-
Fossil
Es war noch sehr früh, als Erynn sich so leise es ihr möglich war aus dem Gästezimmer schlich und sich auf den Weg zum Feldlager der Telvanni machte. Als sie aus dem exotischen Pilzturm trat, der für das Städchen Vos sowohl Handels- als auch Gasthaus darstellte, schob sich die Sonne gerade über den Rand des Inneren Meeres und schien das Wasser selbst in Flammen zu setzen. Der Anblick war so atemberaubend und kitschig zugleich, wie nur die Natur selbst es zuwege bringen konnte.
Es überraschte Erynn zu bemerken, daß sie nicht allein war. Eine vertraute Gestalt stand am Ufer und betrachtete ihrerseits stumm den Sonnenaufgang. Nach einem Moment drehte sich Dreveni zu Erynn um. Die Assassinin hatte offenbar den selben Plan gefaßt wie sie und war ebenfalls auf dem Weg zum Militärlager, so daß es sich anbot, daß die beiden Frauen gemeinsam dorthin gingen.
Schweigend liefen sie das Stück bis zu den ordentlich aufgestellten Zelten. Der Morgen war frisch, über den taufeuchten Wiesen des Graslandes hingen vereinzelte Nebelfetzen. Die Vögel und kleinen Insekten verursachten einen ähnlichen Radau wie jene in der Westebene, doch die Melodie hier war weitaus exotischer.
Im Lager angekommen, fragte sich Erynn zu den beiden Soldaten durch, die sie vor der Schlacht kennengelernt hatte. Nach einigem Hin und Her brachte sie ein Dunkelelf in einer Knochenrüstung, die viel zu schwer für ihn zu sein schien, zum Zelt der beiden Kampfmagier. Der Junge ist garantiert noch keine vierzig Jahre alt, überlegte Erynn, während sie hinter dem Telvannigefreiten herlief. Eine verdammte Schande...
Im nächsten Moment wunderte sie sich über sich selbst. Sie hörte sich an wie die Veteranen aus der Kriegergilde. Die meisten von denen waren auch noch keine vierzig Jahre alt, aber da handelte es sich um Menschen oder Orks, was diese Alterssache doch beträchtlich relativierte.
Sie betrat das Zelt, gefolgt von Dreveni, und hielt erschrocken inne. Gilthas lag auf einem einfachen Lager, die Hände und Arme schrecklich verbrannt. Neras hockte neben ihm und sprach gerade einen Zauber über seinen Freund, ohne daß sich an den Verletzungen viel zu ändern schien. Doch Erynn enspannte sich ein wenig, als Gilthas sie schief, aber dennoch unübersehbar erfreut angrinste. „Erynn! Keine Sorgen machen, ist nicht so schlimm. Sieht nur so aus“, radebrechte er auf cyrodiilisch. „Neras macht, daß die Schmerzen nicht so schlimm sind. Die Heiler werden kommen, wenn die Schwerverletzten versorgt sind.“
Die Bogenschützin lächelte, hockte sich neben die beiden Kampfmagier und drückte kurz die Schulter von jedem der beiden. „Ich bin froh, daß ihr am Leben seid. Ich bin gekommen, um euch Lebewohl zu sagen... und um euch etwas zu fragen.“ Sie wartete, bis Gilthas für seinen Freund übersetzt hatte. „Was willst du wissen“, fragte er.
