallo? Hallo? Hört mich jemand? Wir sind eine Truppe von 15 Überlebenden, die an der Garden Island Ferry Station stehen. Wir haben vom hinstersten Schiff die US- und die ADF-Flagge gesehen, vielleicht kennt einer von euch Leuten meinen Namen ja. Ich hab einigen in der Pharmacy bei der Ecke Crownstreet / Cleevelandstreet geholfen und sie vor dem Bombardement in den Keller geschickt, vielleicht haben sie sich schon bei euch gemeldet? Schöne Grüße von eurem Iren Kumpel Alistair. Und ho, wenn ihr dabei seid und noch Militärleute über habt, sagt denen das die Garde hier an der Mauer die Zivilisten erschießt - wir sind nur unter heftigen Verlusten an den Kai gekommen. Könnt ihr uns holen?"
Taten und Handlungen sind wie kleine Kiesel auf der Wasseroberfläche des Lebens.
Jede Tat verursacht kleine Kreise, große Taten werfen Wellen, die an jedem Ufer eines Sees noch gespürt werden können.
Und obwohl die Katastrophe die Überlebenden oft gezwungen hat Kiesel zu werfen, war es doch immer ihre ureigene Entscheidung, wie hart sie die Steinchen in den See werfen würden.
Zu was hatte der Überlebenskampf geführt? Was hatte er aus ihnen gemacht? Konnte er Herzen vergiften oder retten?
Würde ein kleiner Funkspruch ausreichen, das Ausmaß aller moralischen Dilemmas zu durchleuchten?
Das schwere, tiefschwarze, klobige Funkgerät schien mit der Macht eines Richters über die Flüchtlinge zu Gericht zu sitzen. Nachdem sie in das Gerät gesprochen hatten, war Rauschen die einzige Antwort, es schien, als würde der Kosmos schweigen und nachdenken.
Ein weißes Rauschen das Bauchschmerzen und Zweifel mit sich brachte, das Hoffnung und Enttäuschung mit sich führte. Ein Rauschen von dem das Leben ihrer ganzen Gruppe abhing, nachdem Mut, Stärke und Intelligenz bewiesen worden waren.
Aber vor allem war es ein Rauschen welches zu lange andauerte.
Viel zu lange...
Riley starrte das kleine Funkgerät in seiner Hand nur wenige Augenblicke an. Die Stimme dort, blechern und verzerrt, doch wohlbekannt, verursachte ihm Herzklopfen der Erleichterung.
Sein Blick fiel auf den Priester Cyrillus, der mit seiner riesenhaften Statur zwar furchteinflößend wirkte, dessen sanftes Lächeln aber den Neuankömmlingen noch immer Mut und Zuversicht versprach. Sein Finger zuckte. Es wäre zu einfach, fast schon wunderschön, die Anderen wissen zu lassen, dass sie Beide noch immer lebten. Dass sie sich keine Sorgen machen mussten, weil in Sydneys lodernder Glut noch immer zwei Herzen schlugen. Doch Riley wusste mittlerweile, dass trotz aller Streitereien und Boshaftigkeiten, die guten Seelen der Gruppe nicht eher würden Ruhe geben, bis sie einen Trupp entsenden konnten, Cyrillus und ihn hier fortzuholen und zu „retten“- wie sie es nennen würden.
Doch was immer das Schicksal auch für Fährnisse und Schrecken bereit hielt – diesmal hatte es Würde und Weisheit bewiesen, denn er spürte, dass sie als zwei Versprengte hier am richtigen Ort waren.
Also beschloss er zu schweigen. Den Priester und sich selbst für tot erklären zu lassen und nur noch in den Herzen ihrer Überlebenden als Geister und Erinnerung weiterzuleben. Ausgeschmückt durch die Erzählungen ihrer Taten zu „Lebzeiten“. Aber es gab eine Sache, die Riley für die tun konnte, die so lange an seiner Seite gestanden hatten und mit Cyrillus das Tal der Tränen durchwandert hatten.
Das Signal ihres Funkspruches war nur schwach durch die Mauer gedrungen und mit diesen Funkgeräten war auch kein weitreichender Empfang möglich. Doch wenn er das Signal mit der Hardware von Sanders verstärken würde, könnte es vielleicht Jemand hören der über bessere Ausrüstung verfügte.
Er lächelte, als er das Signal verstärkte und tiefer Richtung Sydney sandte.
Es war noch immer unerträglich heiß in dem kleinen Kellerraum. Durch den flackernden Schein der Brände draußen, deren grelles Licht unerträglich an das Bombardement gemahnend, durch das kleine Fenster fiel, konnte das Ausmaß der Katastrophe und der grausigen Auslöschung Sydneys erahnt werden. Schwarze Ruinen wurden noch immer von den Flammen umspielt, fettiger raupenhafter Rauch kroch in den Himmel und verseuchte den Boden mit einer kleinen rußigen Ascheschicht.
