Eine lange Nacht lag hinter Rafael. Ständig hatten sich die Gedanken in seinem Kopf gejagt. Ein paarmal war er sogar eingeschlafen, nur um wenige Minuten später wieder aus einem Alptraum, an dessen Details er sich nicht erinnern konnte, hochzuschrecken. Doch als der erste Sonnenstrahl durch sein Fenser fiel, hatte Rafael sich entschieden. Er würde nicht klein beigeben! Er würde sich nicht von seiner Angst leiten lassen! Er würde so leben, wie er es wollte, mochte es dort draußen auch Monster und Dämonen geben!
Vor allem eines hatte ihm geholfen, zu diesem Entschluss zu gelangen: Es war überstanden. Offenbar hatten Caspar von Busch und dieser "Vampir" oder wie immer man das Wesen nennen wollte, in einem Kampf gelegen, dem auch noch ein unschuldiger Bürger zum Opfer gefallen war. Doch jetzt waren sie beide tot, und das Leben in Düsterburg konnte wieder seinen gewohnten Gang nehmen. Für das Handelsunternehmen der von Busch würde das Ganze wohl noch Konsequenzen haben, doch im Moment war er wirklich nicht in der Verfassung, zu durchdenken, was das bedeuten würde.
Er stand auf und zog die durchschwitzen Kleidungsstücke aus, die er gestern Abend einfach anbehalten hatte. Er wusch sich, nahm neue Kleidung aus dem schrank und betrachtete sich im Spiegel. Abgesehen von den dunklen Ringen unter den Augen machte er fast wieder einen normalen Eindruck. Dann versuchte er sich zu sammeln und darüber nachzudenken, was heute anstand. Zunächst würde er herausfinden, wer Herr von Buschs Nachfolge als Bürgermeister antreten würde, und dann ein ganz normaler Arbeitstag. Nach den gestrigen ereignissen würde ein bisschen Normalität ihm sicher guttun.
Er zog seine Schuhe an. Dabei stellte er fest, dass anscheinend ein teil seines Erbrochenen daran klebte. Angewiedert nahm er seine Waschschüssel und kippte das Wasser über die Schuhe. Sie sahen zwar immer noch nicht alles andere als gut aus, aber der schlimmste Schmutz war weg. Zum Schuheputzen würde er heute Abend oder morgen noch genug Zeit haben.
Nachdem das erledigt war, machte er sich auf in Richtung Marktplatz, um zu sehen, wer der Nachfolger des Bürgermeisters werden würde. Dass ihm der Gedanke, wo der Sinn lag, erst einen Bürgermeister zu wählen, der dann aber einen beliebigen Nachfolger ernennen konnte, obwohl er sich als bösartiger Magier herausgestellt hatte, kam, wertete er als positives Zeichen, dass seine Gedanken bereits anfingen, wieder in den gewohnten Bahnen zu laufen.
Doch all diese Überlegungen waren wie weggeblasen, als er am Stadttor vorbeikam. Es war geschlossen. Wie gestern. Eine Wache stand davor. Wie gestern. Rafael versuchte, so ruhig zu bleiben, wie er konnte, als er die Wache ansprach:
"Sollte das Tor nicht geöffnet werden? Der Mörder wurde doch gestern gefunden."
"Haben sie es noch nicht mitbekommen? Heute Nacht wurde eine weitere Person umgebracht. Frau von Busch. Es scheinen dieselben Täter gewesen zu sein, wie gestern."
Die Wache konnte beobachten, wie sämtliches Blut aus Rafaels Gesicht zu weichen schien, als er stockend murmelte: "Es ist... noch... nicht vorbei..."