Die Situation stank Michail, und zwar wortwörtlich.
Aus militärischer Sicht mussten sie über diesen Aufenthaltsort froh sein, denn es gab nur drei enge Zugänge, welche sich relativ leicht verteidigen lassen würden, auch von jemanden, der im Grunde keine Ahnung hatte. Und dennoch bestand die Gefahr, sich gegenseitig auf den Füßen herumzustehen. Nein, alles andere als gut. Und zur Krönung trug das Umfeld nicht gerade zum Optimismus bei.
Stumm und darauf betont, keine Aufmerksamkeit zu erregen, war Michail mit der Waffe im Anschlag umhergegangen und hatte sich alles angesehen.
Nun stand der Russe etwas abseits und fixierte Tess, welche sich um den verletzten Ryan kümmerte.
Schon auf dem Weg hierher hatte er ihn skeptisch gemustert und im Schein seiner Taschenlampe dann mitbekommen, dass er verletzt war. Verletzt durch die Zombies.
Sicherheitsrisiko, ging Michail durch den Kopf, als die Ärztin die Hand untersuchte.
Wären wir alleine, hätte ich ihn schon auf dem Weg hierher erschossen, dachte er ohne jede Gefühlsregung, denn er glaubte weder an ein Heilmittel, noch dass sie es schnell genug erreichen würden sollte es eines geben.
Auf seinen Missionen war es üblich, der Gefangennahme durch einer Selbstexekution zu entgehen, denn die Qualen einer Verhörfolter wollte niemand ertragen müssen.
In einigen Fällen jedoch war dies nicht möglich; wenn die Arme durch Granaten zerrissen wurden und nur noch unkontrolliert zuckende Stümpfe an ihrer Stelle herumwackelten. Wenn sie in Panik verfielen und ihre Waffe nicht finden konnten. In solchen Fällen verließ man sich auf seinen Kameraden. Auf Michail konnte man sich verlassen. Immer. Er redete sich ein, dass sie alle es so gewollt hatten.
Igor blickte ihn flehend an, das spürte Michail trotz der Dunkelheit, die sie in den Wäldern des Kaukasus umgab. Die Landung in Baumkronen war immer mit einem Risiko verbunden, und seinen Kameraden hatte nur diesen einen Moment das Glück verlassen. Die Äste hielten nicht und er stürzte aus zehn Metern Höhe auf den Waldboden. Und nun lag er vor ihm; querschnittsgelähmt und bat Michail darum, ihn zu erschießen. In der Ferne hörte man das Rufen und Schreien georgischer Milizen, sie suchten nach ihnen, und es würde nicht lange dauern, ehe sie fündig würden. Michail packte den Griff seines Dragunow-Scharfschützengewehrs fester, bis die Knöchel in seinen Kampfhandschuhen weiß wurden. Noch nie hatte er einen Kameraden erschießen müssen.
"ЭТО СДЕЛАТЬ (ETO SDELATʹ/TU ES)", schrie Igor plötzlich, und ein Ruck ging durch Michail.
"Кредитные где кредит должен (Kreditnyye gde kredit dolzhen/Ehre, wem Ehre gebührt)", murmelte er unsicher vor sich hin, legte das Gewehr an, schloss kurz die Augen, und nachdem er sie wieder geöffnete hatte, straffte er seinen Körper, sein Blick wurde fest, und er drückte ab....
Er war wieder im Hier und Jetzt. Umgeben von Scheiße, Müll und Gestank. Und mittendrin die kleine Gruppe Überlebender mit einem Infizierten unter Ihnen.
Gerade verband Tess die Hand von Ryan , nachdem sie schon vorsorglich die Handschellen gezückt hatte.
Was soll das werden? Ein Maulkorb wäre wohl die bessere Alternative.
Die Frau begab sich in unnötige Gefahr, sie konnte diesem armen Kerl nicht mehr helfen.
Michail stieß sich von der Wand ab und legte die Hand um den Griff seiner Pistole, die im Gürtelhalfter steckte; dabei ging er auf Tess & Ryan zu und fixierte Zweiteren stumm mit einem entschlossenen Blick im Gesicht. Er würde ihn erschießen. Zum Wohle der Gruppe. Nur noch wenige Schritte, dann würde er vor ihnen stehen, die Waffe ziehen und ihn von seinem unabwendbaren zukünftigen Zombiedasein befreien.