Erynn stürmte die Kellertreppe hinauf. Sie war nicht wirklich wütend, aber maßlos enttäuscht. Im Hof blieb sie stehen und sah sich suchend um. Verdammt, wo sind diese Kerle...?
Die Elfin schrak zusammen, als sich eine der massigen Gestalten aus einem Schatten löste. Sie hätte schwören können, daß er vorhin noch nicht dort gestanden hatte. „Lady Erynn?“ Sie legte den Kopf in den Nacken, um dem Botschafter ins Gesicht sehen zu können. Tatsächlich reichte sie ihm gerade bis knapp an das Brustbein. „Das ‚Lady’ könnt Ihr weglassen. Bitte seid so gut und sorgt dafür, daß Mentor Arranges sich ausruht. Ich kann ihn nicht bändigen. Aber... geht behutsam vor. Er ist im Moment zerbrechlicher, als er tut.“ Der Hüne nickte und verschwand – wortwörtlich. Er war einfach weg. Mit dieser einen Sorge weniger machte sie sich daran, Parlovars überlebende Schüler zu suchen. Sie wußte nicht, ob Marie sie vielleicht mitgenommen hatte, aber wenn dem nicht so war, wollte sie sich zumindest versichern, daß es ihnen einigermaßen gut ging.
Schließlich fand sie zumindest Tujenne vor einem halbwegs intakten Nebengebäude sitzen. Der Schock stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben, aber sie konnte der Elfin zumindest mitteilen, daß die drei anderen sich zum Schlafen zurückgezogen hatten. Erynn nickte und zermarterte sich das Hirn, welche möglichst anspruchslose Aufgabe sie der Bretonin auftragen konnte, um sie ein bißchen in Bewegung zu bringen. Das mußte möglichst bald geschehen, wie sie wußte, sonst bestand die Gefahr, daß das Mädchen für lange Zeit in ihrem Schrecken erstarrte. Als sie sich mit einer Hand durchs Haar fuhr, kam ihr eine Idee und sie bat die Schülerin, ihr einen Kamm zu bringen. Sie sah die Dunmer für einen Moment verwirrt an, verschwand dann aber, um bald darauf zurückzukehren. Erynn nahm das Utensil entgegen, löste das Lederband in ihrem Nacken und begann, es durch ihre verfilzte Mähne zu ziehen. „Seit wann lernst du bei Meister Parlovar?“ fragte sie. Keine Antwort. Hm. Ich gebe zu, das war verdammt platt... Aber da ich leider nicht weiß, wie ich in nächster Zeit eine Seelsorgepriesterin hierher schaffen soll, wirst du mit mir vorlieb nehmen müssen. „Hast du noch Schmerzen?“ fragte sie weiter. Wieder antwortete das Mädchen nicht, stand aber mit einem Ruck auf und nahm ihr den Kamm aus der Hand. Mit bedächtigen, sorgfältigen Bewegungen begann Tujenne, die Haare der Dunmerin zu entwirren. Sie ließ es geschehen, war froh darüber, daß die Andere überhaupt etwas tat. Sie ist sehr hübsch gewesen, überlegte Erynn, und wahrscheinlich ebenso stolz darauf. Es muß grausam sein zu wissen, daß niemand sie je mehr mit Bewunderung ansehen wird... Mit einem Mal kam ihr ihre eigene, entstellte Hand überhaupt nicht mehr schlimm vor. Mechanisch flocht die Bretonin das Haar zu einem kunstvollen Zopf und verkündete dann, sich ebenfalls hinlegen zu wollen. Die Elfin dankte ihr und nickte.
Sie kehrte in den Keller zurück und fand Arranges ruhiggestellt vor, ein Zustand, der, so informierte sie der Botschafter, auch noch für eine ganze Weile anhalten dürfte. Meine Güte, was für ein Theater... und jedesmal dieselbe Scheiße. Was treibt dich bloß dazu, in solchen Situationen immer wieder deinen Dickschädel durchsetzen zu wollen? Es dauerte tatsächlich einen Augenblick, bis es ihr wieder einfiel. Kontrollverlust, natürlich. Sie hatte sich schon so dermaßen an diese Macke gewöhnt, daß sie sie unter normalen Umständen gar nicht mehr wahrnahm. In der Nacht schlief sie zusammengerollt auf den bloßen Fliesen vor dem Kamin. Arranges’ Worte hatten sie verletzt, ohne Zweifel. Dennoch wollte sie in der Nähe sein, wenn sich irgend etwas änderte. Die Präsenz des Botschafters blendete sie dabei aus. Nachdem sie sich die letzten beiden Nächte um die Ohren geschlagen hatte war sie viel zu erschöpft, um sich daran zu stören. Sie konnte den Kerl ohnehin nicht sehen, auch wenn sie genau wußte, daß er da war.

Als Erynn erwachte, beschloß sie irgendwo etwas Eßbares aufzutreiben und zumindest für die Schüler ein Frühstück zu bereiten. Ich entwickle mich wahrhaftig zu einer Glucke... nicht zu fassen! Andererseits: Irgendwer muß in diesem Irrenhaus doch zumindest einigermaßen in der Spur laufen – und wie es aussieht, bin das wohl ich. Es war ein Witz, vermutete sie. Von Sheogorath persönlich.
Sie hatte den Ausgang des abbruchreifen Langhauses noch nicht erreicht, als sie hörte, wie Arranges ihren Namen schrie. Es klang wütend. Natürlich. Die Elfin hob die Hände in flehender Geste zum Himmel, wandte sich um und ging die Kellerstufen wieder herunter. Der Anblick, der sich ihr bot, war mit einem Wort zu beschreiben: grotesk.
„Was ist hier los?“ fragte sie deutlich genervt, nachdem sie sich das Gezeter des Beschwörers angehört hatte.