[Erynn]
Erynns Verstand arbeitete fieberhaft, während sie zusammen mit Dreveni den schlaffen Körper des Beschwörers auf die Ruine zu schleifte. Er war aufgrund des Panzerhemdes und all des Gelörres, das er am Gürtel trug recht schwer, aber zu zweit hatten sie trotzdem keine ernsthaften Probleme deshalb. Ihr fiel auf, daß sich zwei der berobten Gestalten links und Rechts des Eingangsportals zum Schrein positionierten. Vielleicht handelt es sich bei denen um Anwärter des Covens, die dem eigentlichen Ritual noch nicht beiwohnen dürfen. Seltsam nur, daß wir eingelassen werden, obwohl uns scheinbar niemand hier kennt... sinnierte sie. Möglicherweise sind die beiden auch einfach nur zufällig an der Reihe damit, Wache zu halten. Letztendlich war es auch völlig egal. Zwei Leute am Eingang bedeuteten zwei Leute weniger, die sie jetzt begleiteten. Nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit Treppen heruntergestiegen waren, erreichten sie eine Halle, die anscheinend Wohn- und Schlafsaal für die Kultisten darstellte. Dort blieben die anderen beiden Robenträger zurück, aber die Schreinwächterin in der Vulkanglasrüstung hielt sich weiterhin dicht hinter ihnen, so daß weder Erynn noch Dreveni die Möglichkeit hatten zu sehen, ob es in der Rüstung irgendeine Schwachstelle gab, in der man in einem unbeobachteten Moment einen Dolch hätte versenken können.
Es wurde wärmer, je weiter sie gingen. Viel wärmer. Die Kriegerin fühlte sich wieder einmal an die Totenlande erinnert, umso mehr, als sie den inneren Schrein schließlich erreichten. Aus einem Lavasee erhob sich ein mächtiger, bearbeiteter Felsen, gekrönt von einer überlebensgroßen Statue des Daedrafürsten Molag Bal, dessen steinerner Blick den gesamten Raum beherrschte. Für einige Herzschläge lang stand Erynn wie erstarrt vor Faszination, dann jedoch schlug die Nervosität zu. Um den Altar vor der Statue herum hatten sich mehrere Kultisten gruppiert, fünf an der Zahl, davon eine in einer leuchtenden, offensichtlich unverschämt teuren Seidenrobe. Sie schien die Hohepriesterin zu sein, denn alle anderen hielten gebührenden Abstand von ihr, während sie irgendwelche Vorbereitungen trafen, Kerzen entzündeten, irgendwelche Kräuter verbrannten und dabei unverständliche Worte murmelten. Erynn hörte nicht, was sie sagten, aber sie sah, wie sich die Lippen der Männer und Frauen bewegten. Sie alle waren Elfen. Altmer und Dunmer. Der Widerschein des Feuersees auf ihren Gesichtern gab ihnen etwas archaisches, erinnerte an längst vergangene und halb vergessene Zeiten, in denen es die Mer waren, die Nirn mit eiserner Hand beherrschten.

„Da hoch, los, bewegt euch!“ Die Bogenschützin wurde aus ihren Gedanken gerissen. Verdammt, verdammt, verdammt! Was jetzt? Das sind zu viele, um sie bekämpfen zu können... aber ich werde sicherlich nicht daneben stehen und zusehen, wie diese Irren Arranges aufschlitzen. Lieber reiße ich so viele von denen mit in den Abgrund, wie ich nur kann! Sie spannte sich und schritt langsam auf den schmalen Steg zu, der den Absatz, auf dem sie jetzt standen, mit dem Allerheiligsten verband.
„Nicht dorthin, ihr hirnlosen Schläger“, blaffte die Vulkanglasfrau, mittlerweile offensichtlich genervt. „Da hinauf!“
Erynn wandte den Blick etwas unsicher nach rechts. Sie bemerkte einen kleinen Durchgang, hinter dem ein natürlich entstandener, unbearbeitete Gang lag, der leicht nach oben anstieg. „Wer hat euch beide eigentlich losgeschickt, das Opfer auszuwählen?“ Die Wächterin kam näher, ihr drohender Blick wechselte von Erynn zu Dreveni und zurück. „Ich solltet besser anfangen, dieses Ritual ernstzunehmen. Der Herr Molag Bal ist niemand, der Dummheit verzeiht. Eben sowenig wie ich. Und jetzt geht und entledigt diesen da endlich seiner Rüstung! Ich will, daß er zum Höhepunkt der Anrufung gewaschen und gesalbt zum Altar geführt wird... Keine weiteren Fehler!“ zischte sie und wandte sich ab, scheinbar um ihren Platz für den Ritus einzunehmen, irgendwo unterhalb der Statue.

