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Moderator
Miller rannte durch endlose Gassen. Er war auf der Flucht vor den Werwölfen und den Vampiren. Die Vampire trugen allesamt vertraute Gesichter und grinsten ihm diabolisch zu, während die Werwölfe unter Knurren ihre Namen riefen, damit er sie bei der nächsten Versammlung anklagen würde. Sie verhöhnten ihn, es gab keinen Ausweg aus diesem Labyrinth, und hinter jeder Ecke lauerte eine weitere Bestie. "Der Herr steh mir bei, er ist mein Hirte und hütet mich vor der Finsternis!", schrie Miller, doch seine Stimme brachte keinen Laut hervor und sein Gott hatte ihn verlassen. Er stolperte, fiel, schlug hart mit dem Gesicht auf, verlor seine Brille. Schwammige Konturen näherten sich ihm, doch sie zerfetzten einander im Freudentaumel, jeder wollte der erste sein, der sich an dem Opfer labte. In weiter Ferne sah Miller den Marktplatz in Flammen aufgehen, während Rafael Firas am Galgen baumelte und aus gebrochenem Nacken röchelte "Ich opfere mich für Grandy, dem ich nie vertraute!", doch in diesem Moment fiel auch Grandys Körper in den Strick, die Flammen verzehrten den Galgen und die versammelte Meute jubelte, während sich ihre Köpfe lichterloh entflammten. Miller blickte an sich herab und sah seinen offenen Thorax, über den die Wölfe herfielen, während die Vampire ihnen das Blut von den Lippen leckten.
Miller erwachte schweißgebadet. Es dauerte eine Weile, bis er sich seiner Umgebung gewahr wurde. Er befand sich in seinem Bett, zuhause, in Sicherheit. Alles war still. Er war noch am Leben.
Gerädert und mit schmerzendem Kopf wand sich Miller aus seiner feuchten Bettwäsche. Während er sich kleidete, sortierte er seine Gedanken und kam ein wenig zur Ruhe. Die Ereignisse der letzten beiden Tage setzten ihm zu, das musste es sein. Zweimal hatten die Bürger einen Unschuldigen geopfert, zweimal war er nicht in der Lage gewesen, es zu verhindern. Nun plagten in seine eigenen Schuldgefühle.
Beim Frühstück fiel Miller auf, dass er sich trotzdem glücklich schätzen sollte. Er hatte überlebt. Am vorigen Tag hatte er lautstark und eindrücklich versucht, die Bürger gegen die Werwölfe zu mobilisieren, es wäre nur logisch gewesen, wenn sie sich seiner in dieser Nacht entledigt hätten. Doch war von diesen Bestien Logik zu erwarten? Entschieden sie rational, über wen sie nächtlich herfielen?
Miller setzte sich ans Klavier und klappte den Deckel auf, nur um ihn beim Anblick der Tasten gleich wieder zuzuklappen. Er war heute nicht in der Stimmung für Musik. Noch immer gingen ihm die Visionen der Nacht durch den Kopf. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass es so oder ähnlich verlaufen wird, dachte er. Aber bis es soweit war, durfte er nichts ungeschehen lassen. Er durfte sich nicht in seinem Kämmerchen verschließen und warten, bis etwas geschah!
Miller wusste nicht, wohin er gehen sollte, doch zuhause konnte er nicht bleiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Kreaturen heute Nacht wieder eine Greueltat begangen, und wenn er verhindern wollte, was sein Geist sich heute Nacht ersponnen hatte, so musste er den Tatsachen mutig entgegentreten.
Ohne Ziel und tief in Gedanken versunken trat Miller auf die Straße hinaus.
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