Ich muss deinen Beitrag jetzt mal ein bisschen zerpflücken, Ranmaru, um alle Gedankenstränge irgendwie so zu ordnen, dass man am Ende noch weiß, wie ich vom einen ins andere komme. Das liegt nicht daran, weil ich dir überall partout widersprechen will, sondern daran, dass deine Ansätze sich total klasse zum Weiterdenken eignen.
Ich weiß nicht genau, ob jemandem die Reihe besser gefallen würde, wenn das Vampirbild traditioneller gehalten wäre. Abgesehen davon hätte es darum dann auch nicht so einen großen Hype gegeben, denn dieses Bild ist einer der Faktoren, die für Erfolg sorgen.
Machen wir uns da überhaupt nichts vor, das fährt eine übelst psychologische Schiene mit uralten Geschlechterkonflikten: Warum ist denn das Vampirbild hier so verquer? Genau, weil der Vampir impotent ist. Komplett kastriert, dieses mächtige Wesen, das den Tod symbolisiert. Und der Shapeshifter-Wolf? Handzahm, trotz seiner Gewalt. Völlige Domestikation. Ich muss zugeben, ich kann verstehen, was weibliche Teenager daran reizt, und größtenteils ein männliches Publikum abstößt: Eben die völlige Kastration des Mannes. Soetwas wäre bis vor ein paar Jahren gar nicht möglich gewesen, momentan lösen sich die Geschlechterrollen aber stark genug auf, um diese Unterdrückungsphantasien umdrehen zu können. Twilight ist wie ein chauvinistischer Porno für Frauen.
Wirklich nicht? ^^" Teenager im Alter zwischen 13 und 18? Selbstmodphantasien und die Beschäftigung mit dem Tod sind hier eigentlich völlig üblich. Und gerade seit den 80ern (oder seit den Romantikern \o/), als es fesh wurde, diese düsteren Gedanken zu zelebrieren, ist das eigentlich heftiger Teil der Jugendkultur. Eine gute Bekannte von mir meinte neulich mal eher scherzhaft: "Wir hatten doch alle mal eine Goth-Phase." -- sicher übertrieben, aber nicht ganz von der Hand zu weisen für den Großteil der Leute unserer Generationen. Buffy beispielsweise ist diesem Phänomen auch entsprungen.Zitat
Das ist sicher eine richtige Denkweise. Twilight treibt das vollkommen auf die Spitze: Wie gesagt, für mich ist das die bloße Kastration. Und das wiederum ist tatsächlich ziemlich genial. Natürlich verurteile ich das als Literaturliebhaber und greife mir an den Kopf, was die Frau mit dem Vampirmotiv macht (irgendwer meinte mal, Meyer hätte das geschafft, was Van Helsing verwehrt geblieben ist: Den Vampir endgültig zu töten.); aber rein funktionell ist es ein ziemlicher cleverer Kniff.Zitat
Und du stellst es in die Richtung auch schon ganz korrekt dar: Diese Verweichlichung hat sich prozesshaft durchgesetzt -- weder Anne Rice noch Buffy hätten derartigen Erfolg gehabt, wenn sie den Stoff nicht weiter in die Lebenswirklichkeit des Publikums gezerrt hätten. Twilight hätte auch keinen Erfolg gehabt ohne diese absolute Entmannung.