[Dreveni]
Sie schleiften Arranges zwischen sich in die Ruine, während Dreveni krampfhaft überlegte, wie sie da wieder heraus kommen sollten. Erynn würde mit Sicherheit versuchen, den Magier zu befreien, vielleicht sogar wenn es absolut aussichtslos war. Dreveni selbst hatte kein größeres Problem, Arranges zu opfern, auch wenn er dieses mal komplett unschuldig an der Situation war. Dreveni hatte die Dunmer auch nicht bemerkt. Aber es ergab für sie trotzdem keinen Sinn, wenn sich bei einem Befreiungsversuch sie beide auch noch opferten, und im Moment waren die anderen einfach in der Überzahl. Im Inneren der Ruine wurde es immer wärmer, je tiefer sie kamen. Schließlich kamen sie zur Quelle der Wärme, und anscheinend auch dem Schrein dieser Kultisten. Drevenis Gesichtszüge entgleisten für ein paar Sekunden, als sie sah, dass sich hier noch mehr Kultisten aufhielten, und ihre Chancen, das alles noch zu einem halbwegs gutem Ende zu bringen, gegen Null sanken. Als sie schließlich von der Dunmer in der Glasrüstung angeschnauzt wurden, sah Dreveni nur betreten zu Boden. Sie hatte längst fest gestellt, dass es keinen Schwachpunkt in der Rüstung gab, und so beschloss sie mitzuspielen so gut es ging. Auch wenn sie sich bei den letzten Worten ernsthaft ein Grinsen verkneifen musste. Arranges zu waschen, zu salben und dann zu opfern wäre wirklich ein schöner Gedanke.

Als sich die Dunmer abwandte, hielt sie mit Arranges im Schlepptau auf den Durchgang zu, worauf Erynn ihr folgte, ihr blieb auch kaum etwas übrig, wollte sie den Magier nicht fallen lassen. Dieser wirkte noch immer komplett weg getreten und nicht handlungsfähig. Nachdem der Gang eine scharfe Rechtskurve gemacht hatte, endete er in einem kleinen Raum. Dort stand eine Liege, sowie Krüge und Schalen mit Wasser, auf einem Stapel lagen weiße Leinentücher. Auf einem kleinen Tisch sah Dreveni noch Schüsseln die Cremes und Kräuter enthielten. Außerdem hing eine weite, weiße Robe an der Wand, diese sollte wohl dem Opfer als letztes Hemd dienen. Das ganze wurde etwas spärlich von Kerzen erhellt. Einen zweiten Ausgang gab es leider nicht. Sie legten Arranges vorsichtig auf den Boden, dann trat Dreveni dicht an Erynn und sagte leise zu ihr: "Und jetzt? Da draußen sind definitiv zu viele für einen offenen Kampf. Das wäre Selbstmord, und Arranges müsste am Schluss doch drann glauben. Ich wüsste auch nicht, wie man sie ablenken könnte, um an ihnen vorbei zu kommen." Abwartend sah sie Erynn an, obwohl ihr bewusst war, dass die andere Arranges vermutlich nicht im Stich lassen würde. Verflucht.

