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Fossil
Erynn ging hinter dem Druiden her durch den Wald. Sie kam nicht umhin, Harchaxas’ Bewegungen zu bewundern. War sie doch recht zufrieden über die Sicherheit, mit der sie selbst sich in schwierigem Gelände bewegen konnte, so mußte sie jetzt feststellen, daß sie im Gegensatz zu dem Argonier bestenfalls ein Amateur war. Trotz seiner massigen Gestalt und der Krallen an seinen Füßen verursachte er beim Laufen kein Geräusch und hinterließ keine sichtbaren Spuren. Es war, als berührte er den Boden gar nicht. Während die Elfin ihm gedankenverloren folgte, fragte sie sich plötzlich, wohin sie eigentlich gingen. Wie kam es, daß sie allein mit diesem Druiden unterwegs war und noch dazu, warum erschien es ihr nicht seltsam? Irgendetwas fehlte. Etwas, das sie vergessen hatte. Ihr Blick blieb an dem Zaunkönig hängen. Sie war diesem Vögelchen gefolgt, bis zu der lichten Stelle mitten im Wald, an der sie auf Harchaxas getroffen war. Nur... warum eigentlich? Sie zermarterte sich das Hirn darüber, warum sie dem Tier hätte hinterherlaufen sollen Zunächst dachte ich, daß vielleicht etwas nicht stimmt mit ihm. Dann habe ich mich darüber geärgert, daß Arranges es wegjagen wollte und... Moment mal. Stück für Stück fiel die Erinnerung wieder an ihren Platz. Von der ersten Begegnung mit dem Argonier über den seltsamen, unnatürlichen Schlaf bis hin zu dem Disput mit dem Druiden und dem Zweigling. Dieses elende Baumweib... Erynn dachte darüber nach und stellte fest, daß die Erinnerung daran keinesfalls unangenehm war. Ganz und gar nicht – wenngleich sie das nicht einmal in volltrunkenem Zustand und zugedröhnt mit Mondzucker zugeben würde.
Also schön, Argonier. Die letzte Runde ging an dich. Dann auf ein Neues... Vier schnelle Sprünge brachten sie neben den Tiermenschen. „Harchaxas? Könnt Ihr mir nicht wenigstens sagen, wo sich dieses Tor befindet? Es ist nur... ich wüßte es einfach gern.“
Harchaxas seufzte. 'Ich wüsste auch vieles einfach gern... frage aber trotzdem nicht ständig danach... was ich erfahren soll, das erfahre ich, was ich nicht erfahren soll, behält die Welt für sich...'
Erynn hob die Hände in flehender Geste zum Himmel. "Oh bitte, hört auf damit! Ihr habt doch bekommen was Ihr wolltet. Ich laufe hinter Euch her, oder nicht? Warum könnt Ihr es mir nicht einfach sagen?" Laß endlich die schlauen Sprüchen und sag mir schlicht, was ich wissen will!
'Wisst ihr Erynn, warum ich erst nach einer kurzen Diskussion mit Arranges zugesagt habe, euch zu schützen? ... Weil es genau das ist, was ihr gerade tut, was ich an euch Fremdlingen in meinem Wald hasse... ihr habt ständig das Bedürfnis, zu plappern, ihr macht schlicht Krach, den ich nicht dulde...' Aus dem Wald vor Erynn tauchte ein Zweigling auf und blieb genau auf der Linie stehen, die Erynn neben dem Argonier herging, sie schien fast auf die Dunmer zu warten.
Sie blieb abrupt stehen, als die Dryade ihr den Weg vertrat. Nicht schon wieder... "Harchaxas, bitte. Euch dieser Zweiglinge zu bedienen, um mir Euren Willen aufzuzwingen, ist keine besonders anständige Haltung, meint Ihr nicht auch? Überhaupt eine sehr kreative Definition von 'freiwillig', die Ihr da habt... Sagt mir nur, wo dieses Tor ist, und Ihr werdet kein weiteres Wort von mir hören."
Der Argonier fuhr zu Erynn herum. 'Ihr müsst sagen, wenn euch die Sache mit den Zweiglingen unangenehm ist... ich dachte nur, das wäre vielleicht die bessere Lösung... aber wenn ihr wollt, kann ich euch gerne fesseln und knebeln, mir über die Schulter werfen und euch mit mir herumtragen wie einen nassen Sack...' Er atmete hörbar aus. 'Was hättet ihr denn davon, wenn ich euch sage, wo das Tor ist?' Langsam glitt der Zweigling auf Erynn zu.
"Ja, ich scheine diese Wirkung auf Leute zu haben...", gab Erynn lakonisch zurück. Leicht geduckt wich sie Schritt um Schritt vor dem Zweigling zurück. Ihre Rechte wanderte automatisch zum Griff ihres Schwertes, doch sie besann sich schnell eines besseren und ließ die Hand wieder sinken. "Was für Geschichten hat Aranges Euch eigentlich über mich erzählt? ...Ach, vergeßt es. Ich will es gar nicht wissen." Sie warf einen schnellen Blick über die Schulter, um nicht eventuell einer zweiten Dryade direkt in die Arme zu stolpern. "Warum ich diese Information haben will? Um dort irgendwann in Zukunft mal vorbeizuschauen und die verkohlten Reste des Beschwörers zusammenzufegen... bitte, Harchaxas. Es ist mir wirklich wichtig!"