„Ich suche jemanden“, erklärte Erynn. „Einen flüchtigen argonischen Verräter. Vielleicht ist er hier durchgekommen. Ich weiß, daß er mit einer Organisation in Verbindung gebracht wird, die ‚Zwillingsfackel’ genannt wird...“
Bei der Erwähnung des Wortes horchte Neras auf, und nachdem Gilthas wiederum übersetzt hatte, sprach er schnell und recht lange in der melodischen Sprache der Dunmer. Er sah dabei Erynn an, wenngleich ihm klar war, daß sie nicht ein Wort von dem verstand, was er sagte. Sein Freund schaute zwischen Erynn und Dreveni hin und her. „Sie sucht den Argonier auch?“ – „Ja.“ – „Also: Ich versuche alles auf cyrodiil zu sagen: Wenn die Echse, die du suchst, hier im Norden ist, wird er bestimmt versuchen nach Sheogorad zu gehen, nach Dagon Fel. Jedenfalls, wenn er nach Schwarzmarsch zurück will. Dafür mußt du schwimmen oder mit einem Schiff fahren, es gibt keinen anderen Weg. Eine Echse wäre dumm, wenn sie nach Port Telvannis oder die Molag Amur gehen würde, wo die Erabenimsun leben... Echsen verschwinden dort schnell, verstehst du?“
Erynn nickte. Sie sagte nicht, daß sich der Gesuchte wahrscheinlich schon einmal durch die Amur geschlagen hatte, das würde sie jetzt auch nicht weiterbringen. „Sagt dir der Name Gumora irgendwas?“ „Gumora! Ja, ich habe den Namen gehört. Nicht hier im Lager, aber früher schon. Er ist Zwillingsfackel. Er war... bekannt hier, früher. Bevor alles anders wurde. Wenn er hier in der Gegend ist, wird er nicht nach Port Telvannis gehen. Jemand wird ihn dort erkennen, und dann ist er tot. Wenn er Glück hat.“
Erynn fixierte Gilthas und Neras mit ihrem Blick. „Er wird kein Glück haben, wenn ich ihn finde.“ – „Dann geh nach Norden und Westen. Nach Dagon Fel, oder noch weiter. Wenn er hier war, wird das sein Weg sein.“
Die beiden Dunmerfrauen verließen das Lager nach etwa einer halben Stunde wieder. Der Abschied war herzlich, aber pragmatisch gewesen. Erynn riß sich endgültig los, als ein Heiler der Telvanni das Zelt betrat, um sich um Gilthas’ Verbrennungen zu kümmern. Auch auf dem Rückweg sprachen die beiden Dunmerinnen nicht viel. Erynn fand es, obwohl sie eigentlich gern quasselte, recht angenehm, daß man mit Dreveni schweigen konnte, ohne daß sich eine peinliche Stille entwickelte. Sie mochte die Assassinin, wurde ihr endgültig klar. Auch, wenn diese nicht wirklich vertrauenswürdig sein mochte und sie einem zweifelhaften Handwerk nachging. Ich glaube, ich würde sie entkommen lassen, wenn mich die Kriegergilde je auf sie ansetzte... und ich würde es nicht bereuen.
Vor dem Handelshaus trennten sie sich. Es war noch immer so früh, daß kaum ein Zivilist auf den Beinen war, und Erynn beschloß die Gelegenheit zu nutzen, ein Bad zu nehmen. Wenn das Meer schonmal in so kommoder Reichweite war, wäre es eine Schande, das nicht auszunutzen. Sie lief die Küste ein Stück nach Norden hinauf, bis sie ein paar hohe Felsen fand, die ausreichend Deckung vor neugierigen Blicken boten, entledigte sich ihrer Kleidung und tauchte zunächst vorsichtig einen Fuß ins Wasser. Es war kühl, aber was machte das schon? Besser, als weiterhin nach Schwefel zu stinken. Sie mochte die Totenlande auf eine verdrehte Weise, aber dort roch es immer irgendwie nach faulen Eiern. Und sie selbst roch auch danach. Noch. Erynn entschied, daß die kurze und schmerzhafte Variante die beste wäre und tauchte einmal komplett unter Wasser, kam wieder hoch und schüttelte sich. Wirklich, verdammt kalt!
Sie blieb nicht lange im Wasser, wusch sich rasch mit einer Handvoll Schlamm und Seegras ab, stellte fest, daß sie nicht an ein Handtuch gedacht hatte und rubbelte sich notdürftig mit ihrer Tunika trocken, bevor sie das Kleidungsstück wieder über den Kopf zog und sich auf den Rückweg zur Herberge machte.
