Er sah hoch. "Hey Ian. Kann ich mich kurz zu dir setzen?" Er nickte nur sanft und Clover setzte sich schräg neben ihn.
Warum? Warum setzt du dich zu mir?Ian sah sie eine Weile an, hatte so unfassbare Angst, dass sein Blick zu aufdringlich wirken würde, dass er irgendetwas falsch machen würde. Du hast dir etwas vorgenommen. Aber jetzt? Wann sonst? Willst du, dass es zu spät ist? Einige Male sah sie so aus, als würde sie den Mund öffnen wollen, aber das bildete er sich wahrscheinlich nur ein. Hör auf, sie anzustarren.
Obwohl diese Situation ihn fertig machte, ihn leiden ließ und sein Herz unter dem Hemd wieder ausrastete, fühlte er sich das erste Mal seit sie auf dem Festland waren nicht komplett schlecht. Sie war da. Sie lebte. Und das machte alles besser.
Sein elfter Geburtstag. Ian war immer schüchtern gewesen und hatte nicht viele Freunde. Aber die paar, die er hatte, waren toll. Und sie waren alle da gewesen. Nach und nach wurden sie abgeholt. Allesamt hatten sie länger aufbleiben dürfen, nur wegen seinem Geburtstag. Als er auch Keanu an der Tür verabschiedet hatte und herzhaft gähnte, legte seine Mom ihm die warme Hand sanft auf die Schulter. So, wie sie es immer tat, wenn es Zeit für das Bett war. Mit schweren Beinen vom vielen Tanzen und Spielen stieg er die Treppen hoch, stürmte in Endspurtmanier in sein Zimmer und warf sich auf's Bett. "ERSTER!!!", rief er glücklich und sah, wie sie hinterherlief. "Das gibt's doch nicht! Sag mal - willst du deine Mutter nicht auch mal gewinnen lassen?" Sie lachte, setzte sich schwungvoll auf die Bettkante und kitzelte ihn, was ihn wild strampeln und lachen ließ. Erst nach einer ganzen Weile hörte sie auf. Völlig außer Atem sah er sie immer noch freudestrahlend an. Wieder gähnte er. Der Tag war schön gewesen. Aber auch anstrengend. "So, ich mach jetzt das Licht aus... und du schläfst, ja?" "Jaaa, Mamaaa! Das musst du nicht immer sagen! Ich mach' das sowieso!" Sie beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn auf die Stirn. "Ich hab' dich lieb!", hauchte sie und stieg von seinem Bett, schlich zur Tür. "Mamaaa... was heißt Liebe?" Er erinnerte sich an seine Freundin Veronica, die ihm vor ein paar Stunden im Wandschrank gesagt hatte, dass sie ihn lieben würde, als sie 'Sieben Minuten im Himmel' spielten. Dann hatte sie ihn geküsst. Seine Mutter hatte nun schon nach der Türklinke gegriffen und ließ ihre Hand wieder herunterrutschen, drehte sich zu ihm um. Während sie wieder an sein Bett trat, begann sie, zu erklären: "Du weißt doch, dass Mama dich lieb hat... und du hast doch auch Mama lieb?" Er nickte kurz und sie fuhr fort. "Das heißt einfach, dass man jemanden ganz doll mag... und Liebe... heißt auch, dass man jemanden mag... nur irgendwie anders." "Ich weiß - ich bin doch kein kleines Kind mehr. Aber ich versteh' das nicht." Sie seufzte lächelnd und stupste seine Nase mit dem Zeigefinger an. "Wenn du jemanden liebst, dann möchtest du alles für ihn tun. Du möchtest, dass es der Person immer gut geht und es fällt dir schwer, an etwas anderes zu denken. Du liebst nicht einfach irgendwen, du liebst eine ganz besondere und bestimmte Person." Sie machte eine kurze Pause und wischte ihm die verschwitzten Haare aus dem Gesicht, ging zur Tür und schaltete das Licht aus. "Und wenn du jemanden liebst, dann weißt du es!"
Mehr als zwölf Jahre war das her. Und der Mensch, der ihn mit diesen Worten - und mit so vielen anderen - prägte, war tot. Eine kühle Nachtbrise pfiff über das Dach und ließ eine leichte Gänsehaut auf seinen Armen zurück. Wieder der Blick zu Clover. Es fiel ihm leichter. Es war der richtige Blick - und egal, wie sie dazu stehen würde... egal, wie unerreichbar sie für ihn war... allein das Wissen, die Person gefunden zu haben, von der seine Mutter gesprochen hatte, machte ihn glücklich.
"Clover!", sagte er und rutschte dabei direkt neben sie. "Ich... das ist... ich hab' das nie einem Menschen gesagt, einfach... weil es eben nie gepasst hat!" Kleine Zweifel beschlichen ihn. Warum war das so hart? Was kommt als nächstes? Na los - sag ihr, was du fühlst, aber dass ihr nicht zusammen sein könnt, weil du Spiderman bist. Ein kurzes Grinsen, welches sich augenblicklich zu einem liebevollen Lächeln verwandelte, als er ihr ganz bewusst in die Augen blickte, seine Hand nach vorne streckte und ihre berührte, sie umfasste, sein Herz dabei ausschlüpfen und nicht mehr in seiner verdammten Brust bleiben wollte. Dies war der Moment. Der Moment, der seinem Leben nicht irgendeinen Sinn gab, sondern DEN Sinn. Der Moment, in dem all die Stränge seines Lebens - alles was er jemals für Richtig gehalten hatte, alle Dinge, an die er jemals geglaubt hatte - zusammenliefen. "Um mich herum geht alles kaputt. Menschen sterben, Menschen morden, die Welt zerfällt, alles geht kaputt... aber ich erwische mich dabei, wie ich glücklich bin - wegen dir!"
Er genoss diesen Moment so sehr, genoss den sanften Wind, der ihr funkelndes Haar so herrlich zum Wehen brachte, genoss ihre zarten, weichen Hände, die er unter seinen zitternden Fingern spürte, genoss, dass er in diesem Moment nichts von all dem Schmerz fühlte und nur die eine Person wahrnahm, die für ihn in so kurzer Zeit die Wichtigste geworden war. Er genoss, dass er nicht zu spät kommen würde, um zu sagen, was er fühlte.
Alistair hatte den Jungen gepackt und starrte ihm gebannt in die Augen. [Nein, das kann nicht sein!]
Er zitterte leicht. Wieso zitterte er? Konnte es denn möglich sein, waren das etwa?
