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Thema: Hermann Hesse - und was er so geschrieben hat

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  1. #1

    Hermann Hesse - und was er so geschrieben hat

    Ein Thread über die Literatur Hermann Hesses.
    Einmal, weil das hier das Atelier ist und wir meiner Meinung nach gern mehr über Literatur reden können, die uns interessiert, auch über "Now Reading" hinausgehend. Dann ist Hermann Hesse wohl einer der deutschen "Standard-Autoren", der in der Akademik wie auch in der Schule die breit gefächertsten Reaktionen hervorruft, und ich fände es interessant, hier mal ein paar Meinungen zu seinem Werk zu hören. Und letztendlich ist er zwar nicht mein Lieblingsautor, aber eines seiner Bücher hat mein Leben nachhaltig beeinflusst, und ich rede gern darüber.

    Ich sage schonmal "Discuss!", weil meine folgenden Ausführungen noch etwas spezifischer sind.


    Unterm Rad war grausam, wirklich. Ich musste es Gott sei Dank nicht in der Schule lesen, und ich kann mir vage vorstellen, warum das Buch gern von Schülern verteufelt wird. Ich denke, ohne Zynik, dass dieses Buch als kleine Kurzgeschichte zehnmal besser gewesen wäre - zumal sogar schon der Titel der Geschichte den Inhalt ausreichend (!!) zusammenfasst. Gibt es eigentlich ernst zu nehmende Interpretationen, die über die Aussage des Titels hinausgehen? Dass der Schreibstil lahm ist, macht die Sache nicht besser.

    Der Steppenwolf dagegen ist in meinen Augen ein ganz anderes Kaliber. Das Buch erzählt den Leidensweg eines alternden Mannes und seine Suche nach einer Heilung.
    Ich habe es zweimal gelesen, einmal mit 16 Jahren und jetzt noch einmal mit 23. Beim ersten Mal hat es meine persönliche Entwicklung um geschätzte zwei Jahre vorangetrieben, ohne dass ich auch nur ein Drittel verstanden hätte, und auch diesmal war es wieder eine atemberaubende Erfahrung.
    Aber fangen wir beim Negativen an: Der Steppenwolf beginnt zäh. Das erste Drittel ist praktisch eine einzige Charakterbeschreibung der Hauptfigur, aus verschiedenen Perspektiven, und während ich denke, dass sie durchaus sinnvoll für das Gesamtbild ist, kann ich mir vage vorstellen, wie angepisst man von diesen Seiten sein dürfte, wenn man sich nicht mit dem Protagonisten identifizieren kann. Beim zweiten Durchlauf habe ich dann auch überlegt: Hesse hätte Hermine mal lieber als "echte" zweite Protagonistin gleich zu Beginn einführen sollen, gern auch als Alter Ego in Form von Träumen oder was auch immer. Das hätte die Anzahl der "überlebenden" Leser ohne Übertreibung verdoppelt, weil ihre Problemwelt eben das andere Extrem darstellt, mit dem man sich in diesem Buch identifizieren könnte. Na ja. Die oftmals angepriesene Negativität des Werkes winke ich ab; sie wird durch das Ende des Buches zu 100% umgeworfen.
    Was mich an diesem Buch so beeindruckt, ist die Tiefe der Zerstörung, vor allem in Verbindung mit seiner Zeit. Was dieses Buch alles zerreißt, was es subtil und geschickt unwichtig macht, ist unglaublich. Als ich 16 war und mich (abgesehen von 35 Jahren Lebenserfahrung und ernsteren Suizidgedanken) ziemlich gut mit dem Steppenwolf identifizieren konnte, habe ich förmlich am eigenen Leib gespürt, wie die zunehmend offenere Welt des Buches an mir gezerrt und irgendwie alles in Frage gestellt hat. Das einzige, was ich damals wirklich bewusst kapiert habe, waren a) der Protagonist, und b) gewisse buddhistische Ansätze, aber selbst das hat schon gereicht, um so einige Zweifel und Ideen nach vorne zu drängen, die ich sonst bestimmt noch bis zum Ende der Pubertät verdrängt hätte. Heute sehe ich darin noch viel mehr, ich verstehe das Buch und habe dementsprechend noch eine Menge mehr Respekt vor Hesse. (Und nicht zu wenig Mitleid, wenn er erst 50 werden musste, um solche Probleme anzugehen... kein Wunder, dass er sich umbringen wollte, ey. ) Letztendlich kann man das Buch eine Intelektuellen-Falle nennen, im positiven Sinne. Erst schleimt es sich mit Identifikation und Sympathie beim Leser ein, das nimmt es seine Welt von innen auseinander und macht sich konstruktiv über ihn lustig. Großartig.
    Der Steppenwolf ist auch stylistisch hundertmal interessanter als Unterm Rad. Er schafft beispielsweise Atmosphäre, die über den Titel hinausgeht. Und selbst das "Tractat vom Steppenwolf" (Die Stelle, an der die meisten Leute mit Lesen aufhören ) finde ich ungemein geschickt gemacht.
    Übrigens wird gern behauptet, das Buch wäre so oft falsch verstanden worden, weil die Leser keine Ahnung von östlicher Philosophie hatten. Das ist Bullshit, aber so richtig. Man muss nix vom Weg der Mitte wissen, um das Buch zu verstehen, es ist zwar offensichtlich davon beeinflusst, aber selbst unter psychologischen Gesichtspunkten ganz ohne Religion einwandfrei lesbar. Für jegliches Missverständnis dieses Buches mache ich selektive Wahrnehmung verantwortlich, und (um die Schuld nicht ganz beim Leser zu lassen) das Mindfuck-Ende, das doch noch für die ein oder andere Interpretation offen ist.

    Geändert von La Cipolla (17.12.2010 um 19:57 Uhr)

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