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Ergebnis 1 bis 8 von 8

Thema: Literatur aus Cyrodiil

  1. #1

    Literatur aus Cyrodiil

    Dieser Treat ist für all jene die gerne mal ein Buch aus TES lesen wollen,
    aber dafür nicht extra ins spiel gehen wollen und sich das Buch erst suchen müssen.

    Ich werde hier so nach und nach alle Bücher aus den Elder Scrolls-Spielen posten.
    Wenn ihr was zu den Büchern sagen möchtet dann bitte nicht in diesem treat.
    Es wäre schön wenn hier ausschliesslich die Bücher zu finden sind
    Ich wünsche euch viel Spass beim Lesen.

    Mehrteilige Buchreihen werden zu einem Post zusammengefasst.

    Bisheriges Inhaltsverzeichnis:

    Feyfolken 1-3
    Die Geschichte von Eslaf Erol dem Bettler, Dieb, Krieger und König
    Die wahre Barenziah 1-5
    Das Lied von Pelinal 1-8
    10 Gebote 9 Göttliche
    Aevar Steinsang
    Unsterbliches Blut
    Geändert von TiberSeptim (20.04.2012 um 16:21 Uhr)

  2. #2
    Feyfolken

    Der große Weise war ein hoch gewachsener, zerzauster Mann, bärtig, doch kahlköpfig. Seine Bibliothek sah aus wie er: alle Bücher waren im Laufe der Jahre auf die unteren Regale verlegt worden, wo sie nun in staubigen Stapeln versammelt waren. Er verwendete mehrere Bücher für seine derzeitige Vorlesung und erklärte seinen Studenten, Taksim und Vonguldak, wie Vanus Galerion anfangs die Magiergilde gegründet hatte. Sie hatten zahlreiche Fragen zu Galerions Anfängen im Psijic-Orden, und wie sich das Magiestudium dort von dem der Magiergilde unterschied.

    "Es war, und ist noch immer, ein sehr strukturierter Lebensstil", erklärte der Große Weise. "Recht elitär eigentlich. Dieser Aspekt war Galerion am meisten zuwider. Er drang auf ein freies Studium der Magie. Nun, vielleicht nicht wirklich frei, doch zumindest verfügbar für alle, die es sich leisten konnten. Damit veränderte er das Leben in Tamriel."


    "Er kodifizierte die Praktiken und Rituale, die von allen modernen Zaubertrank-, Gegenstands- und Zauberherstellern benutzt werden, nicht wahr, Großer Weiser?" fragte Vonguldak.
    "Das war nur ein Teil seines Werks. Magie, wie wir sie heute kennen, stammt von Vanus Galerion. Er strukturierte die Schulen um, damit sie den Massen verständlich wurden. Er erfand die Werkzeuge der Alchemie und Verzauberung, so dass ein jeder zusammenbrauen konnte, was er wollte, sofern sein Können und Geldbeutel das erlaubten, ohne Angst vor magischen Rückschlägen. Nach und nach sorgte er dafür."
    "Was meint Ihr damit, Großer Weiser?" fragte Taksim.
    "Die ersten Werkzeuge waren mehr automatisiert als jene, die wir heute besitzen. Jeder Laie konnte sie verwenden, ohne auch nur das Geringste von Verzauberung und Alchemie zu verstehen. Auf der Insel Artaeum mussten die Studenten die Fähigkeiten mühsam und über Jahre hinweg lernen, doch Galerion fand, dies sei ein weiteres Beispiel für das elitäre Denken der Psijic. Die Werkzeuge, die er erfand, waren wie roboterartige Meisterverzauberer und -alchemisten in der Lage, alles zu erschaffen, was der Kunde verlangte, solange er nur zahlen konnte."
    "So könnte jemand beispielsweise ein Schwert erschaffen, das die Welt entzwei spaltet?" fragte Vonguldak.
    "Theoretisch ja, nehme ich an, doch es würde wahrscheinlich alles Gold der Welt kosten", kicherte der Große Weise. "Nein, ich kann nicht sagen, dass wir jemals in sehr großer Gefahr waren, doch das will nicht heißen, dass es nicht einige unglückliche Vorfälle gab, wenn ein ungeschulter Bauerntrampel etwas erfand, das über sein Verständnis hinausging. Natürlich zerstörte Galerion schließlich seine alten Werkzeuge und erschuf das, was wir heute benutzen. Es ist ein wenig elitär zu verlangen, dass Leute wissen, was sie tun, bevor sie es tun, aber bemerkenswert praktisch."
    "Und was erfanden die Leute?" fragte Taksim. "Gibt es irgendwelche Geschichten?"
    "Ihr versucht, mich abzulenken, damit ich Euch nicht prüfe", sagte der Große Weise. "Doch ich denke, eine Geschichte kann ich Euch erzählen, nur um einen wichtigen Punkt zu illustrieren. Diese besondere Anekdote fand in der Stadt Alinor an der Westküste der Insel Summerset statt und dreht sich um einen Schreiber namens Thaurbad.
    Sie trug sich zu in der Zweiten Ära, nicht lange nachdem Vanus Galerion die Magiergilde gegründet hatte und Kapitelsäle auf ganz Summerset entstanden waren, sich jedoch noch nicht auf das Festland Tamriels ausgebreitet hatten.
    Fünf Jahre lang hatte dieser Schreiber, Thaurbad, all seine Korrespondenz mit der Außenwelt über seinen Botenjungen Gorgos geführt. Im ersten Jahr, nachdem er das Leben eines Einsiedlers begonnen hatte, hatten seine wenigen verbliebenen Freunde und Familienmitglieder - um die Wahrheit zu sagen, Freunde und Verwandte seiner verstorbenen Frau - versucht, ihn zu besuchen, doch selbst die unermüdlichsten Verwandten geben schließlich auf, wenn man ihnen kein bisschen entgegenkommt. Niemand hatte einen guten Grund, den Kontakt mit Thaurbad Hulzik aufrecht zu erhalten, und im Laufe der Zeit taten dies nur noch sehr wenige. Seine Schwägerin schickte ihm gelegentlich einen Brief mit Neuigkeiten von Leuten, an die er sich kaum noch erinnern konnte, doch selbst diese Kommunikation war selten. Die meisten Botschaften an ihn und von ihm drehten sich um seine Arbeit, das Verfassen der wöchentlichen Proklamation des Tempels von Auri-El. Dabei handelte es sich um Bekanntmachungen, die an die Tempeltür genagelt wurden, Gemeindenachrichten, Predigten, solche Dinge.
    Die erste Botschaft, die Gorgos ihm an diesem Tag brachte, war von seiner Heilerin, die ihn an seinen Termin am Turdas erinnerte. Thaurbad brauchte eine Weile, um seine Antwort zu schreiben, verdrießlich, doch bestätigend. Er litt an der Purpurpest, gegen die er zu beträchtlichen Kosten behandelt wurde - Ihr müsst bedenken, dass die Schule der Wiederherstellung damals noch nicht so spezialisiert war wie heute. Es war eine fürchterliche Krankheit, die seinen Kehlkopf zerstört hatte. Aus diesem Grund kommunizierte er ausschließlich schriftlich.
    Die nächste Botschaft kam von Alfiers, der Sekretärin der Kirche, und war so kurz angebunden und muffig wie immer: "THAURBAD, ANBEI DIE PREDIGT FÜR SUNDAS, DER VERANSTALTUNGSKALENDER FÜR NÄCHSTE WOCHE UND DIE NACHRUFE. VERSUCHT, SIE ETWAS LEBENDIGER ZU GESTALTEN. EUER LETZTER VERSUCH HAT MIR NICHT GEFALLEN."
    Thaurbad hatte die Aufgabe, die Bekanntmachung zusammenzustellen, übernommen, bevor Alfiers dem Tempel beigetreten war, so dass sein geistiges Bild von ihr rein theoretisch war und sich mit der Zeit entwickelt hatte. Zunächst stellte er sich Alfiers als hässliche, fette, mit Warzen übersäte Sloadin vor, doch in letzter Zeit hatte sie sich in ein klapperdürres altjüngferliches Orkweibchen verwandelt. Es war natürlich möglich, dass seine Hellseherkraft Recht hatte und sie einfach abgenommen hatte.
    Wie auch immer Alfiers aussah, ihre Einstellung Thaurbad gegenüber war offene, unerschütterliche Geringschätzung. Sie hasste seinen Sinn für Humor, fand ständig den kleinsten Rechtschreibfehler und hielt seine Struktur und Kalligraphie für das Werk des ärgsten Amateurs. Glücklicherweise bot die Arbeit für einen Tempel fast genauso viel Jobsicherheit wie die Arbeit für den guten König von Alinor. Sie brachte nicht viel Geld, doch seine Ausgaben waren minimal. Die Wahrheit war, er müsste sie eigentlich nicht mehr tun. Er hatte ein ansehnliches Vermögen zur Seite gelegt, doch er hatte nichts anderes, mit dem er seine Tage füllen konnte. Da er also seine Zeit und seine Gedanken kaum anderweitig einsetzen konnte, war die Bekanntmachung für ihn sehr wichtig.
    Gorgos, der nun alle Botschaften abgeliefert hatte, begann sauber zu machen, und während er dies tat, erzählte er Thaurbad alle Neuigkeiten aus der Stadt. Das machte der Junge immer, und Thaurbad schenkte ihm nur selten Beachtung, doch diesmal hatte er einen interessanten Bericht. Die Magiergilde war in Alinor eingetroffen.
    Während Thaurbad aufmerksam zuhörte, erzählte ihm Gorgos alles über die Gilde, den bemerkenswerten Erzmagister und die unglaublichen Werkzeuge der Alchemie und Verzauberung. Schließlich, als der Bursche fertig war, kritzelte Thaurbad eine kurze Nachricht und reichte sie Gorgos, zusammen mit einer Schreibfeder. Die Notiz besagte: "Lass sie diese Feder verzaubern."
    "Das wird einiges kosten", sagte Gorgos.
    Thaurbad gab Gorgos eine ansehnlichen Portion der Tausende von Goldstücken, die er im Lauf der Jahre angespart hatte, und schickte ihn hinaus. Jetzt, so beschloss Thaurbad, würde er endlich imstande sein, Alfiers zu beeindrucken und dem Tempel von Auri-El Ruhm zu verschaffen.
    So wie ich die Geschichte gehört habe, hatte Gorgos sich überlegt, das Gold zu behalten und Alinor zu verlassen, doch der arme alte Thaurbad war ihm ans Herz gewachsen. Außerdem hasste er Alfiers, die er jeden Tag sehen musste, um die Botschaften für seinen Herrn zu erhalten. Dies war vielleicht nicht das edelste Motiv, aber Gorgos beschloss, zur Gilde zu gehen und die Feder verzaubern zu lassen.
    Damals, ganz besonders damals, war die Magiergilde keine elitäre Institution, wie ich schon sagte, doch als der Botenjunge hereinkam und nach dem Gegenstandsmacher fragte, wurde er mit einem gewissen Misstrauen begrüßt. Als er ihnen den Beutel Gold zeigte, verschwand diese Haltung, und er wurde in den Raum gebeten.
    Nun, ich habe keines der alten Verzauberungswerkzeuge gesehen, daher müsst Ihr Eure Phantasie anstrengen. Es gab sicherlich ein großes Prisma, um den Gegenstand mit Magie zu binden, und eine Reihe von Seelensteinen und Kugeln mit eingefangener Energie. Darüber hinaus kann ich nicht mit Sicherheit sagen, wie es aussah oder wie es funktionierte. Wegen all des Goldes, das er der Gilde gab, konnte Gorgos die teuerste verfügbare Seele in die Feder einfließen lassen, bei der es sich um etwas Daedrisches handelte, Feyfolken genannt. Der Initiierte der Gilde, der so ignorant wie die meisten Gildenmitglieder jener Zeit war, wusste nicht viel über den Geist, außer dass er mit Energie gefüllt war. Als Gorgos den Raum verließ, war die Feder bis an ihre Grenze und darüber hinaus verzaubert worden. Sie bebte praktisch vor Macht.
    Als Thaurbad sie dann benutzte, stellte sich natürlich heraus, dass er dieser Sache überhaupt nicht gewachsen war.
    Und nun", sagte der Große Weise, "ist es Zeit für Eure Prüfung."
    "Aber wie ging es weiter? Was war die Macht der Feder?" rief Taksim.
    "Ihr könnt doch jetzt nicht einfach mit der Geschichte aufhören!" protestierte Vonguldak.
    "Wir werden die Geschichte nach Eurer Beschwörungsprüfung fortsetzen, vorausgesetzt, Ihr schneidet beide außergewöhnlich gut ab", sagte der Große Weise.
    Nachdem die Prüfung vorüber war und Vonguldak sowie Taksim ihre Kenntnisse der elementaren Beschwörung unter Beweis gestellt hatten, sagte der Große Weise ihnen, dass sie den Rest des Tages frei hätten. Die beiden Burschen, die an den meisten Nachmittagen während der Lektionen herumzappelten, blieben aber beharrlich sitzen.
    "Ihr habt gesagt, Ihr würdet uns nach der Prüfung mehr von der Geschichte über den Schreiber und seine verzauberte Feder erzählen", sagte Taksim.
    "Ihr habt uns bereits vom Schreiber erzählt, dass er allein lebte, und von seinen Kämpfen mit der Tempelsekretärin um die Bekanntmachungen, die er zur Veröffentlichung bearbeitete, und dass er an der Purpurpest litt und nicht sprechen konnte. Als Ihr aufhörtet, hatte sein Botenjunge gerade die Feder seines Meisters mit einem Daedra-Geist namens Feyfolken verzaubern lassen", fügte Vonguldak hinzu, um der Erinnerung des Großen Weisen auf die Sprünge zu helfen.
    "Also, eigentlich", sprach der Große Weise, "wollte ich ja ein Nickerchen machen. Doch die Geschichte berührt einige Fragen zur Natur der Geister und bezieht sich somit auf Beschwörung, darum will ich fortfahren.
    Thaurbad begann, die Feder zu benutzen, um die Tempelbekanntmachung zu schreiben, und da war etwas an der leicht asymmetrischen, beinahe dreidimensionalen Qualität der Buchstaben, das Thaurbad außerordentlich gefiel.
    Bis in die Nacht hinein verfasste Thaurbad die Bekanntmachung des Tempels von Auri-El. Denn in dem Augenblick, in dem er mit der Feyfolken-Feder über die Seite fuhr, wurde sie zu einem Kunstwerk, einem illuminierten Manuskript aus Gold, doch mit einer guten, einfachen und ausdrucksvollen Sprache. Die Predigtauszüge lasen sich wie Dichtung, obwohl sie auf fachmännischen Ermahnungen des Erzpriesters auf der Grundlage der banalsten alessianischen Doktrin beruhten. Die Nachrufe auf zwei bedeutende Wohltäter des Tempels waren sachlich und ausdrucksvoll, erbärmlich nichtssagende Todesfälle in Tragödien von Weltklasse verwandelt. Thaurbad reizte die magische Palette aus, bis er vor Erschöpfung beinahe ohnmächtig wurde. Um sechs Uhr morgens, einen Tag vor dem Abgabetermin, gab er Gorgos die Bekanntmachung, damit er sie zu Alfiers, der Tempelsekretärin, brachte.
    Wie erwartet schrieb Alfiers niemals zurück, um ihm ein Kompliment zu machen oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wie früh er die Bekanntmachung geschickt hatte. Doch das war gleichgültig. Thaurbad wusste, dies war die beste Bekanntmachung war, die der Tempel je veröffentlicht hatte. Um ein Uhr am Sundas brachte Gorgos ihm zahlreiche Botschaften.
    "Die heutige Bekanntmachung war so wunderschön, dass ich mich beinahe schäme zuzugeben, dass ich heftig geweint habe, als ich sie im Vestibül las", schrieb der Erzpriester. "Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor etwas gesehen habe, das Auri-Els Pracht so schön eingefangen hat. Die Kathedralen von Ersthalt verblassen im Vergleich. Mein Freund, ich werfe mich dem größten Künstler seit Gallael zu Füßen."
    Der Erzpriester neigte, wie die meisten Männer des geistlichen Standes, zur Übertreibung. Dennoch freute sich Thaurbad über das Kompliment. Weitere Botschaften folgten. Alle Tempelältesten und dreiunddreißig Gemeindemitglieder jeden Alters hatten sich die Zeit genommen herauszufinden, wer die Bekanntmachung verfasst hatte und wie sie ihm eine Botschaft schicken könnten, um ihn zu beglückwünschen. Und es gab nur eine Person, von der sie diese Information erhalten konnten: Alfiers. Die Vorstellung, wie dieses Drachenweib von seinen Bewunderern belagert wurde, erfüllte Thaurbad mit wahrer Schadenfreude.
    Er war am nächsten Tag immer noch guter Laune, als er die Fähre zu seiner Heilerin Telemichiel nahm. Die Kräuterkundige war neu in der Stadt, eine hübsche Rothwardonin, die versuchte, mit ihm zu sprechen, selbst nachdem er ihr eine Notiz gegeben hatte, die besagte: "Mein Name ist Thaurbad, und ich habe einen Termin bei Telemichiel um elf Uhr. Bitte verzeiht mir, wenn ich nicht spreche, aber ich habe keinen Kehlkopf mehr."
    "Regnet es schon?" fragte sie vergnügt. "Der Wahrsager hat gesagt, es könnte regnen."
    Thaurbad runzelte die Stirn und schüttelte ärgerlich den Kopf. Warum dachten alle Leute, dass Stumme es mochten, wenn man zu ihnen sprach? Mochten es Soldaten, die ihre Arme verloren hatten, wenn man ihnen Bälle zuwarf? Zweifellos war es kein absichtlich grausames Verhalten, doch Thaurbad vermutete dennoch, dass manche Leute einfach beweisen wollten, dass sie nicht ebenfalls verkrüppelt waren.
    Die Untersuchung selbst war der übliche Horror. Telemichiel führte die übliche invasive Folter durch, wobei sie die ganze Zeit schwatzte und schwatzte und schwatzte.
    "Ihr solltet von Zeit zu Zeit versuchen zu sprechen. Das ist der einzige Weg festzustellen, ob es Euch besser geht. Wenn Ihr dies lieber nicht in aller Öffentlichkeit tun möchtet, versucht, allein zu üben", sagte Telemichiel, die genau wusste, dass ihr Patient ihren Rat ignorieren würde. "Versucht, im Bad zu singen. Ihr werdet wahrscheinlich feststellen, dass Ihr nicht so furchtbar klingt, wie Ihr denkt."
    Thaurbad verließ die Untersuchung mit dem Versprechen, die Testergebnisse in ein paar Wochen zu erhalten. Auf der Fähre zurück begann Thaurbad, über die Tempelbekanntmachung der nächsten Woche nachzudenken. Wie wäre es mit einer doppelten Randleiste um die Nachricht "Spendenteller vom letzten Sundas"? Die Predigt in zwei Spalten statt eine zu schreiben könnte einen interessanten Effekt haben. Es war fast unerträglich zu denken, dass er nicht damit anfangen konnte, bis Alfiers ihm Informationen schickte.
    Und als sie dies tat, waren die Informationen von der Notiz begleitet: "LETZTE BEKANNTMACHUNG EIN WENIG BESSER. BENUTZT BEIM NÄCHSTEN MAL NICHT DAS WORT "EFFEKTIV" AN STELLE VON "EFFIZIENT". WENN IHR NACHSCHLAGT, WERDET IHR SEHEN, DASS DIE WÖRTER NICHT SYNONYM SIND."
    Daraufhin hätte Thaurbad beinahe Telemichiels Rat befolgt, indem er Gorgos schlimme Wörter an den Kopf warf. Stattdessen trank er eine Flasche billigen Wein, verfasste und schickte eine passende Antwort und schlief auf dem Fußboden ein.
    Nach einem langen Bad am nächsten Morgen begann Thaurbad mit der Arbeit an der Bekanntmachung. Seine Idee, die Rubrik "Besondere Ankündigungen" leicht zu schattieren, hatte eine erstaunliche graphische Wirkung. Alfiers hasste immer die zusätzlichen Dekorationen, die er den Rändern hinzufügte, doch durch die Verwendung der Feyfolken-Feder erschienen sie merkwürdig wirkungsvoll und majestätisch.
    In diesem Augenblick, wie als Reaktion auf den Gedanken, erschien Gorgos bei ihm mit einer Botschaft von Alfiers. Thaurbad öffnete sie. Sie besagte schlicht: "ES TUT MIR LEID."
    Thaurbad arbeitete weiter. Er verbannte Alfiers' Nachricht aus seinen Gedanken, da er damit rechnete, dass sie ihm bald die vollständige Botschaft schicken würde: "ES TUT MIR LEID, DASS NIEMAND EUCH GELEHRT HAT, DIE RECHTEN UND LINKEN SEITENRÄNDER GLEICH BREIT ZU MACHEN" oder "ES TUT MIR LEID, DASS WIR NIEMAND ANDEREN ALS EINEN SONDERBAREN ALTEN MANN ALS SCHREIBER FÜR UNSERE BEKANNTMACHUNG FINDEN KÖNNEN". Es war gleichgültig, was ihr Leid tat. Die Spalten der Predigt erhoben sich wie massive Säulen aus Rosen, gekrönt mit schamlos verzierten Kopfzeilen. Die Nachrufe und Geburtsanzeigen waren durch einen kreisförmigen Rand gerahmt, als eine herzzerreißende Beschreibung des Lebenszyklus. Die Bekanntmachung war gleichzeitig warm und avantgardistisch. Sie war ein Meisterwerk. Als er sie am Nachmittag zu Alfiers schickte, wusste er, sie würde sie hassen, und freute sich darüber.
    Thaurbad war überrascht, am Loredas eine Botschaft aus dem Tempel zu erhalten. Schon bevor er den Inhalt las, konnte er am Stil erkennen, dass sie nicht von Alfiers kam. Die Schrift war nicht in Alfiers' gewohntem aggressivem Stil und bestand auch nicht aus Alfiers' üblichen Großbuchstaben, die sich wie ein Schrei aus Oblivion lasen.
    "Thaurbad, ich wollte Euch wissen lassen, dass Alfiers nicht mehr im Tempel ist. Sie hat gestern urplötzlich ihre Stelle gekündigt. Mein Name ist Vanderthil, und ich hatte das Glück (lasst es mich gleich gestehen, ich habe erbarmungswürdig darum gebettelt), Eure neue Kontaktperson im Tempel zu werden. Euer Genie überwältigt mich. Ich hatte eine Glaubenskrise, bis ich die Bekanntmachung der letzten Woche las. Die Bekanntmachung dieser Woche ist ein wahres Wunder. Genug. Ich wollte nur sagen, dass es mir eine Ehre ist, mit Euch zu arbeiten. -- Vanderthil."
    Die Reaktion am Sundas nach der Zeremonie erstaunte selbst Thaurbad. Der Erzpriester schrieb das massive Anwachsen der Gemeinde und der Kollekte voll und ganz der Bekanntmachung zu. Thaurbads Gehalt wurde vervierfacht. Gorgos brachte über hundertzwanzig Botschaften von bewundernden Lesern.
    In der nächsten Woche saß Thaurbad vor seinem Schreibbrett, ein Glas feinen Torvali-Mets neben sich, und starrte auf das blanke Papier. Er hatte keine Ideen. Die Bekanntmachung, sein Baby, seine Zweitfrau, langweilte ihn. Die drittklassigen Predigten des Erzbischofs waren ein Gräuel, und die Todesfälle und Geburten der Tempelmäzene erschienen ihm völlig nichtssagend. Blabla, dachte er, während er auf der Seite herumkritzelte.
    Er wusste, dass er die Buchstaben B-L-A-B-L-A geschrieben hatte. Die Wörter, die auf der Schriftrolle erschienen, lauteten: "Ein Halsband aus Perlen an einem weißen Hals."
    Er schmierte eine gezackte Linie auf die Seite. Durch diese verfluchte wunderschöne Feyfolken-Feder erschien sie als: "Preis sei Auri-El."
    Thaurbad knallte die Feder nieder, und Poesie ergoss sich in einem Strom von Tinte. Er kratzte über die Seite, bekleckste alles, und die verschandelten Worte schnellten in anderer Form erneut zurück, in noch erlesener Form als zuvor. Jeder Klecks und Spritzer ließ das Dokument wie ein Kaleidoskop wirbeln, bevor sich alles in großartiger Asymmetrie zurechtrückte. Er konnte nichts tun, um die Bekanntmachung zu ruinieren. Feyfolken hatte jetzt das Sagen. Er selbst war nur noch ein Leser, nicht mehr der Autor.
    "Nun", sagte der Große Weise. "Nach Euren Kenntnissen in der Schule der Beschwörung, was war Feyfolken?"
    "Was passierte dann?" rief Vonguldak.
    "Zunächst sagt mir, was Feyfolken war, und dann erzähle ich die Geschichte weiter."
    "Ihr sagtet, es war ein Daedra", sagte Taksim, "Und es scheint etwas mit künstlerischem Ausdruck zu tun zu haben. War Feyfolken ein Diener von Azura?"
    "Aber der Schreiber kann sich all das auch eingebildet haben", meinte Vonguldak. "Vielleicht ist Feyfolken ein Diener von Sheogorath, und er ist verrückt geworden. Oder die von der Feder erzeugten Worte lassen alle, die sie sehen, wie die gesamte Gemeinde des Tempels von Auri-El, wahnsinnig werden.""Hermaeus Mora ist der Daedra des Wissens ... und Hircine ist der Daedra der Wildnis ... und der Daedra der Rache ist Boethiah", grübelte Taksim. Und dann lächelte er: "Feyfolken ist ein Diener von Clavicus Vile, nicht wahr?"
    "Sehr gut", sagte der Große Weise. "Woher habt Ihr das gewusst?"
    "Es ist sein Stil", sagte Taksim. "Angenommen, nun da er die Macht der Feder besitzt, will er sie nicht mehr? Was geschieht als Nächstes?"
    "Ich werde es Euch erzählen", sagte der Große Weise und setzte die Geschichte fort.<br>
    Thaurbad hatte schließlich die Macht der Feder erkannt", sagte der Große Weise und fuhr mit der Geschichte fort. "Verzaubert mit dem Daedra Feyfolken, einem Diener von Clavicus Vile, hatte sie ihm großen Reichtum und Ruhm als Verfasser der wöchentlichen Bekanntmachung des Tempels von Auri-El gebracht. Doch er erkannte, dass sie der Künstler war und er nur Zeuge ihrer Magie. Er war wütend und eifersüchtig. Mit einem Schrei brach er die Feder entzwei.
    Er wendete sich ab, um sein Glas Met zu leeren. Als er sich zurückdrehte, war die Feder wieder intakt.
    Er besaß keine anderen Federn als die verzauberte, und so tauchte er seinen Finger ins Tintenfass und schrieb in großen schludrigen Lettern eine Nachricht für Gorgos. Als Gorgos mit einem neuen Stapel von Glückwunschnachrichten vom Tempel zurückkehrte, die seine letzte Bekanntmachung priesen, gab er dem Botenjungen die Notiz und die Feder. Die Notiz lautete: "Bringe die Feder zurück zur Magiergilde und verkaufe sie. Kaufe mir eine andere Feder ohne Zauber."
    Gorgos wusste nicht, was er von der Notiz halten sollte, doch er tat, was ihm aufgetragen worden war. Einige Stunden später kehrte er zurück.
    "Sie wollen uns kein Gold dafür zurückgeben", sagte Gorgos. "Sie haben gesagt, sie sei nicht verzaubert. Ich hab ihnen gesagt, ich meinte: 'Was soll das heißen, Ihr habt sie genau hier mit diesem Feyfolken-Seelenstein verzaubert', und sie sagten: 'Nun, jetzt ist jedenfalls keine Seele darin. Vielleicht habt Ihr etwas getan, und sie wurde freigesetzt.'"
    Gorgos hielt inne, um seinen Meister anzusehen. Thaurbad konnte natürlich nicht sprechen, doch nun erschien er noch sprachloser als sonst.
    "Wie auch immer, ich habe die Feder fortgeworfen und Euch diese neue gekauft, wie Ihr gesagt habt."
    Thaurbad untersuchte die neue Feder. Sie war weiß, während seine alte taubengrau gewesen war. Sie fühlte sich gut in seiner Hand an. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus und bedeutete dem Botenjungen zu gehen. Er musste eine Bekanntmachung schreiben, und diesmal ohne Magie bis auf sein eigenes Talent.
    Innerhalb von zwei Tagen hatte er beinahe alles aufgearbeitet. Es sah schlicht aus, doch es war vollständig sein eigenes Produkt. Thaurbad verspürte eine merkwürdige Beruhigung, als er seine Augen über die Seite gleiten ließ und einige kleine Fehler bemerkte. Es war lange her, seit die Bekanntmachung irgendeinen Fehler enthalten hatte. Bestimmt, dachte Thaurbad fröhlich, gab es auch noch andere Fehler im Dokument, die ihm nicht auffielen.
    Er beendete gerade einen abschließenden Wirbel einfacher Kalligraphie an den Rändern, als Gorgos mit Botschaften aus dem Tempel eintraf. Er blätterte rasch durch den Stapel, bis eine seine Aufmerksamkeit erregte. Das Wachssiegel des Briefs besagte: "Feyfolken". Völlig verwirrt brach er das Siegel.
    "Ich meine, Ihr solltet Euch umbringen", stand da in perfekter, wunderschöner Schrift.
    Er ließ den Brief zu Boden fallen, als er eine plötzliche Bewegung auf der Bekanntmachung bemerkte. Feyfolken-Schrift sprang vom Brief auf, strömte in einer Flut über die Schriftrolle und verwandelte sein schäbiges Dokument in ein Werk erhabener Schönheit. Thaurbad war es jetzt egal, wie seltsam seine Stimme krächzte. Er schrie sehr lange. Und dann trank er. Ausgiebig.
    Am frühen Fredasmorgen überbrachte Gorgos Thaurbad eine Nachricht von Vanderthil, der Tempelsekretärin, doch erst am späten Vormittag fand der Schreiber den Mut, sie zu lesen. "Guten Morgen. Ich wollte nur nach der Bekanntmachung fragen. Gewöhnlich habt Ihr sie bis Turdasabend eingereicht. Ich bin neugierig. Habt Ihr etwas Besonderes geplant? -- Vanderthil."
    Thaurbad antwortete: "Vanderthil, es tut mir Leid. Ich bin krank gewesen. Diesen Sonntag wird es keine Bekanntmachung geben" und reichte Gorgos die Botschaft, bevor er sich in seine Badewanne zurückzog. Als er eine Stunde später zurückkehrte, kam Gorgos gerade aus dem Tempel zurück, lächelnd.
    "Vanderthil und der Erzpriester waren völlig aus dem Häuschen", sagte er. "Sie haben gesagt, es sei Eure bisher beste Arbeit."
    Thaurbad schaute Gorgos verständnislos an. Dann bemerkte er, dass die Bekanntmachung verschwunden war. Zitternd tauchte er seinen Finger in das Tintenfass und kritzelte die Worte: "Was stand in der Botschaft, mit der ich dich losgeschickt habe?"
    "Erinnert Ihr Euch nicht?" fragte Gorgos und unterdrückte ein Lächeln. Er wusste, dass sein Herr in letzter Zeit viel getrunken hatte. "Ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr, aber es war so etwas wie "Vanderthil, hier ist es. Die Verspätung tut mir Leid. Ich habe in letzter Zeit schwere psychologische Probleme. - Thaurbad.' Da Ihr sagtet "Hier ist es", dachte ich, Ihr wolltet, dass ich gleichzeitig die Bekanntmachung mitnehme, und das habe ich getan. Und wie ich schon sagte, sie waren absolut begeistert. Ich wette, diesen Sundas bekommt Ihr dreimal so viele Briefe."
    Thaurbad nickte, lächelte und bedeutete dem Botenjungen zu gehen. Gorgos kehrte zum Tempel zurück, während sein Herr sich seinem Schreibbrett zuwandte und ein frisches Pergament herausholte.
    Mit der Feder schrieb er: "Was wollt Ihr, Feyfolken?"
    Aus den Wörtern wurde: "Lebt wohl. Ich hasse mein Leben. Ich schlitze mir die Pulsadern auf."
    Thaurbad versuchte es anders: "Habe ich meinen Verstand verloren?"
    Aus den Wörtern wurde: "Lebt wohl. Ich habe Gift. Ich hasse mein Leben."
    "Warum tut Ihr mir dies an?"
    "Ich, Thaurbad Hulzik, ertrage meine eigene Undankbarkeit nicht länger. Darum habe ich mir diese Schlinge um den Hals gelegt."
    Thaurbad nahm ein frisches Pergament, tauchte seinen Finger in das Tintenfass und machte sich daran, die gesamte Bekanntmachung umzuschreiben. Während sein ursprünglicher Entwurf, bevor Feyfolken ihn geändert hatte, einfach und fehlerhaft gewesen war, war die neue Abschrift ein Geschmiere. Kleinen i's fehlte der Punkt, g's sahen aus wie y's, Sätze liefen über die Ränder hinaus und wanden sich überall wie Schlangen. Tinte von der ersten Seite lief auf die zweite. Als er die Seiten aus dem Notizbuch riss, spaltete ein langer Riss die dritte Seite. Das abschließende Ergebnis hatte etwas Sinnträchtiges. Das war zumindest Thaurbads Hoffnung. Er schrieb eine weitere Notiz, die schlicht besagte: "Verwendet diese Bekanntmachung an Stelle des Mists, den ich Euch geschickt habe."
    Als Gorgos mit neuen Nachrichten zurückkehrte, gab ihm Thaurbad den Umschlag. Die neuen Briefe waren alle gleich, bis auf den von seiner Heilerin Telemichiel. "Thaurbad, Ihr müsst sobald wie möglich zu uns kommen. Wir haben Berichte aus Schwarzmarsch erhalten über eine Spielart der Purpurpest, die sich sehr nach Eurer Krankheit anhört, und wir müssen Euch erneut untersuchen. Noch ist nichts entschieden, doch wir wollen sehen, welche Möglichkeiten wir haben."
    Thaurbad brauchte den Rest des Tages und fünfzehn Gläschen des stärksten Mets, um sich zu erholen. Den größten Teil des nächsten Morgens verbrachte er damit, sich von dieser Erholung zu erholen. Er begann, mit der Feder eine Nachricht an Vanderthil zu verfassen: "Was haltet Ihr von der neuen Bekanntmachung?" Feyfolkens verbesserte Version lautete: "Ich werde mich in Brand setzen, weil ich ein talentloses Würstchen auf dem absteigenden Ast bin."
    Thaurbad schrieb die Notiz erneut mit seiner Finger-und-Tinte-Methode. Als Gorgos auftauchte, übergab er ihm die Notiz. Es gab eine Nachricht in Vanderthils Handschrift.
    Sie lautete: "Thaurbad, Ihr seid nicht nur göttlich inspiriert, sondern Ihr habt auch einen phantastischen Sinn für Humor. Stellt Euch vor, wir benutzen die von Euch geschickten Kritzeleien an Stelle der wirklichen Bekanntmachung. Ihr habt den Erzbischof herzlich zum Lachen gebracht. Ich kann kaum erwarten, was Ihr nächste Woche auf Lager habt. Herzliche Grüße, Vanderthil."
    Das Begräbnis, das eine Woche später stattfand, zog bei weitem mehr Freunde und Bewunderer an, als Thaurbad Hulzik es für möglich gehalten hätte. Der Sarg musste natürlich geschlossen bleiben, doch das hielt die Trauernden nicht davon ab, Schlange zu stehen, um seine glatte Eichenoberfläche zu berühren, als ob sie die Haut des Künstlers selbst wäre. Der Erzbischof schaffte es, sich der Lage gewachsen zu zeigen und eine bessere Grabrede als gewöhnlich zu halten. Thaurbads alte Nemesis, Alfiers, die Tempelsekretärin vor Vanderthil, war aus Wolkenruhe gekommen, jammerte und erzählte allen in Hörweite, dass Thaurbads Vorschläge ihr Leben verändert hätten. Als sie hörte, dass Thaurbad ihr in seinem Testament seine Feder vermacht hatte, brach sie in Tränen aus. Vanderthil war sogar noch untröstlicher, bis sie einen attraktiven und wunderbarerweise unverheirateten jungen Mann fand.
    "Ich kann kaum glauben, dass er nicht mehr da ist und ich ihn niemals auch nur gesehen oder mit ihm gesprochen habe", sagte sie. "Ich habe die Leiche gesehen, aber selbst wenn sie nicht völlig verbrannt gewesen wäre, hätte ich nicht sagen können, ob er es war oder nicht."
    "Ich wünschte, ich könnte Euch sagen, dass ein Fehler vorliegt, doch es gab jede Menge medizinische Beweise", sagte Telemichiel. "Einige davon habe ich selbst beigebracht. Er war einer meiner Patienten, müsst Ihr wissen."
    "Oh", sagte Vanderthil. "War er denn krank?"
    "Vor Jahren hatte er die Purpurpest. Sie raubte ihm den Kehlkopf, doch sie schien völlig abgeklungen zu sein. Ich hatte ihm gerade am Tag, bevor er sich umbrachte, eine dahingehend Nachricht geschickt."
    "Ihr seid die Heilerin?" rief Vanderthil aus. "Thaurbads Botenjunge Gorgos erzählte mir, dass er diese Nachricht gerade bekommen hatte, als ich meine schickte, in der ich ihn zum neuen Design der Bekanntmachung beglückwünschte. Es war ein verblüffendes Werk. Ich hätte es ihm niemals gesagt, aber ich hatte begonnen zu vermuten, dass er in einem altmodischen Stil steckengeblieben war. Es hat sich herausgestellt, dass er ein letztes geniales Werk verfasste, bevor er sich mit einem Feuerwerk verabschiedete. Im übertragenen Sinne. Und im wörtlichen."
    Vanderthil zeigte der Heilerin Thaurbads letzte Bekanntmachung, und Telemichiel stimmte überein, dass ihr hektischer, fast unleserlicher Stil Bände über die Macht und Majestät des Gottes Auri-El sprach."
    "Jetzt bin ich völlig verwirrt", sagte Vonguldak.
    "Worüber?" fragte der Große Weise. "Ich meine, die Geschichte ist äußerst unkompliziert."
    "Feyfolken machte alle Bekanntmachungen schön, bis auf die letzte, die, die Thaurbad für sich selbst verfasste", sagte Taksim nachdenklich. "Aber warum hat er die Nachrichten von Vanderthil und der Heilerin missdeutet? Hat Feyfolken die Worte geändert?"
    "Vielleicht", lächelte der Große Weise.
    "Oder hat Feyfolken Thaurbads Verständnis dieser Worte geändert?" fragte Vonguldak. "Hat Feyfolken ihn schließlich doch in den Wahnsinn getrieben?"
    "Sehr wahrscheinlich", sagte der Große Weise.
    "Aber das würde bedeuten, dass Feyfolken ein Diener von Sheogorath war", sagte Vonguldak. "Und Ihr habt gesagt, er sei ein Diener von Clavicus Vile. Was war er denn nun, ein Agent des Unheils oder ein Agent des Wahnsinns?"
    "Das Testament ist mit Sicherheit von Feyfolken geändert worden", sagte Taksim. "Und das ist etwas, was ein Diener von Clavicus Vile tun würde, um den Fluch fortbestehen zu lassen."
    "Als passendes Ende zu dieser Geschichte über den Schreiber und seine verfluchte Feder", lächelte der Große Weise, "lasse ich Euch hineinlesen, was Ihr wollt."
    Ende
    Geändert von TiberSeptim (17.04.2012 um 17:11 Uhr)

