Nach der Beerdigung war es eindeutig klar, dass auch die Lämmer irgendwie involviert waren, nur inwieweit, das wusste niemand. Friedobert hatte mitbekommen, dass neue Schafe auf der Weide waren, aber für ihn waren sie genauso verdächtig, wie alle anderen. Aber das würde sich eh erst später herausstellen. Bis dahin hatten sie auf jeden Fall die Wölfe zu enttarnen, nur wie?

Um nachzudenken gierte Friedobert in Richtung seiner Weidefläche, um dort zu grasen. Schon als er das erste Mal Gras fressen war, ging er immer nur an diesen Platz, doch auch wenn man annehmen müsste, dass das Gras schon längst abgefressen sei, so war es umso seltsamer, dass es über Nacht scheinbar magisch wieder zu seiner alten Größe heranwuchs. Scheinbar konnte kein Schaf den Lebenswillen dieser Pflanzen brechen, sie waren stark und wenn Friedobert es richtig verstanden hatte, er hatte sich vor dem Ritual schon mit einigen älteren Schafen unterhalten, diese haben ihm erklärt, dass das Gras wohl wirklich magisch sei und selbst den härtesten Winter überstand. Lokal gesehen, befand sich dieser Platz genau zwischen Friedoberts Schlafplatz und dem See, kein anderes Schaf ging dort hin, wahrscheinlich weil sie sich davor fürchteten, oder weil sie diesen Platz immer übersahen, aber wer weiß das schon. Farblich unterschied sich das Gras zumindest von dem anderen Gras schonmal darin, dass es nicht sonderlich gesund aussah, aber wo der Schein trug, dort war der Geschmack ein vollkommen anderer. Es war kein unglaublich unvergesslicher Geschmack, aber besser als das normale Gras war es auf jeden Fall. Vielleicht hatten sie ja davor Angst, wer weiß. Es wäre auch möglich, dass die Schafe nur deshalb diesen Ort mieden, weil im Sommer die Sonne unbarmherzig auf dieses Stück Grasfläche schien und kein Schaf in seiner Wolle dies dort lange ertrug. Im Winter wiederum schienen die Grashalme sich unter der festen Schneedecke so zu schützen, dass die Fläche zu einer gefährlichen Rutschfläche wurde, welche schon einigen Schafe das Leben gekostet hatte.

Einige Schafe? Nicht ganz...Friedobert erinnerte sich an etwas, etwas seltsames, etwas was er bereits einen Tag nach seiner Ankunft damals gehört hatte. Wer hatte ihm davon berichtet? Friedobert lief zu seinem Weideplatz und überlegte...Es war ein alter Bock, zu der Zeit war er der Älteste unter den Schafen mit einer beachtlichen Lebensspanne. Manche Schafe behaupteten sogar, er wäre bereits auf der Weide gewesen, lange bevor der Schäfer hier herkam. Lange bevor an Schafe wie Böckling, Napoleon und andere hier gewesen waren. Ein Schaf das älter geworden ist, als es jemals ein anderes Schaf wurde und wahrscheinlich werden wird...was in der jetztigen Situation aber irgendwie auch keine Bedeutung hatte... Das niemand über diesen Schafsguru sprach lag wohl auch daran, dass er sich meistens im Wald aufhielt, keiner wusste, wie er immer am Zaun vorbei gekommen ist und es schien wohl auch niemanden zu interessieren, hatte er ja die Angewohnheit, manchmal Tage im Wald allein zu verbringen. Auf jeden Fall lebte er noch einige Zeit weiter und verschwand spurlos zufälligerweise genau zu dem Zeitpunkt, an dem auch der Schäfer verschwand. Wer weiß, vielleicht lebt er sogar noch immer irgendwo dort im Wald...und vielleicht...aber daran wollte Friedobert nicht denken, der Gedanke war viel zu absurt, denn egal, wie lange dieser Guru lebte und egal wie konservativ seine Gedanken auch gewesen sein mögen...zumindest redete er immer vom goldenen König der Schafe, ein Schaf mit goldenem Fell, das angeblich kommen sollte, wenn die Zeit reif ist. In einer alten Geschichte heißt es, dass dieses Schaf einzigartig sei und unter seinem Befehl Schafe und Finsterwandler, so nannte der Guru diese bösen Kreaturen die Schafe fressen, dazu bringen konnte, friedlich zusammen zu leben. Ob es dieses Schaf wirklich gibt?

