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Kämpfer
Fluffy stand schweigsam auf dem Düsterhügel und schaute auf die Weide hinab. Der Sonnenuntergang färbte den Horizont langsam rot. Während ihre Schafe sich nun schlafen legten, glücklich darüber, dass die Wölfe um einen weiteren dezimiert wurden. Doch die Gefahr war noch lange nicht vorüber. Glöckchen, oder Nachtfell, wie sie eigentlich hieß, hatte es angesprochen: Es gab noch weitere Reißer auf der Düsterheide. Und diese würden sie noch in in der heutigen Nacht holen kommen. Aber sie hatte schließlich gewusst, dass ihre Zeit als Leitschäfin nur von kurzer Dauer sein würde. Allerdings wünschte sich Fluffy, sie hätte Silvus noch einmal sehen können. Er hätte ihr Kraft gegeben, mit seinem Mut, seiner Freundlichkeit und mit seiner Liebe zu ihr. Fluffy musste lächeln, weil es Dinge gab, die ihr selbst die Wölfe nicht nehmen konnten. Sie konnten zwar die Liebe selbst töten, aber vollständig vernichten konnten sie sie nicht, denn Fridobert lebte in ihnen weiter.
Fluffy kletterte vom Düsterhügel hinunter und trabte gelassen in Richtung See. Wenn sie schon keinen Zeitpunkt gefunden hatte, um sich von Silvus zu verabschieden, dann wollte sie wenigstens noch einmal ihren Wasserschmetterlingen beim Fliegen zuschauen. Aber selbst diese hatten sich schon zum Schlafen niedergelassen. Seufzend sah Fluffy auf das sich kräuselnde Wasser hinab. Ihr Spiegelbild war von Sorgenfalten gekennzeichnet. Sie machte sich nicht Sorgen um sich selbst, sondern um ihren Geliebten. Jetzt war sie doch froh, dass er nicht da war, um ihr beiseite zustehen, so war er jetzt wenigstens in Sicherheit vor den Wölfen.
Plötzlich erklang ein langgezogenes Heulen. Fluffy fuhr herum, suchte den leeren Horizont ab und betete zu allen Schafsgöttern, die sie kannte, dass Silvus nichtsahnend bei der Herde schlief. Wenn er gewusst hätte, dass die Wölfe gerade in diesem Moment auf dem Weg waren, um sie zu beseitigen, hätte er alles in seiner Macht stehende getan, um sie zu retten. Doch genau das war, was Fluffy nicht wollte. Auf keinen Fall sollte er sich in Gefahr begeben.
Jetzt blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Unter der großen Baumwurzel holte sie ihre Schätze hervor, die kleinen glänzenden Steinchen. Manche von ihnen hatte ihr Silvus geschenkt, weil er wusste, wie sehr sie sie liebte, und manche hatte sie selbst gesammelt. Vorsichtig legte Fluffy die Steinchen an einem versteckten Ort im Schilf so aus, dass sie den Namen Gary ergaben. Von nun an würde er für ihre Herde die Verantwortung übernehmen müssen und sie hoffte, er würde seinen Sache gut tun. Dann verließ sie das Versteck, von dem sie hoffte, dass es die Schafe schnell finden würden und erwartete ihre Mörder.