  3. #3
    Die Geschichte von Eslaf Erol
    Dem Bettler,Dieb,Krieger und König


    Eslaf Erol wurde als letzter eines Wurfs von Fünflingen als Sohn von Königin Lahpyrcopa und ihrem Mann, König Ytluaf, im wohlhabenden nordischen Königreich Erolgard geboren. Während ihrer Schwangerschaft war die Königin doppelt so breit wie hoch gewesen, und die Niederkunft dauerte drei Monate und sechs Tage. So ist es vielleicht begreiflich, dass Königin Lahpyrcopa, nachdem sie Eslaf geboren hatte, die Stirn runzelte, "bloß weg damit" sagte und verstarb.
    Wie viele Nords machte sich Ytluaf wenig aus seiner Frau, und noch weniger aus seinen Kindern. Seine Untertanen waren deshalb etwas verwundert, als er bekanntgab, dass er, einer alten Tradition des Volkes von Atmora folgend, seiner geliebten Gattin ins Grab folgen wolle. Man hatte weder gedacht, dass die beiden einander besonders nahegestanden hatten, noch kannte man eine solche Tradition. Doch die einfachen Leute waren dankbar, weil das kleine königliche Drama ihnen die Langeweile ein wenig vertrieb, die ein allgemeines Problem in den dunkleren Teilen von nördlichem Skyrim war und noch immer ist, besonders in der Winterzeit.
    Ytluaf rief seinen Haushalt und seine fünf kleinen dicken, heulenden Erben zu sich, und verteilte seine Hinterlassenschaft. Seinem Sohn Ynohp vermachte er seinen Titel; seinem Sohn Laernu vermachte er sein Land; seinem Sohn Suoibud vermachte er sein Vermögen, und seiner Tochter Laicifitra vermachte er seine Armee. Ytluafs Berater hatten ihn gebeten, er solle doch das Erbe zum Wohle des Königreichs zusammenhalten, aber Ytluaf machte sich wenig aus seinen Beratern, und noch weniger aus dem Königreich. Nachdem er sein Erbe verteilt hatte, zog er seinen Dolch und schnitt sich die Kehle durch.
    Kurz bevor der König sein Leben aushauchte, rang sich schließlich eine ziemlich schüchterne Amme dazu durch, etwas zu sagen: "Eure Majestät, Ihr habt Euer fünftes Kind vergessen, den kleinen Eslaf."
    Der gute Ytluaf stöhnte. Es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn man gerade mit durchgeschnittener Kehle verblutet. Der König versuchte krampfhaft, an etwas zu denken, was er noch vermachen konnte, aber es gab nichts mehr.
    Schließlich stotterte er gereizt: "Dann hätte Eslaf sich halt irgendwas nehmen sollen" und starb.
    Dass ein wenige Tage alter Säugling sein rechtmäßiges Erbe selbst einfordern sollte, war wohl etwas ungerecht. Aber so bekam Eslaf Erol mit dem letzten Atemzug seines Vaters sein Geburtsrecht. Er bekam nichts, außer dem, was er sich selbst nahm.
    Da ihn sonst niemand haben wollte, nahm Drusba, die schüchterne Amme, Kind mit zu sich nach Hause. Sie wohnte in einer ärmlichen kleinen Baracke, die im Lauf der darauf folgenden Jahre immer noch ärmlicher wurde. Da sie keine Arbeit fand, verkaufte Drusba ihre ganze Einrichtung, damit sie dem kleinen Eslaf Essen kaufen konnte. Als er schließlich laufen und sprechen konnte, hatte sie die Wände und das Dach ebenfalls verkauft, und so bestand ihr Heim nur noch aus einem Fußboden. Und wer jemals in Skyrim gewesen ist, kann sich vorstellen, dass das nicht so ganz ausreichte.
    Drusba erzählte Eslaf weder von seiner Geburt noch von seinen Geschwistern, die mit ihrem Erbe ein schönes Leben führten, denn sie war wie gesagt recht schüchtern, und es fiel ihr schwer, das Thema anzuschneiden. Sie war sogar derart schüchtern, dass sie, wann auch immer er irgendwelche Fragen zu seiner Herkunft stellte, einfach davonlief. Das war mehr oder weniger ihre Antwort auf alles - die Flucht.
    Um überhaupt mit ihr kommunizieren zu können, lernte Eslaf beinahe gleichzeitig mit dem Gehen das Laufen. Zuerst konnte er mit seiner Adoptivmutter überhaupt nicht Schritt halten, aber mit der Zeit lernte er, nur über den Ballen zu laufen, wenn er einen kurzen, schnellen Sprint hinlegen musste, und über den ganzen Fuß abzurollen, wenn es so aussah, als würde Drusba mal wieder zur Langstreckenflucht ansetzen. Eslaf bekam zwar nie die Antworten, die sie ihm schuldig war, aber er lernte immerhin, richtig schnell zu rennen.
    Während Eslaf heranwuchs, herrschte ziemlicher Trübsinn im Königreich von Erolgard. König Ynohp hatte kein Staatsvermögen, weil dieses Suoibud bekommen hatte; er hatte kein Land, mit dem er Einnahmen hätte erzielen können, weil dieses nun Laernu besaß; er hatte keine Armee, um das Volk zu verteidigen, weil diese Laicifitra gehörte. Zudem wurden, da Ynohps ja noch ein Kind war, alle Entscheidungen im Königreich von seinem ziemlich korrupten Rat getroffen. Es war ein bürokratisches, ausbeuterisches Land geworden, mit hohen Steuern, zügellosem Verbrechen und regelmäßigen Überfällen aus den angrenzenden Königreichen. Keine besonders ungewöhnliche Situation für ein Königreich in Tamriel, aber dennoch unangenehm.
    Schließlich kam der Tag, an dem der Steuereintreiber vor Drusbas Schuppen stand, um auch noch den Rest davon einzukassieren - den Fußboden. Anstatt zu protestieren, lief die arme, schüchterne Amme davon, und Eslaf sah sie niemals wieder.
    Jetzt war Eslaf obdach- und mutterlos und wusste nicht, was er tun sollte. Er war es gewohnt, in Drusbas Hütte in der kalten Nachtluft zu schlafen, aber er hatte Hunger.
    "Kann ich ein Stück Fleisch haben?" fragte er den Metzger einige Häuser weiter. "Ich habe schrecklichen Hunger."
    Der Metzger kannte den Jungen schon seit Jahren. Oft hatte er zu seiner Frau gesagt, wie sehr es ihm Leid tat, ihn in einem Haus ohne Decken oder Wände aufwachsen zu sehen. Er lächelte Eslaf an und sagte, "Hau ab, sonst setzt es Prügel."
    Eslaf verließ eilig den Metzger und ging in eine nahe gelegene Taverne. Der Wirt war ein ehemaliger Diener vom Königshof und wusste, dass der Junge eigentlich ein Prinz war. Oft hatte er das arme, zerlumpte Kind auf der Straße gesehen und darüber geseufzt, wie das Schicksal ihn behandelt hatte.
    "Kann ich etwas zu essen haben?", fragte Eslaf den Wirt. "Ich habe schrecklichen Hunger."
    "Du kannst vom Glück reden, dass ich dich nicht brate und aufesse", antwortete der Wirt.
    Eilig verließ Eslaf die Taverne. Den Rest des Tages verbrachte der Knabe damit, die guten Bürger von Erolgard anzusprechen und um Essen zu betteln. Einer warf ihm etwas zu, aber wie es sich herausstellte, war es ein ungenießbarer Stein.Als die Nacht hereinbrach, humpelte ein zerlumpter Mann auf Eslaf zu und reichte ihm wortlos etwas Obst und ein Stück Trockenfleisch. Der Junge nahm das Angebotene mit großen Augen an, und während er es verschlang, bedankte er sich artig bei dem Mann.
    "Wenn ich dich morgen auf der Straße beim Betteln erwische", knurrte der Mann "bring ich dich eigenhändig um. Wir von der Gilde lassen in der Stadt nur eine bestimmte Anzahl von Bettlern zu, und du bist einer zuviel. Du versaust mir das Geschäft."
    Es war ein Glück für Eslaf Erol, dass er so gut laufen konnte. Er lief die ganze Nacht hindurch.
    Er setzte seine Flucht mit gelegentlichen Unterbrechungen noch jahrelang fort, bis er zu einem jungen Mann herangewachsen war.
    Eslaf entdeckte, dass die lästigste aller Methoden der Nahrungsbeschaffung darin bestand, darum zu bitten. Viel leichter war es, sich in der Wildnis Essen zu suchen, oder von unbewachten Marktständen zu stehlen. Nur eins war noch schlimmer als das Betteln um Nahrung, nämlich das Betteln um Arbeit, um Nahrung zu kaufen. Das erschien ihm unnötig kompliziert.
    Nein, Eslaf fand es viel nützlicher, ein Landstreicher, Bettler und ein Dieb zu sein.
    Er beging seinen ersten Diebstahl kurz nachdem er Erolgard verlassen hatte, in den südlichen Wäldern von Tamburkar im rauen Land nahe dem Berg Jensen, östlich des Dorfes Hoarbeld. Eslaf war kurz vor dem Verhungern, da er seit vier Tagen nichts außer einem ziemlich mageren rohen Eichhörnchen gegessen hatte, als er Bratenduft roch und Rauch entdeckte. Eine Truppe fahrender Sänger hatte ihr Lager aufgeschlagen. Er beobachtete sie vom Gebüsch aus, währende sie kochten, scherzten, flirteten und sangen.
    Er hätte sie um Essen bitten können, aber so viele andere hatten vorher seine Bitte abgelehnt. Stattdessen eilte er zum Feuer hin, ergriff ein Stück Fleisch, wobei er sich verbrannte und das Gesicht verzog, und stieg damit auf den nächstbesten Baum, um es zu verschlingen, während die Barden unter ihm standen und lachten.
    "Was hast du denn jetzt vor, Dieb?" kicherte eine hübsche rothaarige Frau, die von oben bis unten tätowiert war. "Wie willst du von hier fortkommen, ohne dass wir dich fangen und bestrafen?"
    Während sein Hunger langsam nachließ, begriff Eslaf, dass sie Recht hatte. Die einzige Möglichkeit, den Baum zu verlassen, ohne in ihrer Mitte zu landen, bestand darin, weiter den Ast entlang zu kriechen, der über einen Bach unten an der Klippe ragte, fünfzig Fuß tiefer. Das schien die klügste Strategie zu sein; also begann Eslaf, sich in diese Richtung zu kriechen.
    "Hey, Junge, du weißt doch wohl, wie man sich richtig fallen lässt, oder?" rief ein junger Khajiiti, der nur wenige Jahre älter war als Eslaf, schlank aber muskulös, und in der kleinsten Bewegung anmutig. "Wenn du es nicht weißt, solltest du einfach herunterklettern und die Folgen tragen. Es ist idiotisch, sich den Hals zu brechen, wenn wir dir nur den Hintern versohlen und dich dann wegschicken würden."
    "Natürlich weiß ich, wie man richtig fällt", rief Eslaf zurück, aber er wusste es nicht. Er dachte, der Trick beim Fallen bestehe darin, nichts unter sich zu haben, und die Natur ihren Lauf nehmen zu lassen. Aber wenn man aus fünfzig Fuß Höhe hinuntersieht, kommt man doch ins Grübeln.
    "Entschuldige, dass ich deine Fähigkeiten angezweifelt habe, Meisterdieb", sagte der Khajiiti mit einem Grinsen. "Offenbar weißt du, dass du dich mit den Füßen zuerst und mit geradem, aber entspanntem Körper fallen lassen musst, damit du nicht wie ein Ei zerbrichst. Wie es scheint, ist dir beschieden, uns zu entkommen."
    Eslaf hielt sich klugerweise an die Hinweise des Khajiiti und sprang in den Fluss. Es war kein eleganter Sprung, aber er blieb unverletzt. In den darauf folgenden Jahren musste er gelegentlich aus noch größeren Höhen springen. Gewöhnlich geschah dies nach einem Diebstahl, manchmal auch ohne Wasser unter sich, und es verbesserte seine Technik erheblich.
    Als er am Morgen seines einundzwanzigsten Geburtstags in der westlichen Stadt Jallenheim ankam, brauchte er nicht lange, um herauszufinden, wer der reichste Bewohner war, bei dem sich ein Einbruch am meisten lohnen würde. Ein undurchdringlicher Palast in einem zentral gelegenen Park gehörte einem geheimnisvollen jungen Mannes namens Suoibud. Eslaf suchte sofort den Palast und begann ihn zu beobachten. Ein befestigter Palast, das wusste er inzwischen, war wie ein lebendes Wesen, mit Marotten und Gewohnheiten unter seiner harten Schale.
    Es war kein alter Bau; offensichtlich war dieser Suoibud erst vor relativ kurzer Zeit zu Geld gekommen. Regelmäßig patrouillierten dort Wachen, woraus sich schließen ließ, dass der Reiche Angst vor Einbrüchen hatte, und das aus gutem Grund. Auffälligstes Merkmal des Palasts war sein Turm, der die Steinmauern um hundert Fuß überragte und dem Bewohner zweifellos eine gute Rundumsicht gewährte. Wenn Suoibud derart unter Verfolgungswahn litt, war, wie Eslaf vermutete, auch der Lagerraum des Palasts vom Turm aus zu sehen. Der reiche Mann würde sein Vermögen bestimmt im Auge behalten wollen. Das bedeutete, dass die Beute nicht direkt unter dem Turm war, sondern irgendwo im Hof innerhalb der Mauern sein musste.
    Im Turm brannte die ganze Nacht hindurch Licht. Daraus schloss Eslaf kühn, dass es das Beste sei, bei Tageslicht einzubrechen; irgendwann musste Suoibud ja schlafen. Zu dieser Zeit würden die Wachen einen Dieb am wenigsten erwarten.
    Und so, während die Mittagssonne über den Palast schien, erklomm Eslaf schnell die Mauer in der Nähe des Haupttors, versteckte sich zwischen den Zinnen und wartete. Der Innenhof war leer und einsam und bot kaum Versteckmöglichkeiten, aber er entdeckte zwei Brunnen. Aus einem davon holten die Wachen von Zeit zu Zeit Wasser herauf, um ihren Durst zu stillen, aber Eslaf fiel auf, dass die Wachen an dem anderen vorbeigingen und ihn nie benutzten.
    Er wartete, bis die Wächter für einen Augenblick durch die Ankunft eines Händlers, der mit seinem Wagen Waren für den Palast lieferte, abgelenkt wurden. Während sie den Wagen durchsuchten, sprang Eslaf elegant und mit den Füßen voran von der Mauer hinab in den Brunnen.
    Es war keine besonders weiche Landung, denn, wie Eslaf vermutet hatte, war der Brunnen nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit Gold. Doch er wusste, wie man sich beim Fall abrollt, und tat sich nicht weh. In dem feuchten unterirdischen Lager stopfte er seine Taschen mit Gold voll und wollte gerade zu der Tür gehen, die zum Turm zu führen schien, als er einen Edelstein von der Größe eines Apfels bemerkte, der mehr wert war als das ganze Gold, das noch übrig war. Eslaf fand noch Platz dafür in seiner Hose.
    Die Tür führte tatsächlich zum Turm, und Eslaf stieg die Wendeltreppe leise, aber zügig hinauf. Oben angekommen fand er sich im Schlafzimmer der privaten Gemächer des Palasts wieder, reich verziert und kalt, mit unschätzbaren Kunstwerken und dekorativen Schwertern und Schildern an den Wänden. Eslaf nahm an, dass der schnarchende Hügel unter der Decke Suoibud war, sah aber nicht näher nach. Er schlich zum Fenster und schaute hinaus.
    Es würde ein schwieriger Sprung sein, das stand fest. Er musste vom Turm aus über die Mauer hinaus auf den Baum auf der anderen Seite springen. Die Zweige würden zwar wehtun, gleichzeitig aber den Aufprall dämpfen, und er hatte unter dem Baum einen Heuhaufen aufgeschichtet, um schlimmere Verletzungen zu verhindern.
    Eslaf wollte gerade springen, als der Bewohner des Zimmers aus dem Schlummer hochschreckte und "Mein Juwel!" kreischte.
    Eslaf starrte ihn einen langen Moment mit großen Augen an. Sie sahen sich sehr ähnlich. Was nicht verwunderlich war, denn sie waren Brüder.
    Suoibud Erol wusste wenig über seine Vergangenheit, was ihm auch einerlei war.
    Seine Kindheit hatte er in Erolgard verbracht, aber das Königreich war sehr arm und die Steuern infolgedessen sehr hoch. Er war zu jung, um sein reichliches Erbe zu verwalten, und aus Angst, ihr Herr könnte ruiniert werden, zogen seine Diener mit ihm nach Jallenheim. Niemand wusste, warum dieser Ort ausgesucht wurde. Ein altes Dienstmädchen, inzwischen längst tot, hatte es für einen guten Ort gehalten, um ein Kind aufzuziehen. Niemandem war etwas Besseres eingefallen.
    Möglicherweise hat es Kinder gegeben, die noch mehr verwöhnt und verhätschelt wurden als der junge Suoibud, aber das ist fraglich. Als er älter wurde, begriff er, dass er zwar reich war, sonst aber gar nichts besaß. Keine Familie, keine soziale Position, überhaupt keine Sicherheit. Wahre Loyalität, so stellte sich bei mehr als einer Gelegenheit heraus, kann nicht gekauft werden. Wissend, dass es nur eines gab, was für ihn sprach, nämlich sein riesiges Vermögen, war er fest entschlossen, dieses zu verteidigen und, wenn möglich, zu vermehren.
    Es gibt habgierige Menschen, die ansonsten sehr sympathisch sind, aber Suoibud gehörte zu dem seltenen Menschenschlag, der, sei es durch Veranlagung oder Erziehung, kein anderes Interesse im Leben hat als das Anhäufen und Horten von Gold. Er war bereit, alles zu tun, um sein Vermögen zu mehren. Vor kurzem hatte er heimlich damit begonnen, Söldner anzuheuern und attraktive Grundstücke überfallen zu lassen, um diese dann, wenn keiner mehr dort leben wollte, zu kaufen. Danach hörten die Angriffe natürlich auf, und Suoibud besaß einträgliches Land, das er für ein Butterbrot gekauft hatte. Es hatte mit einigen kleinen Bauerhöfen angefangen, aber in letzter Zeit hatte er eine ehrgeizigere Kampagne begonnen.
    Im mittleren Norden Skyrim gibt es ein Gebiet, genannt Aalto, von einzigartigem geographischem Interesse. Es ist das Tal eines inaktiven Vulkans, auf allen Seiten von Gletschern umgeben, so dass die Erde vom Vulkan heiß, aber der unablässige Sprühregen und die Luft kalt sind. Eine Traubensorte namens Jazbay gedeiht dort, während sie überall sonst in Tamriel verwelkt und eingeht. Dieser seltsame Weingarten ist im Privatbesitz, und der dort erzeugte Wein ist daher sehr selten und extrem teuer. Es heißt, dass der Kaiser die Erlaubnis des Kaiserlichen Rats braucht, um einmal jährlich ein Glas davon zu trinken.
    Um den Eigentümer des Aalto so lange zu schikanieren, bis er ihm das Land billig verkaufte, brauchte Suoibud mehr als nur ein paar Söldner. Er musste die beste Privatate Armee in Skyrim anwerben.
    Suoibud gab nur ungern Geld aus, aber er hatte der Generalin der Armee, einer Frau namens Laicifitra, einen Edelstein von der Größe eines Apfels als Lohn versprochen. Er hatte ihn ihr noch nicht gegeben - die Zahlung sollte erst nach erfolgreichem Abschluss der Mission erfolgen - aber der Gedanke, dass er einen so wertvollen Gegenstand aus der Hand geben müsse, bereitete ihm schlaflose Nächte. Er schlief immer tagsüber, damit er nachts seine Lagerräume bewachen konnte, da er wusste, dass dann Diebe unterwegs waren.
    Damit sind wir an dem Punkt angelangt, an dem Suoibud nach unruhigem Schlaf etwa um die Mittagszeit aufwachte und einen Dieb in seinem Schlafzimmer überraschte. Dieser Dieb war Eslaf.
    Eslaf hatte sich überlegt, aus dem Fenster zu springen und einhundert Fuß tiefer in den Zweigen eines Baumes außerhalb der Mauern des befestigten Palasts zu landen, um anschließend in einen Heuhafen zu plumpsen. Wer jemals solch ein Kunststück probiert hat, wird bezeugen, dass dies einiges an Konzentration und Nerven erfordert. Als er sah, dass der reiche Mann, der im Zimmer schlief, erwacht war, verließ ihn beides, und Eslaf schlüpfte leise hinter einen hohen dekorativen Schild, um dort zu warten, bis Suoibud wieder einschlief.
    Suoibud schlief aber nicht wieder ein. Er hatte zwar nichts gehört, doch er spürte, dass jemand im Zimmer war. Er stand auf und begann durch das Zimmer zu laufen.Suoibud schritt auf und ab, bis er schließlich beschloss, dass es nichts als Einbildung gewesen sei. Es war niemand im Raum. Sein Vermögen war sicher.
    Er wollte gerade wieder in sein Bett zurück, als er ein dumpfes Geräusch hörte. Als er sich umdrehte sah er, dass der Edelstein, den er Laicifitra geben sollte, auf dem Fußboden neben dem Kavallerieschild aus Atmora lag. Eine Hand kam hinter dem Schild hervor und ergriff ihn.
    "Dieb!", schrie Suoibud. Er griff sich ein juwelengeschmücktes Akaviri-Katanaschwert von der Wand und stürzte sich auf den Schild.
    Der "Kampf" zwischen Eslaf und Suoibud wird nicht in die Chroniken der großen Duelle eingehen. Suoibud wusste nicht, wie man ein Schwert benutzt, und Eslaf war kein Experte im Blocken mit dem Schild. Beide waren unbeholfen und ungeschickt. Trotz seiner Wut brachte es Suoibud einfachnicht über sich, das Schwert auf irgendeine Weise einzusetzen, die möglicherweise seine feine Filigranarbeit beschädigt und damit seinen Marktwert verringert hätte. Eslaf blieb in Bewegung, schleppte den Schild mit, und versuchte, ihn zwischen sich und der Klinge zu halten, was schließlich die Hauptsache bei der Verteidigung ist.
    Suoibud brüllte frustriert, während er auf den Schild einhieb, der seinen holprigen Weg durch das Zimmer fortsetzte. Er versuchte sogar, mit dem Dieb zu verhandeln. Er erklärte ihm, dass der Edelstein einer großen Kriegerin namens Laicifitra versprochen war, und wenn er ihn aushändigte, würde er, Suoibud, ihm dafür gerne etwas anderes geben. Eslaf war zwar nicht der hellste, aber das glaubte er ihm nun doch nicht.
    Als Suoibuds Wachen auf die Rufe ihres Herrn hin in das Schlafzimmer stürzten, hatte Eslaf es geschafft, den Schild bis ans Fenster zu zerren.
    Sie stürzten sich auf den Schild, und zwar mit weit größerem Geschick als Suoibud zuvor, mussten jedoch feststellen, dass niemand mehr dahinter steckte. Eslaf war aus dem Fenster gesprungen und geflüchtet.
    Während er schwerfällig und vom Geklimper der Goldmünzen in seinen Taschen begleitet durch die Straßen von Jallenheim rannte, spürte Eslaf, wie der riesige Edelstein ihn dort wund scheuerte, wo er ihn versteckt hatte. Er wusste nicht, wohin er sich nun wenden sollte. Er wusste nur, dass er nie wieder in diese Stadt zurückkehren konnte, und dass er dieser Kriegerin namens Laicifitra, die Ansprüche auf das Juwel hatte, auf jeden Fall aus dem Weg gehen musste.
    Wir verließen Eslaf Erol, als er um sein Leben floh, was für ihn eine recht gewöhnliche Aktivität war. Er hatte von einem reichen Mann in Jallenheim namens Suoibud eine Menge Gold gestohlen - nebst einem besonders großen Juwel. Der Dieb floh nach Norden und gab das Gold mit vollen Händen aus, wie es Diebe im Allgemeinen tun, für alle möglichen verbotenen Vergnügungen, die zweifellos den Herrn oder die Dame, die dies lesen, erschüttern würden, so dass ich ihnen die Einzelheiten erspare.
    Das Einzige, das er zurückbehielt, war das Juwel.
    Er behielt es nicht etwa, weil er es besonders mochte, sondern weil er niemanden kannte, der reich genug war, um es ihm abzukaufen. Und so fand er sich in der ironischen Situation, mittellos und gleichzeitig im Besitz eines Juwels im Wert von Millionen zu sein.
    "Würdet Ihr mir für dies ein Zimmer, etwas Brot und eine Flasche Bier geben?" fragte er einen Gastwirt im kleinen Dorf Kravenswold, das so weit im Norden lag, dass es sich halb auf dem Meer der Geister befand.
    Der Gastwirt betrachtete es misstrauisch.
    "Es ist nur ein Kristall", sagte Eslaf rasch. "Doch ist er nicht hübsch?"
    "Lasst mich mal sehen", sagte eine junge Frau in Rüstung am Ende des Tresens. Ohne auf Erlaubnis zu warten, nahm sie das Juwel, untersuchte es gründlich und lächelte Eslaf nicht besonders liebenswürdig an. "Würdet Ihr Euch zu mir an den Tisch setzen?"
    "Ich bin eigentlich ziemlich in Eile", antwortete Eslaf und streckte seine Hand nach dem Juwel aus. "Vielleicht ein anderes Mal?"
    "Aus Respekt vor meinem Freund, dem Gastwirt hier, lassen meine Leute und ich unsere Waffen zurück, wenn wir hierher kommen", sagte die Frau beiläufig. Sie gab das Juwel nicht zurück, sondern ergriff einen Besen, der am Tresen lehnte. "Ich kann Euch jedoch versichern, dass ich das hier recht wirksam als stumpfes Werkzeug benutzen kann. Natürlich keine Waffe, doch ein Werkzeug zum Betäuben, um mit medizinischer Präzision ein paar Knochen zu zerschmettern, und dann, wenn es drinnen ist..."
    "Wo ist Euer Tisch?" fragte Eslaf schnell.
    Die junge Frau führte ihn zu einem großen Tisch im rückwärtigen Teil des Gasthauses, an dem zehn der größten Nord-Rohlinge saßen, die Eslaf jemals gesehen hatte. Sie betrachteten ihn mit höflichem Desinteresse, als sei er ein merkwürdiges Insekt, das man nur kurz betrachtet, bevor man es zerquetscht.
    "Mein Name ist Laicifitra", sagte sie, und Eslaf schluckte. Das war der Name, den Suoibud gerufen hatte, bevor Eslaf entkommen war. "Und dies sind meine Leutnants. Ich bin Kommandantin einer sehr großen unabhängigen Armee edler Ritter. Der besten in Skyrim. Als Letztes erhielten wir den Auftrag, einen Weinberg im Aalto anzugreifen, um dessen Eigentümer, einen gewissen Laernu, zu zwingen, an unseren Auftraggeber, einen Mann namens Suoibud, zu verkaufen. Unsere Bezahlung sollte ein Juwel von unübertrefflicher Größe und Qualität sein, ziemlich berühmt und unverwechselbar.
    Wir taten, worum man uns gebeten hatte, und als wir zu Suoibud gingen, um unseren Lohn abzuholen, erzählte er uns, er sei nicht in der Lage zu zahlen, und zwar aufgrund eines kürzlichen Einbruchs. Schließlich jedoch wurde er zu unserer Meinung bekehrt und zahlte uns eine Summe Goldes, die beinahe dem Wert des erstklassigen Juwels gleichkam... dies leerte seine Schatzkammer zwar nicht völlig, aber es bedeutete, dass er das Land im Aalto nun doch nicht kaufen konnte. Und so wurden wir nicht ausreichend bezahlt, Suoibud musste eine schwere finanzielle Niederlage einstecken, und Laernus prächtige Jazbay-Ernte wurde umsonst vernichtet". Laicifitra nahm einen tiefen, langsamen Zug Met, bevor sie fortfuhr. "Und nun frage ich mich, könnt Ihr mir sagen, wie Ihr in den Besitz des Juwels kamt, das uns versprochen war?"
    Eslaf antwortete nicht sofort.
    Stattdessen nahm er ein Stück Brot vom Teller des wilden bärtigen Barbaren zu seiner Linken und aß es.
    "Tut mir Leid", sagte er mit vollem Mund. "Ich darf doch? Natürlich könnte ich Euch nicht davon abhalten, das Juwel zu nehmen, selbst wenn ich dies wollte, und um die Wahrheit zu sagen, habe ich nichts dagegen. Es ist außerdem sinnlos zu leugnen, wie es in meinen Besitz kam. Ich habe es Eurem Auftraggeber gestohlen. Damit wollte ich gewiss nicht Euch oder Euren edlen Rittern irgendeinen Schaden zufügen, doch ich kann verstehen, dass das Wort eines Diebes für Personen wie Euch nicht akzeptabel ist."
    "Nein", antwortete Laicifitra stirnrunzelnd, doch in ihren Augen funkelte Vergnügen. "Auf keinen Fall akzeptabel."
    "Doch bevor Ihr mich tötet", sagte Eslaf, während er sich ein zweites Stück Brot schnappte, "sagt mir, wie akzeptabel ist es für edle Ritter wie Euch selbst, für einen Auftrag zweimal bezahlt zu werden? Ich selbst besitze keine Ehre, doch ich hätte angenommen, dass, da Suoibud einen Verlust einstecken musste, um Euch zu bezahlen, Euer hübscher Gewinn nicht völlig ehrenhaft ist."
    Laicifitra nahm den Besen auf und schaute Eslaf an. Dann lachte sie: "Wie lautet Euer Name, Dieb?"
    "Eslaf", sagte der Dieb.
    "Wir werden das Juwel nehmen, wie es uns versprochen war. Doch Ihr habt Recht. Wir sollten nicht zweimal für denselben Auftrag bezahlt werden. Und daher", sagte die Kriegerin, während sie den Besen niederlegte, "seid Ihr unser neuer Auftraggeber. Was kann Eure persönliche Armee für Euch tun?"
    Viele Leute könnten sich allerlei Aufgaben für ihre eigene Armee einfallen lassen, doch Eslaf gehörte nicht dazu. Er zermarterte sich das Gehirn, und schließlich wurde beschlossen, dass diese Schuld später beglichen werden sollte. Trotz all ihrer Brutalität war Laicifitra eine einfache Frau, von eben der Armee aufgezogen, die sie nun kommandierte, wie er erfuhr. Kampf und Ehre waren die einzigen Dinge, die sie kannte.
    Als Eslaf Kravenswold verließ, besaß er eine Armee, die seinem leisesten Wink gehorchte, doch nicht eine Münze in seiner Tasche. Er wusste, dass er bald etwas stehlen musste.
    Während er durch die Wälder wanderte und sich Nahrung zusammenkratzte, überkam ihn ein seltsames Gefühl der Vertrautheit. Dies waren genau die Wälder, in denen er sich als Kind aufgehalten hatte, ebenfalls hungernd, ebenfalls auf der Suche nach Essen. Als er auf die Straße hinaustrat, fand er, dass er in das Königreich zurückgekehrt war, in dem ihn die liebe, törichte, schüchterne Magd Drusba großgezogen hatte.
    Er war in Erolgard.
    Es war seit seiner Jugend noch weiter verfallen. Die Läden, die ihm Essen verweigert hatten, waren mit Brettern vernagelt, verlassen. Die einzigen Leute, die noch da waren, waren dumpfe, hoffnungslose Gestalten, so ausgelaugt durch Steuern, Tyrannei und Barbarenüberfälle, dass sie zu schwach waren zur Flucht. Eslaf wurde bewusst, wie viel Glück er gehabt hatte, in seiner Jugend davongekommen zu sein.
    Es gab jedoch ein Schloss und einen König. Eslaf machte auf der Stelle Pläne, die Schatzkammer auszurauben. Wie üblich beobachtete er den Ort sorgfältig, um die Sicherheitsvorkehrungen und die Gewohnheiten der Wachen zu vermerken. Dies nahm einige Zeit in Anspruch. Schließlich erkannte er, dass es weder Sicherheitsvorkehrungen noch Wachen gab.
    Er ging durch die Eingangstür und die leeren Flure entlang zur Schatzkammer. Darin befand sich absolut nichts, außer einem Mann. Er war in Eslafs Alter, sah jedoch wesentlich älter aus.
    'Hier gibt es nichts zu stehlen', sagte er. 'Wenn es doch nur etwas gäbe.'
    König Ynohp, war vorzeitig gealtert, besaß aber das gleiche weißblonde Haar und die gleichen glassplitterblauen Augen wie Eslaf. Tatsächlich ähnelte er ebenso Suoibud und Laicifitra. Und obwohl Eslaf den ruinierten Landbesitzer des Aalto nie getroffen hatte, glich auch der ihm. Das war auch kein Wunder, denn sie waren Fünflinge.
    'So, Ihr habt nichts?' fragte Eslaf sanft.
    'Nichts außer meinem armen Königreich, verflucht', grollte der König. 'Bevor ich den Thron bestieg, war es mächtig und reich, doch davon habe ich nichts geerbt, nur den Titel. Mein ganzes Leben lang ist mir Verantwortung aufgeladen worden, doch ich hatte nie die Mittel, richtig damit umzugehen. Ich schaue auf die Öde, die mein Geburtsrecht ist, und ich hasse sie. Wäre es möglich, ein Königreich zu stehlen, würde ich nicht einen Finger rühren, um Euch aufzuhalten.'
    Wie es sich herausstellte, war es durchaus möglich, ein Königreich zu stehlen. Eslaf wurde als Ynohp bekannt, eine Täuschung, die aufgrund ihrer physischen Ähnlichkeit nicht schwer war. Der wahre Ynohp nahm den Namen Ylekilnu an, verließ freudig seine Domäne und wurde schließlich ein einfacher Arbeiter in den Weinbergen des Aalto. Zum ersten Mal in seinem Leben frei von Verantwortung, stürzte er sich mit Begeisterung in sein neues Leben, und die Jahre fielen von ihm ab.
    Der neue Ynohp forderte seinen Gefallen von Laicifitra ein und stellte mit Hilfe ihrer Armee den Frieden im Königreich Erolgard wieder her. Nun, da es wieder sicher war, kehrten Industrie und Handel in das Land zurück, und Eslaf senkte die tyrannischen Steuern, um das Wachstum zu fördern. Als er davon hörte, beschloss Suoibud, der immer fürchtete, sein Geld zu verlieren, in das Land seiner Geburt zurückzukehren. Als er Jahre später starb, hatte er sich aus Gier geweigert, einen Erben zu benennen, und so erhielt das Königreich seinen gesamten Reichtum.
    Eslaf nutzte einen Teil des Golds, um die Weinberge des Aalto zu kaufen, nachdem er von Ynohp wundervolle Dinge darüber gehört hatte.
    Und so geschah es, dass Erolgard durch das fünftgeborene Kind von König Ytluaf seinen früheren Wohlstand zurückerhielt - Eslaf Erol, Bettler, Dieb, Krieger (sozusagen) und König.