Friedobert schüttelte sich, er hatte mittendrin den Faden verloren und nun versuchte er, sich wieder daran zu erinnern, was der Guru über seinen Weideplatz gesagt hatte. Mittlerweile war er an seinem Weideplatz angekommen, wie vorherzusehen, war das Gras wieder in seiner ursprünglichen Größe und vollkommen in Gedanken versunken begann Friedobert zu grasen. Es war zu einer Zeit in der die Welt noch ein rauher Ort war und in der es weder Schäfer, noch blitzende Zäune gab. Schon damals gab es Schafe und schon damals war der Düsterwald eine geeignete Weidestelle. Genauso gab es damals auch die Finsterwandler, Kreaturen die bei Tage Schafe und bei Nacht Reißer waren. Die Herden zu dieser Zeit waren sehr klein, fielen viele der Schafe doch immer wieder den Raubtieren zum Opfer. Eine kleine Herde Schafe hatte sich am Düsterhügel, also genau an diesem Ort hier, versammelt, um gemeinsam zu grasen. Hier, wo dieses magische Gras wächst grasten sie damals und auch sie waren sich der Gefahr nicht bewusst, die sich ihnen bald offenbaren sollte.

Doch eines hatten sie den heutigen Schafen voraus. Da sie noch keinen Schutzzaun hatten, waren sie alle mit einer bestimmten gabe gesegnet, sie konnten Gefahren bereits auf viele Schafslängen riechen, warum und wieso, das weiß heute niemand mehr. Manchmal wird auch heute noch solch ein Schaf geboren, aber das mehr als nur selten und selbst wenn, ist es oft so, dass sie es ihr Leben lang nicht merken, da sie ja in ihrem sicheren Schutzzaun leben
. Ja, der Guru hatte etwas gegen die Tatsache, dass Schafe durch blitzende Zäune eingeschränkt waren. Auch diese Schafe waren durch die Gabe gesegnet und sie würden sie bald brauchen.

Die Tage wurden immer kürzer und die Nächte immer kälter, der Winter näherte sich immer weiter der Herde. Sie hatten Glück, dass der Düsterberg ein weitläufiges Tunnelsystem beherbergt, so konnten sie im Winter nicht erfrieren. Mit dem Näherkommen des Winters bot sich aber ein neues Problem, denn die kleine Herde durfte bald feststellen, nicht die einzige zu sein, die sich dort in der Umgebung aufhielt. Gerade als sie sich in das Tunnelsystem zurückgezogen hatten, tauchte eine weitere Herde auf, ebenfalls eine kleine, aber etwas an ihnen war anders. Der Leitbock bemerkte dies gleich, denn seine Sinne waren von allen Schafen am ausgeprägtesten. Diese Fremden verbeiteten eine merkwürdige Aura und bitteten um Einlass, denn so war es damals üblig für neue Schafe, die mit einer für sie neuen Herde den Weideplatz teilen wollten. Mit einem unguten Gefühl willigte der Leitbock aber ein, nichtsahnend, dass bald etwas schreckliches passieren sollte.

In den nächsten Tagen brach der Winter entgültig aus, die Herde war froh, genügend Nahrung bereit zu haben, aber sie hatten in der Rechnung die anderen Schafe vergessen. Das fressbare Gras wurde immer weniger, bis die Nahrung nahezu aufgebraucht war und da passierte es das erste mal. Als der Leitbock aufwachte, fand er Blutspuren, er folgte ihnen tief hinab in die finstersten Höhlen, die es im Düsterberg gab und was sich ihm dort bot, war so grauenhaft, dass selbst er seinen Mageninhalt nicht bei sich behalten konnte. Er brauchte eine ganze Weile, bis er sich endlich beruhigte und schnellstmöglich wieder nach oben rannte. Ein jähes Jaulen durchzog die Gänge des Tunnels und als der Leitbock am Ausgang ankam, bot sich ihm ein Anblick, welcher von so schrecklicher Grausamkeit war, dass es kein Wort gibt, um es auszudrücken.