Er drehte sich um und blickte zu dem anderen Jungen, dann wieder zurück zu dem anderen. Er sah verängstigt aus, verängstigt und krank. Dann fiel dem Iren das Bild auf, dass das Kind fest in seinen kleinen Händchen hielt, das Bild das ... er erkannte es erst nicht richtig, da es auf dem Kopf war, doch dann ... die Tatoos, diese Augen, dieses Gesicht. Das war Abby, ohne Zweifel!
Wieder starrte er dem Jungen in die Augen. Er zog ihn ohne Vorwarnung an sich, schien ihn aus Freude fast zu erdrücken. Tränen schossen seine Wangen hinunter.
"Ihr seid es", sagte er glücklich und irgendwie schluchzend. [Du heulst schon wieder Alistair!]
Aber dieses Mal war es ihm egal. Sein Griff lockerte sich, auch wenn er den Jungen noch ewig halten konnte. Alistair konnte einfach nicht mehr, die Tränen flossen und flossen, er heulte förmlich vor Freude, und sah dabei über glücklich und gerührt aus.
Wieder schaute er auf das Bild. Es sah alt aus, hatte ein paar Flecken und war ein wenig zerknittert, doch für ihn war es das schönste Bild, dass er jemals gesehen hatte. Mit der Mütze wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn direkt darauf neue hervorquollen.
"Ihr seid die Kinder von Abby", presste er dann hervor, "ihr seid Joshua und Noah, nicht?"
Er lockerte den Griff um den Jungen und sackte zusammen.
"Ich hab euch tatsächlich gefunden, ich habe ...", er wischte sich wieder über das Gesicht.
Dann fiel es ihm erst ein. Sie wussten nicht, dass Abby ... sie wussten nicht das ihre Mutter ...
Sein Blick wurde wehleidig, trauernd.
Wie sollte er zwei so kleinen Kindern beibringen, dass ihre Mutter gestorben war? Wie sollte er ihnen erzählen, dass er keine fünf Meter entfernt von ihr war, und sie trotzdem starb? Sie würden ihn hassen. Sie würden ihn abgrundtief dafür hassen, dass er sie nicht retten konnte. Er hasste sich ja selbst dafür, auch wenn er es bis jetzt vesuchte nicht hervorstechen zu lassen, weil er andere Verpflichtungen hatte. Jetzt, da er ohne jeden Zweifel, die beiden Jungs von Abby gefunden hatte, konnte er sich nichts mehr vormachen.
Noah
"Oooh", andächtig streichelte Noah den plüschigen Pelz Alvaros. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er sein eigenes Kuscheltier vermisste. "Mein Teddy heißt Denny. er ist ein Eisbär und darum ganz weiß. Aber ich musste ihn zu Hause lassen, weil er zu groß war." Léo hatte schöne Augen, fand Noah. Braun wie die von Mama und Josh. Nur ein bisschen heller. Aber sie sahen auch ein bisschen traurig aus. Alle waren immer so traurig. Waren ihre Eltern auch weg? Ist was mit Deinem Fuß nicht in Ordnung? Hast Du ihn Dir wehgetan? Léos Frage riss den Jungen aus seinen Gedanken.
"Ich bin runtergefallen, als wir auf ein Dach geklettert sind. Jetzt kann ich nicht mehr auftreten. Aber Josh hat mich getragen, als wir rennen mussten." Er blickte zu seinem Bruder und stellte besorgt fest, dass sich ihm zwei Fremde genähert hatten: Eine düster blickende Frau und ein großer breitschultriger Mann, der sicher sehr stark war.
Noah schluckte.
Die Frau schien die Ärztin zu sein, denn sie untersuchte seinen Bruder. Aber wer war der Mann? Und was wollte er?
Als hätte sie seinen Gedanken gehört, drehte Tess sich zu Noah um und lächelte schief. „Der tut nix, der will nur spie... hei!“ die Frau unterbrach ihren Satz, als Alistair auf Joshua zustürmte.
Noah entwich ein leiser Schrei. "Was macht er da? Josh!" Er hüpfte in Richtung des Iren, stolperte aber und setzte sich auf den Hosenboden.
Alistair hatte Oberarme des älteren Jungen gepackt und sah ihn eindringlich an. Noah stockte der Atem. Von dem Iren ging keine Gefahr aus, das konnte man nun an seinem Gesichtsausdruck sehen.
Aber in seinem Blick lag etwas anderes, das er nicht einordnen konnte. Fragend sah Noah zu Léo auf. Plötzlich gab der Ire eine eigenartigen Laut von sich, zog Joshua in seine Arme und umarmte ihn fest. WAS?
Noahs Mund blieb offen stehen. Wie gut, dass er schon saß.
Joshua
Joshua wachte davon auf, dass jemand seine Arme packte. Entsetzt riss er die Augen auf und starrte in das Gesicht eines Fremden. Eines wild aussehender Mannes, dessen breite Schultern ihm das Licht nahmen. Der Platz neben ihm war leer. "Noah!", rief Josh panisch. Er verrenkte seinen Kopf und sah über die Schultern des Mannes seinen Bruder bei einem Mädchen sitzen. Noah war also in Sicherheit. Gut, dann...
Josh hatte den Gedanken noch nicht zuende gebracht, als ihm auch schon sämtliche Luft aus den Lungen gedrückt wurde. Die starken Arme des Iren lagen fest um den vor Fieber glühenden Körper und keiner von Joshs entsetzten Versuchen, sich zu befreien, hatte auch nur die geringste Wirkung.
"Ihr seid es"
Josh hörte schlagartig auf zu zappeln. Sein Körper versteifte sich. [Wir sind... wer?]Waren das Tränen, die da auf seinen Nacken tropften?
"Ihr seid die Kinder von Abby! Ihr seid Joshua und Noah, nicht?"
Die Pranken fielen von Joshs Schulter.
"Ich hab euch tatsächlich gefunden, ich habe ..."
"Du kennst sie?! Du... du hast sie gesehen?" Alle Verwirrung viel von Josh ab und er starrte in die geröteten Augen des Iren. Er weinte tatsächlich. [Sieh mich an. Sieh mich an. Sag mir, dass... ]
"Geht es ihr gut?"
Joshs Augen sahen tatsächlich aus wie Abbys. Nur mit einem ungesunden Fieberglanz darin.
Sie trugen einen Schmerz in sich, den Alistair nur zu gut kannte. Es waren die Augen eines Kindes, das zu früh erwachsen werden musste.
Aber noch sah er die Hoffnung darin leuchten. Eine Hoffnung, die er gleich töten musste.
