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Fossil
Sie machten sich gerade zu dem Osttor der Stadt auf, als Erynn bemerkte, daß mit dem Beschwörer etwas nicht stimmte. Sie erkannte die feinen Anzeichen mittlerweile sehr genau und beschleunigte ihre Schritte, bis sie schon fast die Hälfte der Strecke zum Tor zurückgelegt hatten. Als wäre er gegen eine Wand gerannt, blieb Arranges plötzlich stehen. Erynn wandte sich um und sah, wie er einen Bürger gepackt hielt und mit harter Stimme auf ihn einredete. Nachdem er erfahren hatte, was er wissen wollte, machte der Kaiserliche auf dem Absatz kehrt und stürmte davon. Verdammt, verdammt, verdammt! fluchte sie still vor sich hin. Es mußte sein Elternhaus gewesen sein, kam es ihr in den Sinn. Sie erinnerte sich dunkel an einen Vorfall, den es in der Straße gegeben hatte, irgendein Unfall... Ein Feuer war es. Das Ehepaar kam damals um, allein ihr Sohn überlebte – oh, scheiße! Sie begann zu laufen, schlängelte sich durch die Menschenmassen und schloß letztendlich zu Arranges auf. Ihre Schritte führten sie zum Friedhof, wo er schließlich vor einem noch nicht sehr alt aussehenden Grab stehen blieb. Er zitterte am ganzen Leib.
Erynn hielt sich im Hintergrund, beschränkte sich zunächst darauf, das Geschehen zu beobachten. Der Name ‚Moryn’ war auf dem Grabstein zu lesen. Mitglieder der Gathering hatten diesen Namen schon erwähnt, aber erst jetzt brachte sie ihn mit den Geschehnissen vor vielen Jahren zusammen. Sie hätte Arranges wohl auch nicht erkannt, wenn sie zuvor schon gewußt hätte, wer er war. Die harten Züge, welche bei ihm jetzt um Augen und Mundwinkel lagen, ließen das nicht zu. Vielleicht hatte es Ansätze davon schon früher gegeben, aber das wußte sie nicht mehr, denn sie hatte ihn zu der Zeit nicht gekannt. Nur, daß es ihn gab, diesen Waisenjungen, dem jeder mitleidige Blicke hinterherwarf...
Zögernd trat sie einen Schritt näher, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter zu legen und dem Gefühl, daß sie diesen traurigen Moment besser nicht stören sollte.
Die Moryns waren in aller Stille bestattet worden, noch vor dem Morgengrauen und ohne großes Gewese. Wenige Tage nach dem Unglück war das Grab einfach da, und angesichts der Umstände erschien es niemandem seltsam, daß auf eine große Trauerfeier verzichtet wurde. Einige Jahre später aber hatte es hinter vorgehaltener Hand Gerede gegeben. Es hieß, das Grab sei geöffnet worden, mitten in der Nacht. Gerüchte von götterlästerlichen Dieben und Nekromanten schossen wild ins Kraut. Sie hatte nicht viel darauf gegeben, die Leute tratschten sowieso immer und ständig, und Erynn war zu der Zeit gerade in einer rebellischen Phase gewesen, in der sie den Klatsch der Waschweiber und alten Männer mit einer Herablassung quittierte, wie nur Halbstarke es vermochten. Außerdem sah es am folgenden Tag nicht zerwühlt aus, sondern war so gepflegt wie immer. Auch die ältere Dunmerin, die sich darum kümmerte, wies das Gerede weit von sich und behauptete steif und fest, daß bloß einige Dinge aufgetaucht wären, die als Beigabe ebenfalls hätten verscharrt werden müssen.
Aber was, wenn das überhaupt nicht stimmt? Warum hätte man das zu nachtschlafender Zeit tun sollen? Das ist doch Unfug. Ein heißer Stich fuhr ihr und die Brust und machte ihr das Herz schwer, als ihr Blick auf Arranges’ Gesicht fiel. So wie jetzt hatte sie ihn noch niemals gesehen, und es erschreckte sie mehr als seine gelegentlichen Tobsuchtsanfälle. Der Beschwörer wirkte, als würden jeden Augenblick die Knie unter ihm nachgeben oder er, was hier mitten in der Stadt weit schlimmer wäre, einfach ausrasten - so, wie er es immer tat, wenn jemand oder etwas diese unsichtbare Wunde berührte, die in seiner Seele schwärte. Erynn war sich sicher, sich gerade gefährlich dicht am Zentrum dieses Geheimnisses zu befinden. Sie mußte handeln, bevor die Situation unkontrollierbar wurde.
Stumm trat sie von hinten an den Kaiserlichen heran und legte ihre Arme fest um seinen Leib. Mit einem Mal war sie sehr dankbar für ihren sehnigen Körper, würde sie ihn mit dessen Kraft doch unter Kontrolle halten können, welche Reaktion von ihm auch immer als Nächstes folgen würde...
Geändert von Glannaragh (26.02.2011 um 03:52 Uhr)
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