Die nackten Betonwände gaben den Schein des Feuers wieder, doch für eine kleine Gruppe Menschen standen sie für Hoffnung und Rettung. Rettung, die sie einer bestimmten anderen Gruppe zu verdanken hatten. Als das Signal von Alistair als Funkspruch immer und immer wieder wiederholt wurde, bekam er ein kleines Steinchen an den Kopf und erwachte aus seinem Dämmerschlaf. Mit verquollenen Augen sah er sich um und schnell und schmerzhaft wurde ihm wieder bewusst wo er war. Doch dann hörte er die Stimme und erkannte sie. Genau wie den Namen. Und von diesem Moment an war es einfach und fast schon selbstverständlich, was zu tun war.
Seine Beine waren gebrochen und schmerzten höllisch, als er sich in Richtung seines großen tragbaren Funkgerätes schob und die Frequenz einstellte, die leise auf seinem kleinen Gerät schon seit einiger Zeit vor sich hin summte.
Zu leise um ihn zu wecken, doch laut genug damit die ihn begleitenden Argusaugen es gehört hatten. Lance Corporal Patton winkte verlegen ab, als einer der durch die Asthmasprays geretteten Alten ihm grinsend ein „Daumen hoch!“ zeigte.
An Bord der unter amerikanischer Flagge fahrenden Diana II war zwar nur leises Gemurmel zu hören, da der Schock der knapp 200 dort sitzenden Menschen noch immer zu tief saß, trotzdem konnte der Kapitän den leisen, immer wieder durch Rauschen unterbrochenen Funkspruch kaum verstehen und das Funkgerät wurde deaktiviert. Die Wahrheit war, dass der altgediente Seebär sich sehr vor dem fürchtete, was er hören könnte. Er konnte nicht mehr zurück, er wollte nicht mehr zurück. Sydney lag hinter ihm und so sollte und musste es auch bleiben.
Für die Person, die heimlich mitgehört hatte, galt dies nur bedingt. Sie war jetzt ein Mädchen mit einer wichtigen Botschaft. Und bevor sie gerettet wurde, war sie eine Zwangsgespielin eines Rockerkönigs namens Dwayne Cobb gewesen. Ihre nackten Füße trugen sie schnell über das Metall des Schiffes.
Es war eine blonde Frau, abgekämpft und müde, doch noch immer voller Kraft, Energie und Leidenschaft, die sie nun über den Kapitän entlud. Sie hoffte er würde beidrehen, doch ein Blick in sein Gesicht machte ihr schnell klar, dass seine Meinung unverrückbar fest stand. Der Mann war verbissen und feige, doch Sarah aus D53 war stur. Verdammt stur. Und sie hatte einen höllisch guten Grund dafür. Schnell trug sie die Nachricht weiter.
Krachend sauste der Kopf von Reed in die Magengrube des guten Soldaten der ADF, der von der schieren Wucht des breit gebauten australischen Farmers förmlich aus seinen Kampfstiefeln gehoben wurde und noch einen kurzen Augenblick mit den Händen hilflos strampeln durfte, ehe er krachend auf dem Deck zu liegen kam. Ein Schwinger links traf einen herbeieilenden zweiten Soldaten und den dritten hob er einfach in die Luft und stieß ihn weg, auch wenn der heruntersausende Gummiknüppel ihm eine blutende Lippe und Platzwunde am Kopf bescherte. Er trat noch immer nach allem in Tarngrün, selbst als sie ihn schließlich zu viert niederrangen. Dann blickte er nach links.
Terence hatte sich ebenfalls mit der schieren Wucht unaufhaltsamer Kameradschaft in den aussichtslosen Kampf gegen die ADF-Soldaten geworfen und einen Schwinger mehr ausgeteilt als kassiert, was eine veritable Quote für einen altgedienten Recken mit überschrittenem Zenit war. Ein junger Soldat, mit einem durch einen Fausthieb bereits zuschwellendem blauen Auge, drückte den alten Glatzkopf nach unten und als Terence keine Anstalten machte in seinem Wüten aufzugeben, fragte er ihn mit aller rechtschaffenen Verwunderung: „Warum zur Hölle wehrst du dich noch, alter Mann?“
Dieser ächzte nur einmal wegen des Knies das seinen Kopf schmerzhaft auf das Metall drückte und er antwortete keuchend: „Damit du Trottel nicht merkst, wie meine Tochter auf der anderen Schiffsseite ein scheiss Rettungsboot klaut…“
Da musste selbst Reed noch breiter grinsen und fast sah es aus, als würde dieses Grinsen sein rotbackiges, blutendes Gesicht verschlingen.
Als Sarah mit der höchsten Geschwindigkeit des großen Motorbootes auf die Überlebenden zuraste, ließ der Kapitän die Maschinen stoppen und die Anker werfen. Das Leben hatte gewonnen, der Tod hatte verloren.
Geändert von Daen vom Clan (08.09.2012 um 20:49 Uhr)