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Fossil
Es war ihr, als griffe eine grabeskalte Hand nach ihrem Herzen, als der Großmeister eröffnete, welche Aufgabe ihr in diesem entscheidenden Angriff auf die Verräter zugedacht worden war. Eigentlich hatte sie vielmehr erwartet, daß sowohl sie als auch Arranges mit Abliefern der Siegelsteine raus aus dieser Sache wären, anstatt noch viel tiefer drin als zuvor. Dann jedoch wurde sie sehr ruhig, als ihr klar wurde, daß sie diesem Test nicht würde entgehen können. Die Frage ist nur... wen wollt ihr testen? Nicht mich, glaube ich, denn dann hättet ihr mir etwas anderes zu tun gegeben...
Es war spätestens dieser Moment, ab dem sich Erynn keine Illusionen mehr darüber machte, daß an der Gathering nichts, aber auch gar nichts Gutes mehr zu finden war. Diese Bruderschaft war abgrundtief böse. Vielleicht fand man einen Keim von Idealismus, so fehlgeleitet er auch sein mochte, noch bei einigen Novizen. Bei Robrak zum Beispiel war sie sich dessen ziemlich sicher. Aber die waren alle auch noch nicht durch dieses seltsame Ritual gegangen. Vielleicht hatte auch Meisterin Marie sich so etwas wie einen Funken Menschlichkeit bewahrt, einfach dadurch, daß sie diesen zumeist so tief in sich versteckte, daß es niemand sehen konnte. Aber in den Herzen derer, die zum Großmeister aufstiegen, konnte nichts mehr sein, das nicht finster und verdammenswert war.
Nein, hier ging es nicht darum, sie zu testen. Das ganze Unternehmen war zu waghalsig, die Siegelsteine zu wertvoll, um eine Novizin damit loszuschicken, die nicht einmal seit drei Monden dabei war. Ihr Tod in dieser Festung war einkalkuliert, wahrscheinlich sogar gewünscht. Sie war nur das Werkzeug – die Kette, an welcher die Großmeister Arranges auf den Pfad zerrten, der ihnen vorschwebte.
Es war auch der Moment, in dem die Ehrfurcht, den die Elfin bisher noch für den Rat gehegt hatte, wenngleich sie seine Ziele nicht teilte, in grenzenlose Verachtung umschlug. Die Gathering, und die Großmeister die dahinter standen, mochten furchteinflößend sein in ihrer unglaublichen Macht, aber mit dieser Macht ging keine Weisheit einher – sie waren verkrümmt in den Absolutheitsanspruch ihrer Dogmen, unbeweglich, starr... lebensfeindlich, als wollten sie aus ihren Anhängern selbst lebende Tote machen, noch bevor diese gestorben waren... zu welchem Nutzen, das blieb ihr verborgen. Vielleicht aus der puren, boshaften Freude daran, das zu verstümmeln, zu pervertieren und in eine Form zu zwingen, was frei und schön sollte wachsen dürfen... sei es, daß sie den einen die Körper zerbrachen um daraus eine Monströsität wie die Botschafter wieder aufzubauen, oder aber den anderen den Geist und dabei all die Empfindungen wegzuschneiden versuchten, die ein Leben freudvoll und lebenswert machten. Und Arranges... wie paßt du in diese ganze Sache? Geben sie dir etwa die Macht und die Kontrolle, nach der dich so sehr verlangt? Oder geben sie dir mit ihren geheimen Lehren nur eine Droge, die dich glauben macht du könntest irgendetwas entscheiden, während sie dich damit längst gefügig gemacht haben?
