Maxim schlief unruhig in der Krankenstation. Er wälzte sich sehr oft hin und her und schwitzte. Es sah so aus, als hätte er einen sehr schlimmen Alptraum, in Wahrheit ging es ihm aber nicht gut. Er träumte nichts, eine riesige Leere befand sich hinter seinen geschlossenen Augen. "Nngh... was ist nur los?", dachte er sich ununterbrochen und wartete darauf, dass es aufhörte. Tiefe Geräusche ertönten. Man hätte meinen können, dass ein Rudel Hunde um ihn herumrannte und um Essen bettelte. So weit daneben lag es eigentlich sogar gar nicht, aber in Wahrheit war es viel schlimmer. Maxim vernahm ein abgrundtiefes Knurren, Zähne fletschten und ihm wurde ganz unwohl. Es war nur eine Sache von Sekunden, doch es kam ihm vor wie eine Ewigkeit.

[...]

Die Tür von Maxims Zimmer öffnete sich. Edmond erlaubte sich tief in der Nacht einen Besuch in der Krankenstation. Er nahm vorher von den Krankenschwestern ein Tablett entgegen, es befand sich eine wohlriechende Gemüsecreme-Suppe mit silbernen Besteck darauf. Das Nachtlicht im Flur strahlte in das Zimmer, als ein merkwürdiges Geschöpf plötzlich in Edmonds Richtung blickte, welcher ganz erschrocken war und fast das Tablett fallen ließ. Etwas glitzerte auf dem Tablett. Es war das durch und durch silberne Besteck, welches die Kreatur in Maxims Zimmer blendete. Voller Angst davor zu erblinden nahm es Reißaus. Edmond stellte hastig das Tablett auf dem Boden ab und eilte zu Maxim. Als er diesen am Gesicht antippte, wachte er plötzlich auf. Sein Gesicht war ganz blass, die Augen waren weit geöffnet.

"Maxim! Geht es dir gut?!", fragte Edmond panisch.

Doch Maxim antwortete nicht. Er blieb ruhig und war froh darüber, dass es vorbei war. Doch seine Augen wurden ganz schwach. Er versuchte sich aufzurichten, doch es ging nicht. Dann bemerkte er, dass es an der Seite seiner Rippen ganz nass wurde. Edmond schaute auch dorthin, aber traute erst seinen eigenen Augen nicht. Diese Stelle am Patientenmantel war ganz dunkel. Beide dachten erst, es wäre schwarz, doch war es eine tiefe Farbe, die nichts Gutes verhieß. Maxim fing an hastig zu atmen. Seine Stirn wurde ganz heiß und ihm wurde schwindelig.

"Maxim, halte durch, ich hole sofort je-" Doch Maxim unterbrach Edmond und zog mit letzter Kraft an sein Gewand.
"Geh nicht...", sagte er und ließ die Hand fallen, "...ich will, dass du jetzt hier bleibst..."

Trotz seiner Schwäche, die selbst ein Blinder hätte sehen können, trotz der Worte, die schon fast einem leisen Husten gleich waren... man hörte ein kraftvolles Gefühl heraus. Doch kraftvolle Gefühle waren nicht immer schön, auch, wenn es in der ersten Hinsicht ein warmes Gefühl gab. Nein, dieses kraftvolle Gefühl, welches durch Edmond drang, fühlte sich wie ein Dolchstoß an... es war unendliche Traurigkeit, die beide überkam. Edmond zögerte. Er wollte Maxims Worten nicht folgen und hinausrennen. Doch beide hatten ein seltsames Gefühl. Das Gefühl, dass es nichts bringen würde. Für einen respektablen Abschluss musste Edmond hierbleiben, das war sicher. Doch es schmerzte ihn... und auch Maxim... dass er nichts unternehmen konnte, um ihn noch zu retten. Stattdessen setzte sich Edmond an Maxims Bett und schaute nur in sein Gesicht.

"Kannst du mir hochhelfen...?", fragte er. Ohne lange nachzudenken hielt er Maxims Körper hoch, die Schmerzen, die Maxim dabei erlitt, waren nicht zu vergleichen mit seinen anderen Schmerzen... innerliche... sehr innerliche Schmerzen, bei denen man sich nur wünscht, dass ein Speer durch das Herz gestochen wird, damit eine Art Erlösung noch gefühlt werden kann.
"Mmmh... Edmond... bin ich eigentlich wertlos...?"
Doch Edmond antwortete nicht. Er schaute nur traurig zur Seite und schüttelte den Kopf.
"Ich bin sicher, dass sich eine Handvoll an mich erinnern werden... aber... eine Handvoll ist nicht schlecht... nein. Eine Handvoll klingt für mich sehr schön... denn diese Handvoll ist mir ans Herz gewachsen... und manche von ihnen sehe ich vielleicht woanders bald wieder..."
Es lief eine Träne über Maxims Gesicht, doch er redete in dem gewohnten Ton normal weiter: "Ich hatte mir in den letzten Tagen keine große Hoffnung gemacht... ich dachte, diese Handvoll würde nicht mehr existieren, weißt du? Ich erwartete schon einen Werwolfsangriff auf mich, fast hätte ich ihn mir gewünscht... aber... als ich heute Morgen aufwachte... da wurde mir ganz warm, als ich dich sah. Ich bekam das Gefühl, dass mich noch etwas in diesem Leben hält... ich hätte nicht gedacht, dass es so korrupt endet... vielleicht macht das ja jemand mit Absicht?"

Edmond hörte ihm nicht richtig zu. Es machte keinen Unterschied ob er alles mitbekam oder nicht, aber es waren so oder so sehr schmerzvolle Worte. Und nicht nur schmerzvoll, sie waren die letzten, die er je von Maxim hören würde. Sein Gesicht zitterte und Edmond wollte schreien, aber er konnte nicht. Es war, als würde jemand ihn daran hindern und dieser Jemand war entweder ganz weit weg oder unmittelbar neben ihm. Maxim brach in Tränen aus und konnte nicht mehr seine Stimmlage halten.

"Ich will nicht sterben, ich wollte so gerne weiterleben...! Nur deinetwegen hatte ich erkannt, was mir so wichtig war und jetzt nimmt man es mir weg! Das finde... finde ich... das ist so unfair... so unfair, Edmond..." Maxim verlor an Kraft. Eben hielt er sich noch so an seine Schulter fest und nun rutschte er sie langsam runter ohne es zu bemerken. Maxims Gesicht wurde ruhiger... er regte sich kaum noch und fing an ganz leicht zu lächlen.
"Ich will hierbleiben... zurückgehen... und spielen, lachen und irgendwas... aber... sieht so aus, als würden Selene und Großvater nicht so gerne auf mich warten... denn sie haben jetzt ewig Zeit und ewig zu warten macht keinen Spaß, oder? Dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen, Edmond... vielleicht irgendwann mal wieder... hehe... und die letzten Tage mit uns tun mir so Leid... so... Leid... ja... so viel...

...Leid."

Maxim atmete nicht mehr. Edmond wollte nicht sehr viel machen. Er legte nur noch Maxim normal ins Bett und deckte ihn zu. Er betrachtete ihn eine Weile und ging dann hinaus. Alles, was er nur noch vorhatte, war die Bekanntgabe über einen Verlust einer wichtigen Vertrauensperson... und Vertrauensperson nicht nur im Sinne dieses Dilemmas. Die Stadt verlor einen Freimaurer, der bis zum Ende kämpfte.