Ein Vampir. Warum musste er ausgerechnet ein Vampir sein? Wäre er ein Werwolf gewesen, es hätte so vieles erklärt...
Miller war froh darüber, dass die Bürger es geschafft hatten, eine Bestie zu finden. Doch im Nachhinein musste er feststellen, dass die meisten vorgebrachten Argumente nur funktionierten, wenn man davon ausging, dass es ein Werwolf war... sie hatten sich die beste Mühe gegeben, logisch zu handeln, und dennoch hatten sie die komplett falschen Schlüsse gezogen. Und wenn er ehrlich zu sich war, dann musste er eingestehen, dass er damit hauptsächlich sich selbst meinte.
Doch nicht nur seine Argumentation, auch seine ganzen Hoffnungen hatten darauf basiert, dass Talis entweder unschuldig oder Wolf war. So, wie es jetzt stand, konnten die Bürger keine Erkenntnisse ziehen aus dessen gefälschter Liste von letztem Abend, und auch sein Wahlverhalten konnte keine Werwölfe aufdecken.

Er überlegte. Ja, gestern Abend hatte er einen Fehler begangen. War Dankwart unschuldig, so hätte ein schlauer Vampir heute Nacht sein dunkles Mal auf ihn gesetzt. Würden die Bürger heute für Dankwart stimmen, so wäre die Gefahr um ein Vielfaches höher, dass eine eventuelle Offenbarung als Prinz ihn dennoch nicht retten konnte.
Falls es noch Vampire gab, zumindest. Doch die Worte von Talis hatten siegessicher geklungen... Fürs erste blieb den Bürgern nichts anderes übrig, als Dankwart zu vertrauen. Nur der wahre Prinz, sollte es ihn geben, könnte mit einer eigenen Offenbarung und einer anschließenden Hinrichtung noch für Klarheit sorgen. Doch wäre dieser mutig genug, wenn es ihn gibt? Und wäre die Gefahr nicht trotzdem zu groß?

Diese Gedanken beschäftigten Friedrich Miller, während er die Finger seiner linken Hand über das Cello tanzen ließ und mit der rechten den Bogen wild und kräftig über die Saiten strich. Er spielte wieder das alte Stück, das ein Düsterburger Komponist vor Jahrhunderten verfasst hatte - "Symphonie der Nacht", eine leidenschaftliche Komposition eines geplagten Geistes, den Miller zu gerne kennen gelernt hätte.
Es klopfte an der Tür. Miller unterbrach sein Spiel und seufzte. In den letzten Tagen hatte er kaum Besuch gehabt, da die Unterrichtsstunden weiterhin ausfielen. Bestimmt hatte es etwas mit seiner Rolle als Vertrauensperson zu tun... und es würde die Kunde von einem weiteren Opfer der Werwölfe sein.

Einige Minuten später war Miller über den Tod von Rowan informiert.