Shadow Hearts ist eine tolle RPG-Serie, die zum einen sehr gut versteht, was das Genre ausmacht und sich auf der anderen Seite einigen Konventionen widersetzt und einfach erfrischend anders ist. Als ich vor vielen Jahren mit Shadow Hearts: Covenant meinen Einstieg in die Serie gefunden habe, wusste ich das noch nicht so richtig zu schätzen. Es hat sogar eine ganze Weile gedauert, bis ich wirklich in das Spiel reinkam, was sicherlich auch daran liegt, dass das erste Drittel des Spiels inhaltlich deutlich schwächer ist als der Rest, der haufenweise Highlights bietet.
Der hohe Preis des wegen der geringen Auflage im Westen recht seltenen ersten Teils hat dafür gesorgt, dass ich das Spiel lange nicht spielen konnte und erst im letzten Jahr durch einen Glückstreffer recht günstig bekommen habe. Mit dem inhaltlich unabhängigen dritten Teil hatte ich durchaus auch schon meinen Spaß, jedoch ist die Stimmung und das Erlebnis in Shadow Hearts: From The New World ein ganz anderes. Das, und die Tatsache, dass der Schwierigkeitsgrad recht hoch (das Kampfsystem jedoch deutlich besser ausgereift) ist und ich das Spiel mit einem Freund zusammen begonnen hatte, bin ich nicht über die erste Spielhälfte hinausgekommen.
Letztes Jahr habe ich Koudelka gespielt. Das Spiel ist ja der Vorgänger der Serie. Spielerisch weniger, aber die Handlung von Shadow Hearts baut auf Koudelka auf, was man jedoch erst im letzten Drittel des Spiels so richtig merkt. Hiroki Kikuta, der ja allein für die meisten wichtigen kreativen Energien hinter Koudelka verantwortlich war, hat Sacnoth verlassen, nachdem Koudelka ein finanzieller Misserfolg war und es kreative Differenzen im Team gab. Sein Nachfolger wurde Matsuzo Itakura, der bei Koudelka als Art Director tätig war. Sacnoth benannte sich zudem in Nautilus um (obwohl der erste Teil noch unter dem Namen Sacnoth entwickelt wurde). Die Mitarbeiter der Firma sind übrigens Ex-Mitarbeiter von Squaresoft. Als Komponisten wurde zudem Yoshitaka Hirota engagiert, dessen erstes großes Werk Shadow Hearts war und der abseits der Serie nicht viele große Arbeiten als Komponist gemacht hat. Sein einzigartiger und recht dunkler Stil sowie die vielen ethnischen und kulturellen Einflüsse, die sehr gut zu Shadow Hearts passen, haben ihn auf jeden Fall zu einer tollen Wahl gemacht. Unterstützt wurde er von Yasunori Mitsuda. Hirota spielt übrigens in den letzten Jahren zusammen mit Nobuo Uematsu in dessen Band.
Genug der Vorworte, kommen wir zum Spiel.
Shadow Hearts spielt im Jahr 1913, also unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg. Das Spiel endet mit der Nachricht, dass der erste Weltkrieg begonnen hat. Natürlich geschah der erste Weltkrieg nicht von heute auf morgen und schon lange vorher zeichneten sich Konflikte und Spannungen ab. So auch in Asien, wo die erste Spielhälfte stattfindet. Man besucht verschiedene Orte und Städte in China, das teilweise von der japanischen Armee besetzt ist. Auch wenn der Krieg selbst nicht das Hauptthema des Spiels ist, ist er doch sehr stark mit der Handlung verzahnt. Zum Beispiel spielt er eine große Rolle für die Motive des Hauptantagonist Roger Bacon. Wer Koudelka gespielt hat, wird den Namen daher kennen und sich wundern. Im Laufe des Spiels wird aber Ordnung in das Chaos gebracht.
Die Handlung dreht sich um Yuri Hyuga, Sohn eines japanischen Manns und einer russischen Frau. (Seine Abstammungsländer besucht man jedoch erst in Covenant.) Yuri hört Stimmen in seinem Kopf und ihm wird gesagt, dass er ein Mädchen namens Alice Elliot beschützen soll. Yuri besitzt zudem die seltene Fähigkeit, sich in Monster zu verwandeln. Das Spiel beginnt im Transsibierenexpress, der durch China fährt, und mit einer Konfrontation zwischen Yuri und Roger Bacon. Anschließend reist man sehr viel durch China – ein Kannibalendorf, Fengtian, Dalian, Shanghai und verschieden Dungeons. Roger Bacon spielt in der zweiten Hälfte eine größere Rolle. Gegenspieler in der ersten Hälfte ist ein chinesischer Mann namens Dehuai, der durch ein gefährliches Ritual, das die Welt zerstören konnte, China unter seine Kontrolle bringen will.