Alistair sah ihm tief in die Augen, die ihm so wohlbekannt waren. Sie sahen genauso aus wie die von Joshuas Mutter. Er würde ihnen die Wahrheit sagen, keine Lügen. Doch wie sollte er es ihnen sagen? Er war kein Mann großer Worte, konnte sie nicht in Zuckerwatte packen wie andere. Nein, er konnte nur mit der harten und unfairen Wahrheit dienen. Nur damit, dass die Welt einen Menschen von ihnen genommen hatte, für den der Ire sein Leben gegeben hätte. Wenn er könnte, würde er sofort den Platz mit Abby tauschen, sein Leben gegen ihres. Nicht aus Feigheit, um den beiden Jungen nicht die Wahrheit sagen zu müssen, sondern weil sie diejenige war, die etwas hatte, für das es sich zu leben lohnt.
Wieder sah er in die dunklen Augen von Joshua, schaute nicht weg, wandte seinen Blick nicht ab. Die Welt würde für so zwei kleine Geschöpfe in tausend Teile zerspringen und er müsste es mit ansehen, er musste es ihnen sagen.
"Geht es ihr gut?", wiederholte der Junge nachdrücklich und besorgt.
Alistair schaute zu Noah hinüber, der geschockt zu ihm starrte. Von einem zum anderen Moment kroch er los, so schnell er konnte und schob sich neben seinen Bruder um den breitschuldrigen Mann mit seinen blaugrünen Augen anzustarren. Sie waren anders, nicht die von Abby, aber trotzdem eindringlich und einfangend, fast hypnotisierend.
Die Zähne zusammenbeißend legte er den beiden jeweils eine Hand auf den Kopf.
"Es tut mir leid ...", begann er, "sie ist ... sie ist tot."
Nachdem er die Worte gesagt hatte fühlte er sich taub. Die Welt um ihn herum verblasste. Nur die beiden Jungs vor ihm waren klar und deutlich zu erkennen.
Er wartete nur darauf, dass sie ihn verteufelten, er wartete nur darauf, dass sie ihn mit ihrem Hass überhäuften.
"Sie ... sie ist aber keines von diesen Monstern geworden. Sie ist als Mensch gestorben", erklärte er, "ich konnte sie nicht retten..."
Wieder rollten Tränen seine Wangen hinunter.
"Das einzige, was ich für sie tun konnte, war sie zu begraben, in einem Garten, unter einem Baum."
Seine Worte klangen für ihn hohl, der letzte Versuch eines Verurteilten sich vor dem Strick zu retten, auch wenn es aussichtslos war.
Joshs Welt brach auseinander. Er versuchte, sich zu sammeln, aber es glitt ihm durch die Finger wie ein Traum.
Sprachlos starrte er den Mann an, konnte nicht glauben... wollte nicht glauben...
Er suchte den Blick seines Bruders. Noah saß auf dem Boden wie ein Häufchen Elend. Ein Vogeljunges mit gebrochenem Flügel. In seinen Augen stand Fassungslosigkeit und eine stumme Bitte. Dass das alles ein großes Missverständis war. Lass es nicht wahr sein. Bitte.
Als Noah den Gesichtsausdruck seines großen Bruders sah, wusste er, dass es wirklich geschehen war. Seine Mutter würde ihn nie wieder in den Arm nehmen. Sie würde nie wieder lächeln.
Noah brach in Tränen aus. Von stummen Schluchzern geschüttelt krümmte er sich auf dem Boden zusammen.
Joshua rückte mit aschfahlem Gesicht noch näher an seinen Bruder heran. Nahm in in die Arme. Er sah noch einmal in das Gesicht des Mannes. Der Mann der in den letzen Sekunden seiner Mutter bei ihr gewesen war. Er sah, dass auch er sie vermisste. Seine Augen sprachen Bände. Er hatte sie gemocht.
Dann kamen auch ihm die Tränen. Gemeinsam saßen die beiden Brüder auf dem kalten Betonboden, einander fest umschlungen und weinten.
Das schwarze Loch, dass Abbys Tod in ihr Leben gerissen hatte, würde heilen, aber es würde sich nie komplett schließen. Und sie wussten es.
Keiner der beiden Kinder sagte etwas, sie saßen nur fest umschlungen vor ihm und die Tränen quollen ohne Unterlass aus ihren kleinen Äuglein. Wie sollten so junge Geschöpfe soetwas verkraften? Er hatte es damals ja selbst kaum ausgehalten.
Dann erinnerte er sich ... damals ... damals tauchte Jack auf. Spendete ihm Trost, half ihm wieder auf. Jetzt ... jetzt musste er Jack sein. Alistair musste veruschen für die beiden Jungen da zu sein, wie der pinke Kater es damals für ihn war. Nein, er musste mehr sein. Immerhin waren die beide das letzte was er noch hatte. Sie waren das letzte, was Abby dieser Welt hinterlassen hatte. Wertvoller als alles was er besitzt, und jemals besessen hatte.
Auch wenn er die beiden Jungen nicht wirklich kannte, fühlte er sich ihnen näher als jedem anderen hier, ein Band war zwischen ihnen, dass niemand anderes teilte, nur sie drei. Die Liebe zu Abby.
Er nahm die beiden Kinder in seinen Arm. Jedoch war die Umarmung nicht fest, nicht erdrückend, sondern sanft und trostspendend.
"Sie hat euch geliebt", sagte er entschlossen, "bis zum letzten Augenblick wart ihr das wichtigste in ihrem Leben. Euch zu finden, euch in Sicherheit zu wissen war ihr einziges Ziel."
Er nahm sie in seinen Schoß, lies sie nicht los.
"Und sie konnte mit gutem Gewissen von uns gehen", er hielt weitere Tränen zurück, denn er musste jetzt stark für beide sein, musste Selbstsicherheit ausstrahlen, "denn ich versprach ihr mich um euch zu kümmern. Ich gab ihr mein Wort, und das werde ich halten. Mit mir wird euch nichts geschehen."
Jetzt wurde seine Umarmung doch etwas fester, jedoch nicht schmerzhaft, sondern inniger. Er würde sie nie im Stich lassen, würde aus sie aufpassen, und wenn es ihn das Leben kosten würde.
"Ich werde nicht sagen, hört auf zu weinen, denn das darf euch niemand nehmen."
Joshua und Noah vergruben weinend ihre Gesichter in der Brust des Iren.
Dob zog an seiner Zigarette. Er saß ein wenig abseits von den anderen Überlebenden. Der Joint wirkte noch, alles war leicht und schwer zugleich. Isabelles Tod hatte er gar nicht richtig mitbekommen. Da war sie gewesen, hinter ihnen, gerannt (hatte es doch geschafft verdammt)! Aber plötzlich hatten sie die schwarzen Tiefen hinuntergerissen, und da war sie weg.
