Isa stockte der Atem, als sie das Foto erblickte. Zweifelsohne handelte es sich hierbei um Andrea Nussbaum, eine Moderatorin eines Sydneyer Fernsehsenders und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Isas Mutter. Automatisch griff sie nach dem Handy und hielt es zum direkten Vergleich neben das Foto ihrer Mutter. Dann holte sie die anderen Bilder aus ihrem Rucksack und legte sie dazu. Braunes Haar, graublaue Augen, auf allen Bildern. Das selbe, warme Lächeln, welches auch durch das Alter unverändert war. Jetzt bestand kein Zweifel mehr. Isabelles Sinne hatten sie in Melbourne nicht getäuscht, sie hatte nicht einfach gesehen, was sie sehen wollte. Andrea Nussbaum und Andrea Scheffner waren ein und die selbe Person.
Sprachlos betrachtete Isa die Fotos eine Zeit lang mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und zurückgehaltener Freude. Als sie merkte, dass sich in ihren Augen Tränen sammelten, senkte Isa ihren Blick, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und wisperte heiser: "Ja, das ist sie." Sie blinzelte ein paar mal, reichte Ian sein Smartphone zurück und fuhr bebender Stimme fort: "Danke, Ian. Ich... ich hätte nicht gedacht, jetzt, in diesem Chaos noch etwas herauszufinden." Sie hatte also die richtige Spur verfolgt. Sie war nicht vollkommen grundlos in dieser Hölle gelandet. Und wenn sie eine Möglichkeit finden würde, hier herauszufinden...
Sie musste wieder an ihren Traum denken. Ihre Mutter mit dem freundlichen Lächeln, den leeren Augen und dem zerfallenden Fleisch und der langsam in sich zusammenfallenden Welt... "Du hast uns vergessen!"
Isa merkte, wie eine Träne ihre Wange herunterlief. Was, wenn sie es nicht geschafft hatte? Was, wenn Isa aus diesem Chaos herausfinden und ihre Mutter sich als tot herausstellen würde? Und ihr Vater zu Hause mit ihrer Stiefmutter? All ihre Freunde in Deutschland? Sie versuchte, die Träne wegzuwischen, doch es tropften weitere hinterher. Isa rang nach Worten: "Ah... tut mir leid Ian. Es ist nur... der ganze Stress und..." Ihre Stimme löste sich in unterdrückte Schluchzer auf. Das war doch keine Art, seine Dankbarkeit zu zeigen! Isabelle war wütend auf sich selbst, weil sie wieder nicht in der Lage war, sich zusammenzureißen, aber vor allen Dingen hatte sie Angst.
"Du hast uns vergessen! ... uns vergessen! ...vergessen..."
Was, wenn sie völlig alleine zurückbleiben würde?