Fluffys Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Gebannt starrte sie auf den Hügel, auf dem jeden Moment ein Wolf erscheinen konnte. Jedes Geräusch kam ihr unendlich laut vor. Dann hörte sie die Tatzenschritte. Leiser, als es irgendein Schaf gekonnt hätte, trat der Wolf aus dem Schatten und starrte Fluffy mit seinen gierigen gelben Augen an. Langsam kam er näher, bevor er nur ein paar Schafsschritte vor ihr stehen blieb. So nah, dass Fluffy seinen nach Verwesung stinkenden Atem riechen konnte. Er hatte keine Eile, sie zu töten. Stattdessen starrten er sie mit diesen fürchterlichen Augen an, bevor der die Lefzen zu einem grässlichen Grinsen verzog und eine Reihe spitzer Fänge entblößte. Dann fragte er sie lauernd: „Angst, Leitschäfin?“
Doch Fluffy ließ sich nicht einschüchtern, sondern entgegnete mit fester Stimme, aus der keinerlei Zweifel zu hören war: „Nicht um mich. Und wenn ich dich getötet habe, wird auch diese Angst zumindest verringert werden. Deshalb kann ich dich nicht am Leben lassen. Und glaube mir, ich bin nicht so schwach, wie ich aussehe. Bei diesem Kampf wirst du den Kürzeren ziehen!“. Geifer tropfte aus seiner Schnauze, als das Grinsen des Wolfs sich noch breiter wurde. „So, so. Du hast also nicht um dich Angst.“ Lauernd schlich der Reißer um sie herum. „Um wen dann, kleine Leitschäfin? Um die Herde? Oder um um deinen geliebten Silvus?“ Fluffy stockte der Atem. Woher...? Der Wolf stieß ein Bellen aus und sie brauchte einige Zeit, bis sie darauf kam, dass dieses Geräusch ein Lachen darstellen sollte. „Du dachtest wohl, wir wüssten von nichts. Ihr habt euch aber auch so viel Mühe gegeben, es uns nicht zu offenbaren.“ Er lachte wieder, während er sie mit seinem Blick festnagelte. “Vergeblich! Wir wussten es von Anfang an. Es war amüsant mitanzusehen, wie ihr gedacht habt, ihr könntet überleben. Wie sehr ihr euch an eure Liebe geklammert habt! Aber letztendlich hat das dem armen Silvus auch nicht geholfen. “ Fluffy stand wie gelähmt da, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Die Angst um Silvus hielt sie hielt sie mit eisernen Klauen gefangen. „Was... Was hast du ihm angetan?“ Der Reißer entgegnete boshaft: „Nun, was soll ein Wolf wie ich einem so süßem kleinen Schäfchen wie ihm schon angetan haben?“ Er leckte sich demonstrativ über die Lefzen. „Aber eines muss man ihm zugestehen, er war tapfer, selbst unter Schmerzen. Er wollte nicht deinen Aufenthaltsort verraten.“
Fluffys Herz zerbrach in tausend Stücke. Sie wollte dem Wolf nicht glaube, aber sich so für sie aufzuopfern...das würde zu Silvus passen. Ihre zitternden Knie gaben nach und sie kauerte am Boden. „Warum? Warum habe ich ihn da mit hineingezogen?“ Nie wieder würde sie sein Lächeln sehen, nie wieder seine Wärme spüren. Ein Leben ohne ihn war sinnlos und kalt. Deshalb entgegnete sie auch nichts, als der Reißer mit echtem Bedauern in der Stimme sagte: „Das wars schon? Ich hatte mehr erwartet. Das war nicht halbwegs so spannend, wie ich es mir erholt hatte. Was für eine Schande...“ Dann stand er plötzlich über ihr. Sein fauliger Atem schlug ihr ins Gesicht.„Aber weil du mir trotz deiner schwachen Vorstellung meine Nacht versüßt hast, will ich dir noch einen Gefallen tun und dir etwas sagen.“ Er riss ihr mit einem Hieb seiner langen Krallen den Rücken auf, bevor er ihr hämisch ins Ohr flüsterte: „Trauere. Aber trauere nicht um Silvus, sondern um deine eigene Dummheit. Silvus ist nicht tot. Obwohl er vermutlich auch bald dran ist...“ Er kicherte. „Vielleicht hättest du mich besiegen können... aber nun liegt das nicht mehr in deiner Macht. Leide, kleine Leitschäfin. An dem Gedanken, dass du das Schicksal deiner Herde vielleicht noch abwenden konntest, aber zu dumm warst, deine Chance zu ergreifen.“ Mit diesen Worten ließ er Fluffy verblutend zurück. Doch diese war nur von einem einzigen Gedanken erfüllt: Silvus lebte
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