    Ende
    Geändert von TiberSeptim (17.04.2012 um 17:10 Uhr)

  4. #4
    Die wahre Barenziah

    Es war einmal, vor fünfhundert Jahren, da lebte in Gramfeste - der Stadt der Edelsteine - eine blinde Witwe mit ihrem einzigen Kind, einem jungen Mann von beeindruckender Statur. Wie sein Vater vor ihm war er Bergmann - ein einfacher Arbeiter in den Bergwerken des Fürsten von Gramfeste, denn er war kein sehr begabter Magier. Es war ein ehrenhaftes Tagewerk, doch die Bezahlung war schlecht. So buk und verkaufte die alte Witwe Cohmbeerenkuchen auf dem Markt in der Stadt, damit sie ihr karges Auskommen hatten. Wenn man sie fragte, so entgegnete sie stets, es gehe ihnen recht gut. Schließlich mussten sie nie Hunger leiden, und mehr als eine Garnitur Kleidung konnte ohnehin kein Mensch auf einmal tragen. Und das Dach war auch nur bei Regen undicht. Doch Symmachus dürstete es nach mehr. Er hoffte, eines Tages im Bergwerk auf eine gute Ader zu stoßen und dafür mit einem reichen Bonus belohnt zu werden. In seiner Freizeit trank er gern mit seinen Freunden den ein oder anderen Krug Bier in der Taverne, und spielte mit ihnen Karten. Mehr als einmal fiel sein Auge auf das eine oder andere hübsche Elfenmädchen - und dabei blieb es meist nicht - doch lange konnte keines sein Interesse fesseln. Genau genommen wirkte er wie ein typischer junger Dunkelelf einfacher Herkunft. Außergewöhnlich war nur seine Größe. Angeblich sollte etwas nordisches Blut durch seine Adern fließen. Im dreißigsten Lebensjahr des Symmachus gab es großen Jubel in Gramfeste - der fürstlichen Familie war eine Tochter geboren worden. Eine Königin, freute sich das Volk das Volk, eine Königin ist uns geboren! Denn in Gramfeste galt die Geburt einer Thronfolgerin stets als sicheres Vorzeichen für Frieden und Wohlstand. Als die Zeit für die Zeremonie der Namensgebung des Mädchens gekommen war, wurden die Bergwerke geschlossen. Symmachus eilte nach Hause, um zu baden und sein bestes Hemd anzuziehen. 'Ich kehre direkt danach nach Hause zurück und will Euch davon berichten', versprach er seiner Mutter, die zu schwach war, um selbst der Zeremonie beizuwohnen. Die Witwe war krank, und der Andrang fast aller Bürger von Gramfeste bei diesem Ereignis wäre zu viel für sie gewesen. Aber da sie blind war, meinte sie, könne sie ohnehin nichts sehen. 'Mein Sohn', sagte sie nun. 'Holt mir noch einen Priester oder einen Heiler, bevor Ihr geht. Mag sein, dass ich aus diesem Leben scheiden muss, noch ehe Ihr zurückkehrt.' Symmachus ging sogleich an ihr Krankenlager. Besorgt bemerkte er, dass Ihr Atem flach und ihre Stirn heiß war. Er hebelte die Bodenplanke auf, unter der ihre geringen Ersparnisse lagen. Doch es war bei weitem nicht genug, um einen Priester für den Heilritus zu bezahlen. Er würde bieten müssen, was sie hatten, und den Rest schuldig bleiben. Geschwind nahm er sein Gewand und eilte davon. Die Strassen waren voller Menschen, die zum geheiligten Hain strömten, doch die Tempel waren verriegelt und verschlossen. 'Geschlossen für die Dauer der Zeremonie', stand auf sämtlichen Schildern. Symmachus drängte sich durch die Menschenmenge. Es gelang ihm, einen Priester in brauner Kutte ausfindig zu machen. 'Nach der Zeremonie will ich gerne nach Eurer Mutter sehen, Bruder, wenn ihr das Geld habt', wiegelte dieser ihn ab. Milord hat allen Priestern und Geistlichen befohlen, teilzunehmen - und ich möchte seinen Zorn nicht auf mich ziehen.' 'Aber meine Mutter ist sterbenskrank', suchte ihn Symmachus zu erweichen. 'Sicher wird es Milord nicht auffallen, wenn ein einziger Priester fehlt.' 'Gewiss nicht, doch dem Erzkanoniker schon', gab der Priester nervös zurück. Mit diesen Worten riss er seine Kutte aus Symmachus verzweifeltem Griff und verschwand in der Menge. Er sprach viele weitere Priester an, und sogar einige Magier, ohne jedoch mehr Glück zu haben. Wachen in Rüstung marschierten durch die Straße und schoben ihn mit ihren Lanzen zur Seite. Ihm wurde klar, dass die Kutsche des Fürsten nahte. Als die Kutsche der Herrscherfamilie auf seiner Höhe war, stürzte Symmachus auf sie zu und rief 'Milord, Milord! Meine Mutter stirbt und ...!' 'Ich verbiete ihr, so etwas an diesem großen Tage zu tun!' rief der Fürst, lachte und warf dem Volk ein paar Münzen zu. Symmachus war nahe genug, um den Wein in seinem Atem zu riechen. Auf der anderen Seite der Kutsche hielt seine Gemahlin ihr Kind fest umklammert und starrte Symmachus feindselig aus zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen an. Sie schnaubte angewidert. 'Wachen!' rief sie. 'Schafft uns diesen Esel vom Leibe.' Symmachus wurde von harten Männerhänden gepackt, geschlagen, und landete benebelt im Straßengraben. Mit dröhnendem Kopf folgte er der Menge aus der Ferne. Die Namensgebung erlebte er von einem nahe gelegenen Hügel aus mit. Er sah, wie die braun gewandeten Priester und die Magier in ihren blauen Roben weit unten bei den Edelleuten standen. Barenziah. Schwach war der Name aus der Ferne zu hören, als der Hohepriester das Kind in seinem Taufkleid emporhob und es den beiden Monden auf beiden Seiten des Horizonts zuwandte: Dem auf- und dem untergehenden Jonu. 'Sehet die Fürstin Barenziah, geboren dem Lande Gramfeste! Gewährt ihr Euren Segen und Euren Rat, gütige Götter, auf dass sie ewig gütig über Gramfeste herrschen möge, über das Reich und sein Wohl, sein Volk und sein Schicksal.' 'Gewährt ihr Euren Segen, so bitten wir ...', tönte es aus allen Kehlen zusammen mit Fürst und Fürstin, die Menschen standen mit emporgereckten Armen da. Symmachus allein blieb still, das Haupt gesenkt, in seinem Herzen die Gewissheit tragend, dass seine geliebte Mutter nicht unter den Lebenden weilte. In diesem Augenblick schwor er schweigend einen mächtigen Eid: Für den Niedergang des Fürsten würde er kämpfen. Als Rache für den sinnlosen Tod seiner Mutter wolle er das Kind Barenziah zu seinem eigenen Weib nehmen, auf dass die Enkel seiner Mutter einst als Herrscher über Gramfeste geboren würden. Die Zeremonie war vorbei. Teilnahmslos sah er zu, wie die königliche Prozession zum Palast zurückkehrte. Da erblickte er den Priester, mit dem er zuerst gesprochen hatte. Nun war der Mann durchaus willens, mit ihm zu kommen, wenn Symmachus ihm das Geld gäbe, das er hatte und ihm versprach, dass er später noch mehr erhalten solle. Doch die Mutter war bereits tot. Seufzend steckte der Priester das Geld ein. 'Es tut mir aufrichtig Leid, Bruder. Lasst es mit dem übrigen Geld gut sein, hier kann ich nichts mehr ausrichten. Wahrscheinlich -' 'Gebt mir mein Geld zurück!' fauchte ihn Symmachus an. 'Ihr habt keinen Finger gerührt, um es Euch zu verdienen!' Drohend hob er den rechten Arm. Erschrocken trat der Priester ein paar Schritte zurück und wollte einen Fluch aussprechen. Doch Symmachus Schlag traf ihn ins Gesicht, bevor er auch nur drei Worte sprechen konnte. Er fiel schwer, und sein Kopf schlug hart auf der steinernen Feuerstelle auf. Der Mann war sofort tot. Symmachus packte das Geld und floh aus der Stadt. Im Lauf wiederholte er ein Wort immer und immer wieder, als sei es die Beschwörung eines Zauberers. 'Barenziah', murmelte er. 'Barenziah. Barenziah.' Barenziah stand auf einem der Balkone des Palasts. Sie blickte starr in den Hof. Hier wimmelte es vor Soldaten in funkelnder Rüstung. Bald stellten sie sich in Reih und Glied auf und jubelten, als ihre Eltern, von Kopf bis Fuß in funkelnd schwarzer Rüstung und in lange violette Pelzroben gehüllt aus dem Palast traten. Herrlich geschmückte Streitrösser mit glänzend schwarzem Fell wurden für sie herbeigeführt. Sie stiegen auf und ritten zum Tor und wandten sich ein letztes Mal zum Gruß um. 'Barenziah!' riefen sie. 'Lebe wohl, geliebte Barenziah!' Die Kleine kämpfte gegen die Tränen und winkte tapfer mit ihrer freien Hand. Mit der anderen hielt sie ihr Lieblings-Plüschtier - einen grauen Wolfwelpen, den sie Wuffel nannte - fest an ihre Brust gedrückt. Noch nie war sie von ihren Eltern getrennt gewesen. Sie hatte auch keine Ahnung, was all das zu bedeuten hatte. Man hatte ihr lediglich gesagt, dass im Westen Krieg herrsche, und dass der Name Tiber Septim allerorts Furcht und Schrecken verbreite. 'Barenziah!' riefen nun auch die Soldaten, und reckten ihre Lanzen, Schwerter und Bögen empor, um sie zu grüßen. Dann wandten sich ihre geliebten Eltern ab und ritten von dannen, gefolgt von Rittern. Bald war der Hof so gut wie leer. Einige Zeit später rüttelte ein Kindermädchen Barenziah früh morgens eilig wach, zog sie an, und brachte sie aus dem Palast. Ihre einzige Erinnerung an diese schreckliche Zeit war später, dass ein riesiger Schatten mit brennenden Augen am Himmel zu sehen war. Man reichte sie von einer Hand zur nächsten. Fremde Soldaten kamen, gingen, und manchmal kehrten sie auch zurück. Ihr Kindermädchen verschwand und wurde durch Fremde ersetzt, manche davon fremdartiger als andere. Tage- oder vielleicht wochenlang war sie auf Reisen. Eines Morgens erwachte sie und trat aus der Kutsche. Der Ort war kalt. Eine riesige, graue Festung aus Fels stand inmitten von leeren, endlosen grau-grünen Hügeln, auf denen Reste von grau-weißem Schnee zu sehen waren. Mit beiden Händen klammerte sie sich an Wuffel, als sie blinzelnd und zitternd im Grau des Morgens stand. Sie fühlte sich sehr klein und sehr dunkel in dieser endlosen grau-weißen Weite. Zusammen mit Hana, einer dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Dienerin, die seit mehreren Tagen mit ihr reiste, betrat sie die Festung. Eine riesige grau-weiße Frau mit eisgrau-goldenem Haar stand in einem der Zimmer am Feuer. Mit entsetzlich durchdringenden, hellblauen Augen blickte sie Barenziah durchdringend an. 'Sie ist schon sehr -- schwarz, nicht wahr?' meinte die Frau zu Hana. 'Ich habe noch nie einen Dunkelelf gesehen.' 'Ich weiß selbst nicht viel über sie, Milady', sagte Hana. 'Aber die Kleine hier hat rote Haare und das passende Temperament dazu, das kann ich Euch garantieren. Nehmt Euch in acht. Sie beißt. Und das ist nicht alles.' 'Das werde ich ihr bald austreiben', sagte die Frau naserümpfend. 'Und was ist das denn für ein widerliches Ding? Pfui!' Mit diesen Worten packte sie Wuffel und warf ihn in die Flammen. Barenziah schrie und wollte sich ebenfalls ins Feuer werfen, doch alles Beißen und Kratzen nützte nichts: Starke Hände hielten sie zurück. Bald war der arme Wuffel zu einem winziges Häufchen Asche verkohlt. Barenziah wuchs wie ein junger Schössling im Garten in Himmelsrand als Mündel von Graf Sven und Gräfin Inga auf. Äußerlich hatte es den Anschein, als gedeihe sie prächtig ... doch die Kälte und Leere, die sie empfand, war stets bei ihr. 'Wie meine eigene Tochter habe ich sie behandelt', seufzte Gräfin Inga häufig, wenn die Damen der Nachbarschaft zum Klatsch kamen. 'Aber sie ist und bleibt ein Dunkelelf. Da kann man wohl nichts anderes erwarten, fürchte ich.' Diese Worte waren nicht für Barenziahs Ohren bestimmt ... dessen war sie sich relativ sicher. Doch ihr Gehör war feiner als jenes ihrer nordischen Vormünder. Andere, weniger wünschenswerte Wesenszüge schlossen Plündern, Lügen und ein wenig fehlgeleitete Magie ein, ein kleiner Feuerzauber hier oder ein kleiner Levitationszauber dort konnte ja nichts schaden ... Mit zunehmendem Alter kam ein großes Interesse an jungen und nicht ganz so jungen Männern hinzu, die sehr Angenehmes zu bieten hatten -- und sogar Geschenke, wie sie überrascht feststellte. Aus Gründen, die Barenziah verborgen blieben, sah Gräfin Inga diese äußerst ungern, weshalb sie diesen Aspekt so geheim wie möglich hielt.'Sie kann wunderbar mit Kindern umgehen', setzte Inga hinzu. Dies bezog sich auf ihre fünf Söhne, allesamt jünger als Barenziah. 'Ich glaube, sie würde nie zulassen, dass man ihnen auch nur ein Haar krümmt.' Als Jonni sechs und Barenziah acht Jahre alt war, hatte man einen Hauslehrer angeheuert, der die beiden gemeinsam unterrichtete. Zu gerne hätte sie auch die Kriegskünste erlernt, doch bereits das bloße Ansinnen rief blankes Entsetzen bei Graf Sven und Gräfin Inga hervor. Immerhin bekam sie einen kleinen Bogen und durfte mit den Jungen zum Spaß auf Zielscheiben schießen. Wann immer sie konnte, sah sie den Jungen beim Waffentraining zu, kämpfte gegen sie, wenn gerade keine Erwachsenen zusahen, und wusste genau, dass sie mindestens genauso gut war wie die Jungen - wenn nicht besser. 'Aber sie ist schon arg ... stolz, nicht wahr?' flüsterte eine der Damen dann Inga zu, und Barenziah nickte in stiller Zustimmung, obwohl sie tat, als hörte sie nichts. Sie konnte nicht anders, als sich dem Graf und der Gräfin gegenüber überlegen zu fühlen. Sie hatten irgendetwas an sich, das verachtenswürdig war. Später sollte sie erfahren, dass Sven und Inga entfernte Verwandte der letzten adligen Herrscher der Festung Finstermoor waren. Da endlich begriff sie. Die beiden waren Poseure, Hochstapler, keine wahren Herrscher. Zumindest waren sie nicht zum Herrschen geboren. Dieser Gedanke weckte in ihr einen merkwürdigen Zorn auf die beiden - einen glasklaren Hass, der nichts mit Abneigung zu tun hatte. Mit der Zeit betrachtete sie die beiden als widerliche, abstoßende Insekten, die man verachten, doch niemals fürchten konnte. Einmal im Monat kam ein Kurier vom Kaiserhof. Stets brachte er einen kleinen Beutel mit Geld für Sven und Inga und einen großen Beutel getrocknete Pilze aus Morrowind für Barenziah, ihre Leibspeise. Bei diesen Gelegenheiten putzte man sie heraus - zumindest soweit, wie dies in Gräfin Ingas Augen bei einer dürren Dunkelelfe möglich war, bevor sie dem Kurier für ein kurzes Gespräch vorgeführt wurde. Selten kam derselbe Kurier zweimal, doch alle beäugten sie wie ein Bauer sein Schwein, um zu schauen, ob es schon marktreif war. Im Frühjahr ihres sechzehnten Lebensjahrs meinte Barenziah, der Kurier sähe sie an, als sei sie nun reif für den Markt. Nach reiflicher Überlegung beschloss sie, dass sie nicht den Wunsch hatte, zu Markt getragen zu werden. Seit einigen Wochen drängte sie der Stalljunge Strenz bereits - ein großer, muskelbepackter blonder Junge, ein wenig tollpatschig, lieb und zärtlich sowie eher einfach gestrickt -, mit ihm davonzulaufen. Barenziah stibitzte den Beutel mit dem dem Geld, nahm die Pilze aus dem Vorratskeller, und verkleidete sich mit Hilfe von Jonnis alten Waffenröcken und Kniehosen als Junge. In einer herrlichen Frühlingsnacht nahm sie mit Strenz zusammen die beiden besten Pferde aus dem Stall und ritt die ganze Nacht hindurch bis nach Weißlauf, die nächste erwähnenswerte Stadt und der Ort, an dem Strenz sein wollte. Doch Gramfeste und Morrowind lagen ebenfalls gen Osten und zogen Barenziah an, wie ein Magnetstein Eisen anzieht. Im Morgengrauen bestand Barenziah darauf, dass sie die Pferde hinter sich ließen. Sie wusste, dass man sie vermissen und verfolgen würde, und hoffte, eventuelle Verfolger so auf die falsche Fährte zu bringen. Bis zum späten Nachmittag gingen sie zu Fuß weiter, und hielten sich an die Seitenstraßen. Einige Stunden Schlaf ergatterten sie in einer verlassenen Hütte. Abends gingen sie weiter und erreichten kurz vor Morgengrauen die Stadttore von Weißlauf. Barenziah hatte eine Art Pass für Strenz zusammengestellt, ein improvisiertes Dokument, das besagte, dass er für einen kleinen Dorffürsten etwas in der Stadt zu tun habe. Sie selbst nutzte einen Levitationszauber, um über die Mauern zu gelangen. Diese Massnahmen traf sie aus der Überlegung heraus, dass die Wachen am Tor mittlerweile sicher angewiesen worden waren, ein Auge auf eine junge Dunkelelfe und einen nordischen Jungen zu haben, die gemeinsam unterwegs waren - eine Vermutung, die sich später als absolut zutreffend herausstellen sollte. Allein reisende Dorfjungen wie Strenz dagegen waren zuhauf unterwegs. Alleine und durch Papiere ausgewiesen war es unwahrscheinlich, dass er Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Ihr einfacher Plan lief ohne Probleme. Sie traf Strenz beim Tempel in der Nähe des Tores - diesen kannte sie von diversen früheren Besuchen in Weißlauf. Strenz dagegen war noch nie mehr als einige Meilen von Graf Svens Besitz entfernt gewesen, auf dem er auch geboren war. Gemeinsam machten sie sich dann auf zu einem heruntergekommenen Gasthof im ärmeren Stadtteil von Weißlauf. Handschuhe, Umhang und Kapuze schützten Barenziah nicht nur vor der Kälte, sondern versteckten auch ihre dunkle Haut und ihre roten Augen. Getrennt betraten Sie die Wirtsstube. Strenz bezahlte ein einfaches Lager, eine riesige Mahlzeit, und zwei Krüge Bier. Wenige Minuten später schlich sich Barenziah in den Raum. Voller Freude aßen und tranken sie zusammen, feierten ihre erfolgreiche Flucht, und gingen auf dem schmalen Lager mit großer Energie den Freuden des Fleisches nach. Bald darauf sanken sie erschöpft in einen traumlosen Schlaf. Sie blieben eine Woche lang in Weißlauf. Strenz verdiente ein bisschen Geld mit Botengängen, und Barenziah brach nachts in einige Häuser ein. Sie kleidete sich weiterhin als Junge. Das Haar schnitt sie kurz ab und färbte ihre flammend rote Mähne pechschwarz, um die Verkleidung zu verbessern. Außerdem blieb sie so weit wie möglich außer Sichtweite, denn in Weißlauf gab es nur wenige Dunkelelfen. Eines Tages gelang es Strenz, für sie beiden den Auftrag zur Bewachung einer Händlerkarawane zu ergattern, die gen Osten reiste. Der einarmige Feldwebel sah sie skeptisch an. 'Dunkelelf, hm?' lachte er vor sich hin. ''s wie'n Wolf abstellen, um die Schafe zu bewachen. Aber ich brauch Leute, die mit Waffen gut sind. Und so nah kommen wir nicht an Morrowind, Ihr werdet uns wohl nicht verraten. Und unsere Straßenräuber schneiden dir genauso gern die Kehle durch wie mir.' Mit diesen Worten wandte er sich um, um Strenz wohlwollend zu betrachten. Plötzlich drehte er sich blitzschnell wieder zu Barenziah um und zückte sein Kurzschwert. Im Handumdrehen hatte sie den eigenen Dolch gezückt und war in Verteidigungshaltung. Strenz zog ebenfalls sein Messer und war in Windeseile hinter ihm. Der Mann ließ das Schwert fallen und lachte abermals. 'Gar nicht schlecht, Kinder. Wie steht's mit Euren Künsten im Bogenschießen, Dunkelelf?' Barenziah gab eine kurze Kostprobe ihres Könnens. 'Na, ich hab schon schlechteres geseh'n. Und'n Junge, der nachts gut sieht und hört, den können wir brauchen. Bessere Kampfgefährten als vertrauenswürdige Dunkelelfen gibt's nicht. Ich muss es wohl wissen. Habe selbst unter Symmachus höchstpersönlich gedient, bevor ich den Arm verloren hab und als Invalide aus der Armee des Kaisers ausscheiden musste.' 'Wir könnten sie verraten. Ich kenne Leute, die uns viel Geld dafür geben würden', meinte Strenz später, als sie sich zum letzten Mal in der baufälligen Gaststätte schlafen legten. 'Oder sie gleich selbst ausrauben. Berry, diese Händler sind sehr, sehr reich.' Barenziah lachte. 'Was würden wir denn mit so viel Geld anstellen? Und außerdem brauchen wir ihren Schutz auf der Reise genauso sehr wie sie den unseren.' 'Wir könnten uns einen kleinen Hof kaufen, Berry, nur du und ich - und uns niederlassen und immer glücklich sein.' Was für ein Bauer! dachte Barenziah verächtlich. Strenz war durch und durch bäuerlicher Abstammung und hatte nichts als bäuerliche Träume. Doch sie sagte nur 'Hier nicht, Strenz, wir sind noch zu nah an Finstermoor. Weiter im Osten haben wir bessere Chancen.' Die Karawane zog nicht weiter als bis Sonnwach. Kaiser Tiber Septim I. hatte dafür gesorgt, dass relativ sichere und regelmäßig patrouillierte Straßen gebaut wurden. Die Zölle waren jedoch hoch, und ihre Karawane versuchte diese durch Benutzung von Seitenstraßen möglichst zu umgehen. So waren sie aber natürlich Wegelagerern und Straßenräubern - Menschen wie Orks - sowie umherziehenden Banden verschiedenster Rassen ausgeliefert. Doch das war die alltägliche Gefahr in diesem Geschäft. Zwei Überfälle dieser Art ereigneten sich, bevor sie Sonnwach erreichten: einen Hinterhalt, vor dem Barenziahs hervorragendes Gehör sie jedoch rechtzeitig warnte, so dass sie die Räuber von hinten überraschen konnten, und ein nächtlicher Überfall durch eine gemischte Truppe Khajiit, Menschen und Waldelfen. Letztere waren erfahrene Kämpfer und sogar Barenziah hörte sie nicht rechtzeitig, um schnell genug eine Warnung ausgeben zu können. Dieses Mal wurde hart gekämpft. Zwar konnten sie die Angreifer abwehren, doch zwei der anderen Wachen der Karawane ließen dabei ihr Leben und Strenz steckte eine üble Schnittverletzung am Oberschenkel ein, bevor es Barenziah gelang, die Kehle seines Angreifers - eines Khajiit - durchzuschneiden. Barenziah genoss dieses Leben auf gewisse Weise. Der knurrige Feldwebel hatte sie ins Herz geschlossen, und so verbrachte sie den Großteil ihrer Abende am Lagerfeuer und hörte seinen Erzählungen über Kämpfe in Morrowind mit Tiber Septim und General Symmachus zu. Diesen Symmachus hatte man zum General berufen, nachdem Gramfeste gefallen war. 'Er ist ein guter Soldat, dieser Symmachus, wirklich. Aber gute Soldaten reichen nicht für Morrowind, wenn Ihr versteht, was ich meine. Aber darüber wisst Ihr wohl alles, schätze ich.' 'Nein, eigentlich nicht', meinte Barenziah, bemüht, möglichst nonchalant zu wirken. 'Ich habe fast mein ganzes Leben in Himmelsrand verbracht. Meine Mutter hat einen Mann von dort geheiratet. Sind aber beide tot. Was ist denn mit der fürstlichen Familie von Gramfeste passiert?' Der Feldwebel zuckte mit den Schultern. 'Hab ich nie erfahren. Vermutlich sind sie tot. Es gab eine Menge Kämpfe bevor der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet wurde. Derzeit ist es ziemlich ruhig - vielleicht zu ruhig. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Wollt Ihr da etwa wieder hin?' 'Kann sein', entgegnete Barenziah. In Wahrheit zog sie Morrowind unwiderstehlich an, besonders Gramfeste - sie fühlte sich wie eine Motte, die in ein brennendes Haus fliegen muss. Strenz bemerkte das und war gar nicht froh darüber. Insgesamt war er unfroh darüber, dass sie nicht zusammen schlafen konnten - sie war ja angeblich ein Junge. Barenziah vermisste das zwar auch, aber anscheinend längst nicht so sehr wie er. Der Feldwebel wollte sie für die Rückreise gleich wieder anheuern, doch sie lehnten ab. Dennoch gab er ihnen mehr, als vereinbart gewesen war, und außerdem ein Empfehlungsschreiben. Strenz wollte sich dauerhaft in der Nähe von Sonnwach niederlassen, doch Barenziah bestand darauf, ihre Reise gen Osten fortzusetzen. 'Ich bin die rechtmäßige Königin von Gramfeste', sagte sie, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, ob das stimmte -- vielleicht war es ja auch nur der Tagtraum eines einsamen, verlorenen Kindes gewesen? 'Ich will nach Hause. Ich muss nach Hause.' Das zumindest stimmte. Ein paar Wochen später gelang es ihnen, eine andere Karawane zu finden, die gen Osten zog und sie anheuerte. Zu Beginn des Winters hatten sie Rifton erreicht und näherten sich der Grenze zu Morrowind. Doch das Wetter war in den letzten Tagen immer rauer und kälter geworden und sie erfuhren, dass vor Mitte des Frühjahrs keine Händlerkarawanen mehr losziehen würden. Barenziah stand auf der Stadtmauer und starrte gebannt über die tiefe Schlucht, welche Rifton von den schneebedeckten Bergen trennte, die Morrowind auf der anderen Seite schützten. 'Berry', sagte Strenz sanft. 'Gramfeste ist noch weit, fast so weit wie wir bisher gekommen sind. Und das Land bis dorthin ist wild, voller Wölfe, Banditen, Orks und noch viel Schlimmerem. Wir müssen bis zum Frühjahr warten.' 'Immerhin Turm Silgrod gibt es', entgegnete sie. Turm Silgrod war eine Stadt der Dunkelelfen, die um ein uraltes Minarett herum entstanden war, das die Grenze zwischen Himmelsrand und Morrowind bewachte.'Die Wachen auf der Brücke lassen mich nicht durch, Berry. Das sind die besten Truppen des Kaisers. Sie sind absolut unbestechlich. Wenn du gehst, musst du alleine gehen. Ich werde nicht versuchen, dich aufzuhalten. Aber was willst du dort tun? Turm Silgrod ist voll mit Soldaten des Kaiserreichs. Willst du für sie Wäsche waschen? Oder dich von ihnen aushalten lassen?' 'Nein', sagte Barenziah langsam und nachdenklich. So uninteressant war die Idee eigentlich nicht. Sicher könnte sie ihr Auskommen haben, indem sie für Geld mit den Soldaten schlief. In Himmelsrand hatte sie einige Abenteuer dieser Art erlebt - gelegentlich hatte sie sich als Frau gekleidet und war von Strenz weggeschlichen. Sie suchte eigentlich nichts weiter als ein bisschen Abwechslung. Strenz war sehr lieb, aber eben langweilig. Sie war überrascht, aber auch sehr erfreut gewesen, als die Männer ihr hinterher Geld angeboten hatten. Strenz war darüber sehr unglücklich gewesen. Wenn er sie erwischt hatte, hatte er erst eine Zeit lang getobt und dann tagelang geschmollt. Er war recht eifersüchtig und hatte sogar gedroht, sie zu verlassen. Was er allerdings nie tat. Und auch nicht konnte. Doch die Kaiserlichen Wachen waren in jeder Hinsicht eine raue, brutale Bande, und Barenziah selbst hatte schon einige sehr hässliche Geschichten am Lagerfeuer gehört. Bei weitem die Schrecklichsten hatten alte Armeeveteranen mit Stolz erzählt. Sie hatten natürlich versucht, sie und Strenz zu beeindrucken und zu schockieren, das war ihr klar - aber genauso gut wusste sie, dass ein wahrer Kern in alledem steckte. Strenz hasste diese Art von Erzählungen, ganz besonders, wenn sie es hörte. Aber ein Teil von ihm war dennoch fasziniert gewesen. Barenziah spürte das und hatte ihn ermutigt, sich auch andere Frauen zu suchen. Doch er sagte, er wolle niemanden außer ihr. Sie sagte ihm unmissverständlich, dass sie keine solchen Gefühle für ihn hegte, aber dass sie ihn doch mehr mochte als sonst irgendjemanden. 'Warum gehst du dann zu anderen Männern?' hatte sie Strenz bei einer solchen Gelegenheit gefragt. 'Ich weiß es nicht.' Strenz seufzte. 'Angeblich sind alle Dunkelelfen so.' Barenziah lächelte und zuckte mit den Schultern. 'Ich weiß es nicht. Oder vielleicht doch ... Ja, doch, ich weiß es.' Sie wandte sich um und küsste ihn liebevoll. 'Ich glaube, das ist wohl die einzige Erklärung, die es gibt.Zu diesem Zweck mieteten sie sich in einem billigen Zimmer im ärmeren Viertel der Stadt ein. Barenziah wollte der Diebesgilde beitreten, sehr wohl wissend, dass es Ärger gäbe, wenn man sie bei eigenmächtigen Diebestouren erwischte. Eines Tages traf sie in einer Taverne auf ein bekanntes Gildenmitglied, einen verwegenen jungen Khajiit namens Therris. Sie bot an, mit ihm zu schlafen, wenn er Pate für ihre Aufnahme stehen würde. Er sah sie von oben bis unten an, grinste, und stimmte zu. Allerdings würde sie trotzdem einen Initiationsritus mitmachen müssen. 'Und wie sieht der aus?' 'Ah', sagte Therris. 'Erst will ich sehen, was ich da geboten kriege, Süße.' [Diese Passage wurde auf Befehl des Tempels zensiert] Strenz würde sie umbringen. Und Therris womöglich auch. Was in Tamriel war nur in sie gefahren, so etwas zu tun? Sie sah sich besorgt im Raum um, doch die anderen Gäste hatten bereits das Interesse verloren und sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zugewandt. Sie erkannte keinen der Gäste - es war ein anderes Gasthaus als das, in dem sie sich mit Strenz eingemietet hatte. Mit etwas Glück würde es einige Zeit dauern, bis Strenz davon erfuhr. Oder vielleicht, so hoffte sie, würde sie es vollständig geheim halten können. THERRIS WAR BEI WEITEM DER AUFREGENDSTE UND ATTRAKTIVSTE MANN, dem sie je begegnet war. Er unterrichtete sie nicht nur über die Fähigkeiten, die sie brauchen würde, um Mitglied der Diebesgilde zu werden, sondern unterwies sie auch persönlich darin oder, falls das nicht ging, machte er sie mit den richtigen Leuten bekannt, die ihr alles Nötige beibringen konnten. Unter ihnen war eine Frau, die einiges über Magie wusste. Katisha war eine stämmige, matronenhafte Nordin. Ihr Mann war Schmied, sie hatte zwei Kinder im jugendlichen Alter, und war durch und durch gewöhnlich und ehrlich - mit der Ausnahme, dass sie Katzen sehr gerne mochte (und somit logischerweise auch deren menschenähnliche Gegenstücke, die Khajiit), ein Talent für eine gewisse Art von Magie und eher merkwürdige Freunde hatte. Sie brachte Barenziah einen Unsichbarkeitszauber bei und bildete sie in anderen Formen des Schleichens und der Tarnung aus. Katisha verband magische und nichtmagische Talente freimütig, und wertete so das eine durch das andere auf. Sie war kein Mitglied der Diebesgilde, hegte jedoch irgendwie mütterliche Gefühle für Therris. Barenziah schloss sie ins Herz, wie das nie zuvor bei einer Frau der Fall gewesen war. Im Verlauf der nächsten Wochen erzählte sie Katisha alles über sich. Gelegentlich brachte sie Strenz ebenfalls mit. Strenz mochte Katisha. Therris dagegen keineswegs. Therris dagegen fand Strenz 'interessant' und schlug Barenziah vor, dass sie es doch einmal mit einem 'flotten Dreier' probieren sollten, wie er es nannte. 'Auf gar keinen Fall', antwortete Barenziah empört. Sie war froh, dass Therris das Thema wenigstens dies eine Mal unter vier Augen angesprochen hatte. 'Das würde ihm überhaupt nicht gefallen. Und mir auch nicht!' Therris lächelte auf seine ureigene charmante, katzenhaft-dreieckige Weise, und streckte sich faul auf dem Stuhl aus. 'Ihr wärt sicher überrascht. Beide. Zu zweit ist das alles so langweilig ...' Barenziah sah ihn mit blitzenden Augen wütend an. 'Oder vielleicht mögt Ihr's ja auch nicht, wenn dieser Dorftrottel da mitmacht, Süße. Wie wär's, wenn ich 'nen Kumpel mitbrächte?' 'Das würde mich allerdings stören. Wenn ich Euch zu langweilig bin, könnt Ihr Euch mit Eurem Kumpel jemand anderen suchen.' Sie war mittlerweile Mitglied der Diebesgilde, hatte den Initiationsritus bestanden. Therris war ganz nützlich, aber nicht wichtig. Vielleicht langweilte er sie auch einfach ein wenig. BEI KATISHA FAND SIE EIN OFFENES OHR FÜR IHRE MÄNNERPROBLEME. Oder das, was sie für ihre Männerprobleme hielt. Katisha schüttelte den Kopf und sagte ihr, dass sie nach Liebe und nicht nach Sex suche. Sie würde den richtigen Mann schon erkennen, wenn sie ihn erst einmal gefunden habe - und dass weder Strenz noch Therris der Richtige seien. Barenziah legte den Kopf fragend zur Seite. 'Angeblich sind die Frauen der Dunkelelfen alle po ... pro ... Prostituierte?' fragte sie zweifelnd. 'Du meinst, sie sind polygam. Obwohl sicher einige Prositituierte sind, nehme ich an', fügte Katisha nachdenklich hinzu. 'Elfen sind in der Jugend nicht monogam. Aber das wächst sich aus. Vielleicht hat das bei dir bereits angefangen', fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Sie mochte Barenziah, hatte sie regelrecht ins Herz geschlossen. 'Du solltest ein paar nette Elfenjungs kennen lernen. Wenn du dich weiterhin mit Khajiit, Menschen und weiß der Himmel wem noch, herumtreibst, bist du im Handumdrehen schwanger.' Barenziah musste bei diesem Gedanken lächeln. 'Ich glaube, das würde mir gefallen. Aber es wäre wirklich derzeit etwas unpraktisch, nicht wahr? Kleine Kinder sind ziemlich anstrengend, und ich habe noch nicht einmal ein eigenes Zuhause.' 'Wie alt bist du jetzt eigentlich, Berry? Siebzehn? Nun, wenn du nicht großes Pech hast, dauert es noch ein Jahr oder zwei, bis du fruchtbar wirst. Auch danach bekommen Elfen nicht sehr schnell mit anderen Elfen Kinder, wenn du dich also an Elfen hältst, dürfte das kein großes Problem sein.' Barenziah erinnerte sich an etwas anderes. 'Strenz will, dass wir einen Bauernhof kaufen und heiraten.' 'Willst du das auch?' 'Nein. Noch nicht. Vielleicht irgendwann einmal. Ja, eines Tages einmal. Aber nicht, wenn ich nicht Königin sein kann. Und ich will nicht irgendeine Königin sein. Ich will Königin von Gramfeste sein.' Sie sagte es entschlossen, fast dickköpfig, als wolle sie jeden Zweifel daran im Keim ersticken. Katisha beschloss, diese letzte Bemerkung zu ignorieren. Die überbordende Fantasie des Mädchens belustigte sie, doch sie sah es als Zeichen eines gut funktionierenden Kopfes. 'Bevor 'eines Tages' erreicht ist, wird Strenz wohl ein sehr alter Mann sein. Elfen leben sehr lange.' Der traurige, fast neidische Blick, den Menschen immer dann bekamen, wenn sie daran dachten, dass Elfen ein tausendjähriges Leben vergönnt war, huschte kurz über Katishas Gesicht. Gewiss, nur wenige lebten tatsächlich so lange - Krankheit und Gewalt forderten beide einen hohen Tribut. Aber immerhin konnten sie so alt werden. Und dem ein oder anderen gelang das auch. 'Ich mag auch alte Männer', meinte Berry. Katisha lachte. BARENZIAH ZAPPELTE UNGEDULDIG, WÄHREND THERRIS die Papiere auf dem Schreibtisch durchging. Er ging sehr sorgfältig und äußerst methodisch vor, und legte alles wieder exakt an die Stelle, an der er es gefunden hatte. Sie waren bei einem Edelmann eingebrochen, Strenz war als Wache draußen geblieben. Therris hatte gemeint, es sei ein einfacher, aber äußerst geheimer Auftrag. Er hatte noch nicht einmal andere Gildenmitglieder mitnehmen wollen. Berry und Strenz konnte er trauen, aber sonst keinem, hatte er gesagt. 'Sagt mir, was Ihr sucht, ich finde es sicher schnell', wisperte Berry drängend. Therris konnte bei Nacht lange nicht so gut sehen wie sie, und wollte nicht, dass sie auch nur das geringste Bisschen Licht herbeizauberte. Noch nie war sie in einem so luxuriösen Haus gewesen. Nicht einmal die Burg von Graf Sven und Gräfin Inga in Finstermoor konnte da mithalten. Staunend hatte sie sich umgesehen, als sie durch die riesige, reich geschmückte Halle im Erdgeschoss geschlichen waren. Doch Therris schien sich für nichts als den Sekretär in einem kleinen Studierzimmer voller Bücher im oberen Stockwerk zu interessieren. 'Psst', zischte er wütend. 