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Thema: Gut und Böse

Hybrid-Darstellung

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  1. #1
    Zitat Zitat von Jehu Beitrag anzeigen
    Ich empfinde es als den größeren Spagat Menschen in ihrer vollen Charakterspanne zu beschreiben- mit guten wie schlechten Seiten. Klares Schwarzweiß Design ist nicht meins, in meinen Augen mittlerweile auch überholt.
    Jeder weiß, das es nicht so einfach ist, und in jedem Monster steckt(e) mal ein Mensch. Für mich stellt es die höhere Kunst da, dies auch so darstellen zu können. Es gibt da kein größeres Drama in einer Geschichte für mich, als wenn man Protagonist und Antagonist gleichermaßen schätzt, weil man in ihrer Menschlichkeit ihre Beweggründe verstehen lernt.
    In gewissem Sinne gebe ich dir da durchaus recht. Aber man darf nicht vergessen, dass wir hier nicht einfach nur Geschichten erzählen, sondern Spiele machen. Und für die meisten Spieler ist es, so meine ich einmal, befriedigender wenn sie am Schluss das Gefühl haben "Hurrah! Ich habe es geschafft!" und nicht "Hm ... Jetzt habe ich diese Arme Sau niedergeknüppelt die eigentlich gar nichts dafür kann, dass sie ist wie sie ist. Irgendwie fühl ich mich mies...".
    Letzteres passiert immer eher dann wenn man zu sehr versucht das Verhalten seiner Gegenspieler zu entschuldigen.

  2. #2
    @ Mordechaj
    Ich greife mir noch einmal den Exorzismus aus deinem Gedankengang, denn ich glaube, er versenkt sich sehr tief in die Vorstellung vom Bösen als leibgewordener Gegner. Sei das nun der dunkle Herrscher (töten) oder eine schlechte Idee in den Köpfen (Massenbekehrung). Letzteres ist wohl nur umständlich im Spiel darzustellen, ersteres ist - wie zahllose Vorbilder zeigen - wirkungsvoll erprobt.
    Was ist mit Endzeitszenarien? Hier ist das Böse ein amorpher Umstand, der nicht mit dem Knüppel zu erschlagen ist. Dem Problem des ziemlich totalen zivilisatorischen Zusammenbruchs mit allen hässlichen, pulpigen oder hemdsärmelig-fröhlichen Folgen ließe sich zwar gedanklich begegnen, die Erfahrbarmachung hülfe, besser zurecht zu kommen. Aber der Bruch ist irreparabel. Aneignung führt nicht zur Wiederherstellung guter Ordnung, und der Lernende kann sich nicht über einen bösen Meister erheben. Die beiden Siegmittel Auslöschung und Reifung wären in so einem Szenario wohl nur dann geeignete Instrumente, wenn man das Ganze als (Wieder)Aufbaustrategiespiel aufzöge. In einem Abenteuerspiel mit seinem enger gefassten, weil nur auf persönliches Eingreifen beschränkten Wirkungskreis bliebe allerdings ein Drittes, um dem Bösen zu begegnen: fortwährende Behauptung. Das aktuelle "DayZ" stellt so eine Möglichkeit dar. Nur weiß ich nicht, wie befriedigend ein Spielzuschnitt auf Rollenspieler wirkt, der ständig prüft, ob man bestehen kann, ohne eine finale Erlösung anzubieten.

    @ Owly
    Es was so gemeint, wie Mordechaj sagt.
    Vielleicht denke ich zu heroisch, aber beim Bösen im Spiel denke ich gar nicht so sehr an Angst und lauernde Schrecken. Für mich ist das Böse das, was den guten Sinn in den Heldenkampf legt. Eine Art spielmechanische Theodizee, die prinzipiell auch ohne Höllenwesen auskäme.

  3. #3
    @real Troll:
    Das ist eigentlich ein ganz interessanter Gedanke und die ausgehende Frage nach der Wirkungsfähigkeit entscheidet womöglich über Aufstieg und Fall des Konzepts. Dabei denke ich, dass es hier sogar zwei Faktoren gibt, einer davon hat mit der forwährenden Behauptung gegen das Böse, wie du sie erwähnst, zu tun, ein anderer von einer Reperatur der zerstörten Ordnung.

