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Ritter
Ians Laune hatte sich erheblich gebessert, seit er beim Untersuchen der CD von Lèo unterbrochen wurde. Er hatte kein Problem damit, sich von ihr mitziehen zu lassen. Das Grinsen wich erst wieder aus seinem Gesicht, als sie die Kapelle erreichten. Der leichte Geruch nach Weihrauch erinnerte ihn an die Begräbniszeremonie seiner Mutter. Ruhig und nachdenklich setzte er sich zusammen mit Lèo, Helena und Riley auf eine der Bänke. Reiß dich zusammen, Ian!, befahl er sich noch, als er auf das vorfreudige Lächeln der kleinen Halbmexikanerin blickte. Sie soll das hier genießen.
Die Messe begann. Und wie er erwartet hatte, kam es ihm anfangs so schrecklich billig und austauschbar vor. Aber wenigstens erspart er uns Einiges. Ian versuchte, seine Skepsis zu verstecken. Dies gelang ihm zumindest vor Lèo. Ob der Priester nicht doch hin und wieder einen seiner zweifelnden Blicke wahrnahm, konnte er nicht sagen. Die CD hatte er inzwischen schon ganz vergessen.
"Mein Gebot an euch lautet: Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe! - Das spricht der Herr - Die größte Liebe beweist der, der sein Leben für seine Freunde hingibt." Dieser Satz blieb dann doch fest in seinen Gedanken hängen. War das nur eine leere Phrase, um die Opfer der ehemaligen Mitstreiter zu ehren? Liebe. Was für ein Wort. Ein missbrauchtes Wort. Jeder benutzte es. Jeder beanspruchte dieses Gefühl für sich. Wer wusste schon, was es wirklich heißt? Hätte Jesus geliebt, wäre er dann bereit gewesen, sich zu opfern? Wäre er bereit gewesen, die geliebten Menschen zurückzulassen? Liebe hieß, das Beste für geliebte Menschen zu tun. Und das Beste war nicht immer, sein Leben zu geben, die anderen im Stich zu lassen.
In seinem Kopf vermischten sich alle Gedanken. Würde er sich opfern? Wäre er bereit sein Leben zu geben? Es gibt drei Menschen auf der Welt, für die ich notfalls sterben würde. Drei Menschen. Nicht viel. Aber es reichte aus. Vor wenigen Tagen noch war es nur ein Mensch gewesen.
Die Zeremonie war beendet. Er stand auf, ging hinaus. Keinen der Gedanken hatte er abschütteln können. Die Messe gefiel ihm nicht. Aber sie hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Er würde sich im Notfall opfern - egal, was das hieß, egal, was sein eigentlicher Beweggrund war. Er würde nicht zusehen, wie geliebte Menschen starben. Er würde noch im Tod diejenigen verfolgen, die seinen Liebsten Schaden zufügten oder ihnen nicht halfen. "Tzz - im Tod!", spottete er über sich selbst und seine Gedanken. "Es gibt nichts im Tod!"
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