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Thema: [Vampire von Düsterburg] Tag 10

Baum-Darstellung

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  1. #9
    Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sich der Werwolf auf den Bürgermeister stürzte. Hauptmann Kessel setzte sofort an. Der Schuss fiel mit einer beeindruckenden Präzision und traf den Wolf direkt ins Hirn. Edmond von Dantés wurde mit Blut und Hirnfetzen bespritzt. Mit weit geöffneten Augen starrte er für eine Sekunde auf den toten Wolf an seinem Arm, dann fiel er in eine tiefe Ohnmacht.
    "Einen Arzt, wir brauchen sofort einen Arzt!", schrie Miller, als er das Gesehene verdaut hatte. Hauptmann Kessel ging ruhig zu der Bestie und riss das leblose Maul vom Arm des Bürgermeisters. Schnell zog er sich das Hemd aus und wickelte es um die nun stark blutende Wunde. Dann blickte er auf Libra. "Männer, helft mir beim Tragen. Der Wolf wird eine Trophäe machen."
    Ungläubig blickte Miller den Söldnern Dankwarts nach. Er brachte kein Wort über die Lippen.

    ~°~

    "Was soll nur aus der Stadt werden", stöhnte Edmond von Dantés leise. "Und ich möchte gar nicht von wirtschaftlichen Themen anfangen, das ist noch ein ganz anderes Kapitel. Nein, ich frage mich, wie diese Stadt sich jemals von den letzten Tagen erholen kann."
    Er richtete seinen müden Blick auf Miller. Dieser hatte ihn die letzten Tage regelmäßig am Krankenbett besucht. Der Arm hatte amputiert werden müssen, sowohl um das Überleben des Bürgermeisters zu gewährleisten, als auch, um das Risiko einer möglichen Übertragung des Fluches zu verhindern. In der langen Genesungsphase hatte ihm Miller nicht nur Gesellschaft geleistet. Des Nachts hatte er ihn beobachtet, auf jedes Stöhnen geachtet. Würde es zu einem Knurren wachsen? Doch es schien, als sei der Fluch endgültig von der Stadt gewichen.
    "Es wird eine neue Generation heranwachsen", antwortete Miller schließlich, seiner eigenen Worte unsicher. "So ist es bisher noch jedes Mal gewesen. Die Stadt wird sich fangen, solange sie mit weisen Händen geführt wird... oder in ihrem Fall, mit einer weisen Hand."
    "Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt, Miller. Zu viele gute, geliebte Menschen haben wir verloren. Und meine Weisheit wurde oft in Frage gestellt, nicht zuletzt von Ihnen selbst..."
    "Verzeihen Sie, Herr von Dantés. Ich... versuche nur, positiv in die Zukunft zu blicken. Aber ich belüge mich. Ich habe mein Zuhause verloren. Nicht nur das, auch... Herr von Dantés, wenn ich nur eine gespielte Note einer geliebten Melodie höre, zieht sich in mir alles zusammen. Wenn ich ein Gebet an Gott richte, lacht mich eine dunkle Seite in mir selbst aus, nennt mich einen Heuchler. Ich weiß nicht, wie diese Stadt sich erholen soll, wenn ich nicht einmal mich selbst heilen kann." Bei den letzten Worten brach Millers Stimme. Für eine Weile schwiegen die beiden Männer. Edmond von Dantés schloss die Augen und atmete tief durch.
    "Zeit ist es, was wir brauchen. Wir werden nicht heilen, doch wir werden überleben. Es ist unsere Pflicht. Wir dürfen den Bestien nicht die Genugtuung geben. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diese Stadt wieder aufblühen zu lassen. Was... was werden Sie tun, Miller?"
    Miller lächelte. "Ich habe es immer gehasst, dass Sie mich nur Miller genannt haben, und nicht Herr Miller, wie es sich gehört. Aber was ist von einem Grafen schon zu erwarten. Na, na, ich meine es nicht böse. In meinem Denken hat sich in den letzten Wochen vieles verändert. Ob Graf oder einfacher Bürger, wir haben alle einen heiligen... einen Auftrag. Sie werden sich um Düsterburg kümmern, doch wer weiß, ob nicht weitere Werwölfe da draußen ihr Unwesen treiben. Was ihre Frage betrifft... ich habe hier zu viel verloren, um noch einmal von vorne zu beginnen. Jetzt möchte ich nur noch zurückgewinnen, was noch möglich ist."
    "Und das wäre?"
    Miller stockte. Er hatte diese Gedanken bisher stets tief in sich vergraben, doch wozu? Es gab keinen Grund, sich zu schämen. "Ich... möchte meine Tochter finden. Mein kleines Lottchen. Ich möchte ihr sagen, dass es mir leid tut. Und wieviel sie mir bedeutet. Und ich möchte sie beschützen vor dem Bösen in dieser Welt. Vielleicht ist es schon zu spät für all dies, doch... ich muss es versuchen. Soweit ich weiß, ist sie in Königsberg. Wer weiß, ob die Werwölfe und Vampire nicht bereits dort wüten. Wenn dem so ist, dann schwöre ich, dass ich sie jagen werde, wie ich sie hier gejagt habe. Vielleicht... finde ich darin meine Erlösung."
    "Das ist ein edler Gedanke... Herr Miller." Edmond öffnete die Augen und lächelte Miller schwach an. "Ich wünsche ihnen das beste auf ihrer Reise. Und sollten Sie sich jemals entschließen, nach Düsterburg zurückzukehren... das verlorene Heim lässt sich ersetzen."
    "Das ist sehr großzügig. Und ich wünsche es mir von Herzen, Herr Graf."

    Leise und rau lachte Edmond Dantés in seinem Krankenbett. "Wissen Sie... ich bin eigentlich kein Graf. Ich bin ein einfacher Seemann."
    Miller richtete sich auf und klopfte Edmond zum Abschied sachte auf die Schulter. "Ich hatte es immer geahnt, wissen Sie." Mit diesen Worten verließ er das Krankenzimmer.

    Er würde Edmond von Dantés erst viele Jahre später wiedersehen.

    Geändert von Schattenläufer (19.12.2011 um 00:50 Uhr)

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