Adryan glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte Edmond von Dantes wirklich die absurde Behauptung aufgestellt, er und Libra wären Werwölfe?
Einen Augenblick, der in seiner Empfindung die Dauer eines Jahrzehnts zu haben schien, war der Ermittler unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Die Überraschung dieser Behauptung und der vollkommen an den Haaren herbei gezogenen Begründung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Selbst Libra sagte nichts, sondern starrte den Bürgermeister mit großen Augen an, doch Adryan hatte so eine Ahnung, dass unter ihrer schockierten Fassade bereits ein Vulkanausbruch heranwuchs.
Er lachte ein freudloses, trockenes Lachen und klatschte sarkastisch in die Hände."Bravo! Wirklich eine meisterlich einstudierte Vortstellung, werter Herr Graf,", sagte Adryan und lächelte dünn. "Eure Argumentation ist so fantasievoll wie unglaubwürdig, doch lasst mich auf die einzelnen Punkte eingehen, um euch euren Irrtum vor Augen zu führen.". Langsam verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und begann, zwischen Libra und dem Graf auf und ab zu gehen. Dabei blickte er alle Anwesenden einzeln für kurze Augenblicke an. Schließlich hob er eine Faust und streckte einen Finger in die Luft. "Erstens: Ihr behauptet, dass Libra und ich zu den letzten beiden Werwölfen gehören und behauptet, ich hätte nur für Shael gestimmt, um meiner eigenen Hinrichtung zu entgehen. Ein kluger Gedanke, nur vergesst ihr die Tatsache, dass es am gestrigen Tage nur Shael und der junge Maxim waren, die angeklagt wurden. Selbst Ihr, der Ihr mich ja für einen Werwolf haltet, habt mich nicht angeklagt, sondern eure Stimme gegen Shael erhoben. Wäre mein Name auf der Anklageliste erschienen, würde ich euch Recht geben. So aber könnte ich euch ebenso unterstellen, dass ihr Shael angeklagt habt, um eurer eigenen Hinrichtung zu entgehen. Ein äußerst sinnloses Argument, wie ihr seht.. Adryan holte Luft und fuhr mit seiner Aufzählung fort: "Zweitens: Ihr behauptet auf Grund von Leonardos Anklage gegenüber Ava, dass dieser ein Günstling der Vampire sein soll und damit alle außer Ava, Libra und meine Person schuldig seien, Werwölfe oder Vampire zu sein. Eine sehr gewagte und löchrige Behauptung. Wie gut kennt ihr den Gelehrten, dass ihr genau wisst, dass er nicht einer der Werwölfe ist? Woher nehmt ihr die Sicherheit zu wissen, dass Maxim kein Vampir ist, der durch seine Anklage gegen Ava den Verdacht von sich lenken wollte? Ich würde sagen, dass das Menschsein von Miller und euch das Einzige ist, das hier zweifellos durch den von euch an den Galgen gehängten Grandy bewiesen wurde. Das macht sowohl Maxim, Leonardo, Ava aber natürlich auch mich und Libra verdächtig.". Er nickte den Anwesenden zu und fuhr fort: "Drittens: Dass Shael und ich die Einzigen waren, die mit Thorben vor dessen Ableben zusammen waren, ist Unsinn. Ich schätze, die gesamte Taverne kann bezeugen, dass die beiden jungen Männer abends zusammen am Thresen gesessen und getrunken haben. Jeder der dort Anwesenden hätte ihn also als Opfer erwählen können.
Viertens:"
. Adryan grinste grimmig. "Ich habe gestern niemals behauptet, dass Libra von einem Hund gerettet worden war. Ich habe lediglich gesagt, DASS sie gerettet worden ist. Woher könnt ihr also wissen, dass es Julie war? Mit Libra gesprochen habt ihr nicht, das wäre mir aufgefallen, war ich doch an jenem Tag jede Minute bei ihr.". Er schenkte der Frau, die er liebte, einen zärtlichen Blick. "ICH hingegen habe mit ihr gesprochen und die Schilderungen von ihr erfahren - daher weiß ich, wie jener Angriff vonstatten gegangen ist. Dazu muss man kein Magier sein, um sich an das Erzählte einer betroffenen Person zu erinnern.". Er verbannte den Triumpf aus seiner Stimme. "Meine Anklage gegen euch mag vielleicht übereilt und unbedacht gewesen sein, doch nur weil ihr ein Mensch seid bedeutet dies ja nicht, dass ihr kein Diener des Bösen sein könnt - ihr behauptet zwar, dass Leonardo ein Günstling der Vampire sein soll, aber dies kann ebenso auch auf euch zutreffen. Denn was ist ein Günstling denn schon weiter, als ein Mensch, der sich erhofft, an der Macht seiner Meister teilhaben zu dürfen? Und IHR, mein Herr Dantes, scheint mir vor Machtbesessenheit zu plantzen.". Mit diesen Worten wandte er sich an den Bürgermeister und funkelte diesen herausfordernd an.