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Ritter
Isa stand etwas abseits der anderen und beobachtete deren Tätigkeiten. Sie hatte die Arme fest um den nassen Körper geschlungen und zitterte. Das lag jedoch nicht nur am Regen und der Kälte. Sie hatte Schwierigkeiten damit, die Geschehnisse der letzten Stunden einfach sacken zu lassen. Ja, Isa war von Anfang an bewusst gewesen, dass es Konflikte innerhalb der Gruppe geben würde. Aber dass alles derart eskalieren würde, wie während der Fahrt. Dass Erwachsene Menschen wie wilde Tiere übereinander herfielen... das hatte Isa nicht glauben wollen. Am liebsten wollte sie all die Geschehnisse der Fahrt vergessen. Die ganzen hässlichen Dinge, die gesagt worden waren.
Und sie selbst hatte nichts tun können und ihre Angst und ihren Zorn ausgerechnet den armen Niki spüren lassen. Natürlich hatte sie ihm helfen wollen, aber der erschrockene und verletzte Blick in seinen Augen ließ sie im Nachhinein erkennen, dass sie zu grob gewesen war. Das hatte er nicht verdient, am allerwenigsten von allen.
Und dann sollte Ian ein Mörder sein? Oder hatte er das nur gesagt, um sich gegen Tess´ Anschuldigungen zu wehren? Aber der Blick in seinen Augen, der Ton seiner Stimme... das war eine Seite, die Isa nicht erwartet hatte. Und sie machte ihr Angst. Genauso wie der Priester, der das auch noch gutgeheißen hatte. Und der offensichtlich noch durchgedrehter war als alle anderen.
Und ausgerechnet Michail, der unsymphatische Russe, hatte sein Leben für diesen Haufen Psychopathen geopfert. Nachdem Tess so große Töne gespuckt hatte, das sie als nächstes freiwillig ihr Leben für die Gruppe riskieren würde, komme was wolle. Isa war nicht überrascht, dass sie es nicht getan hatte. Jeder mit einem halben Hirn konnte nach kurzer Zeit schon erkennen, dass diese Ärztin nicht im geringsten am Wohlergehen anderer interessiert war. Wenn man sie sah, musste man schon überlegen, ob man nicht lieber irgendeine Krankheit oder dauerhafte Verstümmelung riskieren als sich von ihr behandeln lassen wollte...
Was Isas Vertrauen in die anderen aber schlussendlich völlig erschüttert hatte, waren Axels letzte Worte gewesen. Verräter. Verräter hatte er gesagt... und egal wie jung und unerfahren Isa war, sie konnte nicht so tun als würde sie nicht ahnen, das damit ein anderer Flüchtling gemeint sein musste. Einer von ihnen. Niemand wusste, was Axel zuletzt gesehen und gehört hatte. Man wusste nicht, auf welche Art und Weise ihn jemand verraten hatte. Und das machte es nur noch schlimmer. Es könnte jeder von ihnen gewesen sein, in dem Chaos. Jeder hätte ihn schubsen, seine Ausrüstung manipulieren oder sein Essen vergiften können. Jeder...
Isa schlang die Arme noch enger um den Körper, aber weder das Zittern noch die Kälte verschwanden. In der Hoffnung auf ein wenig Trost öffnete sie mit bebenden Händen ihren Rucksack... und erstarrte
"Hey Isa, schau mal was ich habe! Ich dachte mir, damit könntest du sicher einiges anfangen.", hörte sie Ethan rufen. Sie blickte nicht auf, sondern starrte nur auf ihre Hände und den Rucksack. Zitternd nahm sie einen völlig durchnässten Gegenstand heraus. Noch immer nicht aufsehend, konnte Isa nun hören, wie Ethan vor ihr stehen blieb. Sie spürte, wie er sich herunterbeugte und hörte ihn mit besorgter Stimme sagen: "Hey... stimmt etwas nicht?"
Isa merkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Erst jetzt blickte sie auf und sah Ethan durch einen nassen Schleier an. "D-der Rucksack", stammelte sie. "Da ist Wasser reingelaufen..." Ethan blickte sie verständnislos an. "Die Fotos... die Bilder von meiner Mutter..." Verzweifelt hielt sie ihm die kläglichen Überreste der Bilder vors Gesicht. Das einzige, was sie von ihrer unbekannten Mutter noch hatte.
Geändert von Zitroneneis (27.08.2012 um 21:18 Uhr)
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