Anlass für die Eröffnung dieses Threads ist ein von mir in den letzten Wochen entwickeltes Spielkonzept, welches ich demnächst zusammen mit meiner regulären Rollenspielrunde als Kampagne beginnen möchte. Zuvor würde ich mich aber freuen, noch einige Meinungen über das Konzept einzuholen. Vor allem zu einem Element, welches vermutlich für einige hitzige Diskussionen zwischen Spielleiter und Spielern sorgen wird: Prinzipientreue.
Um es auf das zentrale Problem herunterzubrechen: Es gibt im Spiel Prinzipien, welche die Helden der Spieler durch ihre Handlungen und ihre Entscheidungen verkörpern. Handeln sie ihren Leitprinzipien gemäß und bringen die Charaktere dafür sogar noch hohe persönliche Opfer auf, so steigt ihre Prinzipientreue. Handeln sie gegen ihre Prinzipien, sinkt diese wiederum.
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Der regeltechnische Hintergrund? Jeder der Charaktere erhält durch sein Prinzip besondere Fähigkeiten, die umso stärker wirken, je höher auch seine Prinzipientreue ist. Für viele Fertigkeiten ist eine bestimmte "Mindestprinzipientreue" notwendig damit sie überhaupt verwendet werden können.
Das Problem ist jetzt natürlich, dass man "Prinzipientreue" wie jede andere abstrakte Größe dieser Art (Karma-Meter, Korruption, Geistige Stabilität) streng genommen überhaupt nicht in Form irgendeines Zahlenwerts abbilden kann. Zumindest nicht ohne es dabei zu riskieren alle fünf Minuten eine Grundsatzdiskussion mit den Spielern vom Tisch zu brechen, warum der Charakter für eine bestimmte Aktion eben auch einmal Abzüge in diesem Wert erhält (auch wenn ich das bei unserer Runde generell weniger befürchte). Verzichten will ich auf eine irgendwie geartete Bezugsgröße aber auf keinen Fall, denn auch für den Verlauf der Handlung sollen Prinzipien und die Auslegung derselben einen entscheidenden Faktor darstellen.
Die Prinzipien
Die Prinzipien um die es mir geht sind Mut, Aufrichtigkeit und Ehre. Und ja, ich weiß, dass man sich allein über die Definition dieser Begriffe endlos lange Diskussionen liefern kann, aber aus Gründen der Praktizierbarkeit am Spieltisch brech ich es mal auf einige praktische Grundlagen herunter:
- Der Mutige folgt seinem Prinzip, wenn er Herausforderungen annimmt und für seine Ziele Risiken eingeht. Er bricht es, wenn er Risiken scheut oder sich eine Herausforderung zu leicht macht.
- Der Aufrichtige folgt seinem Prinzip, wenn er Lügen und Irrtümer richtig stellt. Er bricht es, wenn er selbst Unwahres spricht.
- Der Ehrenvolle folgt seinem Prinzip, wenn er Versprechen einlöst und sich für andere einsetzt. Er bricht es, wenn er sich nicht an sein Wort hält oder Schwäche ausnutzt.
Die Fähigkeiten die zu einem Prinzip gehören sind darauf ausgelegt, das eigene Prinzip möglichst effektiv erfüllen zu können (beispielsweise: zusätzliche Rettungswürfe für den Mutigen, Wissenstalente für den Aufrichtigen, der Ehrenvolle kann Schaden anstelle eines anderen einstecken, usw.). Zusätzlich teilt sich jedes Prinzip in zwei weitere Pfade mit eigenen Fertigkeiten auf (Mut: Veränderer oder Krieger, Aufrichtigkeit: Endtecker oder Gelehrter, Ehre: Heiler oder Protektor), auf welchen sich die Helden dann spezialisieren können. Dazu hat jedes Prinzip noch einen dritten Pfad, von dem die Spieler anfangs nichts wissen und den sie erst im Laufe der Zeit zusätzlich zu ihrem gewählten Pfad begehen können (Herrscher, Verschworener, Richter). Dieser dritte Pfad verfügt über mächtige Fähigkeiten, bei deren Einsatz die Helden jedoch fast immer Gefahr laufen, ihr Prinzip zu verraten. Das ist so in etwa die sehr verkürzte Darstellung der Idee, in der Praxis ist das ein wenig komplexer ausgearbeitet.
Prinzipientreue
Die Prinzipientreue ist wie schon erwähnt die Grundlage für den Einsatz von bestimmten Fähigkeiten. Anstelle eines Punktekontos, dass sich durch irgendwelche Taten füllt oder leert, hatte ich mir allerdings gedacht, Prinzipientreue wie ein Attribut zu behandeln, das eine gewisse Stufe hat. Diese Stufe schwankt zwischen 0 und 6, wobei der höchste und niedrigste Wert absolute Extreme darstellen (zum Vergleich: 2 ist der Durchschnitt, den ein normaler Mensch hat, jemand mit 3 ist schon auffällig auf seine Prinzipien bedacht).