Ich glaube fast, Meyer hat von Rice Unmengen abgeschrieben. Word has it, dass sie den ersten Roman in der Mitte angefangen und dann bis zum Ende geschrieben hat, um dann nochmal zurückzugehen und den Anfang bis zum Mittelteil zu schreiben. Glaube, dabei hat sie automatisch in die Intertextualitätstrickkiste greifen müssen. Fände das allerdings auch sehr spannend, zumal es ja die Wandelerscheinung des Vampirmotivs unterstreichen würde. Sollte daran wirklich gehobenes Interesse bestehen: Ich habe dieses Semester ein Seminar besucht, dass sich mit Verwandlungsstoffen beschäftigt hat. Ich glaube mich zu erinnern, dass eine von meinen Kommilitonen genau das macht: den Wandel des Vampirmotivs untersuchen. Weiß nun nicht, wie viel das hergibt, auch nicht mehr, wer genau das war und ob sie literaturwissenschaftlich so viel taugt, aber so eine Betrachtung würde sicher nicht schaden, wenn man über Twilight sprechen möchte.Zitat
Vampirromane sind mittlerweile eine eigene Gattung ohne wirkliche Kulturerscheinung geworden. Ähnlich eben wie Groschenromane, nur mit anderem Publikum. Twilight ist sicherlich das Produkt neuerer Erscheinungen einer aufgeweichten Gothic-Szene ("Oh, ich kleide mich schwarz und schminke mir die Augen schwarz -- ich bin so Goth!"), allerdings kann man so eine Einordnung, denke ich, tatsächlich nicht anstellen: Dafür fehlen einfach viel zu viele Bezüge. Ich meine, der Kleine Vampir ist ja auch kein Gothic-Roman. Belassen wir es vielleicht bei "Jugendroman"; da kann man ja mittlerweile auch alles reinwerfen, was einem so in den Kopf kommt. ^^Zitat
Ist eine ziemlich interessante Beobachtung, die natürlich auch sehr stark mit der Vernichtung des traditionellen Vampirs zusammenhängt. Ich glaube aber fast, dass das auch mit dem angestrebten Flair zusammenhängt: In Twilight gibt es keine echte Bedrohung, höchstens Lethargie. Und nichts ist besser geeignet für Lethargie als ständige Bewölkung und regenschwangere Nachmittage in riesigen Nadelwäldern. Die Hauptfigur sieht auch nicht ohne Grund aus wie auf Meth-Entzug: Wie ein Tag mit schwerer Grippe im November. Das Krankheits- und Schwächemotiv durchzieht die Filme (stärker übrigens als die Bücher) eigentlich die ganze Zeit und abstrahiert sich auch in einigen Szenen zu einer Art Überthema, wenn man es so denken will: Bellas Schwächeanfälle, ihre Alpträume, die Monate als Edward sie verlassen hat -- im Grunde ist ihr ganzes Leben dieses "day in bed"-Phänomen.Zitat
Und das passt eben besonders gut mit der trüben Tagszenerie zusammen. Wirst auch feststellen (solltest du wirklich mal Lust haben, dir die anderen Filme auch anzuschauen -- was ich empfehlen kann, es ist irre komisch), dass Nachtszenen dazu genutzt werden, wirkliche Bedrohnungsmomente zu untermalen; beispielsweise jagen die Vampire und Werwölfe in der Regel nachts durch die Wälder, oder die Vampirarmee in Seattle wird immer nachts gezeigt ... Selbst Bella wird in der Nacht aktiver, während sie am Tag aussieht, als hätte sie noch eine Paracetamol mehr nötig, um endlich einzuschlafen.
Ich denke eben tatsächlich hauptsächlich an dieses Kastrationsphänomen. Allerdings stößt natürlich auch der Hype enorm ab, weil man sich auf den ersten Blick nicht erklären kann, was an diesem Schund so eine Aufmerksamkeit verdient hat. Nochmal: Meyer ist tatsächlich eine grottige Autorin. Aber eine brillante Strategin. Die derzeitige Populärkultur strebt hin zu einem Menschenbild, das auf völliger Prostitution beruht -- in den 90ern fing das schon sehr stark an mit slutty Britney und den Milchbubie-Boybands. Heute sind wir so weit, dass Justin Bieber (!) großes Idol ist -- halte das zumindest für eine Konsequenz mit starkem Kausalzusammenhang. Ich sehe Twilight eben in der gleichen Genese: Letztendlich ist es eben nicht mehr als die schlüpfrige Phantasie eines weiblichen Teenagers. Und sowas muss sich einfach verkaufen.Zitat







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