Das ist das große Problem, das ich mit der Belegung Fortpflanzungstrieb habe: Es ist ein Sexualtrieb. Der Unterschied dabei ist, dass der Fortpflanzungstrieb explizit zielgerichtet ist (d.i. die Weitergabe des Erbgutes) und der Sexualtrieb erstmal nur selbstgerichtet ist (d.i. Vereinigungsbedürfnis). Es ist hier schwer, zwischen genetisch Angelegtem und gesellschaftlich Generiertem zu unterscheiden, letztendlich müssen wir uns aber darüber im Klaren sein, dass ein Sexualtrieb durch innerkörperliche Prozesse in Gang kommt. Deshalb tritt das sexuell Triebhafte ja auch erst mit der Entwicklung der Geschlechtsorgane und dem damit einhergehenden Anstieg der Hormonproduktion hervor. (nota: Ich habe hier nur Halbwissen. Ich weiß tatsächlich nur Verschwommenes über die pubertäre Entwicklung.) Dass es einen genetisch verfestigten Sexualtrieb gibt, ist also unabstreitbar, er ist natürlicher Teil der menschlichen Entwicklung. Wie er allerdings geartet ist, hängt stark von multikausalen Faktoren ab und vieles davon wird -- vertrauen wir einfach mal der Psychoanalyse und der Entwicklungspsychologie -- bereits im frühkindlichen Alter beeinflusst. Die Tatsache außerdem, dass Körper und Psyche in einem ständigen Wechselverhältnis stehen und einander beeinflussen, während jeder Körper und jede Psyche von Grund auf verschieden sind, macht es beinahe indechiffrabel, wozu welcher Einfluss führen könnte. Letztendlich ist dann auch Genetik ein Kann-Zustand.
Die tabula rasa (sorry, da war ich etwas schwammig) meint deshalb auch nicht, dass Menschen komplett als unbeschriebene Membran auf die Welt kommen, sondern dass sie innerhalb der genetisch vorprogrammierten Grundvoraussetzungen völlig frei von Verhaltensweisen sind. Diese kommen erst in Gesellschaft zustande und verlaufen nach gewissen Mustern, welche wiederum beiderseits natürlichen Umständen und genetisch durchgesetzten Grundprinzipien (vor allem Trieberfüllung und Nutzenstreben) gehorchen. Das heißt praktisch: Heterosexualität könnte genetisch vorprogrammierte Norm sein, das ist allerdings nicht verifizierbar (zumindest ist es bis heute niemandem gelungen und ich bezweifle, dass es jemals jemandem gelingt, selbst wenn es der Wahrheit entsprechen sollte). Nehmen wir für einen Moment an, dass Heterosexualität genetisch vorprogrammiert ist -- was könnte der Schluss daraus sein? Immerhin ist auch die Neigung vorprogrammiert (und das wiederum ist empirisch belegbar) den Sexualtrieb möglichst häufig auszuleben, ohne dabei an einen Partner gebunden zu sein; unsere Gesellschaft hat aber ein ganz anderes Normverständnis als die Evolution.
Wäre irgendein bestimmtes Grundverhalten angeboren (das könnte gern individuell sein) ohne dass dieses in irgendeiner Weise gesellschaftlich beeinflusst ist, ließe sich das weder feststellen -- man kann keinen Menschen außerhalb von Gesellschaft aufziehen, schon die Mutterbrust ist gesellschaftlicher Kontakt und die bisherigen Versuchssubjekte sind allesamt nach kurzer Zeit gestorben --, noch hätte das irgendeinen Effekt, da die Gesellschaft eine faktischer und unwiderruflicher Teil des menschlichen Daseins ist: Er kann also nur innerhalb von gesellschaftlicher Beeinflussung existieren, nahezu alle ernstzunehmenden Forscher (y exclu Mr. Chomsky, der meint, der Fahrplan für's Denken wäre in die Muttermilch getunkt) gehen davon aus, dass die Persönlichkeit und das Denken sich aus dem Latenz-Schema (Reiz-Reaktion; Assimilation-Akkommodation; Ping-Pong) ergeben. Freilich, Denken und Persönlichkeit sind ja auch Bewältigungsmittel eines gesellschaftlichen Umfeldes, genauso wie Sexualität: Wie gesagt, Disposition spielt beispielsweise eine Rolle. Wir hatten mal ein Kaninchen ohne Partner. Nach 2 Wochen hat das einen Ball in etwa seiner Größe als Geschlechtspartner akzeptiert. Assimilation-Akkomodation. Ein evolutionär-zielgerichteter Nutzen im Sinne der Fortpflanzung entsteht nicht, wohl aber eine Befriedigung des selbstgerichteten Sexualtriebes.