Yuki schien einen ziemlich plausiblen Plan zu haben. Auch wenn Ethan nur halb zuhörte, er klang ganz brauchbar. Dennoch beschäftigte ihn mehr, was er erfahren hatte Isa wurde nicht von Zombies erwischt. Sie war nur zu langsam, hat es nicht ins Boot geschafft und ist untergegangen in den Fluten.
Er war nicht sicher, ob er der Besatzung des letzten Bootes die Schuld an ihrem Tod gab. Sicher, sie konnten nicht ewig warten, aber eine halbe Minute länger hätte gereicht und sie würde noch leben. Seine Gedanken schweiften ab. Was würde er alles dafür geben, sie noch einmal zu sehen, vielleicht ihre Lippen zu küssen.
Dann ging es los. Es ging alles zu schnell.
Yuki gab das Zeichen zum Aufbruch, und während die Gruppe aufbrach, fiel Ethan etwas in Auge: Dort im Morgengrauen trieb etwas draußen im Wasser. Konnte das wirklich sein? Während die anderen Bereits halb vom Dach runter waren, schnappte sich Ethan das Fernglas des Scharfschützengewehrs von dieser Sanders. Das konnte doch nicht sein, oder? Doch. Doch, tatsächlich. Er senkte das Fernglas und traf eine Entscheidung. Die Zeit floss träge dahin, er glaube, es dauerte Minuten, gar Stunden, bis er sich entschieden hatte, doch passierte alles nur innerhalb von Sekunden.
Der Rest der Truppe um Yuki war bereits unten angekommen, als auch er endlich den Abstieg begann. Sie bewegten sich alle zügig, doch kam es Ethan vor, als bewegten sie sich alle wie sehr langsam, er nahm alles in Zeitlupe wahr.
Fawyer. Suparman. Yuki. Alistair.
Vielleicht würde letzterer es verstehen. Schließlich hatte auch er seine Liebe verloren. Wahrscheinlich würde er, wenn er wieder zur Gruppe stoßen würde von den meisten anderen nur Unverständnis ernten. Es war ihm egal.
Unten angekommen warf er, einer Intuition folgend, sein Headset zu Boden. Ein letztes Mal lächelte er die Gruppe an, die ihm gerade, bis auf Alistair den Rücken zukehrte. "Ich muss das tun. Aber ich wünsche euch viel erfolg. Bis später."
Eine Träne rollte über Ethans Wange. Dann rannte er los.
Einige Zombiegrüppchen lagen zwischen ihm und dem Wasser. Nicht viele und die Machete, die Tess ihm geschenkt hatte, leistete ganze Dienste. Er zählte nicht mit. Warum auch? Es war ihm egal, wie viele von den Untoten er erledigte. Was zählte war nur eins: Das er das Wasser in einem Stück erreichte. Er hatte offensichtlich Glück, auch wenn seine rechte Wade anfing wie Feuer zu brennen.
Da trieb sie. Seine Isabelle, noch immer lächelt. Ob sie wohl an ihn gedacht hatte, als sie starb? Ob sie sich wohl, als sie noch kämpfte, auch gewünscht hatte, ihn noch einmal zu küssen? Eine Weile stand Ethan einfach nur am Ufer und betrachtete Isas mittlerweile Schönheit, die noch immer erhalten war. Was war dies nur für ein riesiger Zufall, dass sie gerade hier angespült wurde?
Leider war das Ufer hier befestigt, so, dass es schwer werden würde, sie aus dem Wasser zu holen, dennoch versuchte Ethan es. Er fand eine Leiter, legten seinen und auch Isas Rucksack, die er beide dabei hatte, ab und kletterte ins kalte Wasser. Die Kälte betäubte sogleich seine Glieder, doch störte ihn das nicht. Er hatte seine Isabelle wieder.
Nicht mehr einzeln, sondern scharenweise rollten ihm die Tränen mittlerweile über die Wangen. Er schluchzte, als er Isas leblosen Körper ergriff und diesen zur Leiter zurück zog.
Wie er befürchtet hatte, war es schwer, mit ihrem Körper die Leiter zu erklimmen, doch nachdem Isa ihm drei Mal beinah weggerutscht wäre, war er mit ihr oben angekommen.
Einen Moment saß er nur neben ihr und weinte. Eine zynische Stimme in seinem Kopf fragte ihn, ob er jemals in seinem Leben schon so geweint hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, aber es war ihm auch egal. Er war erschöpft davon, Isa die Leiter hoch gewuchtet zu haben. Doch noch etwas machte ihm zu schaffen. Der Schmerz aus seiner Wade, den er bisher ignoriert hatte, war geblieben.
Als er sein Bein betrachtete, sah er, warum. Einer der Untoten hatte ihn erwischt.