    In ersterem Fall ist denke ich die (und hier werde ich kurz ein bisschen pseudowissenschaftlich) Dopaminwirkung sehr entscheidend; ein Konzept, das keinen Endzustand erreicht, muss zumindest voranbringen und Wettkampf erzeugen. So funktionieren ja beispielsweise auch die Welten in MMORPGs, die niemals abgeschlossen sind, sondern im Idealfall und natürlich zum Erhalt der zahlenden Spielerbasis immer neue Möglichkeiten bieten, besser zu sein als andere, im allgemeinen Fall aber vor allem auch der virtuellen Umwelt Herr zu werden. Auch solche Konzepte kommen nicht ohne das herkömmliche Gegnerschema aus, wobei natürlich neure Entwicklungen wie DayZ da eine große Ausnahme darstellen.

    Hier würde ich dann konventionell vor allem die zweite Variante sehen, sozusagen der "Reset-Knopf". Utopistische Denksysteme finden in solchen Szenarien ihre Kulmination: Nicht auszumalen, welche Welten man sich schaffen könnte, wenn die etablierte Zivilisiertheit aufhören würde zu existieren. Jede realisierte Utopie (der Mensch neigt zu Utopien, vor allem zu rückwärtsgewandten und solchen, die ihn aus der unnatürlichen Verfassung der Kultiviertheit führen) folgt auf Auslöschung des Status Quo, viele Utopien sind darauf ausgerichtet, einen ehemaligen Status Quo zu retablieren -- oft ist das der naturbelasse Urzustand (Urchristentum, Urkommunismus, der Mensch im Einklang mit der Natur, Ökologiebewusstsein). DayZ begreife ich noch immer als ein soziales Experiment, das wunderbar dazu dient, den NatUr-Zustand einigermaßen nachzuempfinden. Da stecken Freiheitszustände drin, die man sich gar nicht ausmalen mag, denn jegliche Handlungskonsequenz ist entweder nichtig oder unabsehbar -- gegenüber reellen und absehbaren Handlungskonsequenzen in der zivilisierten Welt.

    Ich denke, der Reiz an diesen irreparabel gebrochenen Ordnungen ist gerade der unwiderrufliche Ausbruch aus jeder Form des geordneten Dahinlebens. Und das Böse wird dahin zurückgelegt, wo es eigentlich herkommt: In die Natur oder zumindest in dieses unsichere Immerda, diese urtümliche Bedrohung, der man nicht entrinnen kann. Genau das ist ja die Urerfahrung des Bösen. Sie ist nicht abgebunden oder moralisch, sie ist auch keinem fiesen Bösewicht auf den Rücken geschnürt, es ist die reine und unverfälschte Form des dunklen Ahnens (Suspense) und sich Erschreckens (Surprise). Die fortwährende Behauptung wird dort zur absoluten Dopamin-Maschine, wo das "natürlich vorgesehene" (wieder: das ist pseudowissenschaftlich) der Belohnungsmechanismen auf einmal wieder intakt ist. Im Gegensatz zum geordneten und damit in der Regel absolut sicheren Dasein in der kultivierten Gesellschaft, in der der größte Quälgeist Disstress ist, dem kaum beizukommen ist, versetzt die unwiderruflich gebrochene Ordnung in einen Zustand der rudimentären Gesellschaft oder gar in die freie Einsamkeit des NatUr-Zustandes zurück. Dort, wo das Urböse noch aktiv ist und nicht von kulturellen Überzeichnungen zu einer ethischen Kategorie verfälscht worden ist. Das Fehlen des ultimativen Triumphierens wird dadurch auch eher zum geringfügigen Störfaktor: Triumph ist schließlich auch nur der schlechte Ersatz für den entfesselten Energiekomplex des Urbösen, der in seiner ethisch-kategorischen Verfasstheit nur noch wenige Züge des Urabenteuers trägt. In einer Spielwelt, in der Ethik und Moral keinerlei Rolle mehr spielen können, ist man dem desirablen Zustand so greifbar nah, dass die Ersatzwirkung der Vernichtung des kulturell überformten Bösen quasi nicht mehr nötig ist.

  4. #4
    @ Mordechaj
    Das ist sehr konstruktiv gedacht, aber ich denke, wenn man die Dystopie wieder zur Utopie umbiegen möchte, übergeht man das lustvolle Spiel mit dem Gegenteil. Natürlich redest du auch nicht von einer Reform zurück zum Naturzustand des Rosseau'schen Kinderlachens, eher schon zurück zum Wolfsgeheul Hobbes'. Aber wenn das Böse durch die äußeren Urzustände nun wieder unmittelbar würde, wäre die Zivilisation in diesem Gedankenbild der (vorübergehende) Schutzpanzer. Hingegen ist sie in der Dystopie nur ein wechselndes Gefäß des Bösen. Die Zivilisation implodiert dort wegen ihrer selbst und der erzählerische Reiz der endzeitlichen Folgen folgt meist aus dieser Grundfigur. DayZ wie Mad Max stellen keine Reset-Szenarien dar, keinen Rücksprung, keinen neuen Startversuch. Sie erzählen vom Ende als Fortsetzung, denn die verbliebenen Akteure werden von den Resten des Einstigen genährt. So, wie sie unfähig sind, davon zu lassen und all ihr Trachten darum kreisen lassen, bleiben sie verflucht. Das ist nicht nur pessimistisch und mit einiger Angst vor der Entwicklung seit der Industrialisierung beschwert, es ist auch esoterisch und damit auf die richtige Art lächerlich, die es für erzählende Spiele wertvoll machen kann. Mit einer guten Portion Verdammnis und Weihrauch bleibt das Böse in meinen Augen interessanter als eine psychologisierende Deklinationstabelle.

  5. #5
    Ich möchte auch den Bedrohungs- und Endzeitcharakter gar nicht herausnehmen oder vollständig psychologisieren; um ehrlich zu sein habe ich mit dem tiefenpsychologischen Ansatz selbst einiges an Problemen, sein Vokabularium bietet sich hier nur sehr gut an (zumindest für mich, der noch kein adäquateres entwickelt hat).

    Ich denke, es ist schwer verständlich zu machen, welche Dialektik da für mich drinsteckt, zumal sie vermutlich auch nicht nachweisbar ist. Ich finde es nur fast zu simpel, bei der bösen Verdammnis als Reiz an der Sache stehen zu bleiben. Denn warum ist dieser Reiz denn da, wie natürlich ist es für uns, diese Endzeitszenarien mit so einer merkwürdig anziehenden Faszination wahrzunehmen?

    Ich meine, genau da steckt die Dialektik: Die Dystopie, die gleichzeitig Utopie ist. Der Schutz der Gesellschaft, der gleichzeitig ungemein schwächt und das Individuum verschluckt. Der gesellschaftliche Schutz bedeutet gleichzeitig eine Freiheitseinschränkung (genau das führt ja zu so Sachen wie der Überwachungsdebatte -- wäre der Mensch zufrieden mit der gesellschaftlichen Teilhabe am eigenen Leben, hätte keiner ein Problem damit, sich Ortungschips implantieren zu lassen), der ewige Kampf und die gleichzeitig gegenseitige Bedingung zwischen Individuum und Gesellschaft kulminieren in einer fast wahnhaften Vorstellung der völligen Freiheit. Und dieses Freiheitsgefühl ist abgebunden in jenen Urerfahrungen; damals, als ein Mensch der Bestie (lies: dem anderen, dem Anderen, dem Unbekannten, dem Bösen) noch barhändig gegenüber stehen konnte. "Es ist immer beides." sagt man oft, und das halte ich hier sogar für eine zugrundeliegende Wahrheit. Natürlich ist es pessimistisch und dystopisch und auswegslos und eigentlich so unwünschenswert wie nur möglich -- aber dieser Reiz und diese Faszination, die dahinter steckt, begründet sich meiner Meinung nach nicht nur in der Was-wäre-wenn-Figur. Wir haben es hier im Grunde auch mit einer Zielgruppe zu tun, die sich scherzhaft oder sehr ernsthaft auf die Zombieapokalypse vorbereitet: Das Szenario ist klar abgesteckt und mehrfach in gleicherweise umerzählt, es sind Zeiten des Mangels und der Unsicherheit -- aber auch der maximalen Freiheit und Selbstbehauptung. Es ist ein Reset, der nicht zwangsläufig auch einen gesellschaftlichen Neustart au fur et à mesure nach sich zieht. In DayZ stellen sich allerdings einige interessante Phänomene ein, etwa neue (aber durchaus bekannte) soziale Strukturen, meist in Form der Rekreation der Sippengemeinschaft. Der Weg dahin ist noch genauso Urerfahrung wie die Wolfshierarchie.


    Es gibt eine ziemlich populäre Polarisierung in der Bewertung von gesellschaftlichen Handlungen, die glaube ich vor allem in den USA der 80er-Jahre sehr oft von Seelsorgern und Therapeuten bemüht wurde, die zwischen Liebe und Furcht. Was uns Kultur, Zivilisation, Gesellschaft, Ethik, Moral und wer nicht alles vermitteln, ist eindeutig die Übermacht und Rechtmäßigkeit des Konzeptes "Liebe" über das Konzept "Furcht". Aber was heißt das eigentlich? In einem westlichen Verständnis ist Liebe viel weiter gedacht als nur die Liebe zwischen zwei Menschen, es ist das gesellschaftliche Phänomen und fast die gesellschaftliche Pflicht der Selbstaufgabe und Prästion gegenüber anderen Menschen. Furcht hingegen ist so negativ belegt wie nur möglich, sie ist unehrenhaft, untugendhaft, unmännlich, schwach, gering etc.ppai. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die Selbstaufgabe der Liebe ein unheimlich unnatürliches und das Individuum bedrohendes Konzept ist, die Selbsterhaltung der Furcht hingegen natürlich und absichernd. Die Gesellschaft will ersetzen, was das Individuum die Furcht zu Diensten macht, fordert dafür aber die stückweise Selbstaufgabe. Der Mensch ist nun aber genetisch nicht auf gesellschaftliche Sicherheit "vorprogrammiert" und so unterdrückt er lediglich den Furchtkomplex, den er in der Folge in fiktiven Welten ausleben will; dort wo er wieder ganz bei sich ist, im NatUr-Zustand.

  6. #6
    Da gehe ich weiträumig mit. Dass Geborgenheit auch erdrücken kann, findet sich ebenfalls im überindividuellen Ringen um die angemessene Befindlichkeit wieder - um Politik einmal als nervöses Leiden zu interpretieren. Von Urerfahrungen weiß ich zuwenig, um davon sprechen zu wollen, aber auf einer empirisch fassbareren Ebene sind diese Vorstellungen vom fruchtbaren Zusammenbruch ja absolut aktuell. Linke Aussteiger- wie rechte Redneck-Fantasien sehen dem Zusammenbruch der westlichen Welt, wie wir sie kennen, mit frohem Hoffen entgegen. Damit die andere - den eigenen Wünschen freiere - Welt möglich wird, muss das Alte weg. Nur: Ist hier das Böse nicht eigentlich eher ein guter Verbündeter? Ein Mäzen, der mit dem Chaos kreatives Baumaterial spendiert? Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber ich glaube, das rückt weit von der traditionellen Vorstellung ab. Das ist nicht schlimm, aber für die erzählerischen Zwecke hat das herkömmlich Böse durchaus sein nützliches Bewenden.
    Und um eine Lanze für den Reiz der Verdammnis zu brechen: Die eigene, missliche Lage, in der (oder besser: durch die) man das Böse erfährt, wirft die Frage eigener Schuld auf. Kollektives Versagen, sündhafter Lebenswandel, persönliche Untaten - das Böse kann dann als Medium der Reinwaschung eingesetzt werden (Happy End) oder man hält es konsequent grimmig dystopisch. Stilistisch passt beides, es sattelt auf kulturell verankerten Bildern auf (immer praktisch beim Erzählen, weil man anzapfen kann, statt alles neu entwerfen zu müssen) und man ist schön frei, den eigenen Geschmack entscheiden zu lassen. Und ja, ich gebe nicht auf, den Thread immer noch ein wenig mit der Makerei in Berührung halten zu wollen.

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