Dob wusste nicht, was er fühlen sollte. Junge Mädchen wie Isabelle sollten nicht sterben, aber... Scheiße verdammt, hätte sie sich halt ihnen nicht so aufgedrängt, Tess und er hätten das schon alleine hingekriegt! Und wenn sie'n Macker gehabt hätte, der ihr diesen Scheißplan aus dem Kopf geschlagen hätte... wer weiß.
Er nahm einen weiteren Zug und blies den Rauch aus, die Augen hielt er geschlossen. Was auch immer. Es war gut, am Leben zu sein. Scheiße.
Er sah zu Ethan hinüber. Konnte nicht leicht für den Kleinen sein. Er kannte diese Art Mensch. Beliebt in der Schule, aber immer auf der Suche, brauchten Bezugspersonen... seine war jetzt weg. Aus seinem Leben geklaut. Und er würde sich auf jemand anders stürzen. Wahrscheinlich auf nen coolen Typen wie Dob, oder Fawyer. Helden halt. Und er, der Robin Hood unter ihnen.
Scheiße, das war gutes Gras... aber es stimmte doch, oder? Der Kerl war ein Dieb, ein verdammter Gefühlsdieb, und er... er nimmt von den reich Gesegneten und gibt es den Benachteiligten. Braucht Bezugspersonen, die ihn anbeten oder die er anbeten kann, denen er geben oder von denen er nehmen kann...
Woah, woah. Was zur Hölle war das für ein Scheiß gewesen. Hatte er gerade echt eine halbe Stunde lang über Ethans... Psyche oder was auch immer nachgedacht? Oder waren es nur fünf Minuten gewesen?
Dob begutachtete stirnrunzelnd den Beutel Gras. Was für Teufelszeug war das? Tess hatte wohl doch nicht übertrieben.
"Dob, ich glaube, ich glaube ich könnte was zu rauchen gebrauchen."
Völlig unverwandt stand sie auf einmal da. Die Ärztin sah rastlos aus. Ihre Worte waren kühl und knapp, aber etwas nagte an ihr.
Dob reichte ihr den Tabak hin. "Greif zu, Schätzchen. Und ein kräftiges Hoch auf's Leben." Er grinste. Das tat er immer, wenn Leute so wirkten, als ob etwas an ihnen nagte. Oder sich generell anders verhielten, als sie sollten.
Tess trat ein wenig näher heran. "Ich dachte eher... mit Gras." Ein kurzes, verkrampftes Lächeln. "Das wäre gut."
Dob zog die Augenbrauen überrascht hoch. "Frau Doktor, bist du sicher? Ich mein ja nur, wir stecken auf dem Dach einer Lagerhalle fest und haben keinen Plan wie's weitergehen soll. Und ich werd mir hier garantiert keinen funktionierenden Fluchtplan ausdenken, nicht so mein Spezialgebiet, weißte? Und hey, ich würd mich ja gern mal als verdammter Chirurg versuchen aber ich glaube die Leute da drüben wären irgendwie froher, wenn sie wüssten dass ein echter, nüchterner Arzt sie wieder irgendwie zusammenflickt, wenn's nötig ist!"
Dob lachte schallend auf. Diese Tess war schon eine. Bei der wusste man nie, was als nächstes kommt. Und manchmal musste man sie anscheinend daran erinnern, was für eine verdammte Kontrollbestie sie war.
Den kurzen verzweifelten Blick sah er nicht. "Ja natürlich... du hast Recht. Besser nur eine normale Zigarette. Kannst du mir die vielleicht drehen? Ich meine, wenn Fluchtpläne schon nicht dein Spezialgebiet sind..." Fahrig gestikulierte sie mit den Händen in Richtung Tabak.
"Naja, mein eigentliches Spezialgebiet ist ja da unten zwischen meinen Beinen, ich meine, verdammt! Nicht zu vergessen Heldenmut, gutes Aussehen und unvergleichlicher Witz..." Dob redete vor sich hin, während er die Zigarette für Tess drehte. "...aber anscheinend sind auch erstklassige Zigaretten eine Spezialität von mir. Ich hab einfach zu viele gottverdammte Talente."
"Obendrein bist du ein selbstsüchtiger Labersack, der wirklich immer was auf die Fresse verdient hat, aber dafür hast du ja mich. Jetzt hör auf zu quatschen und gib her, ich muss gleich weiter und diese verdammten Blagen untersuchen, hab's Clover versprochen."
Tess steckte sich die Zigarette sofort zwischen die Lippen und fummelte mit dem Feuerzeug herum. Schließlich sog sie tief ein und ließ blies den Rauch sogleich wieder durch ihre Nase aus. Dob musterte sie.
"Aus dir werd mal einer schlau. Ehrlich. Gestern prügel ich dich zu Brei, und seitdem bin ich dein bester Kumpel. Verdammt, die Prügel hattest du echt verdient, aber ich kapier's nicht."
Für eine Weile starrte Tess Dob bloß mit großen Augen an. Er hielt sofort die Klappe, aber es war geschehen. Irgendein Damm in ihr war gebrochen.
Sie warf sich einfach noch vorne, direkt in die Arme des vollkommen überrumpelten Dob. Zwei kraftlose Hiebe landeten an seiner Brust, und er fragte sich noch, ob er sie jetzt wieder ohnmächtig prügeln musste. Da hörte er ihre Schluchzer. Gepresst drangen sie aus heißer Lunge gegen seine Schulter. Ihm blieb gar nichts Anderes übrig, als ihr unbeholfen über den Rücken zu streicheln. Schließlich schluckte sie mehrmals. Sie änderte ihre Position kein bisschen und weinte einfach in seine Schulter hinein.
"Ja verdammte Scheiße, du bist mein bester Kumpel, kapiert? Weil du nen Schlag hast, der einfach keine Kompromisse kennt, und weil du diese Scheiße hier einfach so schluckst und dich einen Dreck um irgendwas Anderes kümmerst als darum, wen du als nächstes flachlegen kannst! Und weil du mir offen sagst, wenn ich Scheiße baue. Und weil du es irgendwie, irgendwie geschafft hast, dass du vielleicht die einzige Person hier bist, der ich sowas sagen kann."
Sie machte eine kurze Pause. "Es ist alles zu viel langsam, okay? Ich dreh total am Rad."
Dob strich ihr vorsichtig durchs Haar. Einige Zeit standen sie einfach so da. Sie drückte sich noch enger an ihn.
"Dob-"
"Ey Schätzchen, keine Bange, das wird schon wieder."
"Dob, hast du-"
"Die Idee ist, einfach nicht so sehr auszuticken. Du bist ne gute Person, aber so'n Nervenzusammenbruch steht einfach niemandem gut-"
Tess wandte sich aus Dobs Umarmung. Sie starrte auf die riesige Beule in seiner Badehose. Dann blickte sie ihm direkt in die Augen.