Die Stufe verändert sich, sobald ein Charakter für prinzipientreues Handeln Opfer erbringt oder Risiken eingeht. Eine PT von 3 lässt sich zum Beispiel dadurch erreichen, indem man auf Vorteile verzichtet (Der Ehrenvolle verzichtet darauf einen Mitarbeiter anzuschwärzen, auch wenn er dafür befördert werden könnte). Eine PT von 5 hingegen würde schon die Gefährdung von Leib und Leben mit sich bringen (Der Aufrechte schreibt weiter Flugblätter gegen das Regime, auch wenn dieses ihn bereits ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hat).
Umgekehrt sinkt die Stufe auch, je nachdem welche Gründe ein Charakter dafür hat, gegen sein Prinzip zu verstoßen. Eine höhere Prinzipientreue bedeutet hierbei auch höhere Ansprüche, die an einen Charakter gestellt werden. Wenn ein Charakter mit dem Prinzip Mut sich beispielsweise weigert, bei einer Verfolgung einen möglicherweise lebensgefährlichen Sprung über einen Abgrund zu wagen, so wird er nur dann Prinzipientreue verlieren, wenn diese auch über 4 liegt. Eine Prinzipentreue von drei oder niedriger bleibt dagegen unverändert
Schön wäre es, wenn die Spieler dadurch bisweilen auch als Gruppe in die Zwickmühle kommen würden und sich überlegen müssten, ob sie in einer brenzligen Situation lieber der Erfüllung ihres Auftrages oder der Erfüllung ihrer Prinzipien den Vorzug geben.
Korrumpierung
Nun soll das System ja durchaus dazu einladen, dass die Charaktere immer wieder im Blick auf eine möglichst hohe Prinzipientreue in moralische Dilemmas geraten. Da man aber kaum erwähnen muss, dass man als Spieler unglaublich kreativ darin sein kann, dem Spielleiter das Wort im Mund umzudrehen (was meistens auf Gegenseitigkeit beruht), gibt es noch einen weiteren Wert zur Prinzipientreue, nämlich die Korrumpierung. Im Gegensatz zur Prinzipientreue ist diese nach oben hin offen und kann im Normalfall nicht absinken. Vor allem aber steht dieser Wert zunächst nicht auf dem Charakterblatt, sondern wird anfangs allein vom Spielleiter verzeichnet. Die Spieler wissen zu Beginn also nicht einmal, dass es diesen Wert überhaupt gibt.
Punkte in Korrumpierung kann ein Charakter aus verschiedenen Gründen erhalten, vor allem aber immer dann, wenn er ein Prinzip auf ein Mittel zum Zweck reduziert. Oder aber der Charakter hält in einer Situation sein Leitprinzip ein, führt es aber genau dadurch ad absurdum.
Als ganz blödes Beispiel: Ein Charakter mit dem Prinzip Mut hat einen Angehörigen, durch den er ein reiches Erbe in Aussicht hat. Der Charakter bringt diesen Angehörigen um und beruft sich nun darauf sein Prinzip zu erfüllen, indem er eine Festnahme durch die Polizei riskiert, wenn das ganze auffliegt. Ich glaube, man muss nicht groß erwähnen, dass das zwar formal korrekt, aber nicht ganz Sinn der Sache ist.
Ab einen bestimmten Wert in Korrumpierung ergeben sich für den Charakter erst einmal... deutliche Vorteile! Der Charakter kann nun den bereits erwähnten dritten Pfad und die dort verzeichneten Fähigkeiten auswählen. Wann immer er eine solche Fähigkeit einsetzt, riskiert er, dass die Korrumpierung weiter ansteigt. Je mehr der Charakter korrumpiert, desto stärker werden diese Fähigkeiten.
Irgendwann folgt jedoch ein Punkt, ab dem das ganze allmählich zu kippen beginnt. Der Charakter verliert erst ohne Vorwarnung einen sehr wichtigen Gegenstand und macht sich dann zunehmend Feinde, die ihm alsbald ans Leder wollen (die Hintergründe zu beiden Sachverhalten würden an dieser Stelle etwas zu weit führen). Ab diesem Punkt werden auch zunehmend weitere Nachteile deutlich, wie beispielsweise erschreckende Veränderungen im Aussehen des Charakters oder Zwangshandlungen, die er immer schwieriger kontrollieren kann.
Was mich nun interessieren würde:
- Eure Meinung generell zu diesem Konzept - Vor allem potentielle Schwierigkeiten, die ihr bei der Umsetzung des Ganzen seht.
- Habt ihr bereits Erfahrungen mit ähnlichen Systemen gemacht, die bestimmte Verhaltensweisen und Rollenspiel regeltechnisch belohnen oder sanktionieren? Wenn ja, wie gut oder schlecht war die Idee dort umgesetzt?
- Was ist eure Meinung generell zur Darstellung von Konzepten wie "Prinzipien", "Karma" oder "Moral" in Form von Zahlenwerten?