Wer hat gesagt, dass es damit eher gerechtfertig wäre? Auch der Penner auf der Parkbank hat es nicht verdient, dass man ihm seinen Lebensstil vorwirft. Und gegenüber diesem Penner hat sie mit dem, was sie tat, eine ganze Menge Menschen erreicht. Wenn du irgendwann mal etwas so sehr willst und so viel Talent für diese Sache hast, dass du dich von künstlich geschaffenen Barrieren und Schwierigkeiten nicht davon abhalten lässt, verstehst du das vielleicht. Es ist nicht irgendetwas, das sie da gemacht hat, es war etwas Großes; und wenn man der Popszene glauben schenkt, ist für sie damit auch ein ziemlich großer Traum in Erfüllung gegangen. Da überlegst du dir 15mal mehr, in ner Kindertagesstätte anzufangen.
Die zugedröhnten Pfleger können übrigens auch in einen anderen, stressfreieren Beruf wechseln, die Mütter können sich auch Hilfe suchen oder ihre Kinder weggeben. Wäre die Welt dermaßen einfach, hätte es die Fin de siècle nie gegeben, genausowenig wie die 68er und den postmodernen Psychotherapie-Trend. Zwang zwingt. Da schmeißt man nicht einfach hin. Wenn genau das es ist, was du willst, oder wenn genau das es ist, was du kannst, oder auch nur, dass dir gesellschaftlich aufgebunden wird, dass du das tun musst, wenn du keine andere Alternative siehst, dann ist das eben so. Wider alle Vernunft. Die Winehouse war nicht besser als dein Penner auf der Parkbank, nicht besser als Schwester Lara auf Station 6, nicht besser als Frau Dingsbumshausen mit ihren 2 Gören und nicht besser als 80% der Bevölkerung westlicher Zivilisationen.
Es stimmt, jeder ist für sich selbst und seine Handlungen verantwortlich. Aber jeder wird von seiner Umwelt und von vielen äußeren Faktoren beeinflusst. Das allein ist schon schlimm genug, das allein ist schon ein Widerspruch zum Argument, jeder könne nach seinem freien Willen handeln. Wenn dann noch Drogen ins Spiel kommen, ist es mit der Selbstverantwortung per definitionem vorbei. Du kannst einem Abhängigen ab einem gewissen Punkt nicht mehr die Schuld am eigenen Zustand geben. Aiu beschreibt das schon ganz richtig, man spricht irgendwann von einer Krankheit.
Und dem, der auf's Eis läuft, einbricht und nach seiner Rettung in Lebensgefahr schwebt, wirst du doch auch nicht vorwerfen, er müsse mal mit sich selbst klar kommen und sein Leben auf die Reihe kriegen. Auf's Eis Gehen ist dumm. Drogen nehmen ist dumm. Drogenkonsum ist in vielen Fällen die Folge von Zwängen, von Belastungen. Und hier ist der Mensch noch nie berechnend genug gewesen, um zu sagen "Hm. Wenn ich das jetzt mache, werde ich vermutlich einbrechen und in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten." Wäre diese Abschätzung möglich, wären Drogen nicht halb so gefährlich.
Schon klar, dass man da das Bedürfnis entwickelt, mit dem Finger drauf zu zeigen und zu sich zu meinen "Mir würde das nicht passieren. Gibt doch auch andere Möglichkeiten." Wie gerechtfertigt und ehrlich das jetzt ist, kann sich jeder selbst einbilden. Aber es ist absolut unanständig und gehässig, Leuten, die in so eine Spirale gelangen und dabei vielleicht zu Grunde gehen, was mit ihnen passiert auch noch vorzuwerfen, oder ihren Tod sogar zu belächeln und mit "She had it coming." zu argumentieren, als hätte man es schon Monate im Voraus gesagt (as a matter of fact: "Och, das wundert mich voll nich."-Sager haben ihr Wissen natürlich schon weit vor ihrem Tod mit der Welt geteilt und es war ja alles so absehbar und deutlich und es hat nur niemand glauben wollen ...) -- ich weiß nicht. Ich halte das für dämlich, arrogant und absolut widerwertig.
Aber gut. Wir sind ja alle gesittete und wohlerzogene Mitteleuropäer, die täglich rationale, berechnende Entscheidungen treffen und die immer völlig verantwortungsvoll handeln.
Und das aus einer Kultur, die keine Woche ohne Alkohol übersteht, akut mediensüchtig ist und es noch nie geschafft hat, die Verantwortung bei sich selbst zu suchen, weil's sowieso immer die anderen sind, die die Scheiße bauen und zugrunde gehen. Großes Kino.