"Dob, hast du gerade echt einen Ständer bekommen, als ich dir mein Herz ausgeschüttet hab?"
Er grinste verlegen. "Naja du musst zugeben, es war ne ziemlich heiße Situation, und..."
"...und jetzt stehen wir hier. Alle drei." Tess schüttelte leicht den Kopf. Wie schaffte dieser Kerl das bloß? Sie trat direkt vor ihn und presste ihre Lippen hart auf seine. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden. Dann ließ sie von ihm ab und gab ihm sogleich eine schallende Ohrfeige. "Du bist echt unmöglich, aber ich wünschte ich wäre nur einmal so fokussiert auf etwas wie du. Jedenfalls... du bist nicht ganz mein Typ. Und ich glaube, das gilt auch umgekehrt." Sie hielt kurz inne, und ein wenig Wärme trat wieder in ihre Stimme. "Trotzdem, danke."
Ihr Blick fiel noch kurz auf die Beule in der Badehose. Dann wandte sie sich ab und machte sich auf die Suche nach den beiden Kindern. Die anderen Überlebenden sollte sie auch noch überprüfen, nur für alle Fälle. Und dann würde sie mit den Anderen überlegen, wie sie hinter diese Mauer kommen könnten. Es musste irgendwie gehen, und sie würden es zusammen herausfinden.
Plötzlich prustete sie los vor Lachen. "Ich will echt mal wissen, wie du das machst", murmelte sie leise grinsend vor sich hin.
Fawyer war jetzt schon eine Weile auf dem Dach dieses alten Lagerhauses. Hinunter zu gehen wäre wohl ihr Tod. Egal ob von Zombies oder den verrückten Millizen der Nationalgarde. So oder so, nichts worauf er gerade Bock hatte. Die Flucht vorhin lag ihm immer noch in den Knochen. Er wollte sich etwas ausruchen. Er lehnte sich sitzend gegen die notdürftig errichtete Barrikade und schloß die Augen.
Er versuchte sich zu erinnern, warum er überhaupt nach Sydney gekommen war. Es war ein Business-Trip gewesen. Er wollte Kunden finden. Es war zwar kaum eine Woche her, aber er fühlte sich an wie vor einer Ewigkeit. So viel war passiert, in dieser kurzen Zeit. Er wusste nicht was passieren würde wenn sie dieses amerikanische Schiff finden würden, aber es stand klar, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Eine Welt erholt sich von so etwas nur langsam.
Er schloß seine Augen und versuchte Schlaf zu finden.
Eine Frauenstimme (Tess) weckte Ludwig aus dem Schlaf. Sie war wohl Ärztin. "Sehr erfreut Miss...wie war noch ihr Name? Nun meiner ist Ludwig, Ludwig Schwabenstein. Sie wissen schon: Schwaben, wie Franken." ein leichtes Lächeln, gefolgt von einem schmerzerfüllten zusammenzucken. "Entschuldigen sie vielmals. Ich war gerade mitten in einer Vorlesung über die Analysis im n-Dimensionalen Raum, als plötzlich diese Zombieplage ausbrach. Leider war ich der einzige meiner Universität, der es geschafft hatte, herzukommen alle anderen wurden entweder von den Zombies erwischt, oder von den Soldaten erschossen." nach einem Seufzen fügte er noch hinzu "Arme Trottel, ich hatte ihnen gesagt, dass die Wahrscheinlichkeiten zu überleben, indem man bloße Gewalt anwendet, verschwindend gering sind, aber sie wollten nicht hören. Das haben sie davon, sie sind tot und mir geht es gut. Sie müssen wissen, als Professor und Dozent an der hießigen Universität weiß ich, wovon ich rede." Ludwig wollte aufstehen, musste aber feststellen, dass sein altes Leiden sich meldete. Es war während der letzten Zeit sogar noch schlimmer geworden.
Sanders hatte den ganzen Gefühlsausbrüchen mit unbewegte Miene zugesehen und mit Seitenblick auf Helena sagte sie leise schmunzelnd: "Zivilisten, hm?"
Dann widmete sie sich wieder den Vorräten, die die Ärztin ihr dagelassen hatte und ordnete diese in 6 kleinen Häufchen an, den kleinsten schließlich aß sie selbst mit einem Happs.
Ludwig Schwabenstein. Professor. So wie es aussah nicht verwundet. "Franken... äh Mr. Schwabenstein, ich ... kenne nur die fränkische Schweiz. Vom Namen her also... Tess, äh ich meine Teresa Ehliger, Schweizer Assistenzärztin. Sie sind also nicht verwundet? Dann müssen wir später weiterreden - ich muss mich erst um die Leute kümmern denen es nicht so gut geht. Entschuldigen sie mich." Scheißficken, was machte ein Eierkopf hier? Das brachte sie nach den letzten Tagen nun wirklich aus dem Konzept. dass die Wahrscheinlichkeiten zu überleben, indem man bloße Gewalt anwendet, verschwindend gering sind, aber sie wollten nicht hören Tess hätte ihm vielleicht doch einen Moment lang zuhören sollen... aber sie drückte ihm nur eine Wasserflasche und Trockenrationen für drei Tage in die Hände, rang sich ein Lächeln ab und tippelte zurück zum Iren und den zwei - inzwischen weinenden Jungs.
"Alistair?..." Der Hühne blickte mit wassernassen Augen in ihre Richtung, ließ die Jungs aber nicht los. "Das Zeug hier ist was für den Größeren, damit das Fieber runtergeht. Sorgst du dafür, das er in trockene Klamotten kommt?" Er wirkte abwesend, aber so wirkten sie ja alle. Sie steckte das Fiebermittel in seine Hosentasche, dann atmete sie tief durch - und machte sich bereit der Roothrock•••••••• gegenüberzutreten. Die Willy auf dem Gewissen... daa... die Willy geliebt hatte. Und eben einen verflucht guten Song auf ihrem MP3-Player reintaktete.
Sie kniete sich vor Yuki, die inzwischen wieder mit ihrer Waffe herumhantierte. "Können sie meinen Arsch auch noch zu Wechselgeld verarbeiten nachdem ich ihre Blutung gestillt hab?" sie blickte nur vielsagend auf die Schulterwunde. "Ein Kollege von mir meinte - wenn die Patienten noch schreien können, geht es ihnen wunderbar und sie sind ausser Lebensgefahr. Das hat sich bisher nicht gegenteilig beweisen lassen. Also, erzählen sie was hat sie da getroffen? Und was für Freaks haben sie da aufgegabelt - nen Professor und..." Tess fiel die Kinnlade herunter als sie sah wer da hinter dem Inder gesessen hatte - und immer noch mit einem männlichen Zähnefletschen dasaß, das ihr fast den Druckverband aus der Hand fallen ließ. "Das ist... Hugh fucking Jackman, seh ich richtig oder sehr ich inzwischen nur noch Tote weiße Leute?"
