Ein neuer Tag. Und wieder ein neues Opfer, da war sich Edmond gewiss. Doch nach der Hinrichtung des vierten Vampirs am vorigen Abend konnte Edmond endlich wieder seit langem einen ruhige, festen Schlaf finden und fühlte sich an diesem Morgen, oder vielmehr Mittag, ungewöhnlich frisch. Es war wieder einmal eine knappe Entscheidung gewesen und auch am Schluss hätte er noch an seiner Entscheidung festgehalten, Dankwarts Behauptungen zu überprüfen. Wo käme man denn nur hin, wenn sich jedweder alte Mann ankommen und sich als lang verlorener Prinz ausgeben würde? Wenigstens waren die Bewohner Düsterburgs wieder um eine Gefahr erleichtert worden, und wie viele dieser Blutsaugern konnte es schon geben? "Vielleicht war es ja nun endlich die letzte dieser Kreaturen...", murmelte Edmond hoffnungsvoll. Auch ohne diese Vampire gab es noch genug Bedrohungen abzuwenden, und so machte sich Edmond rasch aus dem Bett und bereit für den Tag, welchen er sogleich mit einem Frühstück, bestehend aus herzhaft-leckerem Schinken und einem Gläschen Rotwein, begann. Zumindest sein Koch leistete ihm noch Gesellschaft, ansonsten wurde die Stille im Anwesen nurnoch von dem Ticken der großen Wanduhr durchbrochen. Hach, wie sehr ihm doch etwas mehr Gesellschaft fehlte!
Als einer der Ersten erfuhr der Bürgermeister von dem Tode Rowans von Fiddleburg. Nun, zumindest ward der englische Graf seit diesem Morgen nicht mehr gesehen und niemand wusste, wo er nun sein mochte. Einzig seine Waffen und die Schüsse in der Nacht gaben Grund zur Annahme, dass es nun auch um ihn geschehen war. Der fallende Schnee arbeitete gegen die Stadtwache und so war es für sie nahezu unmöglich zu rekonstruieren, was in der Nacht vorgefallen war. Auch sonst war die Lage recht prekär, die Stadtwache zählte nurnoch eine handvoll Mann, mit denen es zweifellos unmöglich war, die Untersuchungen zu den Morden zufriedenstellend voranzutreiben. Was Rowan des Nachts ausgerechnet im Park getrieben haben mochte vor seinem Verschwinden? Das würde wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben, doch vielleicht hatte er seine Mörder dort schon erwartet?
Es blieb bei dieser Wetterlage und den übrigen Umständen keine andere Wahl, als die Tore dieser Stadt nun wieder vollkommen dicht zu machen, denn es war nunmehr unmöglich geworden, die ein- und ausgehenden Personen gründlich zu kontrollieren und es musste um jeden Preis verhindert werden, dass einer der Mörder unbemerkt die Stadt verlassen konnte. Und dabei waren die Werwölfe nicht die einzigen Mörder, die ihr Unwesen trieben. Sven Frankenfels war noch immer nicht gefasst worden und geradezu spurlos verschwunden, auch wenn es angeblich Bürger gegeben habe mag, die ihn am Tag zuvor noch gesehen haben wollen. Es wurde endlich an der Zeit, dass zumindest diese Geschichte ein Ende fand, damit die einfache Bevölkerung zumindest etwas erleichtert werden konnte. Aus diesem Grunde ging Edmond nach den Erkenntnissen über Rowans Verschwinden eilig zum Rathaus in sein Arbeitszimmer, wo er wie üblich folgendes Schreiben verfasste:
"Werte Vertrauenspersonen Düsterburgs,
auch wenn wir gestern einen weiteren Vampir hinrichten konnten, verstecken sich die Mörder
der letzten Nächte noch immer unter uns. Seit dem heutigen Morgen müssen wir annehmen,
dass Rowan von Fiddleburg ebenfalls das Opfer dieser Kreaturen geworden ist.
Abseits dieser Geschehnisse befindet sich Sven Frankenfels, welcher mehrere Mitglieder
der Stadtwache ermordet hat, noch immer auf freiem Fuß. Wir werden und daher heute Abend
in seinen Räumlichkeiten treffen, um ihn endlich seiner gerechten Strafe zuzuführen."
Gezeichnet
Der Bürgermeister
Das letzte, was diese Stadt noch brauchte, war ein frei rumlaufender Massenmörder, der die Bürgerinnen und Bürger weiter in Angst und Schrecken versetzte, ganz gleich, welche Rolle er bei all diesen schrecklichen Ereignissen nun spielte. Überzeugt von der Richtigkeit seiner Entscheidung verließ Edmond wieder das Rathaus und machte sich auf den Weg zum Wirtshaus, um die dortigen Gäste schnellstmöglich davon in Kenntnis zu setzen. Als er den Polierten Panzer betrat, fielen ihm sofort Adryan und Libra ins Auge, deren Treiben er mit missbilligenden Blicke beobachtete. Hatte er diesen Privatermittler nicht am Tage zuvor noch in Selenes Nähe gesehen? Kopfschüttelnd trat er an den Tisch heran, an dem schon Selene und Maxim saßen. Beide wirkten über die Neuigkeiten vollkommen niedergeschlagen, und dem jungen Fräulein war es anzusehen, wie sehr sie Rowans Tod berührt hatte.
"Guten Tag, ihr Beiden! Ihr solltet wirklich nicht so dreinschauen, sondern lieber erleichtert sein, dass wir nun wieder einen Blutsauger weniger unter uns haben! Auch wenn ich wirklich Rowans Verschwinden bedauere, sicherlich hätte er uns noch viel mehr sagen können. Maxim, hast du wieder so schlecht geschlafen? Hast du wieder von Stoffbären geträumt, du wolltest mir da doch gestern noch etwas erzählen? Und Selene, wie geht es eurem Onkel? Er ist einer der wenigen Angehörigen unserer Wache, auf die man sich noch verlassen kann, ein Glück, dass ihm nichts geschehen ist, während der Barbier Sven Frankenfels solch ein Blutbad angerichtet hat. Ich bin mir sicher, dass wir ihn heute endlich fangen und hinrichten werden!"