Zitat Zitat von Skyter 21 Beitrag anzeigen
Wie steht ihr eigentlich dazu? Zu Friedhöfen und allem was dazu gehört?
Als ich ein Kind war, war es in meiner Familie Tradition, zu Allerheiligen spätabends auf den Friedhof zu gehen und Grablichter oder auch Öllampen und Feuerschalen anzuzünden. Keine Ahnung, wie verbreitet dieser Brauch außerhalb des Ruhrgebiets ist, aber ich bin da immer gerne mitgegangen. Es war halt stockfinstere Nacht, aber auf dem Friedhof waren überall Kerzen und Lichter, häufig nicht nur rote und weiße Grableuchten, sondern auch Teelichte in bunten Plastikbehältern. Das war immer eine Atmosphäre, in der ich mich sicher gefühlt habe und es war für mich auch völlig normal, den Toten mit den vielen Lichtern eine Freude zu machen. Sehr viel später habe ich herausgefunden, daß das heutige Allerheiligen mit dem alten Fest Samhain zusammenfällt, wo, so heißt es, die Schleier zwischen dieser und der Totenwelt sehr dünn sind und die Verstorbenen für eine Nacht "auf Besuch" kommen.
Meine Prägung war jedenfalls so, daß man auf Friedhöfe geht, um die Vorangegangenen zu besuchen, als seien sie oder ein Teil von ihnen immer noch anwesend. Ich habe Friedhöfe also nie als bedrohlich empfunden oder als gruselig. Mein Clan hat das früher oft gemacht, am Grab wurden Geschichten über die Toten erzählt, meistens irgendwelche witzigen Begebenheiten. Wenn ein Teil unseres Haufens einen von unseren Toten besucht hat, wurde eine Taubenfeder zwischen eine der Pflanzen gesteckt, damit der Nächste, der nach dem Grab geschaut hat wußte, daß andere aus der Familie sich ebenfalls gekümmert haben.
Ich komme heute leider nur noch sehr selten zu unseren Gräbern, weil ich jetzt sehr weit davon entfernt wohne. Aber wenn ich hingehe, lasse ich immer noch eine Feder da. Und für gewöhnlich finde ich auch eine Feder vor .

Friedhöfe vermitteln mir also genau das, was der Name impliziert: Frieden. Ich gehe sehr gerne dorthin, bin den Umgang mit dem Tod und dem Sterben seit frühester Kindheit gewöhnt und finde es nicht unbequem, unangenehm oder befremdlich. Ich weine auf jeder Beerdigung, hemmungslos, und sehe keinen Grund, mich dessenthalben zu schämen. Trauer gehört zum Abschied nehmen - für mich ist es wichtiger, die Toten zu beklagen und sie dann mit den besten Wünschen und allem Segen ziehen zu lassen, statt krampfhaft die Contenance zu wahren. Und sei es nur weil ich mir wünsche, daß an meinem Grab später auch jemand weint. Eine ehrlich geweinte Träne, die auf ein Grab fällt, ist meiner Meinung mehr wert als ein ganzer Liter Weihwasser.

Manchmal gehe ich auch einfach so auf "fremde" Friedhöfe. Ich bin auch schon angesprochen worden, weil schwarze Kutte nunmal meine Alltagskleidung ist - ein Goth auf einem Friedhof bedient nunmal ein gewisses Klischee vonwegen Grabschändung und Schwarze Messen und blah. Ich erzähle dann die Geschichten, die ich weiter oben im Text nur angerissen habe. Danach ist es schon vier- oder fünfmal vorgekommen, daß eine Omi sich mit mir auf eine Friedhofsbank gesetzt hat und von ihrem verstorbenen Mann oder Geschwister erzählt hat. Die witzigen Anekdoten und die traurigen, die aus dem Krieg und die aus den besseren Zeiten. Ich kenne nichtmal die Namen dieser Frauen, aber das spielt keine Rolle. Es waren unheimlich wertvolle Begegnungen und ich denke es wird Zeit, daß ich mal wieder über den Kasseler Friedhof streife .

Ja, ich mag Friedhöfe und ich mochte sie schon immer. Sie geben mir das Gefühl, daß es in dieser zum Kotzen schnellebigen Zeit immer noch Orte gibt, an denen man sich vor der unausweichlichen letzten Wahrheit nicht hinter bunten Bildern, flotten Sprüchen und Statistiken verstecken kann.