@real Troll:
Das ist eigentlich ein ganz interessanter Gedanke und die ausgehende Frage nach der Wirkungsfähigkeit entscheidet womöglich über Aufstieg und Fall des Konzepts. Dabei denke ich, dass es hier sogar zwei Faktoren gibt, einer davon hat mit der forwährenden Behauptung gegen das Böse, wie du sie erwähnst, zu tun, ein anderer von einer Reperatur der zerstörten Ordnung.

In ersterem Fall ist denke ich die (und hier werde ich kurz ein bisschen pseudowissenschaftlich) Dopaminwirkung sehr entscheidend; ein Konzept, das keinen Endzustand erreicht, muss zumindest voranbringen und Wettkampf erzeugen. So funktionieren ja beispielsweise auch die Welten in MMORPGs, die niemals abgeschlossen sind, sondern im Idealfall und natürlich zum Erhalt der zahlenden Spielerbasis immer neue Möglichkeiten bieten, besser zu sein als andere, im allgemeinen Fall aber vor allem auch der virtuellen Umwelt Herr zu werden. Auch solche Konzepte kommen nicht ohne das herkömmliche Gegnerschema aus, wobei natürlich neure Entwicklungen wie DayZ da eine große Ausnahme darstellen.

Hier würde ich dann konventionell vor allem die zweite Variante sehen, sozusagen der "Reset-Knopf". Utopistische Denksysteme finden in solchen Szenarien ihre Kulmination: Nicht auszumalen, welche Welten man sich schaffen könnte, wenn die etablierte Zivilisiertheit aufhören würde zu existieren. Jede realisierte Utopie (der Mensch neigt zu Utopien, vor allem zu rückwärtsgewandten und solchen, die ihn aus der unnatürlichen Verfassung der Kultiviertheit führen) folgt auf Auslöschung des Status Quo, viele Utopien sind darauf ausgerichtet, einen ehemaligen Status Quo zu retablieren -- oft ist das der naturbelasse Urzustand (Urchristentum, Urkommunismus, der Mensch im Einklang mit der Natur, Ökologiebewusstsein). DayZ begreife ich noch immer als ein soziales Experiment, das wunderbar dazu dient, den NatUr-Zustand einigermaßen nachzuempfinden. Da stecken Freiheitszustände drin, die man sich gar nicht ausmalen mag, denn jegliche Handlungskonsequenz ist entweder nichtig oder unabsehbar -- gegenüber reellen und absehbaren Handlungskonsequenzen in der zivilisierten Welt.

Ich denke, der Reiz an diesen irreparabel gebrochenen Ordnungen ist gerade der unwiderrufliche Ausbruch aus jeder Form des geordneten Dahinlebens. Und das Böse wird dahin zurückgelegt, wo es eigentlich herkommt: In die Natur oder zumindest in dieses unsichere Immerda, diese urtümliche Bedrohung, der man nicht entrinnen kann. Genau das ist ja die Urerfahrung des Bösen. Sie ist nicht abgebunden oder moralisch, sie ist auch keinem fiesen Bösewicht auf den Rücken geschnürt, es ist die reine und unverfälschte Form des dunklen Ahnens (Suspense) und sich Erschreckens (Surprise). Die fortwährende Behauptung wird dort zur absoluten Dopamin-Maschine, wo das "natürlich vorgesehene" (wieder: das ist pseudowissenschaftlich) der Belohnungsmechanismen auf einmal wieder intakt ist. Im Gegensatz zum geordneten und damit in der Regel absolut sicheren Dasein in der kultivierten Gesellschaft, in der der größte Quälgeist Disstress ist, dem kaum beizukommen ist, versetzt die unwiderruflich gebrochene Ordnung in einen Zustand der rudimentären Gesellschaft oder gar in die freie Einsamkeit des NatUr-Zustandes zurück. Dort, wo das Urböse noch aktiv ist und nicht von kulturellen Überzeichnungen zu einer ethischen Kategorie verfälscht worden ist. Das Fehlen des ultimativen Triumphierens wird dadurch auch eher zum geringfügigen Störfaktor: Triumph ist schließlich auch nur der schlechte Ersatz für den entfesselten Energiekomplex des Urbösen, der in seiner ethisch-kategorischen Verfasstheit nur noch wenige Züge des Urabenteuers trägt. In einer Spielwelt, in der Ethik und Moral keinerlei Rolle mehr spielen können, ist man dem desirablen Zustand so greifbar nah, dass die Ersatzwirkung der Vernichtung des kulturell überformten Bösen quasi nicht mehr nötig ist.