Zitat Zitat von Tyr Beitrag anzeigen
Ich hatte immer den Eindruck, dass es sich dabei um zwei völlig unterschiedliche Arten von zwischenmenschlichen Beziehungen handelt. Die Beziehung zu einem Mann hat immer etwas loyales, freundschaftliches, oft auch intellektuelles während die Beziehung zu einer Frau von Schönheit, Lust und Begierde geprägt ist. Das ist zumindest das, was mir immer wieder auffällt, wenn ich mal wieder griechische Sagen oder etwas von den alten Philosophen lese.
Die Griechen haben bereits ein höchst überformtes Geschlechterkonzept, das in ihr tradiertes Kulturgut übergeht, das ist schon richtig. Wir finden allerdings in der klassischen Zeit vor allem aus Athen und aus der vorklassischen Zeit praktisch aus ganz Griechenland bildnerische und literarische Darstellungen von Knabenliebe oder Beziehungen zwischen gleichrangigen Männern. Die Attischen Komödien schildern uns Homosexualität im antiken Griechenland, Platon spricht davon; Straton von Sardis ist da ganz besonders plastisch:

Pale skins I like, but honey-colored more,
And blond and brunette boys I both adore.
I never blackball brown eyes, but above
All, eyes of scintillating black I love.


Diese Zeilen stammen übrigens aus der Anthologie Μουσα Παιδικη (Musa Puerilis), in der es in weit mehr als 250 Epigrammen ausschließlich um Knabenliebe geht.

Im antiken Rom war Homosexualität unter dem Virilitätsgebot (=sexuelle Führung durch den Mann) lange Zeit auch straflos geduldet, wenn auch beargwöhnt. Römisch-griechische antike Quellen (z.B. Aristoteles in der Πολιτικά) erzählen uns wiederum von den Kelten, wie sie oft und viel gleichgeschlechtlichen Verkehr haben. Die Forschung geht hier davon aus, dass es sich um bonding rituals, also Zusammenhalt stiftende Rituale innerhalb der Kriegergemeinschaften handelt. Ähnliches trifft auch auf einige Kulturen Mesopotamiens zu, allein schon die starke Verbindung von geschlechtlicher Liebe und kriegerischer Gewalt im kultischen Leben jener mesopotamischen Völker ist darauf ein Hinweis.

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Und so viel anders ist die heutige "Norm" in der Gesellschaft doch auch nicht. Echte Freundschaften findet man eher unter Gleichgeschlechtlichen während Partnerschaften zwischen den Geschlechtern sind.
Die Sache ist, dass es dabei in so mancher antiken Gesellschaft gar keine echte Trennung gab. Das bonding ritual der Kelten war ebenso von Loyalität wie von Lust gelenkt und schützte vor Deprivation: Ein Phänomen, das wir heute praktisch nur noch in isolierten Paragesellschaften finden, etwa in Strafgefängnissen, wo es unter langjährigen Häftlingen zur Bedürfnisbefriedigung in der Homosexualität kommt. Es gibt auch Berichte (nicht dass ich das jetzt in irgendeiner Weise gleichsetzen möchte) von einsamen Hirten, die irgendwann anfingen, Teile ihrer Herde zu bespringen. Das allein zeigt doch schon, dass Disposition eine nicht geringe Rolle bei der geschlechtlichen Ausrichtung spielt.

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Den Menschen eine allgemeine "bi"-sexuelle (im Sinne von "beides gleich stark") Verhaltensweise zuzuschreiben halte ich für ähnlich verallgemeinernd wie zu behaupten, dass Frauen und Männer "gleich" seien.
Das möchte ich ebenso sehr verneinen wie du, ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass es überhaupt keine Art des sexuellen Grundverhaltens gibt. Genau dann wären wir nämlich in dieser ziellos umherirrenden Blase, die versucht zu erklären, wie Homosexualität zustandekommt. Wir wissen es einfach nicht, die Ursachen sind womöglich einfach zu multikausal. Ich möchte aber behaupten, dass der gesellschaftliche Kontext und die Einflussnahme des Umfeldes auf das Individuum eine massive Rolle spielen. Letztendlich gehen wir, wenn wir nicht gerade Chomsky (=dumm wie brot) sind, davon aus, dass der Mensch als tabula rasa auf die Welt kommt. Und wir gehen davon aus, dass Kinder noch keine klare (andere sagen sogar einschränkender: dass Kinder keine) sexuelle Ausrichtung besitzen -- das macht es ja auch so schwer, Ursachenforschung zu betreiben. Das bedeutet im Endeffekt, dass die sexuelle Herausentwicklung bis in die Pubertät hinein (und ich würde sogar weiter gehen: selbst danach noch) unzähligen Einflüssen ausgesetzt ist. Und die gehen von klein bis groß: Wer weiß, was mich dazu verleitet hat, die Löffelchenstellung als besonders angenehm zu empfinden und auf Frauen in Sommerkleidern zu stehen. Meiner Genetik wird beides jedenfalls besonders egal sein.

Nochmal, wichtig: Multikausale Ursachen. Nichts davon ist per se angeboren oder per se erworben; es ist ein Zusammenspiel, in dem beide Faktoren -- soziokulturelle und genetische -- eine große Rolle zu spielen scheinen.

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Die Leute lassen sich ja gerne bei irgendwelchen Dingen beeinflussen, aber sicher nicht bei ihren sexuellen Neigungen.
Warum sollten sie das nicht tun? Homosexuelle Menschen haben jahrhundertelang in Scheinbeziehungen gelebt, das passiert teilweise noch heute. Und mein Gott, wir leben monogam! Gibt es ein stärkeres Indiz für den sozio-kulturellen Einfluss auf die Sexualität als Monogamie? Der Mensch ist kein Schwan; er kann, wenn er will, mit so vielen wie möglich.

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Ich glaube eher, dass der Grund für zum Beispiel negativen Äußerungen gegenüber Homosexuellen viel einfacher und ehrlicher ist; ein schlichtes Unverständnis gegenüber andere, möglicherweise konträr zur eigenen stehenden Neigungen. Denn was man nicht verstehen kann ist fremd und komisch.
Das schließt allerdings nicht aus, dass das kultursozial einprogrammiert ist. Wir beargwöhnen auch Leute, einfach kulturell anders geprägt sind. Wenn dir ein Chinese im Flugzeug vor die Füße spuckt oder ein Moslem ein Moslem ist, ist das durchaus mit viel Argwohn verbunden.