Tess macht sich nach der Offenbarung des Abends mit routinierten, ruhigen Bewegungen und ab und zu einem Grinsen und Kopfschütteln in Dobs Richtung daran, Yuki zu versorgen.
Der Himmel zog seine düsteren Wolken bis zum Horizont. Eine Lichtspende folgte nur vereinzelt mit schwachen Lichtstrahlen, die es schafften, durch dieses gigantische Wolkenmeer durchzudringen. Niki saß dabei an der Klippe und starrte aufs Gewässer hinaus. Er wartete. Es war sinnlos, aber dennoch tat er es. Alles, was ihm sein Schauen einbrachte, war das faszinierende Toben des Meeres beobachten können, wie es mit voller Wucht gegen die Insel prallte und doch keine Auswirkungen hatte. Es war beinahe fast schon so interessant anzusehen, dass er vergaß, wieso er wartete.
"Isa... wo bist du..."
Sie hatte sich im Hotel so nett um ihn gekümmert. Bei ihr hatte er das gleiche Gefühl, wie bei seiner Ziehmutter Alexis auch. Doch jetzt spürte er... nichts. Seine Haare wehten im Wind, seine Kleidung flatterte und ein winziger Tropfen Wasser flog seitlich von ihm weg. Dennoch... nichts. Er fasste sich einmal mit der Hand an sein Gesicht und stand dann auf. Er ging zu seinem Beutel, den er nicht weit weg von ihm abstellte. Den hatte er aus dem Hotel mitgehen lassen, um seine Kleidung mit sich tragen zu können. Er versuchte, so gut es ging, sie zu waschen. Wahrscheinlich nicht die beste Wahl, aber er zog sie wieder an. Es war niemand hier, also tat er es einfach. Als er sein improvisiertes Hemd auszog, umhüllte ihn eine kalte Meeresbrise, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet. Niki nieste einmal stark, aber Kälte vermochte er nicht zu spüren. Darüber wunderte er sich sogar selbst.
"Wie auch immer...", dachte er sich und zog sich fertig an. Er schnüffelte einmal. Geruchslos. Irgendwie hatte er es sauber gekriegt, man sollte ihn nur nicht besser fragen, wie. Er steckte seine andere Kleidungsalternative in den Beutel und machte sich auf dem Weg. Er suchte eine Person, irgendjemand. In der Ferne sah er Riley mit einer anderen Person. Er trat näher und konnte sehen, wie Riley und Léo sich glücklich miteinander unterhielten und weitergingen. Er fühlte sich nicht danach, die beiden in ihrer Welt jetzt zu stören. Er verzog ganz kurz seinen Mundwinkel nach oben und ging dann woanders hin. Ihm fiel daraufhin ein, dass die Shorts, die er anhatte, ja Ian gehörten. Schnell machte er sich auf dem Weg und hielt Ausschau nach seinem Gesicht. Vor allem achtete er auf die Leute, die größer waren, als er. Dann sah er Clover, sitzend. Er lächelte auf einmal und wollte ihr gerade näher kommen, als sein Blick sich etwas weiter zur Seite richtete und er Ian direkt neben ihr sah. Er wusste nicht, was er tun wollte. Gut fühlte er sich in der Nähe von beiden, doch offensichtlich herrschte ein wichtiger Moment zwischen den beiden. Da konnte er doch nicht einfach reinplatzen, oder...? Er trat näher und stieß ein "Ähm..." aus. Jedoch fiel ihm jetzt erst auf, dass er viele Meter weiter weg von den beiden entfernt war. Sie können ihn gar nicht hören. Er ging ein paar Schritte weiter vor und hörte es.
"Ich liebe dich!"
Geschockt weitete er seine Augen auf und schluckte. Schnell wandte sich Niki wieder von den beiden ab und setzte sich hinter einer Wand. Seine Hände umfassten seinen Kopf und er zog sie etwas durch seine Haare. "Verdammt, Niki, die Leute haben doch ihre eigene Probleme... wieso bist du so dauernd fehl am Platze...?!", dachte er sich und starrte ins Nichts.
"Ja, richtig - das ist Hugh Jack-Autsch. AUTSCH!"
"Wenn Sie so herumzappeln, kann ich relativ schlecht arbeiten, Frau Radio. Also halten Sie einfach nur still."
"Ah, fuck me!", rief Yuki und packte die Ärztin am Handgelenk. "Nicht das erste Mal, dass ich mir sowas einfange, nicht das letzte Mal - aber wenn Sie ihre verdammten Zitterhände nicht unter Kontrolle kriegen, verliere ich die Beherrschung!"
Einem Moment lang herrschte Stille zwischen den bieden. Yuki saß momentan obenrum nur im BH da, das Gesicht der Ärztin nur wenige Zentimeter entfernt von ihrem. Die Arzt-Tussi musterte ihre Patientin wider Willen mit einem derart herablassenden Blick, dass Yuki kurz ein Schauer über den Rücken lief. Eine kleine Platzwunde an der Schläfe sprach jedenfalls Bände darüber, wie gut diese Frau in Sozialscheiß war. Ein echtes Sonnenscheinchen, ein ganz spezielles Schneeflöckchen. Jetzt wollte sie gerne den- oder diejenige kennenlernen, der sie so zugerichtet hatte.
Und ihn umarmen.
"Ruhig Blut, Süßsauer.", entgegnete die Frau mit sarkastischem Unterton. Für wen hielt die sich bitte, Doctor Cox? Aber entgegen ihrer Wortwahl berührte sie eher sanft Yukis rechte Schulter und singalisierte mit leichtem Druck darauf, dass sie sich nach vorne beugen sollte. "Hm, glatter Durchschuss. Da haben wir aber Glück gehabt, was? So bleiben bitte."
Konnte sie sich endlich mal entscheiden, ob sie grob oder freundlich sein wollte?
"Ich kümmer' mich um den Verband, Sie kümmern sich darum, meine Frage zu beantworten.".
Anscheinend nicht.
Als der Verband endlich runter war von der Schusswunde, seufzte die Ärztin laut und gab nur ein "Hallooo, großes Loch!" von sich.
