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Friedrich Miller saß im Wirtshaus "Zum Polierten Panzer" und nahm gedankenverloren sein Frühstück zu sich. Er konnte es kaum glauben, dass er wieder eine Nacht überlebt hatte, jetzt, wo die Wahrscheinlichkeit immer höher geworden war, einem Angriff zum Opfer zu fallen. Doch die Freude war bittersüß, denn er wusste, dass es einen Grund hierfür gab. Maxim und Edmond von Dantes hatten immer zusammengehalten, Edmond hatte keinerlei Zweifel daran gehegt, dass Maxim unschuldig sein musste. Er selbst und Leonardo di Dragonieri waren von Grandy dank seiner übernatürlichen Kräfte für unschuldig erklärt worden, und so blieben nur zwei Personen, deren Zugehörigkeit nicht eindeutig war.
Und Libra hatte gewusst, dass sie diese Zweifel aufrecht erhalten musste, wenn sie noch eine Chance haben wollte.
Als er an die junge Frau mit roten Haaren dachte, ballte er wütend die Fäuste. All die Zeit. 10 Nächte, 8 Opfer. Es waren nur zwei Werwölfe gewesen. Zwei Personen, beide hatten sich auf ihre Art hinter einer Maske versteckt. Als Libra den Tod Dankwarts betrauerte, hatte er ihr glauben wollen, doch es war nichts als Fassade gewesen. Sie selbst hatte ihn des Nachts hingerichtet, ihren jahrelangen Weggefährten und Freund.
Er hörte seinen eigenen Wutschrei und bemerkte, wie sich die anderen Gäste zu ihm umdrehten. Wie richtig hatte er die ganze Zeit gelegen, und wie wenig hatte es ihm geholfen! Seinen eigenen Instinkten misstrauend, hatte er die Bösewichter immer wieder entkommen lassen.
Gleich am ersten Tage hatte Shael den Abenteurer Thorben ins Visier genommen, hatte sich mit ihm angefreundet und ihn dann nachts geschlachtet. Hätte die zweite Bedrohung durch die Vampire nicht die Aufmerksamkeit der Vertrauenspersonen abgelenkt, so hätten sie bereits hier etwas merken können. Und auch der Gedanke eines Mörders mit einem Bluthund als Gefährten war ironischerweise nicht so falsch gewesen wie letztendlich angenommen - die Logik dahinter war zwar fehlerhaft, doch hätte er seinem Instinkt vertraut, so wäre er schon früher bei der wahren Mörderin gelandet.
"Herr Miller, ist bei Ihnen alles in Ordnung?"
Der Wirt, Ellys Vater, war zu Miller an den Tisch getreten. "Ich gedenke nur der Toten und lache grimmig über unsere Dummheit, Herr Cole. Aber seien sie unbesorgt. Die letzte Täterin ist gefunden. Heute Nacht hat das alles ein Ende. Die Mörderin ihrer Tochter wird gerichtet werden, und die Stadt wird wieder aufatmen können.
Libra ist der letzte Werwolf. Sie wird sterben, und ich verspreche Ihnen, dass sie kein Opfer mehr finden wird. Ich werde persönlich dafür sorgen."
Der alte Wirt blickte Miller hoffnungsvoll ins Gesicht. Mit zusammengepressten Lippen brachte er kein Wort hervor, sondern nickte bloß und wandte sich wieder ab.
Miller hatte seinen Entschluss gefasst, jetzt galt es nur noch, die restlichen Menschen von seiner Wahl zu überzeugen - doch er hoffte, dass sein eigenes Verhalten bisher gezeigt hatte, auf welcher Seite er stand, und dass die anderen Vertrauenspersonen die richtige Entscheidung treffen würden.
Doch... wer war noch übrig geblieben? Zweifellos hatte Libra Leonardo verschont, da dieser mit seinem Wahlverhalten ihr eher zuspielte denn eine Gefahr darstellte. Maxim oder Edmond... betrübt schloss Miller die Augen. Einen von beiden würde es erwischt haben.
Während Miller sein mittlerweile kaltes Frühstück aufaß, betete er im Stillen für alle Opfer der Werwölfe, aber auch für alle Opfer der Fehlentscheidungen der Bürger. Zuletzt verweilte er bei Ava, die letzte Nacht den Tod durch den Strick gefunden hatte. Gesungen hatte sie, nicht perfekt, doch verzückend und lieblich. Er hatte die Melodie noch im Ohr, würde sie bis an sein Lebensende nicht vergessen.
Ava würde die letzte Unschuldige sein, die er mit seinem Gewissen zu vereinbaren hatte.
Geändert von Schattenläufer (17.12.2011 um 17:42 Uhr)
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