Erynn warf den Sturmwolken einen bitterbösen Blick zu und zog die Kapuze über ihren Kopf. Von Arranges erfuhr sie, daß sie zu einer kleinen, sehr abgelegenen Siedlung namens Bleichersweg unterwegs waren. Sie kannte das Dorf nicht, kannte sich in dieser Gegend ohnehin kaum aus. Der Wald um Cheydinhal und um die Goldstraße herum war ihr vertraut, doch die steilen Hänge hier, die sich zum Jerallgebirge hinaufzogen, waren unbekanntes Land. Der Beschwörer meinte, es sei nicht mehr weit bis zu der Ansiedlung, aber sie stimmten beide darin überein, daß es zu gefährlich sei zu versuchen, das tückische Gelände bei Dunkelheit mit den Pferden durchqueren zu wollen. Zu leicht konnte eines von ihnen auf den glitschigen Steinen ausgleiten oder über eine Wurzel stolpern und sich dabei alle Knochen brechen. Die Elfin beschloß, Wind und Regen einfach zu ertragen, gab es doch ohnehin nichts, was sie dagegen hätte unternehmen können. Langsam erhöhte sie ihre Körpertemperatur und sperrte so zumindest die Kälte aus, blieb allein die nervtötende Nässe, die sich schwer und scheußlich auf die Haut legte.

Sie grübelte über die letzten Tage nach, wieder einmal. Die Entführung hatte irgendetwas aus ihr herausgerissen und ein häßliches Loch hinterlassen, das nicht minder verstörend wirkte als der rein körperliche Verlust ihres kleinen Fingers. Es dauerte eine Weile, bis sie darauf kam, was es war: Das Gefühl des Ausgeliefertseins, des totalen Verlustes jeglicher Handlungsmöglichkeiten. Hilflos weggeführt zu werden wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geht. Hinzu kam der bittere Geschmack des Verrats, der sie vielleicht nicht direkt betraf, wohl aber ihren Begleiter, den sie längst so liebgewonnen hatte. Die Geschehnisse seit dem Angriff des Ogers verstärkten diese Empfindung nur noch.
Ein Teil ihrer Seele war verlorengegangen, unwiederbringlich. Mit diesem Teil war eine Grenze verschwunden, deren Sinn und Nutzen sich schlicht in Luft aufgelöst hatte. Nachdenklich betrachtete sie die breite, helle Narbe in ihrer Handkante. Ebenso müßte sie den Riß in ihrem Inneren verschließen, oder es würde ewig schmerzen. Aber nicht mit Feuer, sondern mit Eis. Fast bedauerte sie, daß Geshrak und Remogius so schnell gestorben waren, ohne daß sie eine Möglichkeit gehabt hatte, die Machtverhältnisse umzukehren und so ein neues Gleichgewicht zu schaffen. Erynn ließ es schließlich zu, daß ihr Kopf den Gedanken ungeschönt ausformulierte: Ohne die Möglichkeit, Rache zu nehmen...
In diesem Moment konnte sie Arranges’ Furcht davor, die Kontrolle zu verlieren, nur zu gut nachvollziehen - sie mußte eine Möglichkeit finden, das Gleichgewicht wiederherzustellen, oder die Demütigung würde sich auf ewig in ihrem Herzen festbeißen. Da ihre Entführer tot und somit außerhalb ihrer Reichweite waren, blieb nur noch der Argonier. Sie hob den Blick und sah den Beschwörer an. „Arranges? Ich will, daß du Gumora in Ruhe läßt. Die Echse gehört mir.“