Miller runzelte mit der Stirn. Sven konnte also nicht einfach gefasst und hingerichtet werden, da er eine gewisse Immunität in seiner Funktion als Vertrauensperson hatte. Das gestaltete die Sache schon ein wenig problematischer. Er trank von seiner Weinschorle, lehnte sich zurück und sah den Bürgermeister an.
"Das war mir nicht bewusst. In diesem Fall muss ich Ihnen zustimmen, dass der Fall mit Sven Frankenfels... höchste Priorität haben sollte." Er schlug verärgert auf den Tisch. "Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wie gefährlich Sven Frankenfels ist. Wird er weiter morden, oder war dies ein Einzelfall? Wie kam es überhaupt zu den Morden? War er hinterlistiger Angreifer oder in die Ecke getriebener Verteidiger? Die Werwölfe hingegen morden jede Nacht, hinterlistig und wahllos."

"Ich möchte nur diese Stadt von ihrer Plage befreien, und nun muss ich auf einmal Aufgaben der Stadtwache übernehmen! Das gefällt mir nicht, überhaupt nicht. Ich denke, wir verlieren damit nur Zeit. Aber gut, mein lieber Herr Bürgermeister, ich sehe ein, dass Sie Recht haben. Führen wir heute Nacht Sven Frankenfels seiner gerechten Strafe zu. Ich stimme Selene zu, dass Ava und Shael sich verdächtig gemacht haben, aber je eher wir diese Frankenfels-Geschichte beseitigen, desto eher können wir als Bürger geschlossen gegen die Werwölfe vorgehen. Ich stimme für Sven Frankenfels."
Edmond von Dantes war sichtlich überrascht von dieser plötzlichen Sinneswandlung, aber er nickte anerkennend. "Schön, dass Sie doch noch zur Vernunft kommen, Herr Miller."
"Wir werden sehen. Ich hoffe insgeheim auch, dass ich mit dieser Entscheidung meine Unschuld beweisen kann, denn auch ich habe zu Zeiten das Gefühl, von misstrauischen Blicken verfolgt zu werden. Es ist also auch eine Handlung aus purem... Selbsterhaltungstrieb, wenn Sie so wollen."

Miller wandte sich an Selene. "Vielleicht überrascht dich meine Entscheidung. Vorhin noch wollte ich Rebecca Stepback anklagen, und ihre... seine Enthüllung gerade eben sollte nichts an dieser Entscheidung ändern. Tatsache ist aber, dass mein Verdacht auf dem merkwürdigen Verhalten dieser Person beruhte. Dieser Verdacht lässt sich nicht halten, denn dieser Mann hier ist eindeutig geistig verwirrt. Er muss sich schon jahrelang als Mädchen oder junge Frau ausgegeben haben, ohne dabei ein rechtes Ziel zu verfolgen. Es ist... pervers und krank, doch nicht gefährlich. Sven Frankenfels, er ist gefährlich. Und wir sollten uns um ihn kümmern."
Er ergriff ihre Hand und blickte Selene tief in die Augen. "Du bist ein gutes Mädchen, Selene. Gib jetzt nicht auf und halte noch eine Weile durch. Du musstest, wir alle mussten viel durchmachen in letzter Zeit. Aber wir werden es schaffen, und wir werden überleben. Aber dafür brauchen wir deinen klaren Verstand. Auch wenn du meinen in höchsten Tönen lobst, so ist er doch schon ein wenig eingerostet und verstaubt." Er zwinkerte, dann ließ er von ihr ab. Er hoffte, richtig gehandelt zu haben. Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass Selene überhaupt einen nackten Mann gesehen hatte. Wer konnte ihr verübeln, dass sie da überfordert war.