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Ritter
"Was meint ihr dazu? Sollen wir unsere Zeit mit einem halbtoten verbringen, der sich da unten wahrscheinlich sowieso verirrt? Keiner eine Meinung dazu?"
Nach diesem Satz fand Isa endlich ihre Sprache wieder. Es hatte sie gefreut, dass ihr gut vorbereitetes Essen so vielen geschmeckt hatte. Und als Suparman mit den Überlebenden aus D53 und noch einigen anderen zurückgekehrt war, war ihre Freude noch größer gewesen. Zwar hatte sich Isas insgeheime Hoffnung, dass ihre Mutter vielleicht zu ihnen gestoßen wäre, in keinster Weise erfüllt, aber vielleicht wusste jemand etwas genaueres über sie.
Und dann war alles so schnell gegangen. Der übergewichtige Mann hatte Tess angegriffen und war geflohen. Und dann dieser Nazi-Opa, der versuchte die anderen aufzuhetzen und einen Schuss abließ.
Isa merkte, wie Zorn in ihr aufkeimte... und eine Erinnerung zurück in ihr Bewusstsein trat.
Vorsichtig klopfte Isa an die Tür mit der Nummer 524. Eine weiße Tür mit einem kleinen Glasfenster, umgeben von schneeweißen Wänden. Ein paar Krankenschwestern huschten eilig umher. Einige Ärzte standen in einer Ecke und besprachen etwas. Aus dem Zimmer 523 wurde gerade ein Mann im Rollstuhl herausgefahren, der am Tropf hing. Ansonsten war es ruhig. Momentan schien es nicht viele Patienten zu geben.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis aus dem Raum ein gedämpftes "Herein" ertönte. Die Stimme war sehr vertraut. Isa schluckte und öffnete dann zaghaft die Tür. Vorsichtig näherte sie sich dem einzigen belegten Bett und zwang sich, das Mädchen darin anzusehen. Ein Bein war vergibst, um den Kopf war ein Verband geschlungen. Am schlimmsten aber war das Gesicht. Die gebräunte Haut war bedeckt von Blutergüssen, die Lippen waren aufgesprungen und eines der grünbraunen Augen wurde durch Schwellungen im umliegenden Fleisch halb zugedrückt. Das andere starrte Isa mit einem schwer deutbaren Ausdruck an. Vielleicht Vorwurf? Oder Zorn? Trauer? Alles zugleich?
"Hallo Filiz... wie geht es dir?" Falsche Frage, das wurde Isa sofort bewusst. Sie begann in ihrer Tasche zu kramen. Hier, ich dachte... ich meine, vielleicht wird dir langweilig und... naja, das Buch, von dem ich dir erzählt habe..."
"Halt´s Maul, Isa!", erklang eine zornige Antwort, die sie zusammenzucken ließ. "Komm mir bloß nicht so an, als ob nix passiert wäre!"
"Ich... es tut mir leid..."
"Es tut dir leid!? Ha, ist ja schön, dass dir das leid tut. Du liegst ja nich hier. Du musst nich diese Schmerzen aushalten. Einer wie dir passiert ja nichts."
"Filiz..."
"Halt die Fresse und hau einfach ab, klar!? Hattest ja auch kein Problem damit, einfach wegzulaufen und mich mit den Typen alleinzulassen."
"Aber ich..."
"Oh, du kapierst ja gar nix. Verschwinde, los! Such dir neue Freunde, ich habe keinen Bock, so ne feige •••••••• zu sehen!"
Das war das letzte mal, dass Isa mi ihrer halbtürkische Freundin gesprochen hatte. Ein paar Tage später hatte ihre Klassenlehrerin berichtet, dass Filiz mit ihrer Familie in eine andere Stadt ziehen und daher die Schule wechseln würde. Alleine hatte sie auch mit Isa gesprochen, sie für ihren Mut gelobt, an jenem Abend die Polizei zu rufen. Isa teilte diese Ansicht nicht. Sie war geflüchtet, hatte sich selbst gerettet. Und erst als sie sich selbst in Sicherheit wusste, hatte sie die Polizei gerufen.
Sie erinnerte sich gut an die Zeitungsartikel, die eine ganze Weile die Schlagzeilen füllten. "15jährige Türkin verprügelt", gefolgt von "Mutmaßliche Täter gefangen, Motiv: Rassismus" und "Opfer verlässt Krankenhaus Gerichtsverhandlung kann beginnen".
Auch Isa war als Zeugin aufgerufen worden, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das letzte was sie gewollt hatte, war noch mehr Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht.
Und nun war sie hier, am anderen Ende der Welt, in einem noch uneröffneten Luxushotel und unter den Überlebenden war so ein Dreckskerl. Warum hatte es Leute wie Travis oder Abby oder Mike erwischt, während so einer am Leben blieb?
So sanft es in ihrer Wut ging, schob sie Ethan, der sich schützend vor ihr aufgebaut hatte, entschlossen zur Seite.
"Jetzt mach mal halblang", rief sie dem Rassisten entgegen. "Hier haben immernoch wir das Sagen. Sei lieber froh, dass wir euch reingelassen haben, obwohl du anscheinend nicht mal in der Lage bist, die wahren Feinde zu erkennen!" Der Zorn ließ ihren Akzent stärker zur Geltung bringen, was ihr bei diesem Typen überhaupt nicht behagte.
An Fawyer und den Rest ihrer Gruppe gewandt, sagte sie etwas gemäßigter: "Jeder, der nicht noch nach seinem Tod herumläuft, ist ein potenzieller Verbündeter. Wir sollten mit dem Mann reden und dann entscheiden, was zu tun ist!"
Geändert von Zitroneneis (22.08.2012 um 14:21 Uhr)
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