Kurz nachdem Maxim und Elly die Leiche gefunden hatten kam auch einer der Wachleute hinzu die dort patroullierten und die Leiche der Sängerin wurde auf schnellstem Weg auf die Wache gebracht. „Sie wird nur erfroren sein, das passiert im Winter häufig“, sagte der junge Mann zu den beiden und lief dann hinter seinen Kollegen, die die Bahre mit dem Körper und dem Leichtentuch trugen, her um ihnen einen Weg zu bahnen.

~*~

Was war das bloß für eine Nacht gewesen!

Nach den Wahlen am gestrigen Abend hatte Selene keine Ruhe gefunden. Maxims Beteuerungen dem neuen Bürgermeister gegenüber hatten sie aufgewühlt und vor allem sein Kniefall vor ihr, seine Bitte Edmond zu verschonen - ihre Verzweiflung und die Furcht die ihr in den Knochen steckte hatte sie in Fechtübungen gesteckt, bei denen sie die Übungspuppen im Keller der von Buschs malträtiert hatte. Sie hatte nur wenig von ihrem Onkel geerbt, aber auch sein Degen war ihr überantwortet worden. Und Selene wollte nicht mehr so ratlos sein, sie wollte jemanden haben dem sie vertrauen konnte, jemand der gemeinsam mit ihr Schulter an Schulter auf die Suche ging nach dem wahren Mörder - und den restlichen Vampiren, so es denn welche gab.

Erschöpft von den Übungen ging sie auf den Hof um sich Wasser zu holen und sich frisch zu machen. Kälte, Schnee und Eis beherrschten die sternenlose Nacht. Ihr Atem bildete kleine Kristalle in der Luft und ihr Schweiß gefror in ihrem Haar. Die Kälte beruhigte ihr Gemüt. Sie würde Maxim aufsuchen und sich bei ihm entschuldigen. Es war ihm ernst gewesen und sie würde jemanden der so stolz war und sich für jemanden einsetzte nicht im Stich lassen, das schwor sie sich. Auch tat es ihr nun Leid, das sie Edmond angeklagt hatte. Welche Schlüsse man nun daraus ziehen sollte das am gestrigen Tage "nur" Frau von Busch gestorben war? Hatten etwa die Mörder und die Vampire sich an ihr vergangen, war das überhaupt möglich? Und welchen Sinn machte es...

Nur wenige Augenblicke lang sank Selene in einen unruhigen Schlaf auf der Küchenbank im Hause der von Buschs, bis im frühesten Morgengrauen jemand heftig ans Vorderportal klopfte und sie so unsanft vom Schreck auf den Boden fiel. Sie eilte sich ihre Haube aufzusetzen - vor der Tür standen mehrere Männer von der Stadtwache sowie ein Notar samt 4 jungen Burschen die ihm aushalfen, und der Pfarrer, die sich sowohl um die Beerdigung als auch um den Nachlass kümmern wollten. "Hochwürden", grüßte Selene eilig und knickste vor den Männern. Sie hatte gewusst das mit der Beerdigung heute viel los sein würde, aber da sie das einzige Dienstmädchen im Hause war fühlte sie sich etwas überfordert.

Sie führte die Männer in den Empfangsraum, wo einer der Wachleute - Selenes Onkel väterlicherseits - das Wort übernahm "Wir waren ja bereits gestern vor Ort, heute wollen wir nur noch einige Untersuchungslücken füllen und werden sie nicht lange belästigen." Er nickte ihr freundlich zu und er und sein Kollege begaben sich ins Obergeschoss.

Dann erhob der Notar das Wort - "Wir sind im Bilde, Fräulein, Herr Dantés hat uns bereits sämtliche Aufgaben erörtert. Wenn sie so freundlich wären Gebäck und Tee bereit zu stellen und uns den Arbeitsraum zu zeigen. Das wäre dann auch alles." Selene nickte, froh etwas zu tun zu bekommen um ihre zittrigen Hände zu beschäftigen. Der Notar und der Pfarrer blieben nur kurz um die Bestattungsformalien die aus dem Testament der von Buschs hervorgingen zu regeln, die Gehilfen die das Vermögen schätzen sollten blieben aber noch etwas länger kamen aber nicht dazu von Selenes Gebäck zu kosten, zu sehr waren sie in Eile.