'Da kommt jemand!' sagte Berry nur einen Augenblick bevor die Tür aufging und zwei dunkle Gestalten den Raum betraten. Therris schubste sie heftig in Richtung der beiden und sprang zum Fenster. Barenziahs Muskeln schienen einzufrieren - sie konnte sich weder bewegen noch sprechen. Hilflos musste sie mit ansehen, wie die kleinere der beiden Gestalten Therris nachsprang. Zwei blitzschnelle, völlig stille blaue Lichtblitze zuckten auf, und Therris sank lautlos zu einem regungslosen Häufchen zusammen. Vor dem Studierzimmer herrschte großer Aufruhr - Schritte hallten durch die Flure, Stimmen riefen aufgeregt durcheinander, und hastig angelegte Rüstungen rasselten. Der größere der beiden Männer, anscheinend ein Dunkelelf, schleifte und trug Therris zur Tür und übergab ihn einem anderen Elf. Dann gab er ein Zeichen mit dem Kopf, und sein Begleiter, kleiner als er selbst und in blauer Robe, folgte ihnen. Nun schlenderte er zu Barenziah, die sich jetzt wieder bewegen konnte, auch wenn ihr Kopf fürchterlich pochte, wenn sie es auch nur versuchte. 'Macht Euer Hemd auf, Barenziah', sagte er. Barenziah starrte ihn an und verschränkte entschlossen die Arme. 'Ihr seid kein Junge, Berry, nicht wahr?' sagte er leise. 'Ihr hättet vor Monaten aufhören sollen, Euch als Junge zu verkleiden, wirklich. So habt Ihr nur die Aufmerksamkeit auf Euch gelenkt. Und sich auch noch Berry zu nennen! Ist Euer lieber Strenz denn zu dämlich, um sich einen anderen Namen zu merken?' 'Das ist ein durchaus gängiger Name bei Elfen', verteidigte sich Barenziah. Traurig schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. 'Bei Dunkelelfen nicht, meine Liebe. Aber über Dunkelelfen wisst Ihr wohl nicht sehr viel. Das bedaure ich, aber es ließ sich nicht vermeiden. Sei's drum. Ich werde versuchen, dem Abhilfe zu schaffen.' 'Wer seid Ihr?' wollte Barenziah wissen. 'Nun. Soviel zum Thema Ruhm', lächelte der Mann gequält und zuckte mit den Schultern. 'Ich, Milady Barenziah, bin Symmachus. General Symmachus im Dienste der kaiserlichen Armee seiner Ehrfurcht Gebietenden und Formidablen Majestät Tiber Septim I. Ich muss schon sagen, Ihr habt mich auf einer ziemlich wilden Jagd durch ganz Tamriel gescheucht. Zumindest durch diesen Teil des Landes. Ich hatte mir allerdings - und wohl zu Recht - schon gedacht, dass Ihr nach und nach in Richtung Morrowind kommen würdet. Ihr hattet ziemlich viel Glück. In Weißlauf fand man eine Leiche, die man für Strenz hielt. Daher haben wir nicht nach zwei Personen gesucht. Sehr nachlässig von mir. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass ihr so lange zusammenbleiben würdet.' 'Wo ist er? Geht es ihm gut?' fragte sie ernsthaft besorgt. 'Ihm geht es gut. Zumindest vorläufig. Natürlich ist er inhaftiert.' Er wandte sich ab. 'Dann ist er Euch also ... wichtig?' meinte er plötzlich, sie mit brennender Neugierde ansehend. Die roten Augen, die sie anschauten, wirkten sehr befremdlich für sie - normalerweise sah sie rote Augen nur in ihrem eigenen Spiegelbild. 'Er ist ein guter Freund', entgegnete Barenziah. Die Wörter hörten sich sogar in ihren eigenen Ohren teilnahms- und hoffnungslos an. Symmachus! Ein General der Kaiserlichen Armee - und angeblich sogar Freund und Berater von Tiber Septim selbst. 'Nun. Ihr scheint eine ganze Anzahl unangemessener Freunde zu haben, wenn ich das einmal sagen darf, Milady.' 'Hört auf, mich so zu nennen.' Der anscheinende Sarkasmus des Generals irritierte sie. Doch er lächelte nur. Während sie sprachen, klang das geschäftige Treiben und der Aufruhr im Haus ab. Allerdings konnte sie noch einige Stimmen hören, die nicht weit entfernt flüsterten, vermutlich die Bewohner. Der große Elf setzte sich auf eine Ecke des Schreibtischs. Er wirkte recht entspannt und bereit, einige Zeit lang zu bleiben. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Eine ganze Anzahl unangemessener Freunde? Das hatte er doch gesagt! Der Mann wusste alles über sie! Oder zumindest genug. Was ungefähr auf dasselbe hinauslief. 'W-was werdet Ihr mit ihnen tun? Und mit ... mit mir?' 'Ah. Wie Ihr wisst, gehört dieses Haus dem Befehlshaber der Kaiserlichen Truppen in dieser Gegend. Das heißt, es gehört mir.' Barenziah schnappte nach Luft. Symmachus blickte überrascht auf. 'Das wusstet Ihr nicht. Ts, ts, ts. Ihr seid wirklich sehr waghalsig, Milady, sogar für eine Siebzehnjährige. Ihr solltet stets wissen, was Ihr tut, und in welche Gefahr Ihr Euch begebt.' 'Aber, aber ... die Gilde ... sie hätte nie ...' Barenziah zitterte förmlich. Niemals hätte die Diebesgilde eine Mission gewagt, die der kaiserlichen Politik in die Quere kam. Niemand wagte es, sich gegen Tiber Septim zu stellen, zumindest keiner, von dem sie wusste. Irgend jemand bei der Gilde hatte einen Fehler gemacht. Einen sehr schweren Fehler. Und sie würde dafür bezahlen müssen. 'Da würde ich Euch Recht geben. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Therris für diese Sache hier die Genehmigung der Gilde hatte. Ich frage mich sogar ...' Sorgsam untersuchte Symmachus den Sekretär und zog nacheinander die Schubladen heraus. Eine davon setzte er auf die Schreibfläche und entfernte einen doppelten Boden. Unter ihm befand sich ein gefaltetes Stück Pergament. Es schien eine Art Landkarte zu sein. Barenziah versuchte, einen Blick darauf zu erhaschen. Symmachus zog das Papier weg und lachte. 'Die Waghalsigkeit in Person!' Er warf einen Blick darauf, faltete das Pergament und legte es wieder in das Versteck. 'Gerade habt Ihr mir gesagt, ich solle mich um Wissen bemühen.' 'In der Tat, in der Tat.' Plötzlich schien er sehr gute Laune zu haben. 'Wir müssen uns auf den Weg machen, Milady.' Er lotste sie zur Tür, die Treppe hinunter und hinaus in die Nacht. Es war keiner zugegen. Bareziah sah sich nervös nach Schatten um. Vielleicht konnte sie irgendwie weglaufen? Irgendwie entkommen? 'Ihr überlegt Euch doch nicht etwa, zu fliehen, oder? Nein, sicher nicht. Wollt Ihr nicht zuerst wissen, welche Pläne ich für Euch habe?' Fast schien er ein bisschen verletzt zu sein. 'Jetzt, da Ihr darauf zu sprechen kommt - doch, in der Tat.' 'Vielleicht wollt Ihr zuvor wissen, was mit Euren Freunden geschehen ist.' 'Nein.' Er schaute zufrieden drein ob dieser Antwort. Offenbar war es das, was er hören wollte, dachte Barenziah. Aber es war gleichzeitig die Wahrheit. Zwar machte sie sich durchaus Sorgen um ihre Freunde - besonders um Strenz - aber wichtiger war, was mit ihr selbst geschehen würde. 'Ihr werdet Eure rechtmäßige Stellung als Königin von Gramfeste einnehmen.' SYMMACHUS ERKLÄRTE, DASS DAS VON ANFANG AN DER PLAN GEWESEN SEI, den er und Tiber Septim für sie gehabt hatten. Gramfeste, das in den über zehn Jahren seit sie nicht mehr im Land gewesen war, unter Militärherrschaft gestanden hatte, sollte nach und nach zur zivilen Regierungsform zurückgebracht werden - natürlich unter Aufsicht des Kaiserreichs und als Teil der kaiserlichen Provinz Morrowind. 'Aber warum wurde ich dann nach Finstermoor geschickt?' fragte Barenziah nach, die kaum glauben konnte, was sie da hörte. 'Zu Eurer Sicherheit natürlich. Warum seid Ihr weggelaufen?' Barenziah zuckte mit den Schultern. 'Ich konnte keinen Grund sehen, zu bleiben. Man hätte es mir sagen müssen.' 'Das wäre mittlerweile auch geschehen. Ich hatte sogar bereits Boten ausgeschickt, die Euch in die kaiserliche Stadt bringen sollten, so dass Ihr eine Zeit am kaiserlichen Hof würdet verbringen können. Aber da wart ihr bereits ... nun, ihr hattet sozusagen das Schiff bereits verlassen. Was Euer Schicksal angeht, so hätte Euch das doch vollkommen klar sein müssen. Tiber Septim hält jene nicht am Leben, für die er keine Verwendung hat - und zu was hättet Ihr ihm sonst zu Nutze sein können?' 'Ich weiß nichts über ihn. Über Euch übrigens auch nicht.' 'Dann wisst dieses: Tiber Septim gewährt Freunden und Feinden gleichermaßen das, was ihnen gebührt.' Daran hatte Barenziah eine Weile zu knabbern. Schließlich sagte sie: 'Strenz hat mich stets gut behandelt und geschützt. Nie hat er jemandem etwas zuleide getan. Er ist kein Mitglied der Diebesgilde. Er kam nur mit, um mich zu beschützen. Er verdient unseren Unterhalt mit Botengängen und ... und er ...' Symmachus wedelte ungeduldig mit der Hand. 'Jaja. Ich weiß alles über Strenz', sagte er. 'Und über Therris.' Er blickte sie durchdringend an. 'Also? Was?' Sie atmete tief ein. 'Strenz wünscht sich nichts sehnlicher als einen kleinen Bauernhof. Wenn ich denn reich bin, dann hätte ich gerne, dass ihm dieser Wunsch gewährt wird.' 'Sehr wohl.' Er schien zunächst überrascht, dann erfreut darüber. 'Gut. Er soll seinen Bauernhof haben. Und was ist mit Therris?' 'Er hat mich verraten', sagte Barenziah kalt. Er hätte ihr sagen müssen, welche Gefahr bei diesem Auftrag auf sie wartete. Und dann hatte er sie direkt in die Arme der Feinde geschoben, um zu versuchen, die eigene Haut zu retten. Das war gewiss kein Mann, den man belohnen sollte. Und dem man auch nicht trauen konnte, wenn man sich es recht überlegte. 'Ja. Und?' 'Nun, er sollte für seine Taten büßen ... oder etwa nicht?' 'Das erscheint mir nur vernünftig. Und in welcher Form soll er büßen?' Barenziah ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte sie den Khajiit selbst verprügelt und zerkratzt. Aber angesichts der aktuellen Ereignisse schien das keine sehr königliche Verhaltensweise zu sein. 'Auspeitschen vielleicht. Wären zwanzig Schläge wohl zu viel? Ich will ihm ja keinen dauerhaften Schaden zufügen. Er soll nur seine Lektion lernen.' 'Gewiss. Selbstverständlich.' Symmachus grinste. Plötzlich besann er sich und wurde wieder ernst. 'So soll es geschehen, Eure Hoheit Königin Barenziah von Gramfeste.' Mit diesen Worten verbeugte er sich vor ihr - tief, mit Schwung, wie man sich eine tiefe Verbeugung am Hofe vorstellte. Es war absurd und wunderbar zugleich. Barenziahs Herz hüpfte vor Glück. SIE VERBRACHTE ZWEI TAGE IM HAUS DES SYMMACHUS. Während dieser Zeit war sie sehr beschäftigt. Eine Dunkelelfe namens Drelliane versorgte sie mit allem Nötigen. Allerdings schien sie keine Dienerin zu sein, da sie mit ihnen speiste. Sie schien jedoch auch nicht Symmachus Frau oder Liebhaberin zu sein. Drelliane schaute amüsiert drein, als Barenziah dies einmal ansprach. Sie entgegnete, sie sei vom General angestellt und tue, was man von ihr verlange. Mit Drellianes Hilfe wurden mehrere Paar Schuhe und verschiedene edle Roben für sie bestellt, ebenso Reitkleidung, Stiefel und einige andere kleinere Dinge des täglichen Bedarfs. Sie bekam ein Zimmer für sich alleine. Symmachus war sehr viel unterwegs. Sie sah ihn bei den Mahlzeiten, doch er sprach nur wenig über sich selbst oder darüber, was er getan hatte. Er war stets höflich und korrekt, durchaus willens, sich über die meisten Themen zu unterhalten, und schien an fast allem interessiert zu sein, das sie zu sagen hatte. Mit Drelliane war es nicht anders. Barenziah fand sie durchaus freundlich, aber wurde einfach nicht richtig warm mit ihnen, wie Katisha es gesagt hätte. Irgendwie war sie enttäuscht. Es waren die ersten Dunkelelfen, mit denen sie näheren Kontakt hatte. Sie hatte erwartet, dass sie sich bei ihnen wohl fühlen würde, sich endlich irgendwo zugehörig und als Teil einer Gruppe zu fühlen. Statt dessen vermisste sie ihre nordischen Freunde Katisha und Strenz schrecklich. Als Symmachus ihr daher mitteilte, dass sie am Morgen zur Kaiserstadt aufbrechen würden, bat sie daher um Erlaubnis, sich von ihnen verabschieden zu dürfen. 'Katisha?' fragte er. 'Gewiss. Nun ... ich denke, ich bin ihr etwas schuldig. Sie war es ja, die mich zu Euch führte, indem sie mir von einer einsamen Dunkelelfe namens Berry erzählte, die Freunde unter den Elfen brauchte - und die sich manchmal als Junge verkleidete. Anscheinend hat sie keinerlei Verbindung zur Diebesgilde. Und niemand, der mit der Diebesgilde zu tun hat, scheint Eure wahre Identität zu kennen, abgesehen von Therris. Das ist gut so. Eure ehemalige Gildenzugehörigkeit sollte lieber nicht öffentlich bekannt werden. Sprecht bitte zu niemandem darüber, Eure Hoheit. Eine solche Vergangenheit ... schickt sich nicht für eine Königin im Kaiserreich.' 'Außer Strenz und Therris weiß keiner davon. Und sie werden niemandem davon erzählen.' 'Nein.' Ein merkwürdiges Lächeln huschte über sein Gesicht. 'Nein, das werden sie nicht.'Er wusste also nicht, dass Katisha es wusste. Aber seine Art war merkwürdig gewesen ... Strenz kam am Morgen ihrer Abreise in ihre Räume. Man ließ sie im Vorzimmer alleine, doch Barenziah wusste genau, dass andere Elfen in Hörweite waren. Er war blass und sah nicht gut aus. Einige Minuten lang umarmten sie sich schweigend. Strenzs Schultern zitterten und er weinte bitterlich, sagte jedoch nichts. Barenziah versuchte, zu lächeln. 'Wir bekommen also beide, was wir uns gewünscht haben, wie? Ich werde Königin von Gramfeste und du Herrscher über deinen eigenen Hof.' Sie nahm seine Hand. Ihr Lächeln kam von Herzen. 'Ich werde dir schreiben, Strenz. Das verspreche ich dir. Du musst schauen, dass du einen Schreiber findest, damit du mir antworten kannst.' Strenz schüttelte nur traurig den Kopf. Doch Barenziah ließ nicht locker. Da öffnete er den Mund und zeigte darauf, während er unverständliche Laute von sich gab. Schlagartig wurde ihr klar, was geschehen war. Er hatte keine Zunge mehr - sie war ihm abgetrennt worden. Barenziah brach weinend auf einem Stuhl zusammen. 'ABER WARUM NUR?' FORDERTE SIE VON SYMMACHUS ZU WISSEN, als Strenz weggebracht worden war. 'Warum?' Symmachus zuckte nur mit den Schultern. 'Er weiß zu viel. Er könnte gefährlich sein. Immerhin ist er am Leben, und seine Zunge wird er ja nicht brauchen um ... um Schweine zu züchten, oder was immer er vorhat.' 'Ich hasse Euch!' kreischte ihn Barenziah an, bevor ihr übel wurde und sie sich übergeben musste. Sie beschimpfte ihn weiter, während sie sich wieder und wieder übergab. Er hörte ohne Regung zu, während Drelliane den Boden säuberte. Am Ende sagte er nur, sie solle aufhören, sonst werde er sie für die Reise zum Kaiser knebeln müssen. Auf dem Weg aus der Stadt hielten sie bei Katisha. Symmachus und Drelliane stiegen nicht ab. Alles schien wie immer, doch Barenziah hatte Angst, als sie an der Tür klopfte. Katisha ging an die Tür. Stumm dankte Barenziah den Göttern, dass es zumindest Katisha gut ging. Aber auch sie hatte offenbar geweint. Auf jeden Fall umarmte sie Barenziah herzlich. 'Warum weint Ihr?' fragte Barenziah. 'Wegen Therris natürlich. Habt Ihr es noch nicht gehört? O du meine Güte. Der arme Therris. Er ist tot.' Barenziah spürte, wie es ihr kalt ums Herz wurde. 'Man hat ihn erwischt, als er versuchte, einen Diebstahl im Haus des Generals zu begehen. Der arme Junge. Aber das war auch so dumm von ihm. O Berry - man hat ihn heute früh auf Befehl des Generals hin gevierteilt!' Sie schluchzte laut auf. 'Ich bin hingegangen. Er hat nach mir gefragt. Es war so schrecklich. Er hat so gelitten, bevor er starb. Das werde ich nie vergessen. Ich habe nach dir und Strenz Ausschau gehalten, aber keiner wusste, was mit Euch geschehen war.' Sie schaute hinter Barenziah. 'Das ist er, der General, nicht wahr? Symmachus.' Und dann tat sie etwas merkwürdiges. Sie hörte auf zu weinen und ein breites Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. 'Wisst Ihr, als ich ihn gesehen habe, dachte ich mir gleich 'Das ist der Richtige für Barenziah!'' Sie wischte sich mit einem Eck ihrer Schürze die Augen. 'Ich habe Euch von ihm erzählt, wisst Ihr noch?' 'Ja', sagte Barenziah, 'ich weiß.' Sie nahm Katishas Hände in die Ihren und sah sie flehend an. 'Katisha, ich habe Euch furchtbar gern. Ich werde Euch schrecklich vermissen. Aber bitte, bitte erzähle niemals irgendjemandem irgendetwas über mich. Niemals. Hörst du? Versprich es mir. Und vor allem nicht Symmachus. Und kümmere dich um Strenz, um meinetwillen. Versprich es mir.' Katisha versprach es gerne, auch wenn die Bitte sie offensichtlich verwirrte. 'Berry, Therris wurde nicht irgendwie wegen mir erwischt, oder? Ich habe niemals irgendetwas über Therris gesagt. Nicht ... ihm nicht.' Sie schaute kurz zu Symmachus. Barenziah versicherte ihr, dass das nicht der Fall war, und dass ein Informant der Kaiserlichen Wache Therris Pläne verraten hatte. Das war vermutlich die Unwahrheit, aber es war nur allzu offensichtlich, dass Katisha dringend ein wenig Trost brauchte. 'Nun, da bin ich aber froh - wenn ich mich im Augenblick überhaupt über etwas freuen kann. Es wäre zu schrecklich, wenn ... aber wie hätte ich es denn auch wissen können?' Sie beugte sich vor und flüsterte Barenziah ins Ohr. 'Symmachus ist wirklich sehr gut aussehend, nicht wahr? Und so charmant!' 'Davon habe ich noch nichts gemerkt', meinte Barenziah trocken. 'Darüber habe ich bisher noch nicht nachgedacht. Ich hatte andere Dinge, über die ich nachdenken musste.' Eilig erklärte sie, dass sie Königin von Gramfeste sei und nun eine Zeit lang in der Kaiserstadt leben werde. 'Er hat mich gesucht, weiter nichts. Auf Befehl des Kaisers. Ich war das Objekt, das es zu finden galt ... ein ... ein Ziel eben, das er erreichen musste. Ich glaube nicht, dass er mich überhaupt als Frau betrachtet. Immerhin hat er gesagt, ich sähe nicht wie ein Junge aus', setzte sie angesichts der ungläubigen Miene Katishas hinzu. Katisha wusste genau, dass Barenziah eigentlich jedes männliche Wesen zuallererst hinsichtlich seiner Attraktivität und seiner Verfügbarkeit beurteilte. 'Sicher ist es der Schock, dass ich wirklich Königin bin', fügte sie hinzu. Katisha stimmte ihr zu, dass es das wohl ein Schock sein müsse, auch wenn sie damit selbst wohl keine Erfahrung habe. Sie lächelte. Barenziah lächelte mit. Zum letzten Mal umarmten sie sich unter Tränen. Katisha sollte sie nie wieder sehen. Genauso wenig wie Strenz. DIE HOCHHERRSCHAFTLICHE REISEGESELLSCHAFT VERLIESS RIFTON DURCH DAS GROSSE SÜDTOR. Als sie hindurchgeritten waren, tippte er ihr auf die Schulter und zeigte auf das Tor, durch das sie gerade gekommen waren. 'Wolltet Ihr Euch nicht auch von Therris verabschieden, Eure Hoheit?' Barenziah starrte kurz, aber ohne sich abzuwenden auf den Kopf, der über dem Tor aufgespießt war. Vögel hatten schon begonnen, daran zu picken, doch das Gesicht war noch erkennbar. 'Er wird mich wohl nicht hören können, sich aber sicher freuen, zu wissen, dass es mir gut geht', gab sie zurück, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. 'Wir sollten vielleicht lieber unseres Weges ziehen, General, was meint Ihr?' Symmachus war sichtlich enttäuscht über ihre mangelnde Reaktion. 'Gewiss. Ich nehme an, Ihr habt durch Katisha davon gehört?' 'Ihr geht recht in der Annahme. Sie hat der Exekution beigewohnt', sagte Barenziah beiläufig. Wenn er es nicht bereits wusste, würde er es ohnehin bald erfahren, dessen war sie sich sicher. 'Wusste sie, dass Therris in der Gilde war?' Sie zuckte mit den Schultern. 'Das wusste jeder. Nur die Mitglieder niederen Ranges wie ich waren gehalten, ihre Mitgliedschaft geheim zu halten. Die höheren Ränge sind allseits bekannt.' Sie wandte sich um und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. 'Aber das wisst Ihr ja sicher am besten, General, nicht wahr?' sagte sie betont freundlich. Er schien nichts zu bemerken. 'Ihr habt ihr also verraten, wer ihr seid, und woher ihr wart, nicht jedoch von Eurer Gildenmitgliedschaft erzählt.' 'Die Mitgliedschaft in der Gilde war nicht mein Geheimnis. Ich durfte es nicht verraten. Das andere Geheimnis war meines. Ein großer Unterschied, wie ich meine. Außerdem ist Katisha eine sehr ehrliche Frau. Wenn ich ihr das gesagt hätte, hätte es mich in ihren Augen abgewertet. Sie hat Therris immer wieder ins Gewissen geredet, dass er sich eine ehrlichere Arbeit suchen solle. Und ich schätze ihre Wertschätzung.' Mit eiskaltem Blick setzte sie hinzu, 'Nicht, dass es Euch etwas anginge, aber wisst Ihr, was sie noch meinte? Sie dachte, ich würde glücklicher sein, wenn ich mich für einen einzigen Mann entschiede. Einen meiner eigenen Art. Mit den richtigen Eigenschaften. Und der weiß, was man sagt und wie man sich verhält. Genau genommen meinte sie, ausgerechnet Ihr wärt der ideale Kandidat.' Sie packte die Zügel fester in Vorbereitung auf eine schnellere Gangart - aber nicht, ohne zuvor noch eine letzte Spitze loszuwerden. 'Ist es nicht merkwürdig, wie Wünsche wahr werden - aber nicht in der Art, wie man sich es vorgestellt hatte? Oder vielleicht eher so, dass sie genau das Gegenteil dessen darstellen, was man sich gewünscht hätte?' Seine Antwort überraschte sie so sehr, dass sie vor Verblüffung völlig vergaß, loszugaloppieren. 'In der Tat. Die Dinge entwickeln sich manchmal auf äußerst merkwürdige Weise.' Sein Tonfall stimmte exakt mit dem Inhalt seiner Aussage überein. Mit diesen Worten fiel er hinter ihr in Schritt. Sie hielt den Kopf empor und trieb ihr Pferd an, bemüht, möglichst unbeeindruckt zu wirken. Irgend etwas an seiner Antwort kam ihr merkwürdig vor. Nur was? Es war nicht so sehr, was er gesagt hatte. Nein, das war es nicht. Es war etwas in der Art, auf die er es gesagt hatte. Irgendwie gab er ihr das Gefühl dass sie - Barenziah - einer der Träume war, die für ihn wirklich wahr geworden waren. So unwahrscheinlich das scheinen mochte, drehte und wendete sie diesen Gedanken hin und her. Gewiss, er hatte sie nach monatelanger Suche unter Druck des Kaisers gefunden. Sein Wunsch war also in Erfüllung gegangen. Das musste es wohl sein. Aber anscheinend auf eine Weise, die ihm nicht vollauf behagte. VIELE TAGE LANG WAR BARENZIAH SEHR BEDRÜCKT über die Ereignisse und die Trennung von ihren Freunden. In der zweiten Woche hellte sich ihre Stimmung jedoch wieder auf. Sie stellte fest, dass sie es genoss, wieder unterwegs zu sein, auch wenn sie Strenzs Gesellschaft mehr vermisste, als sie das je für möglich gehalten hätte. Eine Truppe Ritter - allesamt Männer der Rothwardonen - eskortierte sie. Im Umgang mit diesen fühlte sie sich wohl, obwohl sie weit disziplinierter waren und sich weit schicklicher verhielten als die Wachen der Händlerkarawanen, mit denen sie zusammen gewesen war. Sie waren freundlich, hielten jedoch trotz ihrer Flirtversuche stets respektvolle Distanz. Symmachus redete ihr unter vier Augen ins Gewissen - eine Königin habe zu jeder Zeit königliche Würde zu wahren. 'Soll das heißen, ich darf nie das geringste Bisschen Spaß haben?' quengelte sie. 'Nein. Nicht mit solchen. Sie stehen unter Euch. Jene mit Macht haben gütig und wohlwollend zu sein, Milady, nicht aber zu vertraulich. In der Kaiserstadt werdet ihr Euch keusch und sittsam verhalten.' Barenziah zog ein Gesicht. 'Da wäre ich ja am besten gleich in Festung Finstermoor geblieben. Elfen sind von Natur aus polygam. Das sagt jeder.' 'Dann hat eben 'jeder' Unrecht. Manche sind es, andere nicht. Der Kaiser erwartet, dass Ihr sowohl gutes Urteilsvermögen wie auch guten Geschmack an den Tag legt. Und ich auch. Ich möchte Euch erinnern, dass Ihr, Hoheit, den Thron von Gramfeste nicht auf Grund Eurer Herkunft, sondern ausschließlich von Gnaden des Tiber Septim halten werdet. Wenn er Euch für ungeeignet hält, ist Eure Herrschaft zu Ende, noch bevor sie begonnen hat. Er fordert Intelligenz, Gehorsam, Besonnenheit und absolute Loyalität von all seinen Herrschern, und bei Frauen bevorzugt er Keuschheit und Bescheidenheit. Ich kann Euch nur ans Herz legen, Euer Verhalten dem der ehrenwerten Drelliane anzupassen, Milady.' 'Lieber wäre ich wieder in Finstermoor!' gab Barenziah wütend zurück, beleidigt angesichts der Vorstellung, der prüden, geradezu frigiden Drelliane in irgend einer Weise nacheifern zu müssen. 'Ihr habt keine Wahl, Hoheit. Wenn Ihr Tiber Septim nicht mehr nützlich seid, wird er dafür Sorge tragen, dass ihr seinen Feinden auch nicht nützen könnt. Wenn Ihr Euren Kopf auf Euren Schultern behalten wollt, nehmt Ihr Euch besser in Acht. Ich möchte hinzufügen, dass Macht noch andere Freuden bietet als jene des Fleisches und des unziemlichen Umgangs mit niederer Gesellschaft.' Er begann, ihr von Kunst, Literatur, Theater, Musik und den großen Bällen am kaiserlichen Hof zu erzählen. Barenziah hörte mit wachsendem Interesse zu, nicht nur auf Grund der Drohungen. Danach fragte sie schüchtern, ob sie ihre Studien im Bereich der Magie in der kaiserlichen Stadt fortsetzen könne. Symmachus schien erfreut, das zu hören und versprach, dafür zu sorgen. Von dieser Reaktion ermutigt bat sie um die Erlaubnis, mit den drei weiblichen Eskorten unter den Rittern ein bisschen trainieren zu dürfen, allein um der Bewegung willen. Dieser Vorschlag stieß auf weniger Begeisterung als der Vorherige, doch schließlich gab er seine Einwilligung, solange sie nur mit den Frauen kämpfe. Das spätwinterliche Wetter blieb für den Rest der Reise kühl, aber freundlich. So kamen sie schnell auf guten Straßen voran. Am letzten Tag ihrer Reise schien endlich der Frühling zu nahen - erste Zeichen des Tauens machten sich bemerkbar. Die Straßen wurden schlammig und überall war das leise, aber stetige Tropfen des Wassers zu hören. Es war ein sehr willkommenes Geräusch. BEI SONNENUNTERGANG ERREICHTEN SIE DIE GROßE BRÜCKE, DIE IN DIE KAISERSTADT FÜHRTE. Der Schein der untergehenden Sonne tauchte die blendend weißen Marmorbauten der Hauptstadt in ein zartes Rosa. Alles sah sehr neu, sehr großzügig und absolut blitzblank aus. Eine breite Straße führte nach Norden zum Palast. Wesen aller Herkunft und Art drängten sich auf der breiten Promenade. Die Lichter gingen in den Läden aus und in den Gasthäusern an, als es dämmerte und die Sterne zunächst einzeln, und dann zu zweit und zu dritt hervorkamen. Sogar die Seitenstraßen waren breit und hell erleuchtet. In der Nähe des Palasts ragten die Türme einer immens großen Halle der Magiergilde im Osten empor, während im Westen die Buntglasfenster eines riesigen Tempels im Licht der untergehenden Sonne funkelten. Die Räume des Symmachus befanden sich in einem grandiosen Bau, der hinter dem Tempel nur zwei Straßen vom Palast entfernt lag. ('Der Tempel des Einen' nannte er diesen, als sie vorbeiritten. Es handelte sich um einen uralten nordischen Kult, den Tiber Septim wieder belebt hatte. Von Barenziah würde man erwarten, Mitglied des Tempels zu werden, falls der Kaiser sie für geeignet für ihre Aufgabe hielt.) Die Gemächer waren prächtig - trafen Barenziahs Geschmack jedoch keineswegs. Die Wände und Möbel waren in reinstem Weiß gehalten, dekoriert lediglich mit geringsten Mengen stumpfen Goldes, die Böden waren aus blankgeputztem schwarzen Marmor. Barenziahs Augen sehnten sich nach Farbe und dem Spiel verschiedenster Schattierungen. Am nächsten Morgen brachten sie Symmachus und Drelliane in den Kaiserpalast. Barenziah bemerkte, dass jeder, den sie trafen, Symmachus mit einer Ehrerbietung willkommen hieß, die fast schon ins Kriecherische ging. Der General schien dies als Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Man brachte sie direkt zum Kaiser. Die Morgensonne strahlte hell durch ein riesiges Fenster mit winzigen Fensterscheibchen in den kleinen Raum, und erleuchtete einen mit allen erdenklichen Leckereien beladenen Frühstückstisch und den Mann, der alleine daran saß und sich dunkel gegen das Licht abhob. Er sprang auf, als sie eintraten, und eilte auf sie zu. 'Ah, Symmachus, treuer Freund! Wir begrüßen Eure Rückkehr mit größter Freude.' Er fasste Symmachus kurz und mit großer Zuneigung an den Schultern, damit den tiefen Kniefall verhindernd, zu dem jener gerade angesetzt hatte. Barenziah machte einen Knicks, als Tiber Septim sich ihr zuwandte. 'Und da haben wir ja Barenziah, die ungezogene kleine Ausreißerin. Wie geht es Euch, mein Kind? Lasst Euch anschauen. Aber Symmachus, sie ist ja hinreißend, einfach hinreißend! Warum habt ihr sie nur so viele Jahre vor uns versteckt? Ist das Licht zu hell, Kind? Sollen wir die Vorhänge zuziehen? Ja, gewiss doch.' Mit einer Handbewegung brachte er den protestierenden Symmachus zum Verstummen und zog die Vorhänge selbst zu, ohne zuvor einen Diener zu rufen. 'Ihr müsst uns diesen Mangel an Höflichkeit schon verzeihen, liebe Gäste. Wir müssen uns um so vieles Gedanken machen, auch wenn das keineswegs mangelnde Gastfreundschaft entschuldigen kann. Aber setzt Euch doch zu uns. Wir haben hervorragende Nektarinen aus Schwarzmarsch bekommen.' Sie setzten sich an den Tisch. Barenziah hatte es die Sprache verschlagen. Tiber Septim war keineswegs der hünenhafte, graue, erbitterte Krieger, den sie sich vorgestellt hatte. Er war von durchschnittlicher Größe, einen halben Kopf kleiner als Symmachus, und dabei sehr muskulös und behände. Er hatte ein gewinnendes Lächeln und helle - geradezu durchdringende blaue Augen, und das von Wind, Wetter und Zeit gezeichnete Gesicht wurde von einem wilden Schopf blendend weißer Haare gekrönt. Sein Alter war unmöglich zu erraten - doch es musste irgendwo zwischen vierzig und sechzig liegen. Er nötigte sie, noch mehr zu essen und zu trinken, und wiederholte dann die Frage, die ihr General Symmachus bereits vor einigen Tagen gestellt hatte: Warum war sie weggelaufen? Waren ihre Vormünder denn nicht gut zu ihr gewesen? 'Nein, Eure Exzellenz', antwortete Barenziah, 'sie waren gut zu mir - auch wenn ich gelegentlich anderes vermutete.' Symmachus hatte sich eine Geschichte für sie ausgedacht, die sie jetzt zum Besten gab, wenn auch nicht ohne Gewissensbisse. Strenz, der Stalljunge, habe sie überzeugt, dass ihre Vormünder keinen geeigneten Mann für sie finden konnten und vorhatten, sie daher als Konkubine nach Rihad zu verkaufen. Als tatsächlich ein Mann der Rothwardonen gekommen war, sei sie in Panik geraten und mit Strenz geflohen. Tiber Septim schien völlig fasziniert und hörte begeistert zu, als sie von ihrem Leben als Wache für eine Händlerkarawane berichtete. 'Aber das ist ja wie eine Ballade!' rief er aus. 'Beim Einen, das werden wir vom Hofbarden vertonen lassen. Was müsst Ihr für einen charmanten Jungen abgegeben haben!' 'General Symmachus sagte ...' Barenziah hielt verwirrt inne, und setzte dann ihre Rede fort. 'Er sagte - nun, dass man mich nun nicht mehr für einen Jungen halten würde. In den vergangenen Monaten bin ich doch ein wenig ... gewachsen.' Sie senkte ihren Blick und hoffte, damit einigermaßen mädchenhaft-keusch zu wirken. 'Gewiss, unserem treuen Freund Symmachus entgeht kaum etwas.' 'Ich weiß, dass ich sehr unklug gehandelt habe, Euer Exzellenz. Ich bitte um Eure Vergebung und um jene meiner Vormünder, die stets gut zu mir waren. Ich ... ich habe das bereits vor einiger Zeit erkannt, schämte mich jedoch zu sehr, um zurückzukehren. Doch nun möchte ich nicht mehr zurück nach Finstermoor. Eure Exzellenz, ich sehne mich nach Gramfeste. Meine Seele sehnt sich nach meinem eigenen Land.' 'Liebes Kind. Wir versprechen Euch, Ihr werdet nach Hause kommen. Doch wollen wir Euch bitten, noch kurze Zeit bei uns zu weilen, um Euch so für die ernste, schwere Aufgabe vorzubereiten, die wir Euch aufbürden wollen.' Barenziah blickte ihn aufgeregt an, ihr Herz schlug laut. Alles lief genau so ab, wie es Symmachus prophezeit hatte. Ihr wurde warm ums Herz vor Dankbarkeit, doch sie achtete genau darauf, ihre Aufmerksamkeit weiter beim Kaiser zu halten. 'Ich fühle mich sehr geehrt, Eure Exzellenz, und wünsche nichts sehnlicher, als Euch und dem großen Reich, das Ihr erschaffen habt, zu dienen, wie ich kann.' Natürlich war dies das, was von ihr erwartet wurde - doch Barenziah meinte es ernst. Die Größe der Stadt ebenso wie die Disziplin und Ordnung, die überall herrschten, hatten sie tief beeindruckt. Ihre Aufregung angesichts der Aussicht, Teil davon zu sein, war groß. Und der sanfte Tiber Septim hatte es ihr auch angetan. EINIGE TAGE SPÄTER MACHTE SICH SYMMACHUS NACH GRAMFESTE AUF, um die Pflichten des Gouverneurs zu übernehmen, bis Barenziah bereit war, den Thron zu besteigen. Danach würde er als Premierminister dienen. Barenziah wurde mit Drelliane als Anstandsdame in Räumen des kaiserlichen Palasts untergebracht. Man stellte ihr verschiedene Lehrer an die Seite und unterwies sie in allen Bereichen, über die eine Königin Bescheid wissen musste. In dieser Zeit interessierte sie sich zunehmend für die magischen Künste. Geschichte und Politik, so musste sie jedoch feststellen, behagten ihr ganz und gar nicht. Gelegentlich traf sie sich mit Tiber Septim in den Gärten des Palasts. Nie versäumte er es, sich höflich nach ihren Fortschritten zu erkundigen - und sie lächelnd zu ermahnen, wenn sie abermals ein mangelndes Interesse an Politik an den Tag legte. Doch stets war er gerne bereit, sie in der hohen Kunst der Magie zu unterweisen, und sogar Geschichte und Politik hörte sich aus seinem Munde interessant an. 'Das waren und sind alles Lebewesen, Kind, nicht nur trockene Fakten aus einem verstaubten Buch', pflegte er stets zu wiederholen. Je größer Ihr Wissen wurde, desto länger, intensiver und häufiger unterhielten sie sich. Er sprach zu ihr von seiner Vision eines vereinten Tamriel, in dem jede Rasse getrennt ihre eigene Kultur leben könne, jedoch mit gemeinsamen Idealen und Zielen, alle zum Gemeinwohl beitragend. 'Manche Dinge gelten für alle intelligenten Lebewesen, die das Gute im Herzen tragen', pflegte er zu sagen. 'Das lehrt uns der Eine. Vereint müssen wir zusammen stehen gegen die Böswilligen, die Barbaren, die Schurken - die Orks, Trolle, Goblins, und noch schlimmere Kreaturen - statt gegeneinander zu kämpfen.' Seine blauen Augen leuchteten, wenn er in diesen Traum blickte, und Barenziah bereitete es große Freude, ihm einfach nur still zuzuhören. Wenn er sich ihr näherte, strömte eine Hitze durch ihren Körper, als habe sie Feuer gefangen; wenn ihre Hände sich berührten, prickelte ihr Leib, als zucke ein Blitz hindurch. Eines Tages nahm er völlig überraschend ihr Gesicht in die Hände und küsste sie zart auf den Mund. Nach einem kurzen Augenblick löste sie sich aus dem Kuss, völlig überwältigt von der Heftigkeit ihrer Gefühle. Er entschuldigte sich sofort. 'Ich ... wir ... es tut uns Leid. Ihr seid ... ihr seid nur so wunderschön, meine Liebe. So schön.' In seinen Augen spiegelten sich Hoffnungslosigkeit und Verlangen zugleich. Sie wandte sich ab. Tränen liefen über ihre Wangen. 'Seid Ihr böse auf uns? Sprecht mit uns. Bitte.' Barenziah schüttelte den Kopf. 'Ich könnte Euch nie böse sein, Eure Exzellenz. Ich ... Ich liebe Euch. Ich weiß, dass es falsch ist, doch ich kann nichts dagegen tun.' 'Wir haben eine Gemahlin', sagte er. 'Sie ist eine brave, ehrbare Frau, die Mutter unserer Kinder und Erben. Undenkbar, sie zu verstoßen - und doch gibt es nichts zwischen uns, keine geistige Grundlage. Sie wünscht uns anders, als wir sind. Wir sind die mächtigste Person in ganz Tamriel und ... Barenziah, wir ... ich ... ich glaube, auch die einsamste.' Abrupt erhob er sich. 