Die komplette Heide war in einem rot getränkt, dass es einem das Blut in den Adern gefror. Als er sich umsah, bemerkte der Leitbock die kläglichen Überreste seiner Herde, alle zerfleischt und die Eingeweide überall verteilt. Es hätte ihn wohl ebenfalls erwischt, doch glücklicherweise war die Sonne bereits am Horizont und somit die Finsterwandler nichts anderes als normale Schafe. Den ganzen Tag versuchte nun der Bock die Überreste seiner Herde zusammenzutragen und einer vernünftigen Bestattung zuzuführen, doch was sollte er danach machen? Ohne Herde war er praktisch verloren und durch den Wald würde er es auf keinen Fall schaffen. Es war bereits Sonnenuntergang, als der Leitbock ein letztes Mal in die Höhlen des Düsterbergs ging, um die letzten Gräser zu holen, um sich damit irgendwo zu verschanzen. Gerade hatte er diese geschnappt, als er ein verängstigtes Stöhnen wahr nahm. Er sah sich um und fand ein kleines Lamm.

Dieses Lamm hatte sich in einem kleinen Loch versteckt, welches so klein war, dass kein Finsterwandler, wender als Schaf, noch als Reißer sich hindurchzwängen konnte. So hatte es den ganzen Tag dort regungslos verharrt. Es dauerte eine Weile, aber letztlich schaffte es der Bock dennoch, das Lamm aus dem Loch zu holen, doch das Schicksal sollte nicht tatenlos zusehen, denn gerade brach die Nacht an und sowohl aus dem Höhlensystem, als auch von draußen drang es wieder, dieses entsetzliche Jaulen. Es näherte sich mit jedem Moment immer näher den beiden. Flucht schien aussichtslos und das Lamm verlor entgültig die nerven und stürmte nach draußen. In Sorge um das kleine stürmte der Bock hinterher, das rettete ihm aber das Leben, denn in genau diesem Moment hatte einer dieser Reißer zum Sprung angesetzt, aber so ins Leere gegriffen.

Das Lamm war nach draußen gerannt, hinter ihm der Bock und noch weiter hinten die Reißer, die sich in der Höhle befunden hatten. Sie rannten zum See, wurden aber von Reißern abgefangen, die sie von der Waldseite aus erwartet hatten. Das Lamm und der Bock waren umzingelt, es war genau hier an dieser Stelle. Es schien alles aus zu sein, der Anführer der Reißer erhob das Wort, um daraufhin auf die beiden zuzustürmen. Der Bock stellte sich ihm entgegen und versuchte alles, um den Reißer vom Lamm fern zu halten. Genau in diesem Moment geschah es, dass auch die anderen Reißer losstürmten.

Genau hier ist es passiert, hier bei dem magischen Gras. Fast, als wolle das Schicksal die beiden Schafe vor dem Tod bewahren, gerieten die Reißer ins rutschen. einer nach dem anderen, doch die beiden Schafe hatten dennoch einen festen Stand. Der See war zu diesem Zeitpunkt von einer festen Eisschicht bedenkt, außer an der Stelle, an der das warme Schafsblut der toten Herde in den See lief. Die Reißer rutschten aus und schlitterten geradewegs in diese Stelle des Sees. Ihr Schicksal war besiegelt, konnten sie doch nicht schwimmen, schlimmer noch, bei ihren Versuchen, über Wasser zu bleiben trieben sie unter die Eisschicht und erstickten jämmerlich. Am Ende war nur noch der Anführer der Reißer übrig. Er ergriff panisch die Flucht, schwor aber vorher noch Rache. Seinesgleichen würden eines Tages zurückkehren um sich an den Schafen zu rächen. Tags darauf machten die beiden überlebenen Schafe auf, um eine neue Herde zu finden.

Friedobert hatte daraufhin gefragt, was es denn nun mit dem Gras auf sich hat. Als Antwort erhielt er folgendes: der Fluch des 1000sten Schafes, es war das erste Schaf der Herde und es fiel genau an dieser Stelle den Reißern zum Opfer. Doch anstatt, dass dieses Schaf wiederauferstand, wanderte sein Lebenswille in die Gräser, um auch zukünftige Generationen von Schafen vor den Reißern beschützen zu können.


RUMMMMSSSSSSSSSSSS!!!! Friedobert schreckte jäh auf, als er ein lautes Knallen hörte. Ein Baum war umgefallen und hatte die elektrischen Leitungen des Zauns gekappt. Der Strom war aus, der Zaun nur noch ein Zaun, ohne Blitze. "WAS WAR DAS???"