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Ehrengarde
Das Kind fühlte sich dank der Salbe und den Verbänden, die Alistair ihr angelegt hatte, wie neugeboren. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ihre Beine durch die letzten Tage geschunden worden waren und rannte nun mit neuer Kraft wild durch Regen und Matsch. Laut lachte Léo, sie liebte Gewitter, gerade, wenn sie dabei draußen spielen durfte und sprang mit jedem Blitz hoch in die Luft. Niemand konnte sie ab jetzt noch einholen, sie fühlte sich selbst schnell wie die zuckenden Blitze.
Funksprüche drangen an ihr Ohr, die sie aufgrund des Unwetters und ihres Herumtobens nur undeutlich hören konnte. Einer von ihnen gehörte zu Ian, der wollte, dass alle in die Zelte gehen sollten. Abrupt bremste sie ab und sie versank mit aufspritzendem Schlamm knöcheltief im Modder. Irgendwo hier war Ian und sie wollte unbedingt zu ihm-sie war sich immernoch nicht ganz sicher, ob alles okay war und er sie immernoch so lieb hatte wie vor der Sache im Hotel. Aufmerksam blickte sie sich um, als ihr die Worte des Iren in den Sinn kamen:
"Du solltest dich auch bei Mister Bademantel bedanken, immerhin war das sein Koffer"
Da hatte er nicht unrecht. Es wäre total nicht in Léos Sinne, wenn sie sich nicht erkenntlich zeigen würde für „Mister Bademantels“ Nettigkeit. Der Besitzer von Bubbles könnte bestimmt auch noch eine kleine Weile länger warten und er würde wahrscheinlich sogar noch sauer (oder saurer) werden, wenn er mitbekam, dass das Mädchen seiner Anweisung nicht gefolgt war.
So machte sie sich also daran, die Zelte nacheinander abzususchen, als die junge Mexikanerin die Stimmen zweier ihrer Freunde durch den Regen und Donner vernahm und sich daraufhin umdrehte, um in einiger Entfernung deutlich Alitair zu erblicken, der gerade Ian am Kragen packte und ihm scheinbar nicht wirklich nette Dinge sagte und dann zu Boden warf. Wie gelähmt stand sie da und starrte in die Richtung der beiden Männer. Es war…
…bereits später Abend und die vierjährige Leocadia sollte eigentlich schon lange im Bett liegen. Doch ihr bester Affenkumpel Álvaro, den sie nun schon seit 2 Wochen als ihren bezeichnen durfte, hatte sie dazu ermutigt, den Stimmen draußen zu folgen. Dem Kleinkind war nicht wohl bei der Sache, weil sie deutlich gehört hatte, dass eine der Stimmen von ihrem Papa kam und er klang böse. Und wenn Papa böse war, wollte man lieber nicht zu nahe dran sein. Zum Glück war er noch nie böse mit ihr, aber sie hatte schon oft genug mitbekommen, wenn er andere zur Schnecke gemacht hatte und Léo war dann immer ganz mulmig.
Leise schlich sie sich aus der Villa, vorbei an ihrer Mama, die gerade lauthals mit irgendwem telefonierte und fasziniert in eine ihrer vielen Modezeitschriften starrte. Draußen angekommen, hörte sie, dass die Stimmen von der anderen Seite der Hecke herüberdrangen und so eilte sie, vorbei an den munterbeleuchteten Pool, zu dem beschnittenen Gebüsch. Sacht schoben ihre winzigen Hände die Zweige auseinander, sodass das Mädchen in die Hecke kriechen konnte und in ihr die Szene beobachten konnte.
Tatsächlich standen dort ihr Papa und Onkel Rámon Eduardo, der gerade sehr aufgebracht zu seinem kleinen Bruder sprach:
„…Einzige, was sie je großes geleistet hat, war eure Tochter zur Welt zu bringen. Und um die kümmert sich Angela nicht mal richtig, kauft ihr Kleidchen und zieht sie an, als wäre sie eine sprechende Puppe. Diese Frau hat überhaupt keine Ahnung, was es heißt, Mutter zu sein, sie hat von überhaupt nichts ne Ahnung, Fransisco, außer von Klamotten und Schmink-„
Papa packte Onkel Rámon Eduardo am Kragen und zog ihn ruppig zu sich heran.
„Wie kannst Du es wagen, so von meiner Frau zu sprechen! Angela ist eine großartige Frau und liebt Leocadia und mich!“
„Sie liebt Dich? Ohhhhhhhhhh-ja!“, ein hämisches Lachen drang aus Onkels Kehle, „sie liebt Dich, weil Du gut aussiehst und scheißreich bist und sie sich deswegen ihre teuren Schuhe und Ohringe kaufen kann und sich nicht mal ekeln muss, mit Dir dafür zu ficken!“
Beim Faustschlag Papas, der aus Onkel Rámons Nase einen Schwall Blut spritzen ließ, zuckte die Vierjährige zusammen und Tränen schossen ihr in die Augen. Sie wollte aufspringen und Papa ganz fest umarmen, damit er aufhörte, sich mit seinem Bruder zu streiten. Doch sie wusste genau, dass sie Riesenärger kriegen würde, wenn er sehen würde, dass sie noch aufwar, draußen herumschlich und ihn belauschte. Außerdem fühlte sie sich gerade wie gelähmt, sie hätte sich gar nicht bewegen können, selbst wenn sie wöllte.