"Sturmgewehr, wahrscheinlich AK-47, oder ein ähnlicher Ballermann mit 7,62 mm-Kaliber. Die Kugeln daraus reißen sich durch einfach alles: Blutgefäße, Knochen, SCHEISSE!", sie schrie kurz auf, als die Ärztin mit einem in Desinfektionsmittel getauchten Wattebausch über das "große Loch" vorne fuhr.
"Was ist denn jetzt schon wieder?", gab die Ärztin genervt von sich ohne vom Wattebausch aufzublicken, "Für eine Bad-Ass-Fatherfucker-Duty-First-Amazone sind Sie aber ein ganz schönes Weichei."
"Ich hasse es einfach, angeschossen zu werden - das ist alles."
"Wer hat Sie überhaupt angeschossen?"
"Ich bin mit dem Hummer unterwegs gewesen, in Richtung des Hafens, bin da von Wegelagerern überrascht worden."
"Wieviele?"
"Sechs, glaub' ich."
"Da dreckige halbe Dutzend also. Drehen Sie sich mal zu mir mit dem Rücken. Ach ja, sie kommen doch an den MP3-Player ran, könnten Sie vielleicht noch was von The Cure spielen, Boys Don't Cary oder so?"
Yuki nickte kurz und griff mit der rechten Hand zum MP3-Player, der sich wie die Anlage und ihre Pistolen auf dem Tisch befand. Ein kurzer Druck auf den "Next Track"-Button und...
I try to laugh about it
Cover it all up with lies
I try and laugh about it
Hiding the tears in my eyes
Because boys don't cry
Boys don't cry
"Du solltest nach der Killer-Karriere eine Karriere als geiler DJ in Erwägung ziehen. Oh, tut mir leid, ich wollte nciht unterbrechen - nur weiter. Du warst beim dreckigen halben Dutzend.
"Äh, ja. Danke. Bitte, ich meine - ich hatte nur die zwei Browning-Ballermänner, kein Sturmgewehr mehr. War unbrauchbar geworden weil ich keine Mun mehr zur Verfügung hatte für dieses Mistding. Hab' dann das gemacht, was ich am besten kann..."
"Leute in den Tod geschickt?"
"Kann man so sagen."
"Ein echter Killer, also?"
"Ein echter Killer, verdammt richtig."
"Aha."
"Wem nicken Sie da eigentlich die ganze Zeit zu?"
"Ach, nur Dob."
"Der Typ aus Perth mit den Zockerkumpels?"
"M-hm. So, ich leg' dann mal den neuen Verband an - ruhig bleiben."
"Hat er Ihnen eine übergekachelt?"
"Kann man so sagen."
"Hm. Ich kenn' ihn nicht, aber ich mag' ihn."
"Sie können mich auch mal, Misses Rothrock."
"Wie zum Geier ist dein Name eigentlich?"
"Nenn' mich einfach Tess. Mehr brauchst du nicht über mich zu wissen. Einfach nur Tess und letzte Ärztin in Australien, die noch nicht zu wandelndem Gammelfleisch mutiert ist."
"Und du warst Fan der Show?"
"Fan ist untertrieben. Der erste und letzte beschissene Groupie vom großartigsten Moderator unserer Zeit, Willy fucking Stern. So, nur noch fixieren..."
"Hör zu, es tut mir leid, dass es dazu gekommen ist. Aber ich hätte nichts tun können. Er war bereits infiziert."
"Hättest einfach bei ihm bleiben sollen. Das hätte ihm gefallen, so wie er für dich anscheinend empfunden hat. So, fertig."
"Okay."
In diesem Moment wirbelte Yuki herum und verpasste der Arzt-•••••••• eine gehörige Backpfeife, packte sie am Arm und hebelte sie über ihrem Rücken hinweg auf die Couch. Jetzt noch das Knie in die Beckengegend rammen und theatralisch die Faust in Zuschlag-Stellung bringen, das sollte die Ärztin etwas beruhigen.
"Willy war ein verdammt guter Kumpel, der sich ab und an zuviel herausnahm und zuviel in Sachen interpretierte, die ich zu ihm sagte. Er wusste, dass ich einsam war, er wusste, dass ich mir Sorgen machte und er wusste, dass ich den letzten Mann, für den auch nur ansatzweise etwas empfunden hatte enthaupten musste. Du verdammtes Miststück weißt gar nichts. Also bleib' cool."
Sie ließ die Worte einsinken und sah nun, dass an Tess' Hals ein Kruzifix hing. Immernoch in BH und mit der Faust immernoch in Schlagstellung fragte sie: "Glaubst du an Gott?"
Die Ärztin nickte.
"Nun, ich glaube auch an Gott. Ich bin ein Gott.", sie pausierte kurz, "Selbst du bist ein Gott.", wieder eine kurze Pause. "Jeder ist ein Gott, der über sein Los bestimmt." Sie stand auf und hielt der immernoch perplex auf der Couch liegenden Tess die Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Das war vielleicht zu hart. Nicht okay. Immerhin hatte die Ärztin auch leise die Lyrics zu "In between days" mitgeflüstert, was sie eigentlich sympathisch machte. Es war diese Situation, dieses Umfeld, diese verkackte Apokalypse. Alles einfach. Menschen drehten durch. Und Yuki hatte sich eigentlich geschworen, unnötigem Ärger aus dem Weg zu gehen, um genau das zu verhindern. Durchdrehen.
Zeit, sich endlich an diesen Schwur zu halten und Hilfe anzunehmen.
Obwohl diese Fotze es schon verdient hätte, das Nasenbein ins Gehirn getrieben zu bekommen.
"Ich glaube einfach daran, dass es keine falschen Entscheidungen gibt. Es fügt sich alles zusammen. Und jetzt gerade muss ich mich entscheiden, ob ich dir wehtue und damit wahrscheinlich einigen einen Gefallen tun würde. Oder ob du mir noch hiermit hilfst." Sie hob ihre lädierte linke Hand hoch, die rechte Hand immernoch von sich gestreckt.
"Lass' uns uns lieber gegenseitig helfen. Und zwing' mich nicht dazu, dir noch mehr wehzutun. Bitte."
Tess fiel wohl jetzt erst auf, dass ein Knie in der Blasengegend alles andere als angenehm war. Das Gesicht schmerzverzerrt, lachte sie dennoch auf und sagte: "Hey, hat dir eigentlich schonmal jemand gesagt dass du ziemlich prächtige Titten hast für ein Schlitzauge?"
Yuki überlegte, wei man am besten auf so ein zweifelhaftes Kompliment antworten sollte. Etwas witziges, was schlaues, sarkastisches? Oder-
Danke.