Neben Yuri und Alice gibt es folgende Charaktere:
Zhuzhen Liu, ein chinesischer Weiser und Feng-Shui-Master
Margarete G. Zelle, eine US-amerikanische Spionin
Keith Valentine, ein Vampir aus der Tschechoslowakei, der nach mehreren Jahrhunderten aus seinem Schlaf geweckt wurde
Halley, Anfrüher einer Diebesbande von Kindern in London und (SPOILER!) Koudelkas Sohn, wie man später erfährt
Keith und Halley trifft man erst in Europa.
Spoiler zur zweiten Spielhälfte:
In seiner Umsetzung ist Shadow Hearts sehr viel ungeschliffener als sein Nachfolger, der Dutzende vertonter FMVs besitzt. Shadow Hearts selbst hat nur einige, wenige gerenderte Videos, abgesehen davon sind alle Dialoge unvertont. Das ist ein bisschen schade, denn manche Momente wirken dadurch ein bisschen "roh" und gerade Koudelka war für seine Zeit in dieser Hinsicht ja sehr fortschrittlich gewesen. Auch an vielen anderen Ecken und Enden merkt man, dass das Spiel technisch noch nicht so ganz ausgereift ist. Die Charaktermodelle wirken teilweise recht grob, die Renderhintergründe jedoch sind toll. Die Charakterskills in den Kämpfen ähneln sich teils sehr und generell lässt das Kampfsystem noch die Tiefe vermissen, die es erst mit dem dritten Teil so richtig gab. Durch den Judgement Ring macht das Kampfsystem aber trotzdem Spaß und es ist erfreulich, wie viele verschiedene und schöne Sidequests das Spiel zu bieten hat, von denen viele auch den Charakteren mehr Hintergrund verleihen. Ähnlich wie im Nachfolger ist die Gruppe ein sehr bunter Haufen, wobei jedoch nur Yuri und Alice eine große Relevanz für die Handlung haben. Im Spiel gibt es eine Menge zu entdecken und auch eine Menge zu verpassen. Es gibt zudem zwei Enden, von denen das normale/schlechte zu Shadow Hearts: Covenant führt. Die Enden unterscheiden sich jedoch nur durch eine kurze Szene von wenigen Sekunden. Das gute Ende ist zudem ohne Lösungshilfen kaum zu erreichen, weil die Bedingungen nicht so einfach zu durchschauen sind.
Insgesamt ist das Spiel ziemlich einfach und taktisch nicht allzu anspruchsvoll. Auch wenn es viele Möglichkeiten gibt, das Kampfsystem für sich zu nutzen, führt meistens der einfachste Weg am schnellsten zum Ziel: Mit Yuri möglichst viel Schaden anrichten und mit einem anderen Charakter heilen.
Fazit: Shadow Hearts ist ein tolles Spielerlebnis mit einem einzigartigen, teils historischen, teils mystisch angehauchten Setting mit einigen Horror-Elementen, das starke Charaktere und eine spannende und bisweilen emotionale Handlung bietet, die zwar teilweise noch besser hätte in Szene gesetzt werden können, aber unterm Strich dennoch sehr gelungen ist. Mit 20 bis 25 Stunden ist zudem auch die Länge sehr angenehm und das Spiel wird nicht unnötig gestreckt. Der Judgement Ring gestaltet die ansonsten eher traditionellen Kämpfe etwas aufregender und die vielen Nebenaufgaben bieten interessante optionale Inhalte. Das Spiel zeichnet sich zudem durch seine recht düstere und sehr dichte Atmosphäre aus, die besonders zusammen mit den Horror/Mystery-Elementen gut wirkt. Dass das Spiel Nachfolger von Koudelka und Vorgänger von Shadow Hearts: Covenant ist, macht die Handlung noch interessanter.
Abgesehen davon ist es sehr genial, wie der Antagonist des Nachfolgers geforeshadowed wird. Und den werde ich mit Sicherheit auch in absehbarer Zeit nochmal spielen!