Sie würde in diese Festung gehen, so viel war sicher. Wie auch immer sie es anstellen sollte, den abtrünnigen Meistern die Steine unterzujubeln, sie konnte sich nicht weigern. Nachdem sie diesen ersten Schrecken und die Erkenntnis, daß sie einmal mehr nicht frei handeln konnte, wenngleich es diesesmal nicht ihr Körper war, der in irgendwelche Bande geschlagen war, verwunden hatte, nahm ihr Gesicht einen kalten Ausdruck an. Es spiegelte die Empfindung wieder, die sich durch ihr Inneres fraß: Die Gathering mochte sie zu Dingen benutzen können, die sie nicht wollte. Sie mochten über ihren Leib verfügen können, um den Willen ihres Weggefährten und Freundes zu brechen. Aber das war alles, was sie von ihr bekommen würden. Ob sie lebte oder starb, wenn sie in diese Ruine ging, sie würde sich von der vordergründigen Macht nicht blenden lassen. Die erbärmlichen alten Männer, die den Hohen Rat bildeten, sah sie dahinter deutlich genug. Und die waren eigentlich nicht einmal die Mühe wert, daß man sie verachtete.
Erynn verließ Arranges’ Kammer, nachdem sie den Magier eine Zeitlang stumm aus den Augenwinkeln betrachtet hatte, wie er über Pläne und Papiere gebeugt dasaß. Etwas war in sein Gesicht zurückgekehrt, das sie dort seit längerer Zeit schon nicht mehr gesehen hatte. Eine Wut, die kein Ziel fand, die in letzter Konsequenz hilflos war. Daß er nicht mit ihr sprechen wollte, wunderte sie nicht. Die Gathering hatte ihn fest in ihren Klauen, und war der Griff in den letzten Monden, während sie nach den Siegelsteinen gesucht hatten, nur ganz leicht spürbar gewesen, so packte sie jetzt umso unnachgiebiger zu. Erynn stellte fest, daß sie diesen Anblick nur schwer ertragen konnte, nahm Ausrüstung und Werkzeug an sich und verzog sich ins Freie. An einer Wand des Langhauses, von wo aus sie das Treiben im Lager überblicken konnte, ließ sie sich in den Schneidersitz sinken und widmete sich Waffen und Rüstung, besserte schadhafte Stellen aus und kontrollierte jeden noch so kleinen Winkel auf Schmutz und Ermüdungserscheinungen. Einmal hielt sie in ihrer Tätigkeit inne und horchte in sich hinein, stellte überrascht fest, daß sie... ja, gar nichts fühlte. Keine Furcht, keine Nervosität, keine Hoffnung und keine Verzweiflung. Nur die Entschlossenheit, sich keine Blöße zu geben vor irgendwelchen Gestalten, die sich in ihrer Vermessenheit selbst als Dreh- und Angelpunkt des Nirnrunds betrachteten.
Es wurde Abend, bis sie schließlich zufrieden war. Der Himmel über der Ebene färbte sich langsam rot. Es war ein wunderbares Schauspiel, wirkte hier irgendwie anders als in Cyrodiil – so, wie vieles hier anders wirkte. Wilder, ungezähmter, zeitlos. Morrowind war, wie sie dem kleinen Ausschnitt nach erfassen konnte, den sie davon bisher gesehen hatte, ein Land, in das eigentlich keine Menschen gehörten, das so sehr zu seinen langlebigen Bewohnern paßte und sie zu ihm, daß sie sich unwillkürlich und zum ersten Mal in ihrem Leben fragte ob es nicht doch klüger von ihren Eltern gewesen wäre, einfach dortzubleiben.
Ein wenig steif erhob sich die Kriegerin und wischte den Gedanken beiseite. Was wußte sie schon von Morrowind? Sie fand Arranges nahezu unverändert in Zeichnungen und Gekrakel versunken, ebenso hatte seine Miene sich kaum verändert, war, wenn das überhaupt möglich war, nur noch finsterer geworden. Es würde vollkommen gleichgültig sein, was sie jetzt sagte, er würde es nicht gut aufnehmen – also entschied sie sich dafür, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: „Wenn du irgendwelche Informationen über diese Festung gefunden hast, ist es jetzt Zeit, sie mir weiterzuleiten. Wenn ich auch nur den Hauch einer Chance haben soll, muß ich so viel darüber wissen wie möglich.“
Geändert von Glannaragh (26.05.2011 um 22:17 Uhr)
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