[Erynn]
Erynn warf Dreveni einen schiefen Blick zu, schaute dann auf Arranges herab, der zwar unfähig war sich großartig zu bewegen, ansonsten aber bei vollem Bewußtsein zu sein schien. Dann wandte sie sich ab und schlich den kurzen Gang zur Haupthalle wieder herunter, spähte vorsichtig um die Ecke. Die Kultisten hatten sich in einem Halbkreis um die Statue herum versammelt, die Gesichter dem steinernen Abbild zugewandt. Die hochelfische Hohepriesterin stand aufrecht, eine tönerne Schale in den hochgereckten Händen, während die übrigen Teilnehmer des Rituals knieend zu beiden Seiten des Altars verharrten. Die Hochelfin stimmte einen langsamen Singsang in einer Eynn unbekannten Sprache an, der auffallend dissonant klang. Die Worte kamen abgehackt, halb gesungen, halb geschrien und mit fanatischer Inbrunst ausgestoßen. Die Bogenschützin zog sich wieder zurück.
"Wie wir hier rauskommen?" reagierte sie stark verspätet auf Drevenis Frage, als sie die Kammer wieder erreicht hatte. "Genau so, wie wir hier reingekommen sind. Die Kultisten befinden sich alle auf dieser kleinen Insel in dem Lavasee, dort wo die Statue steht. Wenn wir uns im Schatten direkt an der Wand halten, können wir es aus dem inneren Schrein heraus schaffen. In der Halle davor sind zwei von diesen Kuttenträgern zurückgeblieben, am Ausgang der Anlage noch einmal zwei. Wir beide können die Gestalten still erledigen, bevor sie überhaupt merken, was los ist." Sie warf der Assassinin einen fast flehenden Blick zu. "Bitte, Dreveni. Wer sagt denn, daß wir zwei lebend hier rauskommen, selbst wenn wir... selbst wenn das Ritual wie geplant über die Bühne geht? Wir wissen gar nicht, was wir tun müssen. Diese Wächterin ist ohnehin schon mißtrauisch. Was glaubt Ihr, wird die mit uns machen wenn sie herausfindet, daß wir eigentlich gar keine Ahnung von all dem hier haben?"

[Dreveni]
Sie hörte Erynn zu, und musste ihr soweit zustimmen. Allerdings standen ihre Chancen ohne Arranges deutlich besser. "Je eher wir hier raus sind, desto besser, da muss ich euch Recht geben. Allerdings muss ich auch ganz offen sagen, dass unsere Chancen ohne ihn größer sind." Dabei deutete sie auf Arranges. Sie sah allerdings auch ein, dass das kein Punkt war, über den sie mit Erynn jetzt diskutieren konnte, wer wusste wie viel Zeit ihnen blieb. Sie kniete sich vor Arranges, nahm seinen Kopf ihn ihre Hände und drehte ihn so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Obwohl sie nicht wusste, in wie weit er sie verstehen würde, sagte sie leise und eindringlich: "Arranges, wenn ihr hier lebend raus wollt, seid einfach einmal in eurem Leben still bis wir hier draußen sind und zickt nicht rum." Dazu sollte er zwar kaum in der Lage sein, aber sie wusste auch nicht, wie lang dieser Zauber wirken würde. Dann nahm sie ihn mit Erynn zusammen wieder in ihre Mitte und bewegten sich auf die Höhle zu. Die Kultisten befanden sich immer noch im Gebet um die Statue, so dass sie es tatsächlich schaffen konnte. Den Gesang so weit wie möglich ignorierend ging Dreveni leise an der Wand entlang. Inzwischen hatten sie Arranges an Armen und Beinen zwischen sich genommen, aus Angst die Kultisten könnten die Schleifgeräusche hören. Diese Befürchtungen waren allerdings unbegründet, als sie den Gang erreichten, der zu den Schlafgemächern führte, waren die Anhänger Molag Bals immer noch in ihr Gebet versunken und knieten vor der Statue.
In einer Kurve des Ganges legten sie Arranges ab, da sich vor ihnen zwei Dunmer befinden mussten. "Wir müssen beide gleichzeitig erwischen", sagte sie flüsternd zu Erynn, "Ich hoffe wir erwischen sie noch aus dem Gang heraus mit dem Bogen." Dreveni hatte natürlich nicht ihre komplette Ausrüstung mitgenommen, ein Teil lag noch bei den Guars, aber wenigstens ihre Waffen.