In ihrem Zimmer angekommen, fand Erynn Arranges noch immer schlafend vor. Sie zögerte einen Augenblick. Aufwecken oder schlafen lassen? Nein, besser, er erfährt die neuen Informationen sofort. Sie setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und strich dem Beschwörer mit einer Hand sanft durch das wirre Haar und über den doch recht lang gewordenen Bart. „Arranges? Komm zu dir“, sagte sie leise und es tat ihr doch ein wenig leid, ihn jetzt zu wecken. Er sah nach so langer Zeit endlich wieder vollkommen ruhig und friedlich aus. „Wach auf.“
Der Kaiserliche schlief wie ein Stein und bekam rein gar nichts mit, als Erynn das Zimmer verließ. Angenehme Träume statt drückender Steine im Rücken begleiteten seinen Schlaf. Im Geiste hatte er gerade das ebene, weiß gerahmte Gesicht einer Dunmer vor Augen, als der Traum etwas zu plötzlich eine seltsame Form annahm. Irgendetwas Kaltes strich ihm übers Gesicht, was Arranges nach außen mit einer tiefen Falte auf der Stirn quittierte und den Kopf von der Berührung wegdrehte. Der Bewegung folgte ein im Schlaf genuscheltes 'Mhh... Falanu... nicht jetzt...!' Als das Traumbild begann sich in der Berührung, die einfach nicht verschwinden wollte, aufzulösen, rollte der Kaiserliche plötzlich herum, spürte irgendeinen Widerstand am Arm, griff danach und schlang im Schlaf seine Arme reichlich unkoordiniert, aber fest um Erynns Hüften. Mit einem deutlich zufriedenen und erleichterten Seufzer bettete er seinen Kopf auf den Oberschenkel der Elfe... Ein mehr als bekannter Geruch drang in sein Bewusstsein und wischte den Schlaf beiseite. Im Erwachen atmete Arranges einmal tief ein, als wäre er zu lange unter Wasser gewesen. 'So eine leichte Meerwassernote schmeichelt dir, Erynn.' Sagte er noch immer schlaftrunken, ohne die Augen zu öffnen oder seinen Griff zu lockern. Erynn! Plötzlich riss er die Augen auf und saß einen Herzschlag später kerzengerade im Bett. Er blickte die Elfe aus leicht zusammengekniffenen Augen an, als könne er gerade nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden, weil sich beides ziemlich ähnlich sah. In jedem anderen Fall hätte man sich wohl Sorgen um Arranges gemacht, aber hier konnte jeder noch so geistig Arme erkennen, dass der Magier einfach nur eine verdammt erholsame Nacht mit einem sehr tiefen Schlaf hinter sich hatte. Seine Haare waren arg zerzaust und auf einer Seite platt nach oben gedrückt, die Schärfe in seinen Augen rang noch mit der Schlaftrunkenheit und eine leichte Blässe auf den Wange verriet, dass sich sein Kreislauf in den letzten Stunden nur zu gerne an die einfach zu versorgende Waagrechte des Körpers gewöhnt hatte.
Falanu? Du bist wirklich gerade weit weg gewesen, oder? Erynn wollte eben eine spöttische Bemerkung machen, blieb dann aber stocksteif sitzen, als der Beschwörer plötzlich seine Arme um ihre Taille legte. Gerade als sie feststellte, daß diese Berührung alles andere als unangenehm war, hatte Arranges seine fünf bis sechs Sinne leider wieder so weit beieinander, daß er erschrocken hochfuhr und sie losließ. "Die Alchemistin ist nicht hier, also kein Grund, in Panik zu geraten", brachte sie noch etwas atemlos heraus, überrascht darüber, daß ihr überhaupt sowas wie eine halbwegs schlagfertige Antwort einfiel. "Werd erstmal wach. Es ist ein wundervoller Tag an der vvardenfellschen Ostküste und ich habe ein paar Informationen, die nützlich sein könnten..."
Geändert von Glannaragh (14.05.2012 um 22:58 Uhr)
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln