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Miller wollte gerade zu einer längeren Ausführung über die in Betracht kommenden Kandidaten für die anstehende Wahl ausholen - denn er war hier ganz anderer Ansicht als der junge Rafael Firas - da vernahm er auf einmal ein Japsen und Schnaufen hinter ihm, aus dem die Worte "Herr Miller" und "Partituren" hervordrangen. Er drehte sich um und verschränkte die Arme. Der Antiquar Havelock humpelte und keuchte ihm entgegen, sichtlich erregt. Offenbar war ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass die beiden verabredet gewesen waren. Mit grimmigem Gesicht ließ er den armen Mann noch das letzte Stück überwinden. Seine Laune besserte sich dabei.
Als Havelock sie erreicht hatte, war er ganz außer Atem. Vornüber gebeugt schnaufte er und brachte hervor:
"Ihre Partituren... ich habe sie. Es tut mir leid, ich hatte es ganz vergessen und... puh... ins Wirtshaus gegangen."
Friedrich Miller konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, und in just diesem Moment war sein Ärger auch wieder verflogen. Da hatte er es geschafft, diesem alten Sturesel eine Entschuldigung abzuringen! Normalerweise endeten Gespräche der beiden häufiger in einem lauten Gezeter. Doch beide wussten sie, dass sie aufeinander angewiesen waren, denn außer dem Antiquar kannte Miller niemanden, der ihn mit neuen Stücken versorgen konnte, und Miller seinerseits war so einer der wenigen Stammkunden des Antiquars, wenn nicht gar der einzige.
"Da siehst du es, Rafael!", rief Miller aus. "Welche der von dir genannten Personen würde sich so für ihre Mitbürger einsetzen! Ich sage dir, was diese Stadt braucht, sind nicht edle Herrschaften, die sich nur um die Vermehrung ihres eigenen Wohls kümmern, sondern alte Sturesel mit dem richtigen Maß an Pflichtgefühl. Ich will nicht sagen, dass unser Havelock hier der beste Mann für das Amt des Bürgermeisters wäre, aber so einer ist mir immer noch lieber als alle Hochwohlgeborenen zusammen."
Die Partituren wechselten den Besitzer und Miller überreichte Havelock die vereinbarte Summe. "So, das hätten wir. Da Sie für heute keine Kundschaft mehr erwarten dürften, können Sie sich ja vielleicht die Zeit nehmen und uns Ihre Meinung zur Wahl des Bürgermeisters mitteilen. Die würde mich ja brennend interessieren! Ich für meinen Teil denke, dass auch eine tüchtige Seele wie Ava geeigneter wäre als der Herr von Busch, nur möchte ich ihr, ehrlich gesagt, nicht noch weitere Pflichten aufhalsen. Und der Priester hat sich immer für das Wohl seiner Gemeinde gesorgt, aber als ich kürzlich mit ihm darüber sprach, wehrte er leider heftig ab. Wer weiß, vielleicht wissen die Bewohner Düsterburgs auch nur zu gut, was da auf sie zukäme - man kennt ja seine Pappenheimer. Vielleicht wäre auch ein neues Gesicht gar keine schlechte Idee, jemand mit einem unkorrumpierbaren Pflichtgefühl, gottgläubig und mit dem Herzen am rechten Fleck. Aber diese Menschen sind ja heute rar gesät."
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