'Macht!' spuckte er verächtlich. 'Ich würde viel davon für Jugend und Liebe geben, wenn die Götter es mir nur gewährten.' 'Aber ihr seid stark und lebendig und vital, mehr als jeder andere Mann, den ich kenne.' Er schüttelte vehement den Kopf. 'Heute bin ich das vielleicht. Und doch bin ich es weniger als gestern, im vergangenen Jahr und noch vor zehn Jahren. Ich spüre den Stachel meiner Sterblichkeit, und er schmerzt mich sehr.' 'Lasst mich Euren Schmerz lindern, so ich es kann', sagte Barenziah zart, und ging mit offenen Armen auf ihn zu. 'Nein. Eure Unschuld will ich Euch nicht rauben.' 'So unschuldig bin ich nicht.' 'Wie das?' Plötzlich war etwas Hartes in seiner Stimme, und seine Stirn verfinsterte sich. Barenziah schluckte nervös. Was hatte sie nur gesagt? Doch nun gab es kein Zurück mehr. Er würde darauf bestehen, es zu erfahren. 'Nun, es gab Strenz', sagte sie stockend. 'Ich ... auch ich war einsam. Bin einsam. Und nicht so stark wir Ihr.' Verschämt senkte sie ihren Blick. 'Ich ... ich bin nicht würdig, Eure Exzellenz ...''Nein, aber nein. Barenziah. Meine liebe Barenziah. Lang darf es nicht währen. Ihr habt eine Pflicht gegenüber Gramfeste und auch gegenüber dem Reich. Auch ich muss meiner Pflicht nachkommen. Doch solange es uns gestattet ist ... wollen wir nicht teilen, was wir haben, was uns vergönnt ist, und beten, dass der Eine unsere Schwäche verzeihen wird?' Tiber Septim streckte die Arme aus - und ohne ein Wort und mit klarem Willen schritt Barenziah in die Umarmung. 'IHR TANZT AUF DEM VULKAN, KIND', ermahnte sie Drelliane, als Barenziah den herrlichen Sternensaphirring bewunderte, den ihr der kaiserliche Liebhaber zur Feier ihres einmonatigen Jubiläums geschenkt hatte. 'Wie kann das sein? Wir machen einander glücklich. Wir tun keinem etwas zu Leide. Symmachus wies mich an, meinen Verstand zu nutzen und eine gute Wahl zu treffen. Was für eine bessere Wahl könnte ich denn treffen? Und wir sind sehr diskret. In der Öffentlichkeit behandelt er mich wie eine Tochter.' Die nächtlichen Besuche Tiber Septims erfolgten durch einen Geheimgang, von dem nur wenige Personen im Palast Kenntnis hatten - der Kaiser selbst und eine Hand voll Leibwächter, denen er vertraute. 'Er lechzt förmlich nach Euch wie ein Hund nach Wasser. Habt Ihr noch nicht bemerkt, wie kühl sich die Kaiserin und ihr Sohn Euch gegenüber verhalten?' Barenziah zuckte die Schultern. Auch vor Beginn der Affäre hatte die Familie sie nur mit dem Nötigsten an Höflichkeit behandelt. Mit dem Allernötigsten. 'Ja und? Tiber ist es doch, der die Macht hat.' 'Aber seinem Sohn gehört die Zukunft. Macht nicht den Fehler, seine Mutter der Lächerlichkeit preiszugeben.' 'Kann ich etwas dafür, wenn diese vertrocknete Schachtel das Interesse ihres Mannes nicht einmal während einer Unterhaltung beim Abendessen halten kann?' 'Haltet es weniger öffentlich. Mehr verlange ich nicht. Sie ist kaum von Bedeutung, das ist wahr - doch ihre Kinder lieben sie, und Ihr solltet sie Euch nicht zu Feinden machen. Tiber Septim hat nicht mehr lange zu Leben. Was ich meine, ist' setzte sie schnell hinzu, als sie Barenziahs Miene sah, 'dass alle Menschen nur kurze Zeit leben. Sie sind flüchtig, wie wir Elfen sagen. Sie kommen und gehen wie die Jahreszeiten - doch die Familien der Mächtigen bleiben einige Zeit. Ihr müsst der Familie eine Freundin sein, wenn ihr aus der Beziehung auf Dauer Vorteile schöpfen wollt. Aber wie kann ich Euch die Wahrheit sehen machen, die ihr so jung und darüber hinaus noch von Menschen aufgezogen seid! Hört auf mich und seid weise - dann werdet Ihr mit Gramfeste zusammen das Ende der Dynastie des Septim noch erleben, so er denn eine gegründet hat, genau, wie ihr deren Aufstieg erlebt habt. So ist das mit der Geschichte der Menschen. Sie kommen und gehen wie die Gezeiten. Ihre Städte und Reiche blühen wie Blüten im Frühjahr auf, nur um sogleich in der sommerlichen Hitze zu welken und zu sterben. Doch die Elfen bleiben. Wir sind wie Jahre zu ihren Stunden, Jahrzehnte zu ihren Tagen.' Barenziah lachte nur. Sie wusste, dass die Gerüchteküche kochte. Sie genoss die Aufmerksamkeit, denn außer der Kaiserin und deren Sohn schien ein jeder von ihr eingenommen zu sein. Minnesänger besangen ihre dunkle Schönheit und ihren Charme. Sie war allseits beliebt und verliebt - auch wenn das nur vorübergehend sein mochte. So war das Leben nun einmal. Zum ersten Mal, seit sie zurückdenken konnte, war sie glücklich. Ihre Tage waren erfüllt von Freude und Glück. Übertroffen wurden sie nur noch von den Nächten. 'WAS IST NUR MIT MIR LOS?' KLAGTE BARENZIAH. 'Seht nur, kein einziger meiner Röcke passt mir mehr. Was ist nur mit meiner Taille? Ich werde doch nicht etwa dick?' Barenziah sah ihre dünnen Arme und Beine und die eindeutig dicker gewordene Taille missbilligend im Spiegel an. Drelliane zuckte mit den Schultern. 'Trotz Eures jugendlichen Alters scheint Ihr schwanger zu sein. Durch den ständigen intimen Kontakt zu Menschen seid Ihr früher fruchtbar geworden als üblich. Ihr müsst wohl oder übel mit dem Kaiser darüber sprechen. Ihr seid in seiner Hand. Ich denke, es wäre wohl am besten, wenn er Euch direkt nach Gramfeste gehen ließe, damit ihr das Kind dort bekommen könnt.' 'Allein?' Barenziah legte die Hände auf den kleinen Bauch und verdrückte eine Träne. Mit jeder Faser ihres Seins sehnte sich sie danach, die Frucht ihrer Liebe mit ihrem Geliebten zu teilen. 'Nie wird er dem zustimmen. Nun wird er gewiss nicht weit von mir sein wollen. Ihr werdet schon sehen.' Drelliane schüttelte den Kopf. Obwohl nie nichts weiter sagte, blickte sie Barenziah nicht mit der üblichen kühlen Herablassung, sondern mit Mitgefühl und Mitleid an. Noch in derselben Nacht teilte sie Tiber Septim die Nachricht mit, als er wie üblich zu ihr kam. 'Ein Kind?' Er wirkte schockiert, völlig entgeistert. 'Seid Ihr sicher? Aber man sagte mir doch, Elfen seien in diesem Alter noch nicht fruchtbar ...' Barenziah versuchte, zu lächeln. 'Wie könnte ich denn sicher sein? Ich habe noch nie-' 'Mein Heiler soll kommen.' Der Heiler, ein Hochelf mittleren Alters, bestätigte die Vermutung, dass Barenziah schwanger sei, und dass so etwas noch nie zuvor geschehen sei. Es sei Zeugnis der Potenz seiner Exzellenz, sagte der Heiler schmeichlerisch. Tiber Septim verlor die Fassung. 'Es darf nicht sein!' rief er. 'Macht es ungeschehen. Das ist ein kaiserlicher Befehl.' 'Aber Herr', stammelte der Heiler fassungslos. 'Ich kann doch nicht ... Ich darf nicht -' 'Natürlich könnt Ihr das, Ihr inkompetenter Schwachkopf', fuhr ihn der Kaiser an. 'Es ist unser ausdrücklicher Wunsch.' Barenziah, die das Geschehen bis dahin stumm und mit vor Entsetzen geweiteten Augen verfolgt hatte, setzte sich plötzlich auf. 'Nein!' schrie sie. 'Nein! Wovon redet Ihr da?' 'Kind.' Tiber Septim setzte sich neben sie, mit einem unwiderstehlichen Lächeln auf den Lippen. 'Es tut mir aufrichtig Leid. Aber das darf nicht sein. Es wäre eine Gefahr für meinen Sohn und dessen Söhne. Muss ich mich noch klarer ausdrücken.' 'Aber mein Kind ist auch Eures!' heulte sie auf. 'Nein. Es ist bisher nichts als eine Möglichkeit, ein potenzielles Wesen, das noch keine Seele hat und noch nicht wirklich lebt. Ich werde es nicht akzeptieren. Ich verbiete es.' Er sah den Heiler abermals böse an. Dieser begann zu zittern. 'Aber Herr. Es ist ihr Kind. Elfen haben sehr wenige Kinder. Keine Elfin kann mehr als vier Mal empfangen, und auch das ist sehr selten. Meist haben Elfinnen zwei Kinder. Manche haben nur ein Kind, und einige gar keine. Wenn ich ihr dieses Kind nehme, Herr, wird sie vielleicht niemals empfangen.' 'Ihr hattet bereits vorausgesagt, dass sie kein Kind von uns bekommen könne. Wir haben kaum Vertrauen in Eure weiteren Weissagungen.' Nackt wie sie war, kletterte Barenziah aus dem Bett und rannte zur Tür. Sie wusste nicht, wohin sie wollte, nur, dass sie hier weg musste. Sie sollte sie nicht mehr erreichen. Finsternis legte sich über sie. ALS SIE WIEDER ZU SICH KAM, EMPFAND SIE SCHRECKLICHEN SCHMERZ. EIN GEFÜHL UNERTRÄGLICHER LEERE MACHTE SICH BREIT. Ein Teil, in dem zuvor etwas Lebendiges gewesen war, war nun leer, das Leben tot und auf ewig verloren. Drelliane blieb bei ihr, um den Schmerz zu lindern und das Blut, das sich immer noch zwischen ihren Beinen sammelte, wegzuputzen. Doch nichts und niemand konnte diese Leere füllen. Nichts konnte es ersetzen. Der Kaiser schickte ihr herrliche Geschenke und große Blumengestecke, und er stattete ihr kurze Besuche ab, jedoch nie alleine. Zunächst freute sich Barenziah über diese Besuche. Doch Nachts kam Tiber Septim nicht mehr zu ihr - und nach einiger Zeit wünschte sie dies auch nicht mehr. Einige Wochen vergingen. Als sie sich körperlich erholt hatte, gab ihr Drelliane Bescheid, dass Symmachus geschrieben habe mit der Bitte, man möge sie früher als geplant nach Gramfeste schicken. Umgehend wurde ihre Abreise verkündet. Man gewährte ihr ein großes Gefolge, eine großartige Aussteuer, wie es sich für eine Königin ziemte, und bereitete ihr einen beeindruckenden zeremoniellen Abschied an den Toren der Kaiserstadt. Einige bedauerten ihre Abreise zutiefst, und drückten ihre Trauer in Tränen und Rufen aus. Andere jedoch waren nicht traurig, sie gehen zu sehen, und zeigten keine Trauer.'ALLES, WAS MIR JE ETWAS BEDEUTET HAT, HABE ICH VERLOREN', dachte Barenziah verzweifelt bei sich angesichts der Ritter, die vor und hinter ihr ritten, und ihrer Zofen, die in einer Kutsche in der Nähe reisten. 'Und doch habe ich ein Maß an Reichtum und Macht erlangt, das noch größer zu werden verspricht. Der Preis dafür war hoch. Nun verstehe ich Tiber Septim Liebe dazu besser, wenn auch er oft einen solchen Preis bezahlen musste. Denn gewiss muss der Wert am Preis gemessen werden, den wir zahlen.' Auf eigenen Wunsch ritt sie eine herrliche Rotschimmelstute, gekleidet als Kriegerin im grandiosen Kettenpanzer der Dunkelelfen. Langsam vergingen die Tage, während sich ihr Gefolge auf der gewundenen Straße nach Osten in Richtung der untergehenden Sonne bewegte. Nach und nach erhoben sich um sie die steilen Berghänge von Morrowind. Die Luft war dünn, und stets wehte ein kalter Herbstwind, der den nahenden Winter ankündigte. Doch gleichzeitig war die Luft erfüllt vom süßen, würzigen Duft der spät blühenden schwarzen Rose von Morrowind, die in jedem schattigen Winkel des Hochlands wuchs und auch in den felsigsten Gegenden noch Nahrung fand. In kleinen Dörfern und Orten sammelten sich zerlumpte Dunkelelfen, um ihren Namen zu rufen oder einfach nur ungläubig zu schauen. Die meisten der Ritter, die mit ihr ritten, waren Männer der Rothwardonen, doch es waren auch einige Hochelfen, Nords und Bretonen darunter. Je weiter sie ins Herz von Morrowind vordrangen, desto unwohler fühlten sie sich und neigten dazu, Schutz in Gruppen zu suchen. Sogar die Elfen wirkten misstrauisch. Doch Barenziah fühlte sich endlich zu Hause. Sie fühlte sich vom Land willkommen geheißen. Von ihrem Land. SYMMACHUS STIESS AN DER GRENZE VON GRAMFESTE ZU IHR, begleitet von einer Rittertruppe, von denen etwa die Hälfte Dunkelelfen waren. Alle im kaiserlichen Kampfdress, wie sie bemerkte. Mit einer großen Parade wurde sie in die Stadt geführt, und staatliche Würdenträger hießen sie in ausführlichen Reden willkommen. 'Ich habe die Räume der Königin für Euch herrichten lassen', berichtete der General, als sie später den Palast erreichten, 'doch Ihr könnt natürlich alles so ändern, wie es Euch gefällt.' Er fuhr mit den Einzelheiten der Krönung fort, die in einer Woche stattfinden sollte. Seine gebieterische Art hatte er nicht abgelegt - doch etwas hatte sich verändert. Er suchte ganz offenbar ihre Zustimmung zu dem, was er arrangiert hatte, tat sein Möglichstes, um diese von ihr zu erhalten. Das war neu. Ihr Lob hatte er zuvor nie gesucht. Er stellte ihr keine Fragen zu ihrem Aufenthalt in der kaiserlichen Stadt und zur Affäre mit Tiber Septim - auch wenn Barenziah sicher war, dass Drelliane ihm alle Einzelheiten erzählt oder zuvor bereits geschrieben hatte. Die Zeremonie selbst war wie so vieles eine Mischung aus Altem und Neuem - Teile der uralten Tradition der Dunkelelfen von Gramfeste wurden verbunden mit den Vorschriften des Kaisers. Sie legte ihren Amtseid auf den Dienst am Kaiserreich und Tiber Septim wie auf das Land Gramfeste und sein Volk ab. Sie nahm Treueschwüre und Bündniseide vom Volk, dem Adel und dem Rat entgegen. Letzterer bestand aus kaiserlichen Gesandten (so genannten 'Beratern') und Vertretern des Volks von Gramfeste, nach elfischer Tradition meist ältere, weise Frauen und Männer. Später sollte Barenziah feststellen, dass sie einen Großteil ihrer Zeit damit zubringen musste, zu versuchen, diese beiden Parteien und deren Anhänger zu versöhnen. Die Ältesten sollten den Großteil der Schlichtungsaufgaben wahrnehmen, angesichts der Reformen, die das Reich in Bezug auf Landbesitz und Landwirtschaft eingeführt hatte. Die meisten dieser Reformen liefen jedoch den althergebrachten Bräuchen der Dunkelelfen direkt zuwider. Tiber Septim hatte 'im Namen des Einen' eine neue Tradition quasi erlassen - und anscheinend erwartete man sogar von den Göttern und Göttinnen, dass sie dem Erlass Folge leisteten. Die neue Königin stürzte sich in die Arbeit und ihre Studien. Von Männern und der Liebe hatte sie erst einmal genug - für sehr lange Zeit, wenn nicht gar auf ewig. Sie stellte jedoch bald fest, dass es auch andere Freuden gab, wie ihr Symmachus vor langer Zeit versprochen hatte: die Freuden des Geistes, und jene der Macht. Sie entwickelte (zu ihrer eigenen Überraschung, denn stets hatte sie gegen ihre Lehrer in der kaiserlichen Stadt rebelliert) eine tiefe Liebe zur Geschichte und Mythologie der Dunkelelfen, und ein starkes Verlangen, das Volk besser kennen zu lernen, aus dem sie stammte. Es erfreute ihr Herz, zu erfahren, dass ihr Volk seit jeher ein Volk stolzer Krieger, fähiger Handwerker und herausragender Magier gewesen war. Tiber Septim lebte noch ein halbes Jahrhundert lang. In dieser Zeit sah sie ihn mehrfach, da sie von Zeit zu Zeit bei politischen Anlässen an den kaiserlichen Hof gerufen wurde. Bei diesen Besuchen begrüßte er sie herzlich, und wenn sie Gelegenheit dazu hatten, führten sie sogar lange Gespräche über die Ereignisse im Kaiserreich. Er schien völlig vergessen zu haben, dass es zwischen ihnen je mehr als eine lockere Freundschaft und ein tiefes politisches Bündnis gegeben hatte. Er veränderte sich kaum im Verlauf der Jahre. Gerüchten zufolge sollten seine Magier Zauber entwickelt haben, die seine Lebenskraft verlängerten, und man hörte sogar, dass der Eine ihm Unsterblichkeit gewährt haben solle. Und doch kam der Tag, an dem ein Bote die Nachricht überbrachte, dass Tiber Septim tot war und sein Enkel Pelagius die Thronfolge angetreten hatte. Sie war alleine mit Symmachus, als die Nachricht kam. Der einstige General und heutige vertraute Premierminister nahm die Nachricht so stoisch auf wie fast alles andere auch. 'Irgendwie scheint das alles ganz unwirklich', sagte Barenziah. 'Ich habe es dir oft gesagt. So ist das mit den Menschen. Sie sind ein kurzlebiges Volk. Aber es ist eigentlich nicht wichtig. Seine Macht besteht weiter, nur hält sie nun sein Enkel in Händen.' 'Du hast ihn einst als Freund bezeichnet. Empfindest du nichts? Keine Trauer?' Er zuckte mit den Schultern. 'Es gab eine Zeit in deinem Leben, da stand er dir noch näher. Was empfindest du, Barenziah?' Bereits vor langer Zeit hatten sie aufgehört, sich mit Titel und offizieller Anrede anzusprechen. 'Leere. Einsamkeit', meinte sie achselzuckend. 'Aber das ist nichts Neues.' 'Ja. Ich weiß', sagte er leise, und nahm dabei ihre Hand. 'Barenziah ...' Er küsste sie. Sie war völlig überrascht. Sie konnte sich auch nicht erinnern, dass er sie je zuvor berührt hätte. Auf diese Weise hatte sie noch nie an ihn gedacht - und doch war da zweifelsfrei eine alte, vertraute Wärme, die durch sie strömte. Sie hatte völlig vergessen, wie gut sich diese Wärme anfühlte. Nicht die flammende Hitze, die sie mit Tiber Septim empfunden hatte, sondern die beruhigende, starke Leidenschaft, die sie stets mit ... mit wem nur verbunden hatte? Mit Strenz! Der arme Strenz. Sie hatte schon sehr lange nicht mehr an ihn gedacht. Wenn er noch am Leben war, wäre er bereits mittleren Alters. Wahrscheinlich hatte er ein Dutzend Kinder - bei diesem Gedanken musste sie lächeln - und hoffentlich eine zupackende Frau, die genug für zwei reden konnte. 'Willst du mich nicht heiraten, Barenziah?' sagte Symmachus. Er musste wohl ihre Gedanken über Ehe, Kinder und ... Ehefrauen gelesen haben. 'Habe ich nicht lange genug gearbeitet und gewartet?' Ehe. Ein Bauer mit bäuerlichen Träumen. Der Gedanke stand plötzlich ganz klar in ihrem Kopf, ohne, dass sie es wollte. Hatte sie nicht einst Strenz vor so langer Zeit just in diesen Worten beschrieben? - Und doch - was sprach dagegen? Wer sonst, wenn nicht Symmachus? Die großen Adelsfamilien von Morrowind waren, im großen Vereinigungskrieg von Tiber Septim, vor dem Waffenstillstand, ausgelöscht worden. Gewiss, die Herrschaft der Dunkelelfen war wiederhergestellt worden - aber nicht die des alten, des wahren Adels. Die meisten waren Emporkömmlinge wie Symmachus, und nicht halb so verdienstvoll und gut wie er es war. Er hatte um die Einheit und Unversehrtheit von Gramfeste gekämpft, während die so genannten Berater des Reichs es ausweiden wollten, das Land hatten ausbluten wollen wie das benachbarte Ebenherz. Er hatte für Gramfeste gekämpft, für sie gekämpft, während sie und das Königreich wuchsen und gediehen. Sie empfand plötzlich tiefe Dankbarkeit - und zweifelsfrei auch Zuneigung. Er war zuverlässig und stetig. Und er hatte ihr gut gedient. Und sie stets liebevoll behandelt. 'Warum nicht?' sagte sie lächelnd. Und nahm seine Hand. Und küsste ihn. ES WAR EINE GUTE VERBINDUNG - POLITISCH wie privat. Während Kaiser Pelagius I., der Enkel des Tiber Septim, sie mit einer gewissen Feindseligkeit betrachtete, hatte er unerschütterliches Vertrauen zu dem alten Freund seines Vaters. Dagegen wurde Symmachus von den Höherrangigen in Morrowind immer noch misstrauisch betrachtet. Ihnen missfiel seine bäuerliche Herkunft und seine enge Bindung an das Kaiserreich. Doch die Königin erfreute sich unerschütterlicher Beliebtheit. 'Königin Barenziah ist eine von uns', flüsterte man sich zu, 'sie wird ebenso gefangen gehalten wie wir.' Barenziah war zufrieden. Arbeit gab es genug, wie auch Freude - was konnte man sich vom Leben sonst noch wünschen? Schnell vergingen die Jahre. Es gab Stürme und Hungersnöte, die es zu überstehen galt, Verschwörungen zu vereiteln und die Exekution der Verschwörer durchzuführen. Gramfeste gedieh zunehmend. Das Volk des Landes lebte in Sicherheit, hatte genug zu Essen, die Bergwerke und die Landwirtschaft waren sehr produktiv. Alles stand zum Besten - nur gingen aus der königlichen Ehe keine Kinder hervor. Und somit gab es keine Erben. Es dauert lange, bis Elfen Kinder bekommen - alle Umstände müssen stimmen. Bei Kindern von Edelleuten gilt dies noch mehr als bei anderen. So vergingen viele Jahrzehnte, bis sie sich Sorgen machten. 'Der Fehler liegt bei mir, Symmachus. Ich bin beschädigt. Verbraucht', sagte Barenziah verbittert. 'Wenn Ihr eine andere zur Frau nehmen wollt ...' 'Ich will keine andere', sagte Symmachus sanft, 'und wir können nicht sicher wissen, dass es an dir liegt. Vielleicht liegt es an mir. Nun. Wie dem auch sei. Wir werden Heilung suchen. Wenn es wirklich einen Schaden gibt, lässt er sich gewiss beheben.' 'Wie kann das sein? Wo wir doch keinem die wahre Geschichte anvertrauen können? Der Eid eines Heilers hält nicht immer.' 'Wenn wir die Zeit und die Umstände etwas verändern, wird es nichts machen. Was immer wir sagen oder nicht sagen, der Geschichtenerzähler Jephre ist ohne Rast. Der kreative Geist und die schnelle Zunge des Gottes sind stets mit dem Verbreiten von Gerüchten beschäftigt.' Priester, Heiler und Magier kamen und gingen. Doch all ihre Gebete, Tränke und Zauber konnten nicht einmal eine Hoffnung aufkeimen lassen. Mit der Zeit verdrängten sie die Angelegenheit aus ihrem Geist und überließen sie den Göttern. Für Elfen waren sie noch jung, und Jahrhunderte lagen vor ihnen. Es gab Zeit. Elfen hatten immer Zeit. BARENZIAH SASS IN DER GROSSEN HALLE BEIM ABENDESSEN. Sie stocherte lustlos im Essen herum, fühlte sich gelangweilt und unruhig. Symmachus war fort. Der Urgroßenkel von Tiber Septim, Uriel Septim, hatte ihn in die kaiserliche Stadt berufen. Oder war es sein Ur-Urgroßenkel? Sie stellte fest, dass sie es nicht mehr wusste. Ihre Gesichter schienen miteinander zu verschmelzen. Vielleicht hätte sie mit ihm gehen sollen, doch es war gerade eine Delegation aus Tränenstadt da gewesen, mit einer eher heiklen Angelegenheit. Ein Barde sang in einem Alkoven der Halle, doch Barenziah hörte nicht zu. In letzter Zeit hörten sich alle Lieder für sie gleich an, ob neu oder alt. Plötzlich erregte ein Satzfetzen ihre Aufmerksamkeit. Der Mann sang von Freiheit, von Abenteuer, davon, Morrowind von seinen Ketten zu befreien. Wie konnte er es wagen! Barenziah setzte sich auf und warf ihm einen finsteren Blick zu. Zu allem Überfluss stellte sie fest, dass er von einem alten und längst vergessenen Krieg mit den Nords aus Himmelsrand sang, und die Heldenhaftigkeit der Könige Edward und Moraelyn und deren tapferen Begleitern pries. Sicher, die Geschichte war eine alte, doch das Lied war neu. Und was die Bedeutung anbelangte ... Barenziah war sich wirklich nicht sicher. Ein verwegener Mann, dieser Barde, aber einer mit einer starken, leidenschaftlichen Stimme und einem guten Ohr für Musik. Und eine gewisses liederliches gutes Aussehen hatte er auch an sich. Er sah nicht aus, als sei er sehr reich, und so jung war er auch nicht mehr. Gewiss nicht jünger als hundert Jahre. Warum hatte sie ihn dann nicht zuvor gehört, oder zumindest von ihm gehört? 'Wer ist das?' fragte sie ihre Hofdame. Die Frau zuckte mit den Schultern und meinte nur: 'Er nennt sich Nachtigall, Milady. Keiner scheint je von ihm gehört zu haben.' 'Bittet ihn auf ein Gespräch zu mir, wenn er fertig ist.' Der Mann, der sich Nachtigall nannte, kam zu ihr, und dankte ihr sowohl für die Ehre der Audienz wie auch für den gut gefüllten Beutel, den sie ihm reichte. Seine Art war gar nicht verwegen, stellte sie fest, er wirkte eher ruhig und bescheiden. Er redete gern und viel über andere, doch über ihn selbst erfuhr sie nichts - alle Fragen wehrte er mit einer gewitzten Antwort oder einer anzüglichen Anekdote ab. Und doch erzählte er diese mit solchem Charme, dass es unmöglich war, es ihm zu verübeln. 'Mein wahrer Name? Aber Milady, ich bin niemand. Wahrlich, meine Eltern nannten mich Ny Mant. Doch was tut dies schon? Es ist ganz gleich. Wie sollen Eltern das benennen, was sie nicht kennen? So trafen meine eine gute Entscheidung. Soweit ich mich entsinnen kann. Denn ich bin bereits so lange Nachtigall, dass ich mich nicht entsinnen kann - bereits seit - mindestens einem Monat - oder doch seit einer Woche? All meine Erinnerung geht in Gesang und Lied über, wie ihr seht, Milady. Für mich bleibt da nichts übrig. Ich bin in der Tat recht langweilig. Wo wurde ich geboren? Nun, in Nir Gendwo. Sollte ich es je erreichen, will ich in Nider Lassen sesshaft werden ... doch ich habe es nicht eilig.' 'In der Tat. Und dann werdet Ihr wohl eine gewisse Mag Sein ehelichen?' 'Wie aufmerksam von Euch, Milady. Vielleicht, vielleicht. Obwohl die gute Über Eilt auch nicht der Reize entbehrt.' 'Ah. So seid Ihr wankelmütig?' 'Unbeständig wie der Wind, Milady. Ich blase mal nach hier und mal nach da, bin mal heiß, mal kalt - wie es mir so kommt. Der Zufall ist mein bester Anzug. Keiner trägt ihn so wie ich.'Barenziah lächelte. 'So bleibt eine Weile bei uns ... so Ihr das wünscht, werter Herr Sprunghaft.' 'Wie es Euch beliebt, kluge Königin.' NACH DIESEM KURZEN WORTWECHSEL STELLTE BARENZIAH FEST, dass sie irgendwie den Spaß am Leben wieder gefunden hatte. Alles, was ihr zuvor tot und grau erschienen war, wurde wieder frisch und neu. Voller Energie begrüßte sie jeden Tag, und freute sich bereits auf die Unterhaltung mit Nachtigall und seine Lieder. Im Gegensatz zu anderen Barden sang er niemals Loblieder auf sie oder auf andere Frauen, sondern nur auf große Abenteuer und mutige Taten. Als sie ihn danach fragte, sagte er nur: 'Welch größeres Lob Eurer Schönheit könnt Ihr wünschen, Milady, als jenes, das Ihr erfahrt, wenn Ihr in Euren Spiegel blickt? Und so Ihr Worte haben wollt, so habt ihr doch bereits jene der Größten aller Großen - die weit mehr wert sind als ich es je vermöchte. Wie sollte ich es ihnen je gleichtun, sie gar übertreffen, ich, der ich erst vor einer Woche geboren wurde?' Ausnahmsweise einmal sprachen sie unter vier Augen. Barenziah hatte nicht schlafen können und ihn in ihr Zimmer bestellt, damit seine Musik sie beruhigen solle. 'Ihr seid faul und feige, mein Herr, oder aber ich habe keinen Liebreiz in Euren Augen.' 'Milady, um Euch loben zu können, muss ich Euch kennen. Doch das kann niemals sein. Zu umwoben seid Ihr von geheimnisvollem Zauber.' 'Ihr irrt Euch. Eure Worte sind es, die den Zauber weben. Eure Worte ... und Eure Augen. Und Euer Körper. Lernt mich kennen, wenn Ihr es wollt. Wenn Ihr es wagt.' Er kam zu ihr. Sie lagen eng umschlungen und küssten einander. 'Nicht einmal Barenziah kennt die wahre Barenziah', flüsterte er leise. 'Wie soll dies dann mir gelingen? Milady, Ihr sucht und wisst es nicht, noch wisst Ihr, wonach Ihr sucht. Wonach dürstet es Euch, was Ihr nicht habt?' 'Leidenschaft', gab sie zurück. 'Leidenschaft. Und Kinder, die daraus entspringen.' 'Und was wünscht Ihr für Eure Kinder? Welches Geburtsrecht sollen sie haben?' 'Freiheit', sagte sie, 'die Freiheit, zu sein, was sie sein wollen. Sagt mir, Ihr, der Ihr diesen Augen und Ohren, dieser Seele am meisten Weisheit zu haben scheint. Wo soll ich diese Dinge suchen?' 'Das eine liegt neben Euch, das andere unter Euch. Aber würdet Ihr es wagen, Eure Hand auszustrecken und das zu nehmen, was Eures sein könnte? Was Euren Kindern gehören könnte?' 'Symmachus ...' 'In mir liegt die Antwort zu einem Teil dessen, wonach Ihr Euch sehnt. Der andere Teil liegt unter uns in den Bergwerken Eures eigenen Königreichs. Er kann uns die Kraft verleihen, diese Träume zu erfüllen und wahr zu machen. Jenes, das Edward und Moraelyn gemeinsam nutzten, um Hochfels und seine Geister von der verhassten Herrschaft der Nord zu befreien. In den Händen der Richtigen kann diesem keiner widerstehen, nicht einmal die Macht des Kaisers. Freiheit, sagt Ihr? Barenziah, dieses wird Euch Freiheit von Euren Ketten schenken. Denkt darüber nach, Milady.' Er küsste sie erneut leicht auf die Lippen und stand auf. 'Ihr wollt doch nicht gehen ... ?' rief sie. Jede Faser ihres Leibes sehnte sich nach ihm. 'Für's Erste', meinte er. 'Fleischliche Lust ist nichts gegen das, was wir zusammen haben könnten. Denkt darüber nach, Milady.' 'Darüber muss ich nicht nachdenken. Was müssen wir tun? Welche Vorbreitungen müssen wir treffen?' 'Aber nicht doch. Gewiss, die Bergwerke sind bewacht. Doch mit der Königin an meiner Seite wird sich uns keiner in den Weg stellen. Dort kann ich Euch dann zu dem Ort führen, an dem dieses Objekt liegt, und es aus seiner Ruhestatt bergen.' Plötzlich erinnerte sich an ihre vielen Studien. 'Das Horn der Einheit', flüsterte sie ehrfürchtig. 'Ist das wahr? Kann es sein? Woher wollt Ihr das wissen? Ich habe gelesen, es läge unter den endlosen Höhlen von Daggerfall begraben.' 'Dem ist nicht so. Lange schon habe ich mich damit befasst. Vor seinem Tode gab König Edward das Horn zur sicheren Aufbewahrung seinem alten Freund König Moraelyn. Dieser brachte es auf geheimen Wegen in ein Versteck in Gramfeste, beschützt vom Gott Ephen, dessen Geburtsstatt und Bereich dies ist. Nun wisst Ihr, was es mich viele lange Jahre und viele erschöpfende Meilen gekostet hat, herauszufinden.' 'Aber was ist mit dem Gott? Was ist mit Ephen?' 'Vertraut mir, verehrte Dame. Alles wird gut.' Mit einem leisen Lachen blies er ihr einen letzten Kuss zu und verschwand. AM NÄCHSTEN MORGEN GINGEN SIE GEMEINSAM AN DEN WACHEN VORÜBER, die die mächtigen Tore zu den Bergwerken und allem, was darunter lag, bewachten. Barenziah gab vor, ihre übliche Inspektion vorzunehmen, und ging mit Nachtigall durch einen unterirdischen Raum nach dem anderen. Schließlich erreichten sie etwas, das wie ein vergessener, versiegelter Durchgang aussah. Sie gingen hindurch und stellten fest, dass er in uralte Schächte führte, die seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden waren. Der Weg war gefährlich, denn einige der alten Schächte waren eingestürzt. So mussten sie sich entweder einen Weg durch den Schutt bahnen oder einen Weg darum herum finden. Aggressive, riesige Ratten und Spinnen von fürchterlichen Ausmaßen waren überall und griffen sie sogar gelegentlich an. Doch Barenziahs Feuerblitz-Zauber und die schnelle Klinge von Nachtigall hatten sie nichts entgegen zu setzen. 'Wir sind bereits zu lange weg', meinte Barenziah schließlich. 'Man wird uns suchen. Was soll ich ihnen nur sagen?' 'Was immer Ihr möchtet', lachte Nachtigall. 'Ihr seid doch schließlich Königin, oder nicht?' 'Fürst Symmachus-''Dieser Bauer gehorcht dem, der die Macht hält. Das hat er stets getan und wird es immer tun. Und die Macht wird unser sein, meine geliebte Königin.' Seine Lippen waren wie süßer Wein, seine Berührung Feuer und Eis zugleich. 'Jetzt', sagte sie, 'nehmt mich jetzt. Ich bin bereit.' Ihr ganzer Körper schien zu flirren, jeder Nerv, jeder Muskel war in höchster Spannung. 'Noch nicht. Nicht hier, nicht so.' Mit den Händen wies er auf die alten, staubigen Ruinen und den grauen, unerbittlichen Stein. 'Nur noch kurze Zeit.' Zögerlich nickte Barenziah ihre Zustimmung. Sie gingen weiter. 'Hier', sagte er endlich, vor einer leeren Wand anhaltend. 'Hier liegt es.' Er kratzte eine Rune in den Staub und wob mit der anderen Hand gleichzeitig einen Zauber. Der Stein löste sich auf und gab den Eingang zu einem uralten Schrein frei. In seiner Mitte stand die Statue eines Gottes mit erhobenem Hammer über einem Amboss aus Adamantium. 'Bei meinem Blut rufe ich dich an, Ephen!' rief Nachtigall: 'Erwache! Moraelyns Erbe von Ebenherz bin ich, letzter des königlichen Geblüts, von deinem eigenen Blute. In der größten Not von Morrowind erzittert jeder Elf in Entsetzen und Furcht um sich und seine Seele! Gib mir, worüber du wachst! Lass den Hammer fallen!' Bei diesen Worten begann die Statue zu leuchten und regelrecht zum Leben zu erwachen. Die leeren Augen aus Stein leuchteten feuerrot. Der riesige Kopf nickte, der Hammer fiel auf den Amboss, und dieser brach mit einem entsetzlichen Donnerschlag auseinander. Der Stein selbst bröckelte. Barenziah schlug die Hände über die Ohren und kauerte sich auf den Boden, entsetzlich zitternd und laut stöhnend. Nachtigall dagegen schritt kühn nach vorne und nahm das Objekt seiner Sehnsucht, das in den Trümmern lag. Mit ekstatischem Blick hob er es empor. 'Da kommt jemand!' rief Barenziah erschrocken - und im gleichen Augenblick sah sie zum ersten Mal klar, was er da emporhielt. 'Wartet! Das ist gar nicht das Horn! Das ist ... ein Stab!' 'Wahrlich, Milady! Endlich sind Eure Augen offen!' Er lachte laut auf. 'Es tut mir wahrlich Leid, Milady, doch nun muss ich Euch wirklich verlassen. Vielleicht werden wir uns eines Tages wieder sehen. Bis dahin ... Ah! Bis dahin ist Sie Euer, Symmachus', sagte er zu der Gestalt im Kettenpanzer, die gerade hinter ihm aufgetaucht war. Ihr könnt sie zurücknehmen.' 'Nein!' schrie Barenziah. Sie sprang auf und rannte auf ihn zu, doch er war bereits verschwunden. Er löste sich in exakt demselben Augenblick in Luft auf, als Symmachus ihn mit gezücktem Schwert erreichte. Zischend sauste das Schwert durch nichts als Luft. Symmachus stand wie zu Eis gefroren da, als wolle er den Platz des steinernen Gottes einnehmen. Barenziah sagte nichts, hörte nichts, sah nichts ... und fühlte nichts. SYMMACHUS SAGTE DEM HALBEN DUTZEND ELFEN in seiner Begleitung, Nachtigall und Königin Barenziah hätten sich verirrt und seien von riesigen Spinnen angegriffen worden. Nachtigall sei gestolpert und in eine tiefe Spalte gefallen, die sich über ihm geschlossen habe. Sein Körper könne nicht geborgen werden. Die Königin sei durch die Ereignisse völlig verstört und in großer Trauer über den Verlust des Freundes, der gefallen sei beim Versuch, sie zu verteidigen. Seine Geistesgegenwart und Selbstbeherrschung war so groß, dass die verblüfften Ritter, von denen keiner mehr als einen kurzen Blick auf die Ereignisse erhascht hatte, überzeugt waren, dass sich alles genau so zugetragen habe, wie er es geschildert hatte. Die Königin wurde zurück in den Palast eskortiert und in ihr Privatzimmer gebracht. Hier schickte sie die Diener weg. Lange Zeit sass sie reglos vor dem Spiegel, völlig niedergeschmettert, zu entsetzt, um auch nur zu weinen. Symmachus wachte über sie. 'Hast du irgend eine Ahnung, was du gerade getan hast?' fragte er schließlich hart und kalt. 'Du hättest es mir sagen müssen', flüsterte Barenziah. 'Der Stab des Chaos! Nie hätte ich geträumt, dass er hier liegen könnte. Er sagte ... er hat gesagt ...' ein leises Wimmern kam über ihre Lippen und sie krümmte sich vor Verzweiflung. 'Was habe ich nur getan? Was habe ich getan? Was wird nun passieren? Was soll aus mir werden? Aus uns allen?' 'Hast du ihn geliebt?' 'Ja. Ja, ja, ja! Mein lieber Symmachus, mögen sich die Götter meiner erbarmen. Ich liebte ich. Vorher. Doch jetzt ... jetzt ... Ich weiß es nicht ... Ich bin mir nicht sicher ... ich ...'Die harten Linien in Symmachus Gesicht wurden etwas weicher, in seinen Augen regte sich ein neues Leuchten, und er seufzte. 