Ethan wusste, was das bedeutete. Er würde hier sterben. Doch zumindest war er nicht allein. Zumindest war seine Isa bei ihm.
Es lag hier einiges an Schutt am Ufer. Notdürftig sammelte er einiges davon für zwei Dinge zusammen. Das erste war ein Kreuz. Aus zwei stangenförmigen Metallresten und etwas Seil formte er diesen und rammte es nahe der Hütte, an der mittlerweile Isa Körper lag, in den Boden. Es war nicht viel, nicht das Grab, dass er sich für sie erhofft hatte, aber es war etwas. Es war ein Zeichen.
Ein letztes Mal betrachtete Ethan Isa. "Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich noch immer.", flüsterte er ihr zu. Dann küsste er sie.
Dies war nicht Dornröschen und Isa wachte nicht wieder auf. Der Kuss war seltsam, da er Isa ihn natürlich nicht erwidern konnte, und dennoch genoss Ethan ihn. Es war das letzte, was er von ihr haben würde. Er legte ihr ihre Hände in den Schloss, unter diese die Bilder ihrer Mutter, ihren Rucksack neben sie. Dann begann er sie unter dem Schutt zu begraben.
Es fühlte sich falsch an, sie unter Metallresten und ähnlichen Abfällen zu begraben, es war Ethan fast zu wider, doch er wollte nicht, dass ihr Körper irgendwann von einem Zombie verspeißt werden würde.
Als sie begraben war, stand die Sonne bereits deutlich am Himmel. Schade, irgendwie hatte er gehofft, einen letzten Blick auf den Sonnenaufgang werfen zu können, doch wurde ihm dieser Wunsch nicht gewährt. Den Sonnenaufgang hatte er mit Arbeiten verbracht. Eigentlich hatte er gar nicht verdient, Isa noch ein letztes Mal zu sehen, dachte er dabei. Er selbst war ein schlechter Mensch gewesen, ein Kleptomane. Auch wenn er sich einredete, dass dieser Kekoa sich für die Gruppe freiwillig geopfert hatte - vielleicht hätte er ja sogar überlebt, hatte Ethan ihm nicht Ausrüstung geraubt. Aber niemand konnte das mehr sicher sagen. Ethan wusste, dass Kekoa davon aus ging, nicht zur Gruppe zurück zu kehren, als er sich gemeldet hatte und irgendwie wie Ethan froh, dass seine Sucht Kekoa und nicht jemanden, der Leben wollte, getroffen hat. Sicher, die Schuld, die er trug, belastete den neuen Ethan, den Ethan, den Isa aus ihm gemacht hatte, sehr, doch würde sie schwerer Lasten, wenn er jemand anderen beraubt hätte.
Er konnte sich nur trösten, dass er wirklich glaubte, er hätte sich geändert. Seit der Kanalisation oder spätestens dem Hotel. Seit dem war er ein anderer Mensch und die Schuld trug doch eigentlich der alten Ethan. Der, den Jonas King damals so geprägt hatte. Es schien so unendlich lange her zu sein. Was The King wohl gerade trieb? Ethan hätte ihn gerne irgendwann zur Rede gestellt und ihn dafür zur Sau gemacht, wie er sein Leben beeinflusst hat. Nein, er hätte ihn nicht verprügelt, auch wenn King das sicher erwartet hätte. Die Genugtuung hätte er Jonas nicht gegönnt.
Und seine Eltern? Ob sie noch am Leben waren? Er hatte ihnen so oft so viel unrecht getan. Er hatte sie beraubt, belogen und viel zu oft zur Verzweiflung gebracht. Isa war die ganze Zeit auf der Suche nach ihrer Mutter gewesen, und er, er hatte sich einen Dreck um seine Eltern geschert.
Doch kamen diese Erkenntnisse zu spät. Irgendwann während seinen Gedanken hatte Ethan angefangen, sein eigenes Grab auf zu schütten. Mittlerweile war es fertig geworden. Es war ein seltsames Gefühl, vor seinem eigenen Grab zu stehen, aber er sah keine andere Möglichkeit. Direkt neben Isas Grab, an der Rückseite des Hauses am Ufer stand er nun also. Alles, was ihm blieb, war, sich selbst in das Grab zu legen, die Machete an den Hals zu legen, die Plastikplane herunter zu ziehen, damit er völlig bedeckt war, zu hoffen, dass der Schutt planmäßig nachrutschen und ihn bedecken würde - und den Schnitt mit der Machete durchzuführen.
Es waren keine Zombies in der Nähe. Gut. Auch, wenn er ihnen wenig Intelligenz zutraute, war er froh, dass niemand Einblick auf die Grabstätte hatte und niemand die Beiden so schnell finden würde. Ein letztes Mal blickte er zum Kreuz, dann zu Isa. Mit Gedanken an Isa und lächelt führte er seinen letzten Plan aus.