[Arranges]
Der Kaiserliche bekam nur die Hälfte mit. Er hatte zwar wohl die Augen geöffnet, hörte und sah recht deutlich, aber nur die Hälfte dieser Informationen drangen bis in sein Bewusstsein vor. Er stemmte sich vielmehr noch gegen die Magie, die ihn so sehr einschränkte und an ihm hing, wie Scheisse an der Stiefelsohle. Sie fesselte ihn regelrecht und Arranges wusste nur zu gut um ihre Wirkung bescheid, schließlich wandte er selbst diesen Zauber nur zu oft an. Allerdings hielt die Wirkung, selbst nach dem Ableben der beiden Kreaturen. Und das konnte nur eins bedeuten. Der Kaiserliche schüttelte sich innerlich, als ihm klar wurde, dass hier kein einfacher Zauber auf ihn einwirkte, sondern ein brachialer Fluch, der sich so lange halten würde, bis er einen Geistlichen oder Schrein aufsuchen würde, der den Bann brechen können würde. Er selbst hatte von Flüchen nur grundlegende Ahnung, war es doch nie sein tatsächliches Fachgebiet gewesen.
Dreveni riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Ihre Worte drangen nur langsam zu ihm durch. Blödes Weib... was soll ich denn bitteschön machen können?! Er hätte diese Worte am liebsten herausgebrüllt, aber sogar um seine Zunge zu heben war er zumindest in diesem Moment zu schwach, es reichte lediglich für einen zähen Lidschlag und ein trockenes Glucksen. Dann spürte er, wie ihn die beiden Elfen hoch hoben und wegschleiften. Für einen kurzen Moment schwanden ihm die Sinne, als er wieder sehen und hören konnte, waren sie bereits heraus aus der inneren Schreinkammer...

[Erynn]
Erynn atmete ein wenig auf, als sie das Allerheiligste hinter sich ließen und sich in den gewundenen Gang stahlen, der dieses mit der Wohnhalle verband. Die erste Etappe war geschafft. Arranges reagierte nicht, als sie ihn im Schatten dicht an der Wand zu Boden gleiten ließen, und das machte Erynn Sorgen. Was für ein Zauber hatte den Beschwörer da bloß erwischt?
Drevenis Worte lenkten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das vordringliche Problem, und sie griff leise nach ihrem Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Hatten die beiden Dunmerinnen schon mit Arranges im Schlepp nicht allzu viel Lärm gemacht, so hörte man jetzt keinen Laut, als sie sich langsam und umsichtig vorwärts schoben, bis sie in den großen Saal spähen konnten. Sie entdeckten die beiden Gestalten recht schnell. Sie nahmen ihre Aufgabe offenbar ernst und standen wachsam, allerdings war diese Wachsamkeit ausschließlich in genau die andere Richtung gerichtet als jene, aus der Erynn und Dreveni jetzt kamen. Die Bogenschützin gab ein Handzeichen: Ich die Linke, du den Rechten. Dreveni nickte zur Bestätigung und beide Frauen hoben ihre Bögen und legten an. Eine kurze Distanz, vielleicht zehn Schritte. Unmöglich zu verfehlen. Neben Erynn nickte die Assassinin unmerklich, woraufhin Erynn die Sehne fahren ließ. Beide Pfeile fanden nahezu zeitgleich ihr Ziel, Erynns durchschlug den Hals ihres Opfers, Dreveni hatte auf das Herz gezielt und getroffen. Die zwei Dunmer vor ihnen gaben kaum einen Laut von sich als sie, tödlich verwundet, zu Boden sanken. Erynn spürte Widerwillen in sich aufwallen, es gefiel ihr noch immer ganz und gar nicht, irgendwelche Leute abschießen zu müssen. Dann schob sie das Gefühl beiseite. Welche Wahl hatten sie schon?
"Weiter", flüsterte sie der Assassinin zu und schlich zurück in den gewundenen Gang, um Arranges einzusammeln.

[Dreveni]
Als sie die ersten zwei Wachen erledigten, lief alles glatt. Die beiden waren tot, bevor sie überhaupt merkten, was passierte, mit einem Angriff aus dem Schrein schienen sie nicht gerechnet zu haben. Sie holten Arranges, trugen ihn aber nicht sondern schleiften ihn wieder in ihrer Mitte über den Boden. Ganz so leise mussten sie jetzt auch nicht mehr sein, die anderen beiden Wächter sollten draussen stehen. Das war auch gut, denn es war ausgesprochen mühsam, den Magier die Stufen hinauf zu ziehen, da er zwischen ihnen wie ein nasser Sack hing. Ausserdem saß ihnen immer der Gedanke im Nacken, dass die Kultisten früher oder später merken würden, dass ihr Opfer verschwunden waren, und so beeilten sie sich. Kurz vor der Tür nach draussen in die Freiheit hielten sie kurz an, legten Arranges ab und warteten ein paar Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Dreveni legte den Bogen ab, nahm den Dolch in die Hand, ihr Schwert hing inzwischen wieder an ihrem Gürtel und sah kurz zu Erynn. Mit dem Bogen brauchten sie nicht anfangen, so blieb ihnen eigentlich nur eine Möglichkeit: Die beiden Flügel der Tür aufzuziehen und zu hoffen, dass die Wachen dicht davor und mit dem Rücken zu ihnen standen. Erynn schien das ähnlich zu sehen, sie nickte ihr nur in stummen Einverständnis zu.