„Weißt Du eigentlich, wie sehr unsere Mutter weinen musste, weil Du ‚diese blonde hohle Papaya’ aus Australien mitgebracht und geheiratet hast? Fransisco, Du bist Mutters Liebling, warst es schon immer und nur deswegen bist Du der Kopf des Kartells, nicht, weil Du einen besseren Anführer abgibst als ich oder einer der anderen. Ganz bestimmt nicht…“, er zog das Blut durch die Nase hoch und spuckte es verächtlich auf den Boden, knapp neben die Füße seines Bruders, „Sei froh, dass Léo so ein wundervolles Kind ist, denn dass Angela ihre Mama ist, hat Mutter das Herz gebrochen. Es zeigt an sich nur, wie wenig Talent Du für Deine Position hier hast. Denn genauso, wie Du vielleicht die schönste, aber auch dümmste •••••••• der Welt geheiratet-„
„Halt die Fresse!“
Rámon wurde auf den Boden geschmissen und schlug relativ hart mit dem Kopf auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob er seine Hand an die pochende Stelle. Papa beugte sich stehend über ihn:
„Wärst Du nicht mein Bruder, würde ich Dich für die Frechheit, meine Position oder meine Frau in Frage zu stellen, abknallen. Ich warne Dich: das nächste Mal zeige ich Dir, wieso ICH der Anführer unseres Kartells bin und kein anderer!“
Papa trat seinem Bruder mit voller Wucht in den Bauch, ehe er sich umdrehte und aufmachte zu gehen. Onkel Rámon Eduardo krümmte sich, doch mit einem seltsamen selbstgerechten Lächeln, dass dem Kleinkind mehr Angst machte, als alles zuvor, rief er:
„Ey, Brüderchen! Es tut mir Leid, tut mir Leid, Du hast Recht! Mir ist gerade eingefallen, was Deine Frau noch sehr, seeeeehr gut kann! Sie kann wunderbar blasen, das werden Dir alle Männer hier bestätigen!“
Papa stand augenblicklich still, für ein, zwei Augenblicke, die Léo wie Jahre vorkamen, ehe er sich umwand und seine Pistole mit dem Bild der heiligen Jungfrau und dem Kreuzanhänger zog und auf Onkel Rámon Eduardo richtete…
Ein besonders greller Blitz, gefolgt von augenblicklichem grollenden Donner holte das Kind wieder zurück in das Hier und Jetzt. Ian war inzwischen beim Kran und Alistair nicht mehr zu sehen. Hatte sie sich das nur eingebildet? Nein, ganz bestimmt nicht, sie hatte ganz deutlich gesehen wie da irgendwas zwischen den beiden Männern abgelaufen war, und zwar irgendwas ganz Falsches. Léo verstand die Welt nicht mehr, wie konnte es denn sein, dass ausgerechnet die beiden Kerle hier, die sie, neben Riley, am meisten liebhatte- …!
Was, wenn Onkel Alistair wie Onkel Rámon…
Nein, nein, nein! Sie schüttelte sich, um den Gedanken fortzujagen. Die beiden hatten bestimmt nur Spaß gemacht, natürlich hatten sie sich total gern! Wirklich glauben wollte ihr Kopf diese fadenscheinige Ausrede zwar nicht, doch Leocadia ließ Zweifel gar nicht aufkommen. Sie hatte sich noch bei Mister Bademantel zu bedanken, der gerade aus einem der Zelte gestapft kam und eilte zu ihm hin.
Vor ihm angekommen, knuddelte sie sich herzlich an ihn und strahlte zu ihm hoch:
Vielen Dank, Mister Bademantel, wegen Dir kann ich jetzt wieder richtig rumrennen! Du kannst gerne was von Papas Süßigkeiten haben, wenn Du magst, komm dann einfach zu mir, ja?
Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich deuten, doch sie war sich sicher, dass er nichts dagegenhatte und rannte schnell in das Zelt, aus dem er kam.
Drinnen befanden sich die Ärztin, die total anders als sonst wirkte und vor allem wie nach einer Schlägerei aussah und Onkel Alistair, der Apfelsaft für Fortgeschrittene trank. Hatte er sie…? Einen Moment stieg bei seinem Anblick ein höchst ungutes Gefühl in ihr hoch, doch sie verscheuchte es. Das war ihr geliebter Irenonkel und sie war sein Kobold, da war nichts, weswegen es böse Gefühle geben sollte!
Das freudlose Lächeln wich einem strahlenden Grinsen.
Hey ihr! Onkel Alistair, ich habe Mister Bademantel gerade getroffen und mich bedankt, ich kann jetzt suuuperschnell laufen!
Sie ging auf die beiden zu und betrachtete die Ärztin eingehend. Irgendwie war sie momentan definitv ganz anders als sonst, das Mädchen fühlte sich gar nicht unwohl bei ihr. Naja, sie sollte es nicht stören, also pustete sanft über die Platzwunder auf ihrer Stirn und meinte:
Das muss ganz schön wehtun, aber Pusten hilft da immer total gut. Meine Abuela macht das auch immer bei mir, bevor sie Pflaster draufmacht und dann sind die Schnitte immer ganz schnell wieder heil!
Leider sah sie gerade nirgendwo ein Pflater, doch daran störte sich das Kind nur wenig. Der Gedanke zählt. Apropos…
Wollen ihr vielleicht mir raus und da irgendwas spielen? Ich spiele wahnsinnig gerne, wenn es gewittert, wegen den tollen Blitzen und dem Regen und dem Matsch…!
Strahlend schaute sie von einem zur anderen und hoffte, dass sie mitspielen wollten.
Geändert von Mephista (29.08.2012 um 00:33 Uhr)
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