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Ritter
Sogar für das passende Zusammenstecken seines Zauberwürfels war Ian jetzt zu unkonzentriert. Äußerlich wirkte er zwar gelassener als der überwiegende Rest der im Flughafen umherrauschenden Menschenmassen, doch machte ihm seine Müdigkeit und die generell aufgehitzte Stimmung stark zu schaffen.
Von zu Zeit gelang es ihm auch nicht mehr, die kurzen, verstohlenen Blicke auf die Franzosengruppe zu unterdrücken. Die Traube hatte sich offenbar etwas nach Außen gezogen und es war deutlicher zu sehen, dass da unten jemand am Boden lag, neben dem wiederum jemand kniete. Es reicht jetzt! Dich geht das nichts an!*, fauchte er sich in Gedanken selbst an.
Er warf den halb zusammengelegten Würfel mitsamt der kleineren Teile verärgert zurück in den Rucksack, ließ die Taschentücher folgen und zog ihn dann wieder zu. Die inzwischen fast leere Wasserflasche nahm er in die Hand, den Rucksack warf er sich über die Schultern, als er aufstand. Er checkte noch mal die Bank und nickte zufrieden, als er sah, dass er nichts zurückließ, außer dem verdammten Tomatensaft, der ihn ärgerte, weil er Platz weggenommen und ihn durch den Stoff des Rucksacks fies in den Rücken gedrückt hatte.
"D52!", sagte er leise vor sich hin. "D52!" Leicht verwirrt ließ er sich von den beschilderten Tafeln leiten und wurde hier und da ein wenig angerempelt, als er wieder höher frequentierte Stellen erreichte. Es kam ihm selbst albern vor, doch er hatte das Gefühl bei jedem weiteren Rempler einfach umkippen zu können. Als er wieder eine etwas größere Menschentraube erreichte und von hinten zu ihr stieß, blickte er auf und sah das verwaschen hellblaue Schild, auf dem in ziemlich undeutlicher weißer Abgrenzung D52 zu lesen war. Instinktiv sah er weiter nach rechts und erblickte Toilettenzeichen über zwei recht großen Doppeltüren. "Endlich!", stöhnte er erleichtert auf und beschleunigte seine Schritte, lief in Richtung der Türen und stieß eine davon schließlich auf.
Im Toilettenraum blickte er kurz auf die Pissoirs auf der ihm gegenüberliegenden Seite und die WC-Kabinen zu seiner rechten. Was Ian interessierte, waren aber nur die Waschbecken. Er erkannte bei näherem Herantreten hier und da einige kleinere Roststellen und Fingerabdrücke auf dem Wasserhahn, doch er würde sich jetzt nicht beschweren. Vorfreudig drehte er den Hand mit mehr Kraftaufwand auf, als er es für nötig gehalten hätte und genoss das Geräusch und den Anblick des aus der Leitung schießenden Wassers. Seine Hand zu einem Trichter formend fing er große Mengen des sehr kalten Wassers auf, beugte sich mit dem Oberkörper nach vorne und katapultierte das kühle Nass in sein Gesicht. Als der erste, durchaus positive, Schock vorüber war, führte er die Hand zum Seifenspender und stellte ernüchternd fest, dass er leer war. Auch die anderen drei verfügbaren Seifenspender ließen ihn unbefriedigt. "Fuck! Das kann doch nicht sein!", zischte er laut und aggressiv, weil er sich unbeobachtet fühlte, als er nur wenige Augenblicke danach ein Röcheln und Würgen wahrnahm.
Er drehte sich mit einem Ruck um und sah hinter sich. Da stand niemand. Ein scharfer Blick auf alle vier Duschkabinen und ihre Verriegelungen wies auch darauf hin, dass niemand im Raum sein konnte. Ich bin doch nicht soo paranoid! Just in diesem Augenblick wiederholte sich das Würgen, klang bei diesem Mal noch gequälter. "Hallo? Hallooo, ist da jemand?", fragte er nervös. Keine Antwort, bis auf ein, sich in seinem Ohr festsetzendes, leises, dauerhaftes Röcheln. Ian ging etwas in die Knie, um unter die Tür der hintersten Kabine sehen zu können, doch schreckte jäh hoch, als sich ein lautes Würgen wiederholte. Er machte einen spontanen Satz nach vorne und klopfte vorsichtig gegen die Tür. "Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie Hilfe?" Nichts. "Ich öffne jetzt die Tür!" Ian ärgerte sich im Anschluss enorm über sich selbst, weil er für einen Moment grinsen musste, als er sich vorstellte, hinzuzufügen: "Ein mal grunzen, wenn das okay ist. Zwei mal grunzen, wenn sie etwas dagegen haben!"
Nachdem er die Tür geöffnet hatte, erblickte er fast wie gelähmt einen Mann in ehemals feinem Anzug, welcher aber an mehreren Stellen mit Speichel und Blut gesäumt war. Die Krawatte hing schräg von seinem Hals und aus dem Mund tropfte der Schaum, der auch an seinem Kragen hing. Sein Gesicht sah verkommen aus - und älter, als Ian den Mann eigentlich einschätzte. Als sich die Blicke der beiden trafen, würgte der Anzugträger erneut und lauter denn je und fuhr dabei seine Arme etwas aus. Sicherheitshalber trat Ian einen Schritt zurück, was sich schon in der nächsten Sekunde als klug herausstellte, da der Aggressor sich ihm entgegenwarf, dabei sehr unsanft mit dem Kinn auf dem harten Fliesenboden landete, was Ians Zähne schmerzen ließ.
Ohne lange nachzudenken, rannte er zur Tür, stieß sie auf und blieb - immer wieder nach hinten schauend - dort stehen. Der Mann schien weiterhin liegen zu bleiben. Ian holte Luft und rief: "Hilfe! Ich brauche hier Hilfe!"
Geändert von MeTa (06.08.2012 um 18:32 Uhr)
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