12:30

"Ich will da nicht raus.". Das war im Prinzip der stille Kanon der fünf Menschen, die unten in diesem betonierten Schuhkarton eingepfercht waren und sich seit fast 2 Stunden gegenseitig angeschwiegen hatten. Sie saßen einfach da, Ridleys Leiche hatten sie notdürftig mit einer Flammenschutzdecke verdeckt, um nicht ständig seinen fast vorwurfsvollen toten Blick sehen zu müssen. Yuki sah abwechselnd die restlichen drei an und gab ihnen durch einfaches, langsames und unspektakuläres Aufstehen vom Betonboden zu verstehen, dass man raus sollte aus diesem Bunker.
"Ich gehe jetzt da raus.", sagte sie leise und räusperte sich kurz. "Wer mitkommen will, kann mir gerne folgen. Ich zwinge niemanden." Sie ging langsam zu Cameron herüber, der neben ihrer Ausrüstung saß und einen dieser fies stinkenden Vanille-Cigarillos rauchte, die Yuki so verabscheute. Sie zog sich die Schutzweste über den Oberkörper, stopfte die immernoch blutverschmierte Bazooka in den Rucksack und hievte diesen auf ihren Rücken. Er wirkte schwerer als vorhin, wahrscheinlich alleine durch die Tatsache, dass sie seit knapp 6 Stunden nichts mehr gegessen und kaum etwas getrunken hatte. Sie wollte auch nciht. Das einzige was sie musste, war funktionieren. Dieser Körper musste funktionieren. Solange er ihr ermöglichte, zu atmen und zu kämpfen, konnte ihr ein leerer Magen und ein trockener Hals ncihts ausmachen.
"Die haben vor circa...", sie hatte das Zeitverständnis völlig verloren in diesem verdammten Betonsarg, "... bestimmt 20 Minuten aufgehört mit dem Bombardement. Die Luft sollte rein sein."
Auf ihre unterschwellige Forderung an die anderen, endlich aufzustehen und ihr zumindest bis raus an die frische Luft zu folgen, reagierte lediglich Rodriguez, der die ganze Zeit auf einer Kiste gesessen und nur in die Luft gestarrt hatte, um den faul-süßlichen Geruch von Ridleys Leiche zu ignorieren. Er stellte sich neben sie, sein Sturmgewehr locker in einer Hand haltend und neben sich hängend lassend, und tätschelte ihr sanft mit der anderen auf die Schulter.
"Cam, Carpenter?", fragte sie zögerlich udn sah die beiden abwechselnd an.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit (obwohl es maxmimal 20 Sekunden waren), aber nachdem die beiden sich gegenseitig stumm angesehen und sich bestätigend zugenickt hatten, standen auch sie auf. Cameron sah sie eindringlich an, nahm ihr eher forsch den Rucksack ab, hievte ihn auf den Rücken und gab nur ein "Du gehst vor." von sich.



Die Tür flog förmlich auf, als Yuki mit vorgehaltenem Sturmgewehr aus der Bunkertür nach draußen stürmte. Schnell ließ sie die Waffe wieder sinken und sah sich um. Der komplette Stützpunkt sah aus wie ein einziges, in braun-schwarz getauchtes abstraktes Gemälde ohne Struktur. Am Horizont konnte sie gräuliche Rauchschwaden aus Brisbanes Häusern steigen sehen, in der Ferne ertönte eine Kirchenglocke, die wie ein morbider Witz Gottes über die Polizeisirenen, Schussgeräusche und Schreie hinweg hallte, die aus derselben Richtung kamen.

Die komplette Zone um Yuki und ihre Kameraden herum war menschenleer, die meisten Gebäude waren nur noch in ihren Fundamenten vorhanden, ansonsten hatte das stundenlange Dauergeballer alles zerstört.

Sie wollten nicht raus aus dem, was quasi all die Jahre ihr Zuhause war. Und doch mussten sie in die Stadt, die lichterloh brannte und alles andere als einladend wirkte in diesem Moment.
"Also...", begann Carpenter und versuchte, trotz all der Erschütterung halbwegs positiv und optimistisch zu klingen, "Entweder wir schlagen hier Wurzeln. Oder wir tun das, was wir am besten können und helfen unseren Leuten so gut wir können."
Yuki nickte stumm, aber brachte kein Wort heraus. Alles, was vorher zwar hin und wieder streng und reglementiert, aber dennoch schön war, war nun ein Ort des Todes, der nach verbranntem Fleisch stank, ein Ort wo sich abgetrennte Körperteile mit Feuer und Trümmern abwechselten. Ein Ort, der genausogut ihre persönliche Hölle sein konnte.

So machten sie sich auf den beschwerlichen Weg in die Stadt. Nicht ahnend, dass es von hier an nur noch schlimmer werden würde.