Selenes Onkel blieb noch, nachdem er seinen Gehilfen weggeschickt hatte und setzte sich zu ihr in die große Küche. Er nahm sich einen Keks, blickte ihn lange an und ließ sich Zeit beim kauen bevor er sprach. "Ich habe gehört du bist zur Vertrauensperson ernannt worden?"

"Ja, Onkel, das ist wahr." "Eine schwere Last auf solch zierlichen Schultern wie den deinen. Vor allem wenn man es mit sowas zu tun hat." Selene wartete angespannt und hoffte er würde weitersprechen. Er beugte sich zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter als wolle er böses von ihr abwenden. "Es sind nicht nur diese Sagengestalten, die hier umgehen. Die zwei Vampire scheinen nur der Anfang zu sein. Und dieser ...“, er blickte ein kleines Portrait an der Wand an das die von Buschs noch – vermeintlich -glücklich zeigte, Zaubermeister.. Heute morgen hat der junge Maxim, der die kleine Herberge führt, eine tote Frau gefunden. Auf ihn wurde dann auch einer meiner Männer bei der Streife aufmerksam. Der dachte die Frau sei in der Kälte der Nacht einfach erfroren. Nichts ungewöhnliches, solche Fälle haben wir jedes Jahr. Aber sie war dick eingepackt und schien erst kurz dort zu liegen.“

Er blickte Selene tief in die Augen „Im Moment wird sie vom wachhabenden Arzt untersucht. Eigentlich darf ich mit niemandem dadrüber reden. Aber mir hat jemand erzählt was du gestern abend im Gasthaus für einen Trubel veranstaltet hast.“ Ein böser Blick traf sie der mehr als tausend Worte sprach. „Naja, wenn es das ist was ich vermute, woran die Frau gestorben is, wirst du den hier gut brauchen können.“

Er schob ihr über den Holztisch einen Elchhuf an einem langen Lederband hinüber. „Gegen den bösen Blick“, sagte er mit einem Brustton der Überzeugung und zog aus seinem Ärmel noch eine kleine Anstecknadel mit einem Kreuz darauf und stach sie an ihrem Hemdärmel in den dünnen Leinenstoff.

Selene war zu verblüfft um zu reagieren. Und ihr Onkel schien zufrieden mit seinem Werk nun auch schon wieder an die Arbeit gehen zu wollen. An der Hintertür, die zur Küche hinausging sah er sie nochmal ernst an. „Also Lenchen, schau keiner Leiche jemals ins Gesicht, verstehste? Is ja ein Wunder das du bei so viel Dummheit unter deinem Blondschopf mit dieser Aufgabe noch nich gefress'n worden bist. Bist halt zu zäh, da beißen sich nicht nur die Männer die Zähne aus. Hoffen wir das sich das auch bei diesen Nachtalben herumspricht.“

Er machte mit der rechten Hand eine Feighand über ihrer Stirn, dann ging er und verschwand bald im Morgennebel.

Grade als Selene glaubte ihren abergläubischen Onkel loszusein, klang seine Stimme nochmal zu ihr herüber „Und vergiss nicht, dein Unterhemd andersherum anzuziehen!

„Ja doch Onkel, sicher, das werd ich machen!“, rief sie ihm hinterher und schloss dann die Tür um erstmal kräftig den Kopf zu schütteln über soviel Firlefanz. Dann fiel ihr Blick auf die übrig gebliebenen Kekse und sie entschloss sich Maxim zu besuchen, der nach seinem Fund am heutigen Morgen sicherlich erschüttert sein würde. Sie hoffte sehr das er ihre Entschuldigung annehmen würde damit sie ihn trösten konnte. Beim hinausgehen entschied sie sich den Degen unauffällig unterm Mantel mit zu nehmen, auch wenn sie dazu kein Recht hatte bei ihrem Stand - sie fühlte sich sicherer damit. Daran konnte auch kein Elchhuf etwas ändern.