Sie gingen beide die letzten Meter auf die Tür zu, zogen die Türflügel auf und hatten tatsächlich Glück. Dreveni hatte schon halb befürchtet, sie würden an der Tür lehnen und ihnen entgegenfallen, aber sie standen nur einen knappen Meter vor ihnen. Blitzschnell umfasste Dreveni eine der Wachen von hinten und stieß ihr den Dolch in den ungeschützten Hals, seitlich behinderte sie der Kragen seiner Rüstung. Er gab noch ein paar gurgelnde Laute von sich, Blut quoll aus seinem Mund und lief über ihre Hand, dann sackte er zusammen. Sie fing ihn auf, so gut es ging und ließ ihn langsam zu Boden. Dann fand sie Zeit, zu Erynn zu sehen, allerdings nahm sie an dass alles glatt gelaufen war, da sie von dem anderen Wachmann nichts gehört hatte.

[Erynn]
Bevor sich Erynn zu Dreveni an das Portal gesellte, zog sie ihren Dolch aus dem Stiefel und nahm ihn fest in die rechte Hand. Es würde häßlich werden, das wußte sie jetzt schon. Mit einem Ruck zogen sie die Torflügel auf, und sie stürzte neben Dreveni aus dem Eingang, hob ihren Dolch über Schulterhöhe und hackte nach dem Wachposten, der ihr am Nächsten stand. Der Kerl mußte sie gehört haben, denn er drehte sich im selben Augenblick zu ihr herum. Die kurze Klinge, welche die Halsschlagader hatte treffen sollen, glitt am Kieferknochen des Wächters ab und führ mit einem dumpfen Geräusch in die Halskrause seiner Netchlederrüstung, die er unter der Robe trug. Er schien jedoch viel zu überrascht über den plötzlichen Angriff aus unerwarteter Richtung, als daß er großartig hätte reagieren können. Erynn riß den Dolch zurück, stach ein weiteres Mal zu. Diesesmal traf sie. Ein Schwall hellrotes Blut spritzte ihr ins Gesicht, bevor sie den Dunkelelfen von sich stoßen konnte. Angewidert wischte sie sich über die Augen, rannte gemeinsam mit Dreveni zurück in die Ruine und wuchtete sich den Beschwörer ein letztes Mal auf den Rücken.
Jetzt gaben sie sich keinerlei Mühe mehr leise zu sein, rannten so schnell sie es mit ihrer Last vermochten durch den Irrgarten aus Mauern, Säulen und herabgestürzten Steinblöcken, welche den Schrein säumten, den ganzen Weg zurück zum Flußufer, wo ihre Guars treu auf sie warteten. Die beiden Frauen hielten sich nicht mehr lange auf, zerrten den Magier auf das Packgestell des einen Guars und verschnürten ihn dort, damit er nicht herunterfallen konnte. In Windeseile folgte die Ausrüstung, welche sie früher am Tag zum Trocknen ausgelegt hatten. Wohin? Nach Suran konnten sie nicht; die Guars wieder über das Wasser bringen zu wollen, würde zu viel Zeit kosten. "Weiter nach Osten, in die Aschewüste hinein", rief sie Dreveni zu und gab sich damit gleichzeitig die Antwort auf ihre eigene Frage. Wohin sie dieser Pfad letztendlich genau führen wurde, wußte sie ebensowenig wie die Assassinin, zumal ihre einzige Karte die Flußdurchquerung nicht überlebt hatte. Aber das war erstmal zweitrangig. Sie alle waren lebendig und hatten es bis zu ihren Reittieren geschafft. Nur weg von hier, lautete jetzt die Devise. Erynn trieb den Guar an und versetzte ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf die Flanke, gab ihm die Zügel und ließ ihn laufen, hinein in die vom Licht der Monde beschienene graue Einöde.