'Nun. Immerhin etwas. Ihr werdet doch noch Mutter, wenn es in meiner Macht liegt. Was das andere angeht - Barenziah, meine liebe Barenziah, ich fürchte, ihr habt einen schrecklichen Sturm über dem Land entfacht. Er wird sich noch eine Zeit lang zusammenbrauen. Doch wenn er kommt, werden wir ihn zusammen überstehen. Wie alles andere bisher.' Da ging er zu ihr, zog sie aus, und trug sie zum Bett. Aus Ihrer Verzweiflung und Sehnsucht heraus reagierte ihr geschwächter Leib auf seinen starken Körper wie nie zuvor, und gab alles frei, was Nachtigall in ihr zum Leben erweckt hatte. Und beruhigte so die ruhelosen Geister all dessen, was er vernichtet hatte. SIE WAR VÖLLIG LEER GEWESEN. Und dann war sie erfüllt, denn ein Same wurde gesät und ein Kind wuchs in ihr heran. Während ihr Sohn in ihrem Schoß wuchs, so wuchs auch die Tiefe ihres Gefühls für den geduldigen, treuen, ergebenen Symmachus, das stets auf langer Freundschaft und stetiger Zuneigung beruht hatte, und das jetzt endlich zu wahrer, erfüllter Liebe reifte. Acht Jahre später segneten sie die Götter abermals, diesmal mit einer Tochter. SOFORT NACH DEM DIEBSTAHL DES STABS DES CHAOS DURCH NACHTIGALL hatte Symmachus dringende geheime Kommuniqués an Uriel Septim geschickt. Er war jedoch nicht wie sonst selbst gegangen, sondern hatte sich entschieden, in ihrer fruchtbaren Zeit bei Barenziah zu bleiben, um einen Sohn zu zeugen. Dafür und für den Raub fiel er bei Uriel Septim vorübergehend in Ungnade und wurde ungerechtfertigterweise verdächtigt. Man suchte mit Spionen nach dem Dieb, doch Nachtigall schien dahin verschwunden, wo er hergekommen war - wo auch immer das sein mochte. 'Teils Dunkelelf vielleicht', sagte Barenziah, 'aber auch teils Mensch, glaube ich, in Verkleidung. Sonst wäre ich nicht so schnell fruchtbar geworden.' 'Teils Dunkelelf, gewiss, und aus altem Ra'athim-Geblüt noch dazu, sonst hätte er den Stab nicht befreien können', dachte Symmachus laut. Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. 'Ich glaube nicht, dass er in dein Bett gekommen wäre. Als Elf konnte er das nicht wagen, sonst hätte er dich nicht verlassen können.' Er lächelte. Dann wurde er wieder Ernst. 'Ja. Er wusste, dass der Stab und nicht das Horn dort lag, und dass er mit einem Teleportzauber in Sicherheit gelangen musste. Der Stab ist keine Waffe, die ihn klar erkannt hätte, im Gegensatz zum Horn. Ich danke den Göttern dass er zumindest das nicht hat! Anscheinend war alles so, wie er es erwartet hatte - aber wie konnte er es wissen? Ich habe den Stab dort selbst verwahrt, mit Hilfe des erbärmlichen Überrests des Ra'athim-Clans, der nun als Belohnung als König im Schloss Ebenherz weilt. Tiber Septim hat das Horn für sich beansprucht, doch den Stab ließ er hier, damit er sicher verwahrt werde. Es darf nicht sein. Nun kann Nachtigall den Stab verwenden, um Streit und Missgunst zu säen, wo immer er geht, wenn er das möchte. Doch das alleine wird ihm keine Macht verschaffen. Die liegt im Horn und der Fähigkeit, es einzusetzen.' 'Ich bin mit nicht so sicher, dass es Macht ist, wonach Nachtigall strebt', überlegte Barenziah. 'Jeder strebt nach Macht', meinte Symmachus. 'Jeder auf seine eigene Weise.' 'Ich nicht', gab sie zurück. 'Ich habe gefunden, wonach ich strebte, mein Herr.'Symmachus sollte Recht behalten. Auf kurze Sicht hatte der Diebstahl des Stabes kaum Konsequenzen. Der derzeitige Kaiser Uriel Septim schickte einige recht ungehaltene Nachrichten, in denen er sein Entsetzen und seinen Ärger über das Verschwinden des Stabes zum Ausdruck brachte. Er drängte Symmachus, keine Mühe zu scheuen, den Aufbewahrungsort des Stabes ausfindig zu machen und alle diesbezüglichen Entwicklungen dem neu ernannten Kaiserlichen Kampfmagier Jagar Tharn mitzuteilen, in dessen Hände man die Angelegenheit gelegt hatte. "Tharn!" tobte Symmachus, angewidert und frustriert in der kleinen Kammer auf und ab marschierend, in der die schwangere Barenziah ruhig saß und eine Babydecke bestickte. "Jagar Tharn, ausgerechnet. Es darf nicht sein. Dem würde ich nicht einmal sagen, wie er die Straße überqueren kann, und wäre er ein tattriger blinder Greis!" "Was hast du denn gegen ihn, mein Liebster?" "Ich vertraue diesem Mischlingself einfach nicht. Teils Dunkelelf, teils Hochelf, und der Rest - das wissen nur die Götter. Hat all die schlechtesten Qualitäten seiner Vorfahren in sich vereint, würde ich wetten." Er schnaubte. "Niemand weiß viel über ihn. Behauptet, er sei Sohn einer Waldelfin im Süden von Valenwald. Und seither ist er wohl in der ganzen Weltgeschichte herumgereist, seit ..." Barenziah, völlig versunken in der Ruhe und Zufriedenheit ihrer Schwangerschaft, hatte Symmachus bisher nur eine gute Gesprächspartnerin sein wollen. Doch nun ließ sie ihre Handarbeit plötzlich in den Schoß fallen und sah ihn an. Irgend etwas hatte ihr Interesse hervorgerufen. "Symmachus. Könnte dieser Jagar Tharn in Verkleidung nicht Nachtigall gewesen sein?" Symmachus dachte ein wenig darüber nach, bevor er antwortete. "Nein, meine Liebe. Menschliches Blut scheint so ziemlich das Einzige zu sein, woran es Tharns Vorfahren gefehlt hat." Für Symmachus war das keine gute Eigenschaft, wie Barenziah wohl wusste. Ihr Angetrauter verachtete Waldelfen als faule Diebe, Hochelfen hielt er für abgehobene, nichtsnutzige Intellektuelle. Doch Menschen bewunderte er, besonders Bretonen, sie waren pragmatisch, intelligent und tüchtig. "Nachtigall stammt aus Ebenherz, vom Ra'athim-Clan, dem Hause Hlaalu, insbesondere dem Hause Mora, das würde ich schwören. In dieser Blutlinie fließt seit Mora menschliches Blut. Ebenherz war bereits eifersüchtig, als der Stab hier verwahrt wurde, als Tiber Septim das Horn der Einheit von uns nahm." Barenziah seufzte ein wenig. Die Konkurrenz zwischen Ebenherz und Gramfeste währte bereits fast seit Anbeginn der Geschichte von Morrowind. Einst waren die beiden Nationen eins gewesen. Die Ra'athim waren Lehnsherren aller ertragreichen Bergwerke. Deren Edelleute waren Hochkönige von Morrowind. Ebenherz hatte sich in zwei getrennte Stadtstaaten - Ebenherz und Gramfeste - geteilt, als die Zwillingssöhne von Königin Lian - Enkel des legendären Königs Moraelyn - gemeinsam als Erben eingesetzt wurden. Etwa zu dieser Zeit war es auch, dass das Amt des Hochkönigs nicht wieder besetzt wurde und stattdessen ein vorübergehender Kriegsherr von einem Rat ernannt werden sollte, falls eine Notlage dies erforderte. Dennoch wachte Ebenherz eifersüchtig über seine Vorrechte als ältester Stadtstaat von Morrowind ("Unter Gleichen der Erste" war der Ausdruck, den seine Herrscher gerne verwendeten) und bestand darauf, dass der Stab des Chaos rechtmäßig in seine Obhut hätte gegeben werden müssen. Gramfeste gab stets zurück, dass König Moraelyn höchstpersönlich den Stab dem Gott Ephen zur Aufbewahrung übergeben habe - und dass Gramfeste ohne jeden Zweifel der Geburtsort des Gottes gewesen sei. "Warum berichtest du Jagar Tharn dann nicht von deinem Verdacht? Lass ihn den Stab wieder zurückholen. Solange er in Sicherheit gebracht wird, ist doch wohl gleich, wer ihn zurückbringt und wo er aufbewahrt wird?" Symmachus sah sie verständnislos an. "Es ist nicht gleich", sagte er nach einiger Zeit leise. "Aber so wichtig wohl auch nicht. Gewiss ..." fuhr er fort, "nicht so wichtig, dass du dich näher damit beschäftigen müsstest. Bleib du ruhig in der Ecke sitzen und kümmere dich um deine ..." - an dieser Stelle grinste er sie frech an, "... Stickarbeiten."Barenziah schleuderte ihm das Sticktuch ins Gesicht. Und traf - mitsamt Nadel und Fingerhut.EINIGE MONATE SPÄTER GEBAR BARENZIAH einen gesunden, prächtigen Jungen, den sie Helseth tauften. Man hörte nichts weiter vom Stab des Chaos oder Nachtigall. Wenn Ebenherz den Stab nun besaß, prahlte man jedenfalls nicht damit. Die Jahre gingen schnell und glücklich vorüber. Helseth wuchs zu einem großen, starken Jüngling heran. Er ähnelte seinem Vater sehr, und betete diesen förmlich an. Als Helseth acht Jahre als war, gebar Barenziah ein zweites Kind, zur anhaltenden Freude von Symmachus. Helseth war sein ganzer Stolz, doch die kleine Morgiah - die nach Symmachus Mutter benannt war - besaß sein Herz. Leider war ihre Geburt keineswegs ein Vorbote besserer Zeiten. Die Beziehungen zum Kaiserreich wurden immer schlechter, ohne dass ein Grund hierfür erkennbar gewesen wäre. Die Steuern stiegen und die Zehnten wurden jedes Jahr erhöht. Symmachus glaubte, der Kaiser verdächtige ihn, am Verschwinden des Stabes beteiligt gewesen zu sein. So strebte er danach, seine Treue unter Beweis zu stellen, indem er keine Mühe scheute, den steigenden Forderungen nachzukommen. Er verlängerte die Arbeitszeiten und erhöhte die Steuern, und einen Teil der Differenz beglich er sogar aus der königlichen Schatzkammer und ihrem Privatbesitz. Doch die Belastung wuchs immer mehr, und das einfache Volk wie die Edelleute begannen, sich laut zu beklagen. Es schien ein unheilvolles Grollen zu sein. "Ich möchte, dass du die Kinder mitnimmst, und in die kaiserliche Stadt reist", sagte Symmachus in seiner Verzweiflung schließlich einen Abend nach dem Essen. "Du musst den Kaiser zur Vernunft bringen, sonst wird ganz Gramfeste im Frühjahr den Aufstand proben." Er zwang sich zu einem Lächeln. "Mit Männern kannst du gut umgehen, meine Liebe. Das konntest du schon immer." Barenziah zwang sich ihrerseits zu einem Lächeln. "Sogar mit dir, wenn ich das recht verstehe." "Ja. Besonders mit mir", erkannte er gut gelaunt an. "Beide Kinder?" Barenziah sah zum Eckfenster, wo Helseth auf einer Laute spielte und ein Duett mit seiner kleinen Schwester krähte. Helseth war mittlerweile fünfzehn, Morgiah acht. "Vielleicht erweichen sie sein Herz. Außerdem ist es allerhöchste Zeit, dass Helseth am kaiserlichen Hof präsentiert wird." "Mag sein. Aber das ist nicht der wahre Grund." Barenziah atmete tief ein und fasste den Mut, es auszusprechen. "Du glaubst nicht, dass sie hier in Sicherheit sind. Wenn das der Fall ist, bist du hier auch nicht in Sicherheit. Komm mit uns", drängte sie ihn. Er nahm sie bei den Händen. "Barenziah. Meine geliebte Barenziah. Mein Herz, mein Alles. Wenn ich jetzt gehe, wird es nichts geben, wohin wir zurückkehren könnten. Sorge dich nicht um mich. Mir wird es gut gehen. Wirklich. Ich kann auf mich selbst aufpassen, und noch besser, wenn ich mich nicht um dich und die Kinder sorgen muss." Barenziah legte ihren Kopf auf seine Brust. "Vergiss nur nicht, dass wir dich brauchen. Dass ich dich brauche. Wir können alles andere erübrigen, wenn wir nur zusammen sind. Leere Hände und leere Bäuche sind leichter zu ertragen als ein leeres Herz." Sie begann zu weinen, als sie an Nachtigall und die schreckliche Angelegenheit mit dem Stab dachte. "Allein meine Dummheit hat uns in diese Lage gebracht." Er lächelte sie zärtlich an. "Wenn dem so ist, so ist es doch keine so schlechte Sache." Liebevoll blickte er die Kinder an. "Keiner von uns soll je etwas entbehren, oder Mangel leiden. Niemals. Das werde ich nie zulassen, Liebste, das verspreche ich dir. Einst habe ich dich alles gekostet, Barenziah - ich und Tiber Septim. Doch. Ohne meine Hilfe hätte das Kaiserreich nie geschaffen werden können. Ich habe geholfen, es groß zu machen." Seine Stimme wurde hart. "Ich kann auch seinen Niedergang bewirken. Das kannst du Uriel Septim ausrichten. Das, und dass sogar meine Geduld ihre Grenzen hat." Barenziah atmete scharf ein. Symmachus war kein Mann der leeren Worte. Nie hätte sie erwartet, dass er sich je gegen das Reich stellen würde - ebenso wenig wie sie vom alten Hauswolf, der vor dem Feuer döste, erwartete, dass er sie anfallen könnte. "Aber wie?" verlangte sie atemlos zu wissen. Doch er schüttelte den Kopf. "Es ist besser, wenn du es nicht weißt", meinte er. "Sage ihm einfach, was ich dir gesagt habe, falls er hartnäckig bleibt, und hab keine Angst. Soviel Septim ist er, dass er seinen Zorn nicht am Boten auslassen wird." Ein zorniges Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. "Denn sollte er das tun, sollte er dir auch nur ein Haar krümmen, Liebste, oder den Kindern - bei allen Göttern von Tamriel, dann wird er beten, er wäre niemals geboren worden. Dann werde ich ihn jagen und stellen - ihn und seine gesamte Familie. Und ich werde nicht ruhen, bis der letzte Septim tot ist." Seine roten Augen leuchteten hell neben dem schwächer werdenden Feuerschein. "Diesen Eid schwöre ich auf dich, meine Liebste. Meine Königin ... meine Barenziah." Barenziah hielt ihn so fest wie sie nur konnte. Trotz der Wärme seiner Umarmung zitterte sie. BARENZIAH STAND VOR DEM THRON DES KAISERS und versuchte, die Schwierigkeiten von Gramfeste zu erläutern. Wochenlang hatte sie auf eine Audienz mit Uriel Septim warten müssen, stets hatte man sie aus irgend einem vorgeschobenen Grund warten lassen. "Seine Majestät ist unpässlich." "Eine dringende Angelegenheit erfordert die Aufmerksamkeit seiner Exzellenz." "Ich bedaure, Hoheit, da muss ein Fehler vorliegen. Euer Termin ist erst nächste Woche. Ganz bestimmt ..." Und nun lief die Unterhaltung nicht einmal gut. Der Kaiser gab sich nicht die geringste Mühe, auch nur den Anschein zu erwecken, als höre er ihr zu. Er hatte sie weder gebeten, sich doch zu setzen, noch hatte er die Kinder gehen lassen. Helseth stand wie in Stein gemeißelt da, doch die kleine Morgiah wurde langsam unruhig. Die vielen Gedanken, die ihr im Kopf herumschwirrten, trugen nicht zur Besserung der Lage bei. Kurz nach ihrer Ankunft in ihren Räumen hatte der Botschafter Gramfestes in der kaiserlichen Stadt um Eintritt nachgesucht, in seiner Hand einen ganzen Stapel Botschaften von Symmachus. Es gab schlechte Nachrichten, und mehr als genug davon. Die Revolte hatte in der Tat begonnen. Die Bauern hatten sich um einige unzufriedene Mitglieder der unteren Adelsränge von Gramfeste geschart, und verlangten den Rücktritt von Symmachus und die Übergabe der Regierungsmacht. Nur die kaiserliche Wache und eine Hand voll Truppen, deren Familien seit Generationen Gefolgsleute von Barenziahs Familie gewesen waren, standen zwischen Symmachus und den Aufrührern. Die Kampfhandlungen hatten bereits begonnen, doch anscheinend war Symmachus in Sicherheit und hatte noch die Oberhand. Doch das konnte nicht lange so bleiben. Er beschwor Barenziah, ihr Möglichstes beim Kaiser zu versuchen - aber auf jeden Fall in der Kaiserstadt zu bleiben, bis er ihr schrieb, dass es sicher sei, mit den Kindern zurückzukehren. Sie hatte ohne großen Erfolg versucht, sich mit Gewalt gegen die kaiserliche Bürokratie durchzusetzen. Ihre Panik wuchs, als plötzlich keine Nachrichten mehr aus Gramfeste kamen. Die Wochen vergingen zäh und qualvoll, während sie hin- und hergerissen war zwischen ihrer Wut auf die unzähligen Haushofmeister des Kaisers und ihrer Angst um das Schicksal ihrer Familie. Eines Tages kam schließlich der Botschafter von Gramfeste und teilte ihr mit, dass sie Nachrichten von Symmachus spätestens in der kommenden Nacht erwarten solle - nicht durch die üblichen Wege, sondern per Nachtfalke. Plötzlich schien alles auf einmal zu passieren: Noch am selben Tag informierte sie ein Bediensteter des kaiserlichen Hofstaats, dass Uriel Septim endlich eingewilligt hatte, ihr früh am nächsten Morgen eine Audienz zu gewähren. Der Kaiser hatte sie alle drei bei ihrem Eintritt mit einem allzu überschwänglichen Lächeln begrüßt, das sie wohl willkommen heißen sollte, seine Augen jedoch nicht erreichte. Als sie dann ihre Kinder vorgestellt hatte, hatte er sie mit einer Aufmerksamkeit fixiert, die durchaus echt, aber irgendwie unpassend war. Barenziah hatte nun seit fast fünfhundert Jahren mit Menschen zu tun und dabei die Fähigkeit entwickelt, weit mehr aus ihrem Gesichtsausdruck und ihren Bewegungen zu lesen als je ein menschliches Wesen es könnte. So sehr er auch versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, war der Blick des Kaisers doch von einem seltsamen Hunger, einer gewissen Gier erfüllt. Und da war noch etwas. Bedauern? Ja. Bedauern. Aber warum? Er hatte selbst mehrere gesunde, wunderbare Kinder. Weshalb sollte es ihn da nach ihren dürsten? Und warum betrachtete er sie mit so heftiger Sehnsucht - egal, wie kurz der Blick gewesen sein mochte? Vielleicht war er seiner Gemahlin müde. Menschen waren berüchtigt für ihre Untreue, wenn diese auch sehr vorhersehbar war. Nach diesem einen langen, brennenden Blick hatte er seine Augen abgewendet, als sie von ihrem Anliegen und der Gewalt sprach, die in Gramfeste ausgebrochen war. Er saß völlig still und steif da, während sie sprach. Von seiner Trägheit überrascht und äußerst ungehalten starrte Barenziah in das blasse Gesicht mit den entschlossenen Zügen auf der Suche nach den Mitgliedern der Familie Septim, die sie früher gekannt hatte. Uriel Septim kannte sie nicht sehr gut. Sie hatte ihn nur zweimal gesehen - einmal war er noch ein Kind gewesen, und vor zwanzig Jahren hatte sie seiner Krönung beigewohnt. Zwei Mal, mehr nicht. Er war stets streng und würdevoll gewesen, sogar als junger Mann - aber nicht so eisig und fern wie dieser reifere Mann. Trotz der körperlichen Ähnlichkeit schien er gar nicht derselbe Mann zu sein. Und dennoch schien irgendetwas an ihm vertraut, vertrauter, als es sein dürfte, irgendetwas in der Gestik oder in der Haltung ... Plötzlich wurde ihr schrecklich heiß, als habe man sie mit heißer Lava übergossen. Illusion! Sie hatte die Kunst der Illusion ernsthaft studiert, seit Nachtigall sie damals so schwer getäuscht hatte. Sie hatte gelernt, sie zu erkennen - und sie spürte sie auch jetzt, so sicher wie ein Blinder die Sonne auf seinem Gesicht sieht. Illusion! Aber warum nur? Ihre Gedanken rasten, während sie weiterhin von den Schwierigkeiten Gramfestes berichtete. Eitelkeit? Menschen schämten sich oft so sehr der Zeichen des Alterns wie Elfen stolz darauf waren, sie zu zeigen. Doch das Gesicht des Uriel Septim schien zu seinem Alter zu passen. Barenziah wagte es nicht, selbst Magie anzuwenden. Sogar geringere Edelleute konnten Magie in ihren eigenen Hallen erkennen und sich zum Teil sogar davor schützen. Wenn sie hier Zauberei anwendete, wäre ihr der Zorn des Kaisers ebenso sicher, als zöge sie einen Dolch. Magie. Illusion. Auf einmal musste sie an Nachtigall denken. Und dann saß er plötzlich vor ihr. Die Vision änderte sich wieder, und es war Uriel Septim. Er sah traurig aus. Gefangen. Und dann verblasste auch diese Vision und ein anderer Mann saß an seiner Stelle. Er ähnelte Nachtigall, und ähnelte ihm doch wieder nicht. Bleiche Haut, blutunterlaufene Augen, die Ohren eines Elfen und um sich eine starke Aura konzentrierter Bosheit, eine finstere elfische Energie - ein schrecklicher, zerstörerischer Schein. Dieser Mann war zu allem fähig! Und dann blickte sie abermals in das Gesicht von Uriel Septim. Wie konnte sie sicher sein, dass sie sich das nicht alles nur einbildete? Vielleicht spielte ihr Gehirn ihr Streiche. Plötzlich fühlte sie sich schrecklich, entsetzlich müde, als habe sie eine schwere Last bereits viel zu lange und viel zu weit getragen. Sie beschloss, ihre engagierten Berichte über die Schwierigkeiten von Gramfeste zu beenden - schließlich bewirkte sie damit offensichtlich rein gar nichts - und wieder zu allgemeinen Nettigkeiten zu wechseln. Allerdings mit einem etwas anderen Ziel. "Erinnert Ihr Euch noch, Hoheit, als ich und Symmachus kurz nach der Krönung Eures Vaters hier mit Eurer Familie speisten? Ihr wart gerade so alt wie die kleine Morgiah hier. Wir waren sehr geehrt, an diesem Abend die einzigen Gäste zu sein - natürlich mit Ausnahme Eures besten Freundes Justin." "In der Tat", sagte der Kaiser mit einem vorsichtigen Lächeln. Mit einem sehr vorsichtigen Lächeln. "Ich glaube, daran erinnere ich mich wirklich." "Ihr wart solch gute Freunde, Majestät. Man sagte mir, der Junge sei kurz darauf gestorben. Sehr bedauerlich." "In der Tat. Bis heute spreche ich nicht gern von ihm." Sein Blick wurde leer - noch leerer als zuvor, wenn dies überhaupt möglich war. "Was Eure Bitte angeht, so werden wir darüber beraten und Euch informieren, Milady." Barenziah verbeugte sich, die Kinder taten es ihr nach. Durch ein Nicken signalisierte der Kaiser, dass sie gehen konnten, und so verließen sie rückwärts die kaiserliche Gegenwart. Sie atmete tief ein, als sie aus dem Thronraum kamen. "Justin" war ein imaginärer Spielkamerad gewesen, obwohl Uriel als Kind stets darauf bestanden hatte, dass für Justin bei jeder Mahlzeit mit gedeckt wurde. Und nicht nur das - Justin war ein Mädchen gewesen! Lange, nachdem Justin verschwunden war, wie dies die imaginären Freunde der Kindheit zu tun pflegen, hatte Symmachus immer wieder nach ihrem Befinden gefragt, wann immer er Uriel Septim getroffen hatte. Die Antwort war stets im Spaß ernsthaft gewesen. Als Barenziah das letzte Mal vor einigen Jahren von Justin gehört hatte, hatte der Kaiser wohl ausführlich mit Symmachus gewitzelt, dass sie einen abenteuerlustigen, völlig unverbesserlichen Khajiit getroffen und sich in Lilandril niedergelassen habe, um Feuerfarne und Beifuß zu züchten. Der Mann auf dem Diwan des Kaisers war jedenfalls nicht Uriel Septim! Nachtigall? Könnte er es sein? Ja. Doch! Es fühlte sich einfach richtig an. Er war es wirklich! Nachtigall! Und er posierte als Kaiser! Symmachus hatte sich geirrt, entsetzlich geirrt ... Was nun? fragte sie sich panisch. Was war aus Uriel Septim geworden und, noch viel wichtiger, was bedeutete das alles für sie und Symmachus, ja für ganz Gramfeste? Wenn Sie zurückdachte, so mussten all ihre Probleme auf diesen falschen Kaiser, diesen putzsüchtigen Nachtigall zurückzuführen sein. Er musste Uriel Septim Stelle eingenommen haben, kurz bevor die überhöhten Forderungen an Gramfeste begonnen hatten. Das würde erklären, warum sich die Beziehungen (nach menschlichen Maßstäben) so lange nach ihrer unerwünschten Liaison mit Tiber Septim verschlechtert hatten. Nachtigall wusste um die berühmte Treue von Symmachus zum Kaiserhaus der Septim, und dessen Kenntnisse - und hatte vorbeugend zugeschlagen. Sollte das wahr sein, so schwebten sie alle in höchster Gefahr. Sie war mit den Kindern hier in der kaiserlichen Stadt in seiner Hand, und Symmachus stand alleine gegen den Aufruhr, den Nachtigall zu verantworten hatte, in Gramfeste. Was sollte sie nur tun? Barenziah hatte jedem der Kinder eine Hand auf die Schulter gelegt, und schob sie, um Ruhe und Fassung bemüht, vor sich her. Hinter ihr schritten ihre Hofdamen und ihre persönliche Eskorte. Endlich erreichten sie die Kutsche, die bereits wartete. Obwohl ihre Räume nur wenige Straßen vom Palast entfernt war, geziemte es sich für eine Königin nicht, selbst kurze Strecken zu Fuß zurückzulegen. Ausnahmsweise war Barenziah darüber froh. In diesem Augenblick empfand sie die Kutsche wie eine Art Zuflucht, auch wenn sie sehr genau wusste, wie trügerisch dieses Gefühl war. Ein Junge lief auf eine der Wachen zu und übergab der Wache eine Schriftrolle. Er zeigte auf die Kutsche. Die Wache brachte ihr das Schreiben. Der Junge wartete mit weit geöffneten, leuchtenden Augen. Das Schreiben war kurz und höflich, und fragte lediglich nach, ob König Eadwyre von Wegesruh aus der Provinz Hochfels um eine Audienz bei der berühmten Königin Barenziah von Gramfeste nachsuchen dürfe, da er viel von ihr gehört habe und sie gerne kennen lernen wolle. Barenziahs erster Impuls war, den Wunsch abzuschlagen. Sie wollte nur noch weg aus dieser Stadt! Und sie hatte keinerlei Wunsch, ihre Zeit mit einem geblendeten Menschen zu verschwenden. Sie sah auf, die Stirn in Falten gelegt, und einer der Wachen sagte, "Milady, der Junge sagt, sein Herr warte dort drüben auf Eure Antwort." Sie blickte in die Richtung, in die er wies, und sah einen gut aussehenden älteren Mann auf einem Pferd, umgeben von einem halben Dutzend Höflingen und Rittern. Er sah ihren Blick und verneigte sich respektvoll, während er den mit einem Federbusch geschmückten Hut zog. "Sehr wohl", sagte Barenziah dem Jungen impulsiv. "Sagt Eurem Herrn, er mag mir heute Abend seine Aufwartung machen, nach dem Abendessen." König Eadwyre schaute höflich und ernst drein. Er wirkte eher besorgt, aber keineswegs verliebt. Immerhin etwas, dachte sie bei sich. BARENZIAH STAND WARTEND AM TURMFENSTER. Sie spürte die Nähe des Vogels. Doch obwohl der Nachthimmel für ihre Augen so hell wie der Tag war, konnte sie ihn noch nicht sehen. Plötzlich war er da, ein dahinflitzender Punkt unter den kaum wahrzunehmenden Wolken am klaren Nachthimmel. Einige Minuten später hatte der große Nachtfalke seinen Flug beendet und landete mit gefalteten Flügeln auf dem dicken Lederband an ihrem Arm. Sie trug den Vogel zu seiner Stange. Hier wartete das erschöpfte Tier, als ihre ungeduldigen Finger nach der Nachricht fassten, die sich einer Kapsel an seinem Bein befand. Der Falke trank viel Wasser, bis sie fertig war, streckte dann das Gefieder und begann, sich zu putzen - er fühlte sich in ihrer Gegenwart sicher. Ein winziger Teil ihres Bewusstseins teilte die Zufriedenheit des Vogels angesichts der guten Arbeit, der erfolgreich erledigten Aufgabe, der wohlverdienten Ruhe ... und doch herrschte unter alledem Unruhe. Sogar der Vogel spürte, dass etwas nicht stimmte. Ihre Hände zitterten, als sie das dünne Pergament auffaltete und sich über die enge Schrift beugte. Das war nicht Symmachus' kraftvolle, großzügige Schrift! Barenziah setzte sich langsam und glättete das Pergament, sich innerlich stählend, die Meldung ruhig zu ertragen, auch wenn der Inhalt der Botschaft katastrophal sein sollte. Die Befürchtung bestätigte sich. Die kaiserliche Wache hatte desertiert und sich den Rebellen angeschlossen. Symmachus war tot. Die übrig gebliebenen treuen Truppen waren vernichtend geschlagen worden. Symmachus war tot. Der Anführer der Rebellen war von kaiserlichen Gesandten als König von Gramfeste anerkannt worden. Symmachus war tot. Barenziah und die Kinder waren zu Verrätern des Kaiserreichs erklärt. Man hatte ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Symmachus war tot. Die Audienz beim Kaiser am Morgen war also nichts als eine Finte gewesen. Man hatte ihr etwas vorgespielt. Der Kaiser musste es bereits gewusst haben. Man ließ sie nur warten, sagte ihr, sie solle vor Ort bleiben, es sich angenehm machen. Macht es Euch angenehm hier, werte Königin, genießt die Freuden der Kaiserstadt, und verlängert Euren Aufenthalt, solange Ihr möchtet. Ihr Aufenthalt? Ihre Haft. Ihre Gefangenschaft. Und mit großer Wahrscheinlichkeit ihre anstehende Festnahme. Sie gab sich keinen Illusionen über ihre Lage hin. Sie wusste, dass der Kaiser und seine Diener niemals zulassen würden, dass sie die kaiserliche Stadt verließ. Zumindest nicht lebend. Symmachus war tot. "Milady?" Barenziah sprang auf, aufgeschreckt durch das Eintreten der Dienerin. "Was gibt es?" "Der Bretone ist hier, Milady. König Eadwyre", setzte sie hinzu, als sie bemerkte, dass Barenziah gar nicht verstand, was sie sagte. Sie zögerte. "Gibt es Neuigkeiten, Milady?" sagte sie mit einem Nicken hin zum Nachtfalken. "Nichts, das nicht warten könnte", sagte Barenziah schnell. In ihrer Stimme schien die Leere zu hallen, die sich plötzlich wie eine tiefe, entsetzliche Schlucht in ihr aufgetan hatte. "Kümmert Euch um den Vogel." Mit diesen Worten stand sie auf, glättete ihr Gewand, und machte sich bereit, den königlichen Besucher zu empfangen. Sie fühlte sich völlig taub. Taub wie die steinernen Mauern, die sie umgaben, taub wie die unheimliche Stille der Nacht ... wie eine Leiche. Symmachus war tot! KÖNIG EADWYRE BEGRÜSSTE SIE ERNST UND MIT AUSGESUCHTER HÖFLICHKEIT, auch wenn seine Art ein wenig übertrieben wirkte. Er gab sich als großer Bewunderer des Symmachus, der in den Legenden seiner Familie anscheinend eine große Rolle spielte. Allmählich lenkte er zum Thema Ihrer Audienz beim Kaiser über. Er fragte nach den Einzelheiten, und wollte wissen, ob das Ergebnis gut für Gramfeste sei. Sie gab nur wenig preis. Plötzlich konnte er es nicht länger ertragen und platzte heraus "Hochverehrte Königin, Ihr müsst mir Glauben schenken! Der Mann, der sich als Kaiser ausgibt, ist ein Hochstapler! Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber -" "Nein", sagte Barenziah, plötzlich entschlossen. "Ihr habt Recht, hochverehrter König. Ich weiß." Eadwyre entspannte sich zum ersten Mal seit Beginn der Unterredung in seinem Sessel, und schaute plötzlich argwöhnisch drein. "Ihr wisst es? Dann ertragt Ihr nicht einfach nur die wilden Gedanken einer Person, die Ihr womöglich für wahnsinnig haltet?" "Ich versichere Euch, Milord, das ist nicht der Fall." Sie atmete tief ein. "Und wer ist Eurer Vermutung nach die Person, die sich als Kaiser ausgibt?" "Der kaiserliche Kampfmagier Jagar Tharn." "Ah. Milord, habt Ihr je von einer Person gehört, die sich Nachtigall nennt?" "In der Tat, Milady. Meine Verbündeten und ich glauben, es handelt sich um ein und denselben Mann." "Ich wusste es!" Barenziah stand auf und versuchte, ihre Erregung zu verbergen. Jagar Tharn war Nachtigall! Der Mann war ein Dämon! Teuflisch und heimtückisch. Und so gerissen! Er hatte ihren Niedergang perfekt geplant! Symmachus, o Symmachus ...! Eadwyre hüstelte. "Milady, ich ... wir ... wir brauchen Eure Hilfe." Barenziah lächelte kalt angesichts dieser Ironie des Schicksals. "Mir kommt es vor, als hätte ich diese Worte zu Euch sprechen sollen. Aber ich bitte Euch, fahrt fort. Wie kann ich Euch dienlich sein, Milord?" Kurz beschrieb der Monarch seinen Plan. Magierin Ria Silmane, eine ehemalige Schülerin des bösen Jagar Tharn, war vom falschen Kaiser als Verräterin getötet worden. Doch ein wenig ihrer Macht hatte sie auch im Tod beibehalten können, und konnte noch mit einigen Kontakt aufnehmen, die sie im irdischen Leben gut gekannt hatte. Sie hatte einen Champion gewählt, der versuchen würde, den Stab des Chaos zu finden, den der verräterische Zauberer an einem unbekannten Ort versteckt hielt. Dieser Champion sollte die Macht des Stabes dann einsetzen, um Jagar Tharn zu vernichten, da dieser sonst unverwundbar war, und den wahren Kaiser retten, der in einer anderen Dimension gefangen gehalten werde. Der Champion allerdings, obwohl er noch am Leben war, saß derzeit im Verließ des Kaisers fest. Es war nötig, Tharns Aufmerksamkeit abzulenken, während der Auserwählte mit Hilfe von Rias Geist die Freiheit erlangte. Barenziah hatte das Gehör und anscheinend auch die Aufmerksamkeit des falschen Kaisers. Wäre sie bereit, die notwendige Ablenkung zu schaffen? "Ich nehme an, ich könnte um eine weitere Audienz bei ihm nachsuchen", sagte Barenziah vorsichtig. "Aber wäre das denn genug? Ich muss Euch sagen, dass meine Kinder und ich selbst vor Kurzem zu Verrätern des Kaiserreichs erklärt wurden." "In Gramfeste vielleicht, und in Morrowind. In der Kaiserstadt und der kaiserlichen Provinz verhalten sich die Dinge anders. Just der administrative Sumpf, der es fast unmöglich macht, eine Audienz beim Kaiser oder seinen Ministern zu erhalten, sorgt gleichzeitig dafür, dass Ihr niemals Gefahr laufen würdet, rechtswidrig inhaftiert oder auf sonstige Weise bestraft zu werden, ohne dass zuvor ein entsprechendes Verfahren eingeleitet würde. Was Euch und Eure Kinder anbelangt, Milady, so wird die Situation durch Euren königlichen Rang noch verstärkt. Als Königin bzw. als Thronerben seid Ihr und die Kinder unantastbar - geradezu heilig." Der König grinste. "Die kaiserliche Bürokratie ist ein zweischneidiges Schwert, Milady." Nun. Zumindest waren sie und die Kinder vorläufig in Sicherheit. Plötzlich fiel ihr etwas ein. "Verehrter König Eadwyre, was meintet Ihr soeben, als Ihr sagtet, ich habe die Aufmerksamkeit des falschen Kaisers? Und anscheinend obendrein?" Eadwyre schaute drein, als sei ihm das alles sehr unangenehm. "Unter den Dienstboten munkelte man, dass Jagar Tharn Euer Ebenbild in einer Art Schrein in seinen Räumen verwahre." "Ich verstehe." Kurz schweiften ihre Gedanken zu ihrer verrückten Affäre mit Nachtigall. Sie war sehr verliebt in ihn gewesen. Wie außerordentlich dumm von ihr. Und der Mann, den sie einst geliebt hatte, war für den Tod des Mannes verantwortlich, den sie wirklich geliebt hatte. Liebte. Geliebt hatte. Nun war er weg, war ... Sie konnte es einfach nicht akzeptieren, dass Symmachus tot war. Aber auch wenn dem so sei, versprach sie sich, meine Liebe wird leben und bestehen bleiben. Er würde immer bei ihr sein. Genau wie der Schmerz. Der Schmerz, den Rest ihres Lebens ohne ihn verbringen zu müssen. Der Schmerz, versuchen zu müssen, jeden Tag und jede Nacht ohne seine Anwesenheit, seinen Trost, seine Liebe überstehen zu müssen. Der Schmerz, zu wissen, dass er nie erleben würde, wie seine Kinder zu wunderbaren Erwachsenen heranwuchsen, dass diese ihren Vater nie kennen würden, nie wissen würden, wie mutig, wie stark, wie wundervoll und wie liebevoll er war ... besonders die kleine Morgiah. Und dafür - für alles, was Ihr meiner Familie angetan habt - dafür müsst Ihr sterben, Nachtigall. "Überrascht Euch das?" Die Worte von Eadwyre unterbrachen ihre Gedanken. "Wie bitte? Was soll mich überraschen?" "Euer Abbild. Bei Tharn." "Ach so." Ihre Miene wurde undurchdringlich. "Ja. Und nein." Eadwyre erkannte, dass sie offenbar das Thema zu wechseln wünschte. Er wandte sich abermals der Frage nach ihren Plänen zu. "Unser Auserwählter könnte ein paar Tage benötigen, bis er ausbrechen kann. Könnt Ihr ihm etwas mehr Zeit verschaffen?" "Ihr vertraut mir in dieser Sache, König Eadwyre? Wie das?" "Wir sind verzweifelt, Milady. Wir haben keine Wahl. Aber auch, wenn wir die Wahl hätten - ich würde Euch vertrauen. Ich vertraue Euch. Euer Mann war stets gut zu meiner Familie. Fürst Symmachus -" "Ist tot." "Wie bitte?" Barenziah erläuterte kurz und ohne viel Gefühl, was geschehen war. "Milady ... Königin ... wie schrecklich! Ich ... Es tut mir so Leid ..." Zum ersten Mal bröckelte Barenziahs unerschütterliche Haltung. Angesichts solchen Mitgefühls begann ihre äußerliche Ruhe sich aufzulösen. Es kostete sie große Willenskraft, ihre Fassung zu wahren. "Unter diesen Umständen können wir kaum erwarten, Milady ...""Nein, Milord, Ihr irrt. Unter diesen Umständen muss ich tun, was ich kann, um mich am Mörder des Vaters meiner Kinder zu rächen.


    Ende

  5. #5
    Das Lied von Pelinal



    Kapitel 1: Zu seinem Namen


    [Anmerkung des Herausgebers: Kapitel 1-6 stammen aus dem so genannten Reman-Manuskript, das sich in der Kaiserlichen Bibliothek befindet. Dabei handelt es sich um eine Abschrift älterer Fragmente, gesammelt von einem unbekannten Gelehrten der frühen Zweiten Ära. Darüber hinaus ist wenig über die Originalquellen dieser Fragmente bekannt, von denen einige aus derselben Zeit zu stammen scheinen (vielleicht sogar aus demselben Manuskript). Doch da sich die Gelehrten bisher noch nicht über die Datierung dieser sechs Fragmente einig geworden sind, wird hier keine Meinung angeboten.]


    Dass er den Namen "Pelinal" annahm, war mehr als merkwürdig, unabhängig von seinen späteren Beinamen, von denen es viele gab. Das war ein Elfenname, und Pelinal war eine Geißel dieser Rasse und hatte nicht viel für Ironie übrig. Dazu war Pelinal viel zu grimmig; selbst in seiner Jugend besaß er weißes Haar, und war von Schwierigkeiten verfolgt. Vielleicht gaben seine Feinde Pelinal selbst diesen Namen in ihrer Sprache, doch das ist zweifelhaft, denn es bedeutet "glorreicher Ritter", und das kann er für sie nicht gewesen sein. Gewiss haben viele andere seinen Namen in seinen Tagen in Tamriel ausgeschmückt: Er war Pelinal die Weißplanke wegen seiner linken Hand, die aus todbringendem Licht bestand, er war Pelinal der Blutige, denn er trank es beim Sieg, er war Pelinal der Rebell, denn er verlieh den Kreuzzügen ein Gesicht, er war Pelinal im Triumph, als die Worte allmählich zu einem Synonym wurden und die Soldaten den Acht dankten, wenn sie sein Banner durch die Reihen kommen sahen, er war Pelinal der Tadler, denn er ermahnte rasch jene unter seinen Verbündeten, die Taktiken bevorzugten, die den seinen zuwider liefen, das heißt Schwerttheorie, und er war Pelinal der Dritte, obwohl nicht bekannt ist, ob dies daran lag, dass manche sagten, er sei in Wirklichkeit ein Gott, der bereits zweimal zuvor Fleisch geworden war, oder dass er schlicht die dritte Vision war, die Perrif, oder Alessia, in ihren Gebeten um Befreiung erhielt, bevor er an der Seite der Rebellion wandelte.


    Kapitel 2: Zu seinem Kommen


    Und dann sprach Perrif erneut zur Magd, die Augen zum Himmel erhoben, der keine Freundlichkeit gekannt hatte seit dem Beginn der Elfenherrschaft, und sie sprach als Sterbliche, deren Flamme von den Göttern geliebt wird wegen ihrer Stärke-in-der-Schwäche, einer Demut, die brennen kann vor Metapher und doch leicht und jederzeit brechen kann, immer dazu verdammt, mit dem Tod zu enden und darum werden jene, die ihre Seele dennoch brennen lassen, vom Drachen und seiner Sippe geliebt, und sie sagte: "Und dieses Ding habe ich erdacht, ich habe es benannt, und ich nenne es Freiheit. Was, wie ich glaube, nur ein anderes Wort ist für Shezarr, Der verloren ging... Du hast den ersten Regen bei seiner Trennung erzeugt, und das ist es, was ich nun für unsere fremden Herren erbitte... dass wir sie völlig auseinanderreißen und ihnen ihre Grausamkeit heimzahlen mögen, in dem wir sie zerstreuen und im Topal ertrinken lassen. Morihaus, dein Sohn - mächtig und schnaubend, blutig gehörnt, geflügelt - wenn er das nächste Mal hernieder fliegt, soll er uns Zorn bringen." ... Und dann verlieh Kyne Perrif ein weiteres Symbol, einen Diamanten, rot getränkt von Elfenblut, dessen Facetten unsegmentiert und geformt werden konnten zu einem Menschen, dessen einzelne Kanten seine Kerkermeister schneiden konnten, und einen Namen: PELIN-EL was bedeutet "Der Sternen-geformte Ritter" und er wurde in Rüstung gehüllt aus der künftigen Zeit. Und er schritt in die Dschungel Cyrods, bereits mordend, an seiner Seite Morihaus, stampfend, bedeckt von blutigem Schaum und brüllend vor Aufregung, da der Pelinal gekommen war...und Pelinal kam zu Perrifs Rebellenlager, ein Schwert und einen Streitkolben schwingend, die beide verkrustet waren mit dem zerschmetterten Inneren von Elfengesichtern, Federn und magischen Perlen, die das Kennzeichen der Ayleidoon waren und an der Röte klebten, die an seinen Waffen hing, und er hob sie hoch und sagte: "Dies waren ihre östlichen Häuptlinge, nicht länger voll von Geschwätz."


    Kapitel 3: Zu seinem Feind


    Pelinal Weißplanke war der Feind aller Elfen, die in diesen Tagen in Cyrod lebten. Doch hauptsächlich nahm er es auf sich, die Hexer-Könige der Ayleiden zu erschlagen, und zwar in verabredeten offenen Kämpfen und nicht im Krieg; die Schlachtfelder der Rebellion überließ er den wachsenden Armeen von Paravania und seinem Stierneffen. Pelinal forderte Haromir von Kupfer und Tee zum Zweikampf am Felsturm heraus und fraß sich in seine Halsvenen, während er laut Reman pries, einen Namen, den noch niemand kannte. Das Haupt von Gordhaur dem Gestalter wurde auf dem ziegengesichtigen Altar Ninendavas zerschmettert, und in seiner Weisheit sprach Pelinal einen kleinen Pestzauber aus, damit das Böse nicht durch Welkynd-Magie neu geformt werden konnte. Etwas später in jener Saison erschlug Pelinal Hadhuul auf den Granitstufen von Ceya-Tar, und die Speere des Feuerkönigs erlitten ihre erste Niederlage. Eine Zeitlang konnte keine Waffe der Ayleiden seine Rüstung durchbohren, die nach Pelinals Eingeständnis keiner von Menschen erschaffenen glich, doch über die er auch auf Drängen nichts weiter sagen wollte. Als Huna, den Pelinal vom Kornsklaven zum Hopliten erhoben hatte und den er herzlich liebte, den Tod durch eine Pfeilspitze fand, die aus dem Schnabel von Celethelel dem Sänger gefertigt war, erlitt Weißplanke seinen ersten Wahnsinn. Er ließ Zerstörung regnen von Narlemae bis hin nach Celediil und löschte diese Länder mit allem, was darin war, von den Karten der Elfen und Menschen, und Perrif war gezwungen, den Göttern ein Opfer zu bringen, damit sie die Erde nicht angeekelt verließen. Und dann kam die Erstürmung des Weiß-Goldenen, wo die Ayleiden einen Pakt mit den Auroranern Meridias geschlossen und sie beschworen und den furchtbaren goldfarbenen "Halbelfen" Umaril den Ungefiederten zu ihrem Kämpen gemacht hatten, und zum ersten Mal seit seinem Kommen war es Pelinal, der von einem anderen zum Kampf gefordert wurde, denn Umaril besaß das Blut der 'ada und würde niemals den Tod erleiden.

    Kapitel 4: Zu seinen Taten


    Pelinal trieb die Hexer-Armeen über den Niben und eroberte alle östlichen Länder für die Rebellion Paravanias, und Kyne musste ihren Regen schicken, um das Blut von den Dörfern und Festungen zu waschen, über denen die Ayleiden-Banner nicht mehr flatterten, denn die Armeen der Menschen mussten sie zu ihren Lagern machen auf ihrem Vormarsch. ...und er brach die Türen auf für die Gefangenen der Vahtace, während die Sklavenkönigin auf Morihaus über ihnen flog, und die Menschen nannten sie zum ersten Mal Al-Esh. Er schritt durch das Tor bei ..., um die Hände der Tausend-Staken von Sedor zurückzugewinnen eines Stammes, der heute unbekannt ist, doch in jenen Tagen berühmt war, welche die Ayleiden in der Nacht gestohlen hatten, zweitausend Hände, die er in einem Wagen aus Dämonenknochen zurückbrachte, dessen Rädern der Klang von unglücklichen Frauen hinterherwehte [Text verloren]... Und nach dem ersten Pogrom, durch das die nördlichen Ländereien für die Menschen-von-'Kreath gesichert wurden, stand er, sein weißes Haar braun von Elfenblut, an der Brücke von Heldon, wohin Perrifs Falkner die Nord bestellt hatten. Und als sie ihn sahen, sagten sie, dass Shor zurückgekehrt sei, doch er spuckte ihnen vor die Füße, da sie jenen Namen geschändet hätten. Er führte sie trotzdem ins Herz des Hinterlandes im Westen, um die Ayleiden nach innen zu treiben, auf den Weißgoldturm zu, in einem langsam weichenden Kreis, der die Macht der plötzlichen Freiheit der Menschen nicht verstehen konnte, oder welche Racheidee diese brachte. Sein Streitkolben zerschmetterte die Donnerkeile, die Umaril sandte, um die Rebellen auf ihrem langen Marsch zurück nach Süden und Osten zu plagen, und trug Morihaus-Atem-der-Kyne zu Zuathas, dem klug schneidenden Mann (einem Nede mit einem Keptu-Namen), damit er ihn heile, als der Stier unter einem Hagel von Vogelschnäbeln gefallen war. Und beim Rat von Skiffs, als alle Armeen Paravanias und alle Nord vor Furcht vor dem Sturm auf den Weiß-Goldenen zitterten, so sehr, dass Al-Esh selbst zum Warten riet, wurde Pelinal natürlich wütend und belegte Umaril mit Schimpfnamen, und ebenso alle die Feiglinge, die er um sich herum zu sehen glaubte, und dann stürmte er ganz allein auf den Turm zu, denn Pelinal handelte häufig unbedacht.


    Kapitel 5: Zu seiner Liebe zu Morihaus
    Es ist die absolute Wahrheit, dass Morihaus der Sohn Kynes war, doch ob Pelinal tatsächlich der Shezarrine war, bleibt am besten ungesagt (denn einst sagte dies Plontinu, der das Kurzschwert bevorzugte, und in jener Nacht wurde er von Motten erstickt). Es ist jedoch überall bekannt, dass die beiden einander als Verwandten bezeichneten, wobei Morihaus der Geringere war, und dass Pelinal ihn liebte und Neffe nannte, doch dabei kann es sich um Grillen der Unsterblichen handeln. Niemals gab Pelinal Morihaus Ratschläge in Kriegszeiten, denn der Mann-Stier kämpfte großartig und führte seine Mannen gut, und verfiel niemals dem Wahnsinn. Doch Weißplanke warnte ihn vor seiner zunehmenden Liebe zu Perrif. "Wir sind 'Ada, Mor, und verändern die Dinge durch Liebe. Wir müssen vorsichtig sein, damit wir keine weiteren Ungeheuer auf dieser Erde zeugen. Wenn du nicht ablässt, wird sie sich in dich verlieben, und dann werdet ihr ganz Cyrod verändern." Und daraufhin wurde der Stier scheu, denn er war nun mal ein Stier und hielt seine Gestalt immer für zu hässlich für die Parvania, besonders wenn sie sich für ihn entkleidete. Er schnaubte jedoch und schüttelte seinen Nasenring im Licht des Secunda-Mondes und sprach: "Sie ist wie dieses Licht auf meinem Nasenring hier: manchmal ein Zufall, doch wann immer ich meinen Kopf in der Nacht bewege, ist sie da. Und daher weißt du, dass das, um das du mich bittest, unmöglich ist."



    Kapitel 6: Zu seinem Wahnsinn

    Und es wird gesagt, dass er wie ein Padomay-Sprössling auf die Welt kam, das heißt, geboren von Sithis und all den Mächten der Veränderung darin. Andere, wie Fifd von Neu-Teed, sagten, dass unter der Sternenrüstung Pelinals eine Brust verborgen war, die klaffte und kein Herz offenbarte, nur einen roten Zorn, wie ein Diamant geformt, singend wie ein unbeseelter Drache, und dass dies Beweis sei, dass er ein Mythenecho war, und dass in seinen Fußspuren Formen des ersten Drängens lagen. Pelinal gefiel dies überhaupt nicht, und er tötete alle, die Götterlogik diskutieren wollten, mit Ausnahme der schönen Perrif, die, wie er sagte, "eher darstellt als spricht, denn Sprache ohne Anstrengung ist totes Zeugnis." Als die Soldaten, die ihn dies sagen hörten, verständnislos blickten, lachte er und schwang sein Schwert, rannte hinaus in Kynes Regen, um die Ayleiden-Gefangenen zu morden, und schrie: "O Aka, um unseres gemeinsamen Wahnsinns willen tue ich dies! Ich schaue zu, wie du mir beim Zurückschauen zuschaust! Umaril wagt es, uns herauszufordern, denn so weit haben wir ihn gebracht!" Und es geschah während dieser Anfälle von Wut und Unsinnigkeit, dass Pelinal dem Wahnsinn verfallen konnte, in dem ganze Landstriche im göttlichen Wüten verschlungen und zur Leere wurden, und Alessia musste zu den Göttern um ihren Beistand beten, und diese reichten zu einem Geist vereint herunter und besänftigten Weißplanke, bis er nicht mehr willens war, die gesamte Erde zu töten. Und Garid von den Menschen-von-Ge erlebte einst solch einen Wahnsinn aus der Ferne mit und brachte es, nachdem der Anfall abgeklungen war, fertig, mit Pelinal zu trinken, und er fragte, wie sich ein solches Gebrechen anfühle, worauf Pelinal nur antworten konnte: "Als ob der Traum seinen Träumer nicht mehr braucht."


    Kapitel 7: Zu seiner Schlacht mit Umaril und Seiner Zerstückelung


    Und nach so vielen Gefechten gegen Umarils Verbündete, als tote Auroraner wie Kerzenlicht um den Thron herumlagen, wurde Pelinal von den letzten Ayleiden-Hexerkönigen und ihren Dämonen umzingelt, ein jeder schwer von Varlianz. Weißplanke spaltete den Boden mit seinem Streitkolben, und sie wichen zurück, und er sprach: "Bringt mir Umaril, der mich herausgefordert hat!" ... Und obwohl er im Aussehen mächtig und böse war, zog der todlos-goldene Umaril das Verderben-aus-der-Ferne dem Nahkampf vor, und so verweilte er im Schatten des weißen Turms, bevor er vortrat. Mehr Soldaten wurden gegen Pelinal ausgeschickt, um zu sterben, und doch waren sie in der Lage, seine Rüstung mit ihren Äxten und Pfeilen zu durchbohren, denn Umaril hatte diese alle mit langer Varlianz geschaffen, die er gehortet hatte seit der ersten Übermittlung seiner Herausforderung.... Bald darauf zeigte sich der Halbelfe gebadet in Meridias Licht... und er listete seine Blutlinie im Ayleidoon auf und sprach von seinem Vater, einem Gott des Weltflusses des vorherigen Kalpas, und fand großes Vergnügen am mühsamen Atem Pelinals, der endlich geblutet hatte... [Text verloren] ... Und Umaril wurde niedergestreckt, das Engelsantlitz seines Helms verbeult zu einer Hässlichkeit, die Pelinal zum Lachen reizte, und seine ungefiederten Flügel abgebrochen durch Schwerthiebe, während Pelinal schäumend... über ihm stand und seine Ahnen und alle anderen verhöhnte, die von Alt-Ehlnofey in See stachen, was die anderen Elfenkönige verärgerte und in ihren eigenen Wahnsinn versetzte... und sie stürzten sich auf ihn sprechend zu ihren Waffen... sie zerstückelten Pelinal in acht Teile, während er vor Verwirrung brüllte was sogar der Rat von Skiffs hören konnte... [Text verloren] ...rannte, als Mor den gesamten Turm mit mächtigen Stößen seiner Hörner zum Beben brachte am nächsten Morgen, und einige wurden im Überfluss erschlagen bei dieser Eroberung, und Menschen suchten nach mehr Ayleiden, um sie zu töten, doch Pelinal hatte keine übrig gelassen außer jenen Königen und Dämonen, die sich bereits zur Flucht gewandt hatten... Es war Morihaus, der das Haupt des Weißplanke fand, das die Könige zurückgelassen hatten, um ihre Taten zu beweisen, und sie sprachen miteinander, und Pelinal verlieh seinem Bedauern Ausdruck... doch die Rebellion hatte sich sowieso gewendet... und mehr Worte wurden zwischen diesen Unsterblichen gewechselt, die selbst Paravant nicht zu hören geruhte.


    Kapitel 8: Zu seiner Offenbarung beim Tode von Al-Esh

    "... und verließ dich, um Kraft zu sammeln mit meiner anderen Hälfte, die dadurch Licht verleihen wird der sterblichen Idee, die den Göttern große Freude bringt, das heißt, der Freiheit, die selbst die Himmel nicht wirklich kennen, aus welchem Grund unser Vater, der... [Text verloren]... in jenen ersten [Tagen/Geistern/Wirbeln] vor der Zusammenkunft... das, was wir in unserem irdischen Wahnsinn nachahmten. [Wir wollen] dich nun auffahren lassen. Wir zeigen unser wahres Antlitz... die einander im Vergessen in jeder Ära aufessen."




    Ende
    Geändert von TiberSeptim (18.04.2012 um 15:37 Uhr)

  6. #6
    Die Zehn Gebote der Neun Göttlichen

    Möge euch durch die Fürsprache von St. Alessia Gnade gewährt werden, und möget ihr von der aus der Gnade entspringenden Kraft und Weisheit so erfüllt werden, dass ihr durch diese Lehren zur wahren Kenntnis der Neun Göttlichen und ihres Ruhms gelangt. Der menschliche Geist kann nicht alle mannigfaltigen Subtilitäten der Wahrheit und der Tugend erfassen, und wären die Meere aus Tinte und der Himel das Pergament, auf dem die Weisheiten der Götter geschrieben stehen. Und doch, im Wissen, wie ungeduldig der Mensch ist und wie ungern er auf den schweren Pfaden der Wahrheit wandelt, hat Akatosh in Seiner Weisheit erlaubt, dass diese zehn einfachen Gebote mit mächtiger Klarheit und genauer Definition offenbart werden.[


    1. Stendarr sagt: Seid freundlich und großzügig zu den Leuten von Tanriel. Beschützt die Schwachen, heilt die Kranken und gebt den Armen.
    2. Arkay sagt: Ehret die Erde, ihre Wesen sowie die Geister, lebend und tot. Verteidigt und hütet die Gaben der irdischen Welt und entweiht nicht die Geister der Toten.
    3. Mara sagt: Lebt besonnen und friedlich. Ehret eure Eltern und bewahrt den Frieden und die Sicherheit des Hauses und der Familie.
    4. Zenithar sagt: Arbeitet hart, dann werdet ihr belohnt. Gebt euer Geld weise aus, dann werdet ihr bequem davon leben können. Stehlt niemals, sonst werdet ihr bestraft.
    5. Talos sagt: Stärkt euch für den Krieg. Begegnet Feinden und Verderbtheit mit Mut und verteidigt das Volk von Tamriel.
    6. Kynareth sagt: Gebraucht die Geschenke der Natur mit Klugheit. Respektiert ihre Macht und fürchtet euch vor ihrem Zorn.
    7. Dibella sagt: Öffnet euer Herz für die edlen Geheimnisse der Kunst und der Liebe. Würdigt das Geschenk der Freundschaft. Sucht Freude und Inspiration in den Mysterien der Liebe.
    8. Julianos sagt: Erkennt die Wahrheit. Beachtet das Gesetz. Sucht im Zweifelsfall Rat von den Weisen.
    9. Akatosh sagt: Dient und gehorcht eurem Kaiser. Studiert die Bünde. Betet die Neun an, tut eure Pflicht, und beachtet die Weisungen der Heiligen und der Priester.
    10. Die Neun sagen: Seid vor allem gut zu einander.



    Würde nur ein jeder in den Spiegel dieser Gebote blicken und dort die Seligkeit erkennen, die sich aus den Geboten ergibt, wenn man sie streng befolgt, so wäre er niedergeschlagen und reuevoll und bescheiden. Leichtfertig wendet sich der törichte Mensch ab, verzichtet auf die einfachen Weisheiten, die ihm durch die allweisen und allwissenden Neun gewährt werden, und lebt in Sünde und Unwissenheit alle Tage seines Lebens.
    Geändert von TiberSeptim (20.04.2012 um 16:13 Uhr)

  7. #7
    Aevar Steinsang



    "Sitz still, Kind, und lausche, denn was ich dir nun erzähle, ist eine Geschichte aus alter Zeit."


    "Worum geht es denn, Großvater? Handelt die Geschichte von Helden und wilden Bestien?


    Der Großvater betrachtete das Kind voller Geduld. Der Knabe wuchs prächtig heran. Bald würde er den Wert solcher Geschichten erkennen - die darin enthaltenen Lehren, die an jede Generation weitergegeben wurden.
    "Hör einfach zu, Kind. Lass die Geschichte in deinem Herzen Wurzeln schlagen."

    In einer längst vergangenen Zeit, als die Skaal noch jung waren, herrschte Frieden im Land. Die Sonne schien, die Früchte auf den Feldern gediehen, und die Menschen lebten glücklich in dem Frieden, den ihnen der Große Schöpfer beschert hatte. Doch mit der Zeit wurden die Skaal selbstgefällig und faul und nahmen das Land und all die Gaben, die ihnen der Große Schöpfer geschenkt hatte, als selbstverständlich hin. Sie vergaßen oder verdrängten den Gedanken, dass der Widersacher immer lauert und Freude daran hat, den Großen Schöpfer und sein auserwähltes Volk zu quälen. Und so geschah es, dass der Widersacher zu den Skaal kam.


    Der Widersacher hat viele Gestalten. Er erscheint in den unheiligen Bestien und der unheilbaren Seuche. Am Ende aller Zeiten wird er uns als Thartaag den Weltenverschlinger begegnen. Aber in jenen Zeiten war er asl der Gierige Mann bekannt.


    Der Gierige Mann (so nennen wir ihn, weil seinen wahren Namen auszusprechen Unheil über das Volk bringen würde) lebte viele Monate unter den Skaal. Vielleicht war er einst ein ganz normaler Mann, aber als der Widersacher in ihn eindrang, wurde er zum Gierigen Mann, und als dieser lebt er in der Erinnerung fort.


    Eines Tages begab es sich, dass die Skaal ihre Kräfte verloren. Die Kraft verschwand aus den Armen der Krieger, und der Schamane konnte nicht länger die Tiere an ihre Seite rufen. Die Stammesältesten waren überzeugt, dass der Große Schöpfer verärgert sein musste, während andere behaupteten, der Große Schöpfer habe sie für immer verlassen. Da trat der Gierige Mann vor sie und sprach.

    "Das Volk der Skaal ist faul und fett geworden. Ich habe die Geschenke des Großen Schöpfers gestohlen. Ich habe die Meere gestohlen, auf dass ihr für immer dürstet. Ich habe das Land und die Bäume und die Sonne gestohlen, auf dass eure Feldfrüchte verdorren. Ich habe die Tiere gestohlen, auf dass ihr Hunger leidet. Und ich habe den Wind gestohlen, auf dass ihr ohne den Geist des Großen Schöpfers leben müsst.


    Und bis einer von euch diese Geschenke zurückgewinnen kann, werden die Skaal in Not und Verzweiflung leben. Denn ich bin der Gierige Mann, und solcherart ist meine Natur."


    Und damit verschwand der Gierige Mann.


    Die Skaal berieten viele Tage und Nächte. Sie wussten, dass einer von ihnen die Geschenke des Großen Schöpfers zurückholen musste, konnten sich aber nicht einigen, wer dies nun sein sollte.


    "Ich kann nicht gehen", sagte der Stammesälteste, "denn ich muss bleiben, um die Skaal zu führen und unserem Volk zu sagen, was das Gesetz ist."


    "Ich kann nicht gehen", sagte der Krieger, "denn ich muss die Skaal beschützen. Mein Schwert wird für den Fall gebraucht, dass der Gierige Mann zurückkehrt."


    "Ich kann nicht gehen", sagte der Schamane, "denn das Volk braucht meine Weisheit. Ich muss die Zeichen deuten und mein Wissen weitergeben."


    Da erhob ein junger Mann namens Aevar seine Stimme. Obwohl er noch kein Krieger der Skaal war, besaß er kräftige Arme und schnelle Füße.


    "Ich werde gehen", sagte Aevar. Die Skaal lachten.

    "Lasst mich ausreden", fuhr der Jüngling fort. "Ich bin noch kein Krieger, also wird euch mein Schwert nicht fehlen. Ich kann die Zeichen nicht deuten, also wird das Volk mich nicht um Rat ersuchen. Und ich bin jung und in den Fragen des Gesetzes noch unkundig. Ich werde die Geschenke des Großen Schöpfers vom Gierigen Mann zurückholen. Wenn mir das nicht gelingt, wird man mich nicht vermissen."


    Die Skaal dachten kurz darüber nach und beschlossen, Aevar gehen zu lassen. Er verließ das Dorf am nächsten Morgen, um die Gaben zurückzugewinnen.


    Aevar nahm sich zuerst vor, das Geschenk des Wassers zurückzuholen, also wanderte er zum Wasserstein. Dort geschah es, dass der Große Schöpfer das erste Mal zu ihm sprach.

    "Wandere nach Westen zum Meer und folge dem Schwimmer zum Wasser des Lebens."


    Und so wanderte Aevar an das Ufer des Meeres und dort war der Schwimmer, ein Schwarzer Horker, vom Großen Schöpfer entsandt. Der Schwimmer tauchte in die Wellen und schwamm sehr weit, und dann noch weiter. Doch Aevar war stark und schwamm unverdrossen hinterher. Er folgte dem Schwimmer in eine Höhle und tauchte tiefer und tiefer, bis seine Lungen brannten und die Kraft seiner Gliedmaßen schwand. Schließlich fand er eine Luftblase und dort, im Dunkeln, befand sich das Wasser des Lebens. Er nahm seine letzte Kraft zusammen, ergriff das Wasser und schwamm zurück ans Ufer.


    Als er zum Wasserstein zurückkehrte, sprach der Große Schöpfer: "Du hast das Geschenk des Wassers für die Skaal zurückgewonnen. Die Meere werden wieder fruchtbar sein, und euer Durst wird gestillt werden."


    Dann wanderte Aevar zum Erdstein, und dort sprach der Große Schöpfer erneut zu ihm.

    "Betritt die Grotte der verborgenen Musik und lausche dem Lied der Erde."


    Also ging Aevar nach Norden und Osten zur Grotte der verborgenen Musik. Er fand sich in einer riesigen Höhle wieder, in der Felsen von der Decke hingen und selbst aus dem Boden wuchsen. Dort lauschte er und hörte das Lied der Erde, aber es war nur schwach. Er nahm seine Keule und schlug die Felsen auf dem Boden im Rhythmus der Musik, und das Lied wurde lauter, bis es die Höhle und sein Herz erfüllte. Dann kehrte er zum Erdstein zurück.


    "Das Geschenk der Erde ist wieder zu den Skaal zurückgekehrt", sagte der Große Schöpfer. "Die Böden sind wieder reich und werden Leben hervorbringen."

    Aevar war müde, denn in der glühenden Sonne gab es keine Bäume, die ihm Schatten boten und keinen Wind, der ihn kühlte. Dennoch reiste er zum Tierstein und der Große Schöpfer sprach:

    "Finde das Gute Tier und lindere sein Leiden."


    Aevar wanderte viele Stunden durch die Wälder von Isinfier, bis er jenseits eines Hügels das Schmerzgebrüll eines Bären vernahm. Als er den Hügel erklommen hatte, sah er den Bären, in dessen Hals der Pfeil eines Falmers steckte. Er suchte den Wald nach Falmern ab (denn das waren sie, auch wenn manche das Gegenteil behaupten), und als er keinen entdeckte, ging er auf das Tier zu. Er sprach beruhigende Worte und näherte sich ihm langsam mit den Worten "Gutes Tier, ich will dir nichts tun. Der Große Schöpfer hat mich gesandt, dein Leid zu lindern."



    Als der Bär diese Worte vernahm, hörte er auf, sich zu winden und legte seinen Kopf Aevar zu Füßen. Aevar packte den Pfeil und zog ihn aus dem Hals des Bären. Mit dem Wenigen an Naturmagie, das er kannte, versorgte Aevar die Verletzung, obwohl es ihn seine letzte Kraft kostete. Als die Wunde des Bären sich schloss, schlief Aevar ein.


    Als er aufwachte, stand der Bär über ihm. Um ihn am Boden verstreut lagen die Überreste mehrerer Falmer. Das Gute Tier hatte ihn während der Nacht beschützt. Er wanderte zurück zum Tierstein, mit dem Bären an seiner Seite, und der Große Schöpfer sprach wieder zu ihm.


    "Du hast das Geschenk der Tiere zurückgebracht. Nun werden die guten Tiere die Skaal wieder ernähren, wenn sie hungrig sind, kleiden, wenn sie frieren, und in Zeiten der Not beschützen."


    Inzwischen war Aevar wieder bei Kräften, und so wanderte er zum Baumstein. Das Gute Tier folgte ihm jedoch nicht. Als er dort ankam, sprach der Große Schöpfer zu ihm.


    "Die Ersten Bäume sind fort und müssen neu gepflanzt werden. Finde den Samen und pflanze den Ersten Baum."


    Wieder wanderte Aevar durch den Hirstaang-Wald, auf der Suche nach den Samen des Ersten Baumes, aber er konnte keine finden. Da sprach er zu den Baumgeistern, den lebenden Bäumen. Sie verrieten ihm, dass einer der Falmer die Samen gestohlen hatte (denn die Falmer sind Diener des Widersachers), und dass dieser sie tief im Wald versteckt hatte, so dass niemand sie jemals finden würde.

    Aevar begab sich in die tiefsten Tiefen des Waldes. Dort fand er den bösen Falmer, umringt von den Niederen Baumgeistern. Aevar erkannte, dass die Geister in seinem Bann waren, und dass er die Magie der Samen benutzt und ihren geheimen Namen ausgesprochen hatte. Aevar wusste, dass er gegen eine solche Macht nichts ausrichten konnte. Er würde die Samen heimlich zurückholen müssen.

    Aevar griff in seinen Beutel und holte einen Feuerstein heraus. Er sammelte Blätter und entzündete außerhalb der Lichtung, in der sich der Falmer und die behexten Geister befanden, ein kleines Feuer. Alle Skaal wissen, wie sehr die Geister das Feuer hassen, da seine Flammen die Bäume vernichten, denen sie dienen. Die Natur der Geister gewann sofort die Überhand und sie stürmten los, um die Flammen zu ersticken. In dem Durcheinander schlich sich Aevar hinter den Falmer, schnappte sich den Beutel mit den Samen und stahl sich davon, noch ehe das böse Wesen ihr Fehlen bemerkt hatte.

    Als Aevar zum Baumstein zurückkehrte, pflanzte er den Baum in den Boden, und der Große Schöpfer sprach zu ihm.

    "Das Geschenk der Bäume ist zurückgegeben. Die Bäume und Pflanzen werden wieder blühen und gedeihen und Nahrung und Schatten spenden."

    Aevar war erschöpft, da die Sonne unablässig brannte und immer noch kein Wind wehte, um ihn zu kühlen, aber er rastete nur kurz im Schatten der Bäume. Seine Beine waren müde und die Augen schwer, doch er setzte seinen Weg fort und wanderte zum Sonnenstein. Wieder sprach der Große Schöpfer.

    "Die sanfte Wärme der Sonne wurde gestohlen, so dass sie jetzt nur noch brennt. Befreie die Sonne aus den Hallen von Penumbra."

    Und so wanderte Aevar nach Westen über das gefrorene Land, bis er die Hallen von Penumbra erreichte. Die Luft im Inneren war stickig und schwer, und er konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Dessen ungeachtet ertastete er sich seinen Weg entlang der Wände, obwohl er das Schlurfen von Schritten hörte und wusste, dass an diesem Ort unheiligen Bestien wohnten, die sein Fleisch zerreißen und seine Knochen verzehren würden. Stundenlang arbeitete er sich vorwärts, bis er am Ende der Halle ein schwaches Leuchten erblickte.


    Dort erstralhlte hinter einer Wand aus blankem Eis ein Licht, so hell, dass er die Augen schließen musste, um nicht für immer zu erblinden. Er entriss einer der unheiligen Bestien ihr flammendes Auge und schleuderte es mit aller Kraft gegen die Eiswand. Darin bildete sich ein schmaler Riss, der immer größer wurde. Langsam kroch das Licht zwischen den Spalten hervor, vergrößerte sie, und ließ die Eiswand schließlich zerbersten. Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerbrach die Wand in tausend Stücke, und Aevar und die Hallen wurden von Licht überflutet. Er hörte die schrillen Schreie der Unheiligen Bestien, die geblendet wurden und verbrannten. Er rannte aus den Hallen, dem Licht folgend, und brach draußen auf dem Boden zusammen.

    Als er wieder in der Lage war aufzustehen, wärmte die Sonne ihn wieder und darüber war er froh. Er kehrte zurück zum Sonnenstein, wo der Große Schöpfer erneut zu ihm sprach.


    "Das Geschenk der Sonne ist zu den Skaal zurückgekehrt. Sie wird sie wärmen und ihnen Licht spenden."


    Aevar musste jetzt nur noch eine letzte Gabe zurückbringen, das Geschenk der Winde, und so reiste er zum Windstein, weit an der westlichen Küste der Insel. Als er dort ankam, sprach der Große Schöpfer zu ihm und gab ihm seinen letzten Auftrag.

    "Finde den Gierigen Mann und befreie den Wind aus seiner Gefangenschaft."

    Also durchwanderte Aevar das Land auf der Suche nach dem Gierigen Mann. Er schaute in den Bäumen nach, aber dort war der Gierige Mann nicht verborgen. Und auch nicht am Meeresufer oder in den tiefen Höhlen, und auch die Tiere hatten ihn in den dunklen Wäldern nicht gesehen. Schließlich kam Aevar zu einem schiefen Haus und wusste, dass er den Gierigen Mann dort finden würde.

    "Wer bist du", rief der Gierige Mann, "dass du zu meinem Haus kommst?"


    "Ich bin Aevar von den Skaal", sagte Aevar. "Ich bin weder Krieger noch Stammesältester, noch Schamane. Wenn ich nicht zurückkehre, wird man mich nicht vermissen. Aber ich habe das Meer, das Land, die Bäume, die Tiere und die Sonne zurückgebracht und ich werde meinem Volk auch den Wind wiederbringen, auf dass wir den Geist des Großen Schöpfers wieder in unseren Seelen spüren mögen."


    Und mit diesen Worten ergriff er den Beutel des Gierigen Mannes und riss ihn auf. Die Winde fegten mit der Macht eines Orkans aus dem Beutel, hoben den Gierigen Mann in die Luft und trugen ihn fort, weit weg von der Insel. Aevar atmete den Wind ein und war froh. Er wanderte zurück zum Windstein, wo der Große Schöpfer ein letztes Mal zu ihm sprach.


    "Du hast deine Sache gut gemacht, Aevar. Du, der Geringste unter den Skaal, hast ihnen meine Geschenke zurückgebracht. Der Gierige Mann ist erst einmal verschwunden und dürfte dein Volk während deiner Lebenszeit nicht noch einmal belästigen. Dein Großer Schöpfer ist zufrieden. Geh jetzt hinund lebe, wie es deiner Natur entspricht."

    Und Aevar machte sich auf den Weg zurück ins Dorf der Skaal.




    "Und was geschah dann, Großvater?"

    "Was meinst du denn, Kind? Er kehrte heim."

    "Nein nein, als er ins Dorf zurückgekehrt war", fuhr das Kind fort. "Wurde er zum Krieger gemacht? Oder lehrte man ihn den Weg des Schamanen? Führte er die Skaal in die Schlacht?"

    "Das weiß ich nicht; die Geschichte ist dort zu Ende", sagte der Großvater.

    "Aber das ist doch kein Schluss! So hören Geschichten nicht auf!"

    Der alte Mann lachte und erhob sich von seinem Stuhl.

    "Ach nein?"
    Geändert von TiberSeptim (20.04.2012 um 16:13 Uhr)

  8. #8
    Unsterbliches Blut

    von Anonymus

    Die Monde und Sterne waren vor den Blicken verborgen, was diese bestimmte Nacht besonders dunkel machte. Die Stadtwache musste Fackeln tragen, um ihre Runden zu machen, doch der Mann, der meine Kapelle besuchte, trug kein Licht bei sich. Ich sollte lernen, dass Movarth Piquine im Dunkeln fast ebenso gut wie bei Licht sehen konnte - eine hervorragende Gabe, wenn man bedenkt, dass seine Interessen beinahe ausschließlich nächtlich waren.
    Einer meiner Schüler brachte ihn zu mir, und bei seinem Anblick dachte ich zunächst, er bedürfe der Heilung. Er war so blass, dass er beinahe schimmerte, und sein Gesicht sah aus, als sei es sehr schön gewesen, bevor ihn unaussprechliches Leid befiel. Die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten von Erschöpfung, doch die Augen selbst waren wachsam, eindringlich, fast wahnsinnig.
    Rasch wischte er meine Vermutung, er sei krank, beiseite, doch er wollte eine bestimmte Krankheit diskutieren.
    "Vampirismus", sagte er und hielt dann bei meinem fragenden Blick inne. "Mir wurde gesagt, dass Ihr mir helfen könntet, ihn zu verstehen." "Wer hat Euch das gesagt?" fragte ich mit einem Lächeln."Tissina Gray."Ich erinnerte mich sofort an sie. Eine tapfere, schöne Ritterin, die meine Hilfe brauchte, um beim Thema Vampir Tatsachen von Legenden zu trennen. Das war vor zwei Jahren gewesen, und ich hatte nie erfahren, ob mein Rat sich als wirksam erwies.
    "Ihr habt mit ihr gesprochen? Wie geht es der Lady?" fragte ich.
    "Sie ist tot", antwortete Movarth kühl und setzte hinzu, vielleicht als Trost, als er meinen Schock sah: "Sie sagte, Euer Rat wäre unschätzbar gewesen, wenigstens für den einen Vampir. Als ich das letzte Mal mit ihr sprach, war sie einem anderen auf der Spur. Der brachte sie um." "Dann war der Rat, den ich ihr gab, unzureichend", seufzte ich. "Warum glaubt Ihr, dass er für Euch genügt?"
    "Ich war einst selbst ein Lehrer, vor Jahren", sagte er. "Nicht an einer Universität. Ich war Trainer in der Kämpfergilde. Doch ich weiß, dass, wenn ein Schüler nicht die richtigen Fragen stellt, der Lehrer nicht für sein Versagen verantwortlich sein kann. Ich beabsichtige, Euch die richtigen Fragen zu stellen."
    Und das tat er. Stundenlang stellte er Fragen, und ich beantwortete sie, so gut ich konnte, doch er gab freiwillig nichts über sich preis. Er lächelte niemals. Er studierte mich nur mit seinen eindringlichen Augen und merkte sich jedes meiner Worte.

    Schließlich drehte ich den Spieß um. "Ihr sagtet, Ihr wart Trainer in der Kämpfergilde. Seid Ihr in deren Auftrag unterwegs?"
    "Nein", sagte er kurz angebunden, und endlich konnte ich eine gewisse Müdigkeit in seinen so fiebrigen Augen entdecken. "Ich würde dies gern morgen Abend fortsetzen, wenn es Euch recht ist. Ich muss schlafen und alles verarbeiten."
    "Ihr schlaft am Tag", lächelte ich.
    Zu meiner Überraschung erwiderte er das Lächeln, obwohl es eher eine Grimasse war. "Bei der Verfolgung seiner Beute nimmt man ihre Gewohnheiten an."

    Am nächsten Tag kehrte er mit weiteren Fragen zurück, und diese waren höchst spezifisch. Er wollte alles über die Vampire von Ost-Skyrim wissen. Ich erzählte ihm vom mächtigsten Stamm, den Volkihar, paranoid und grausam, deren bloßer Atem ihren Opfern das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Ich erklärte ihm, dass sie unter dem Eis abgelegener und verfluchter Seen lebten und sich niemals in die Welt der Menschen hinauswagten, außer um sich zu nähren.
    Movarth Piquine lauschte aufmerksam und stellte weitere Fragen bis weit in die Nacht hinein, bis er endlich bereit war zu gehen.

    "Ich werde Euch ein paar Tage lang nicht besuchen", sagte er. "Doch ich werde zurückkehren und Euch erzählen, wie nützlich Euer Rat war."Getreu seinen Worten kehrte der Mann vier Tage später kurz nach Mitternacht in meine Kapelle zurück. Er hatte eine frische Narbe auf der Wange, aber er lächelte sein grimmiges, doch zufriedenes Lächeln.

    "Euer Rat hat mir sehr geholfen", sagte er. "Doch Ihr müsst wissen, dass die Volkihar eine zusätzliche Fähigkeit besitzen, die Ihr nicht erwähnt habt. Sie können durch das Eis ihrer Seen hindurchgreifen, ohne es zu brechen. Das war eine recht böse Überraschung, so ohne Warnung von unten gepackt zu werden."
    "Wie bemerkenswert", sagte ich mit einem Lachen. "Und wie schrecklich. Ihr habt Glück gehabt, dass Ihr überlebtet."

    "Ich glaube nicht an Glück. Ich glaube an Wissen und Training. Eure Informationen halfen mir, und mein Geschick im Nahkampf besiegelte das Schicksal des Blutsaugers. Ich habe noch nie an Waffen irgendeiner Art geglaubt. Zu viele unbekannte Faktoren. Selbst der beste Schwertschmied hat schon einmal eine fehlerhafte Klinge erschaffen, doch man weiß immer, was der eigene Körper leisten kann. Ich weiß, dass ich tausend Hiebe austeilen kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, vorausgesetzt ich kann als Erster zuschlagen."
    "Als Erster?" murmelte ich. "Das heißt, dass Ihr Euch niemals überraschen lassen dürft."
    "Aus diesem Grund kam ich zu Euch", sagte Movarth. "Ihr wisst mehr als jede andere lebende Person über diese Ungeheuer in all ihren verwünschten Abarten im ganzen Land. Und nun müsst Ihr mir von den Vampiren von Nord-Valenwald erzählen."
    Ich tat, um was er mich gebeten hatte, und erneut stellten seine Fragen mein Wissen auf die Probe. Es gab viele Stämme, die behandelt werden mussten. Die Bonsamu, die man nicht von den Bosmer unterscheiden konnte, außer man sah sie bei Kerzenlicht. Die Keerilth, die sich in Nebel auflösen konnten. Die Yekef, die Menschen in einem Stück verschlangen. Die fürchterlichen Telboth, die Kindern nachstellten, schließlich deren Platz in der Familie einnahmen und jahrelang geduldig warteten, bis sie in ihrem unnatürlichen Hunger alle töteten.
    Erneut verabschiedete er sich von mir und versprach, in einigen Wochen zurückzukehren, und wieder kam er zurück, wie er es gesagt hatte, kurz nach Mitternacht. Diesmal hatte Movarth keine neuen Narben, doch wiederum hatte er neue Informationen.
    "Es stimmt gar nicht, dass die Keerilth sich nicht in Dampf auflösen können, wenn man sie unter Wasser drückt", sagte er und klopfte mir liebevoll auf die Schulter. "Zum Glück können sie in ihrer Nebelform nicht weit kommen, und ich war in der Lage, ihn aufzuspüren."
    "Das muss ihn gewaltig überrascht haben. Eure praktischen Kenntnisse werden immer umfassender", sagte ich. "Einen Schüler wie Euch hätte ich vor Jahrzehnten haben sollen."
    "Und nun erzählt mir", sagte er, "von den Vampiren von Cyrodiil."
    Ich erzählte ihm, was ich konnte. Es gab nur einen Stamm in Cyrodiil, einen mächtigen Clan, der alle anderen Konkurrenten vertrieben hatte, ganz so wie die Kaiserlichen selbst es getan hatten. Ihr wahrer Name war unbekannt, verloren in der Geschichte, doch sie waren Meister der Tarnung. Solange sie sich gut ernährten, waren sie von lebenden Personen nicht zu unterscheiden. Sie waren kultiviert, zivilisierter als die Vampire der Provinzen, und zogen es vor, sich von Opfern zu ernähren, die schliefen und es nicht bemerkten.
    "Es wird schwierig sein, sie zu überraschen", sagte Movarth stirnrunzelnd. "Doch ich werde einen aufspüren und Euch mitteilen, was ich lerne. Und danach werdet Ihr mir von den Vampiren von Hochfels und Hammerfell und Elsweyr und Schwarzmarsch und Morrowind und der Insel Summerset erzählen, nicht wahr?"
    Ich nickte im Wissen, dass dies ein Mann auf einer ewigen Suche war. Er würde sich nicht mit bloßen Hinweisen zufrieden geben. Er musste alles wissen.Er kehrte einen Monat lang nicht zurück, und in der Nacht, in der er es tat, konnte ich seine Frustration und Verzweiflung sehen, obwohl in meiner Kapelle kein Licht brannte.
    "Ich habe versagt", sagte er, während ich eine Kerze anzündete. "Ihr hattet Recht. Ich konnten nicht einen einzigen finden."
    Ich ließ das Licht auf mein Gesicht fallen und lächelte. Er war überrascht, ja völlig verblüfft von der Blässe meines Fleischs, dem dunklen Hunger in meinen alterslosen Augen, und den Zähnen. Oh ja, ich glaube, die Zähne haben den Mann, der es sich nicht leisten konnte, überrascht zu werden, ganz bestimmt überrascht.

    "Ich habe seit zweiundsiebzig Stunden nicht mehr gegessen", erklärte ich, als ich mich auf ihn stürzte. Er konnte weder als Erster zuschlagen, noch als Letzter.
    Geändert von TiberSeptim (20.04.2012 um 16:29 Uhr)

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