[ooc: Yuki hat so zugehauen, dass Tess keine Verletzungen davonträgt, sondern nur einen leichten Schock. Das ist die Rache für die Faust ins Gesicht, Vivi [/ooc]
Geändert von T.U.F.K.A.S. (31.08.2012 um 13:25 Uhr)
Die Zeit schien für einen kurzen Moment einfach stehen zu bleiben und sich von da an rasant zurückzudrehen.
Der Royal Botanic Garden erschien vor Clovers geistigem Auge. "...das ist mir wirklich sehr wichtig... was du sagst."
Dann das Hotel. "Clover, es geht dir gut!"
Die Kanalisation. "Ich hab' gesehen, dass es dir geschmeckt hat - glaube ich... also... nicht, dass ich dich beobachtet hätte..."
Der Schrottplatz. "Ian Burrows - und der grüßt seinen Schatz Shelley Weinberg"
Clover hatte gehört, was Ian gesagt hatte und irgendetwas in ihr hatte es auch realisiert. Aber sie hörte für den Moment nur diesen einen Namen wieder und wieder in ihrem Kopf.
"Aber was ist mit..." Alles an ihrem Korper sträubte sich dagegen, diesen einen Namen zu sagen, aber sie durfte nicht nachgeben. Sie durfte jetzt nicht ihr Herz entscheiden lassen, das im Takt eines Technosongs der 90er Jahre schlug, sie durfte nicht ihre Hand entscheiden lassen, die von seinen sanften Fingern umschlossen war, sie durfte nicht ihre Lippen entscheiden lassen, die ganz andere Worte formen wollten als sie sollten. Es war schließlich nur der Hauch einer Stimme, den sie dazu bewegen konnte, es auszusprechen.
"...Shelley?"
Clover wusste, dass jetzt der entscheidende Moment gekommen war und sie fühlte, dass ihr wieder Tränen in die Augen stiegen. Verdammt, wann bin ich zu so einer Heulsuse geworden?
"Von dem Augenblick an, als ich ihren Namen im Radio gehört habe wusste ich, dass ich nicht zulassen kann, irgendwelche Gefühle zu dir zu haben. Sie muss so glücklich sein, dich zu haben." So unfassbar glücklich. "Wie könnte ich jemandem das nehmen? Ich habe mir geschworen, ihr das nicht anzutun. Aber... wenn du so mit mir redest..." Ein kurzer Schluchzer unterbrach den Satz, "...wie soll ich da stark bleiben?"
Die Tränen ronnen ihr nun über die Wangen - aus Verzweiflung, aus Glück, aus tausend unausgesprochenen Gefühlen, die sich in diesem Moment gesammelt hatten.
Clover wischte sich kurz mit der einen Hand verlegen die Nässe aus dem Gesicht. Die andere legte sie nun an Ians Wange.
"Ich habe noch nie jemanden wie dich kennen gelernt." Sag's ihm. Hast du nicht gehört, dass du ihn glücklich machst?
"Wenn du da bist, weiß ich, dass alles gut wird." Er hat es noch nie jemandem gesagt! Vergiss Shelley, du bist die, die er liebt!
"Wenn du glücklich bist, bin ich auch glücklich." Sein Gesicht ist so nah, sieh dir doch seine Augen an, seine Lippen...
"Aber wenn das alles hier vorbei ist..." Küss ihn!
"...dann wirst du deine Freundin wieder sehen." Küss ihn, verdammt!!
"Und wenn du dann erkennst, dass es doch sie ist, die du immer geliebt hast..." Vielleicht hast du nie wieder die Gelegenheit...
"...würde es mir unrettbar das Herz brechen." Es ist sowieso zu spät, sag ihm doch endlich, dass du ihn mehr liebst als alles andere.
"Weil ich dich liebe." Gut gemacht.
Dani stand etwas abseits und rauchte die nächste Zigarette. Noch hatte sie etwas Tabak, aber lange würde der nicht mehr reichen. Das war allerdings im Moment ihr geringstes Problem, und noch war es ja nicht akut. Sie beobachtete Dr. Frankenstein und Yuki, und kam sich dabei so nutzlos vor, wie die letzten Tage noch nicht. Sie hatte weder eine Waffe, noch war sie körperlich die Stärkste, noch hatte sie etwas anderes wirklich sinnvolles getan bis jetzt. Dafür hatte sie sich inzwischen völlig von der Gruppe isoliert. Der Rest schien sich irgendwie zusammengerauft zu haben, bis auf vielleicht Helena, die selbst abseits stand. Sogar Tess hatte sich irgendwie mit Dob geeinigt, ihr war nicht entgangen wie sie sich umarmt hatten. Und sie selbst? Seit Michail tot war, war sie völlig allein. Selbst wenn sie den ganzen Irrsinn hier irgendwie überleben sollte, würde sich daran nichts ändern. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es in Amsterdam aussah. Bei den ganzen Touristen wäre es ein Wunder, wenn sich die Epidemie nicht dorthin ausgebreitet hatte.
Was half es ihr also, wenn ihr durch Michail klar geworden war, dass sie sogar töten würde um selbst zu überleben? Überleben für was, für wen? Während sie überlegte, war sie an den Rand des Daches getreten. War es hoch genug, dass sie schon den Aufprall nicht überleben würde, oder würde sie noch merken, wie die Zombies über sie herfielen? Dann waren alle Opfer umsonst.. Warum verdammt noch mal sollte mich das interessieren?
Es hatte niemand gefragt. Michail nicht, bevor er sich opferte, Helena nicht bevor sie - aus welchen Gründen auch immer - Nikita in den sicheren Tod geschickt hatte, jeder hatte getan was er für richtig hielt, egal was die anderen dazu sagen würden.
Sie schnippte den Zigarettenstummel nach unten und drehte sich um. Vorher gab es noch ein paar Dinge zu klären, und den Anfang würde sie bei Dr. Frankenstein machen. Außerdem hatte sie noch deren Unterlagen. Warum zur Hölle gab das Miststück ihr immer ihre Sachen?
Entschlossen ging sie auf Tess zu und sagte: "Hier Dr. Frankenstein, lade deinen Scheiß das nächste mal bei jemandem anderen ab.", und drückte ihr das Notizheft in die Hand. Eigentlich wollte sie nicht weitersprechen, aber dann war es raus bevor sie noch wirklich nachdenken konnte: "Und viel Spaß mit Dob. Nachdem Michail ja jetzt tot ist, hab ich natürlich Verständnis dafür, wenn du dir gleich den Nächsten suchst. Darf ich erfahren wer nach Dob der nächste ist?" Gleich darauf war sie fast erschrocken über den Zynismus in ihrer Stimme. Ihr hatte mal jemand gesagt, dass sie gar nicht erst ausfallend zu werden brauchte, ihr Tonfall war manchmal schon mehr als genug.