Die Dryade stoppte. 'Wenn es euch so wichtig ist, warum habt ihr ihn dann nicht davon überzeugen können, ihn begleiten zu dürfen?' Die Dryade nickte dem Argonier zu und verschwand wieder im Wald. 'Ich werde es euch sagen, aber nur unter zwei Bedingungen: Ihr werdet nicht versuchen zu flüchen, Arranges konnte sich noch immer auf mich verlassen und ich will, dass das weiterhin so bleibt, zweitens werdet ihr euren Mund halten und nicht mehr ständig den Wald mit eurem Geschnatter stören! ... Ich habe dem Magier gesagt, dass er in der Nibenay südlich von Hame am Fuß der Valusberge nach dem Tor suchen soll...'
Erynn brachte eine knappe Verbeugung zustande und schwieg daraufhin, wie sie versprochen hatte. Sie ließ sich wieder ein paar Schritte zurückfallen und beobachtete nachdenklich den breiten Rücken des Druiden. Hame also... ein ganzes Stück südöstlich von Cheydinhal, jenseits des Corbolo... Erynn wußte nur so ungefähr, wo die Ruine sich befand. Sie war auf einigen Karten eingezeichnet, die den weiteren Umkreis ihrer Heimatstadt zeigten. Dennoch, es war wohl die beste Beschreibung, die sie bekommen würde. Wenn ich dorthin wollte, vom Großen Forst aus... nein, Arranges wird nicht den Weg über Cheydinhal nehmen. Nicht nach dem, was das letzte mal dort geschehen ist. Er wird sich irgendwo von der blauen oder der Ringstraße aus in die Wildnis schlagen... Wie weit er wohl gekommen sein mag? Wie viel Zeit ist eigentlich vergangen, seit wir hier angekommen sind? Sie warf noch einen prüfenden Blick auf den Druiden, dann auf den umgebenden Wald. Die Zweiglinge waren nirgendwo zu sehen, aber die Elfin wußte, daß sie da waren. Sie würde schnell sein müssen. Wie waren die Worte nochmal? Ach ja, richtig... Noch ein paar Schritte ging sie ruhig weiter, ging ihr Vorhaben im Kopf wieder und wieder durch. Dann zog sie mit einer raschen Bewegung die Windwandlerrolle hervor. „Leid komme über dich“, murmelte sie.
Plötzlich verschob sich ihre Welt, schien träger, langsamer zu werden, während sie sich als einzige noch normal bewegen konnte. Erynn warf sich herum und lief, stellte fest, daß sie mit jedem Schritt unglaublich viel Raum griff. Sie stürmte voran, nahezu unbehindert durch jegliches Hindernis, glitt um Bäume und Felsen herum wie fließendes Wasser, immer weiter nach Osten. Wie lange sie so rannte, wußte sie nicht. Aber die schiere Geschwindigkeit war berauschend.
Irgendwann bemerkte sie, wie die Wirkung des Zaubers nachließ und kam schlitternd zum Halt. Sie befand sich nur vielleicht zehn Schritte von der Blauen Straße entfernt und war kein bißchen erschöpft. Sie nutzte das Adrenalin, das durch ihre Adern peitschte, und verfiel in einen schnellen Lauf, an dem Kleinen See südlich der Straße vorbei und weiter in östlicher Richtung in das Hinterland hinein, dem Waldrand entgegen. Ab hier gab es kaum noch einen anderen Weg, den er gewählt haben könnte. Außer der gelben Straße vielleicht, aber das wäre ein Umweg gewesen... nein, der Beschwörer mußte hier irgendwo sein. Sie hielt inne und sah sich um. Es war längst dunkel geworden, und so sanken ihre Chancen, irgendwelche Spuren zu finden, beträchtlich. Selbst wenn jene, die Arranges für gewöhnlich hinterließ, ungefähr so deutlich waren wie die einer ganzen Herde Minotauren. Was sie gegen den finsteren Waldrand jedoch recht deutlich sehen konnte, war der flackernde Schein eines Feuers in einigen hundert Schritt Entfernung. Geduckt huschte sie darauf zu. Sie wollte sich dem Kaiserlichen nicht sofort zu erkennen geben – wenn er es denn überhaupt war.
Erynn wurde schneller, als sie Kampfeslärm und das charakteristische Schnattern von Goblins vernahm. Einige Augenblicke später sah sie es. Ihr Begleiter befand sich in üblem Gehacke mit zweien von den Biestern. Ein Schockzauber jagte nur knapp über seinen Kopf hinweg. Warum hat er keinen Diener an seine Seite gerufen? fragte sie sich noch, zögerte dann aber nicht länger. Sie nahm den Bogen von der Schulter, legte an und feuerte. Mit einem gurgelnden Schrei stürzte der Schamane. Erynn griff nach einem weitern Pfeil und wartete auf einen günstigen Moment. Sie bekam ihn, als einer der Gobbos sich mit einem flinken Sprung nach hinten aus der Reichweite der Silberklinge brachte. Das letzte der Viecher starb, als Arranges sein Schwert in dessen Brust versenkte.
Die Elfin wartete noch einige Herzschläge ab, bevor sie langsam aus den Schatten in den Lichtkreis des Feuers trat. „Sieh an“, sagte sie ruhig. „ich merke, du brauchst meine Unterstützung wirklich nicht... zu blöd, jetzt habe ich mir vermutlich völlig umsonst den Zorn eines sehr mächtigen Mannes zugezogen. Schon wieder.“
Geändert von Glannaragh (11.04.2011 um 01:12 Uhr)
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